Cover-Bild Anomalien, Autonomien und das Unbewusste
48,00
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  • Verlag: Wallstein Verlag
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Literatur: Geschichte und Kritik
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 488
  • Ersterscheinung: 08.08.2009
  • ISBN: 9783835305311
Harald Neumeyer

Anomalien, Autonomien und das Unbewusste

Selbstmord in Wissenschaft und Literatur von 1700 bis 1800
Die Selbstmorddebatte im 18. Jahrhundert und die physische, psychische, soziale und politische Neukonzeption des Menschen.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts beginnen sich unterschiedliche Wahrnehmungsparadigmen des Selbstmords zu überlagern und einander abzulösen. Diese Entwicklung zeigt Harald Neumeyer anhand medizinischer Traktate, juristischer wie polizeiwissenschaftlicher Abhandlungen, theologischer Studien, psychologischer Fallanalysen, gerichtsmedizinischer Gutachten, populärer Biographien und literarischer Texte. Selbstmord kann danach als Verletzung des irdischen wie göttlichen Souveräns, als Verbrechen am Staat, als Effekt einer Anomalie und als Resultat eines Normenkonflikts bewertet werden.
Zugleich verbindet sich die gesamtkulturelle Erörterung des Selbstmords mit dem Projekt einer neuen Definition, Vermessung und Berechnung des Individuums. So werden divergierende Formen von Autonomie entfaltet, die letztlich auf eine Unterwerfung wie Disziplinierung des Menschen zielen, wird die Grenze zwischen Normalität und Anomalie stets neu ausgelotet und der Bereich eines Unbewussten als Motor von Handlungen veranschlagt. Im Zentrum der Studie stehen Johann Wolfgang Goethes »Die Leiden des jungen Werther«, Friedrich Schillers »Die Räuber« und Clemens Brentanos »Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl«.


Inhaltsverzeichnis

I. Wirkkraft des Unbewussten

1. Wissenschaft: Der Kindermörder J. F. D. Seybell, ein »seiner selbst unbewußter Mensch«

2. Literatur: Transformationen des Selbstmords. Von der Bühne in den Off-Stage - vom Off-Stage auf die Bühne

3. Wissenschaft und Literatur: Melancholisch onanierende Werther-Leser

4. Methode und Erkenntnisinteresse: Wissensgeschichte des Selbstmords

II. Figuren der Autonomie

1. Wahrnehmungsparadigmen der Selbsttötung I: Autonomer Akt versus sündhaftes Vergehen

2. Wahrnehmungsparadigmen der Selbsttötung II: Individuelles Recht versus biopolitischer Verstoß

3. Literatur: Sophonisbes »Freyheits-Saft« und Catos »Fehler«

4. Theologie, Medizin und Pädagogik: »Subtiler Selbstmord«. Oder: Von der Onanie als Selbstmord auf Raten

5. Medizin und Psychologie: Melancholie. 0der: Anomalien produzieren Anomalien

6. Jurisprudenz und Polizeiwissenschaft: Von der Angst der Macht vor der Macht des Selbstmörders

7. Philosophie: Determination als Legitimationsstrategie

III. Die Leiden des jungen Werthers (1774)

1. Jerusalems Selbstmord, Kestners Briefbericht und Goethes autobiographische Retrospektive: Plausibilisierungsversuche

2. Werthers Briefe I: Die Fixierung des zu regulierenden Regulators auf seine Therapeutin

3. Das Gespräch in den Briefen: Von der »Krankheit zum Todte«

4. Werthers Briefe II: Ver-kehrte Reflexion auf die Trias der Pflichten

5. »Der Herausgeber an den Leser« und der Abschiedsbrief an Lotte: Vier Werther

IV. Religiöses Strafgericht

1. Werther theologisch: »Todtes Capital« statt »Heroismus«

2. Eine Frage der Macht: Der Selbstmörder als »Rebell wider den Herrn des Lebens und des Todes«

3. Stigmatisierung statt Ursachenforschung: »Ein Unchrist, ein Unmensch, ein Unthier«

4. Hinrichtungstexte und Disziplinierungsbriefe: »Zittert!« - »Hören Sie zuletzt noch meinen brüderlichen Rath«

V. Die Räuber (1781)

1. Karl und Franz: Die Gewalt des »Schoßkindes« und die Gewalt des »kalten« Sohnes

2. Karl: Autonomie als Negation des autonomen Akts der Selbsttötung

3. Franz: Die Ambivalenzen der Pathologisierung

4. Amalia und Karl: Delegierter Selbstmord und selbstverordnete Hinrichtung

VI. Zwischen Selbsterhaltungstrieb und »Trieb zum Selbstmord«

1. Natur-Norm-Normalität: Die Zwei-Trieb-Theorie in Medizin und Psychologie

2. Vom »Kampf« im Ich: Anton Reiser und Frau H. L.

3. Vom Strafsystem zum Disziplinarsystem: Wie der Selbstmörder »gegen sich selbst bewahret« wird

VII. Macht der Norm

1. Programmatik der Fallstudien und Biographien: Innensichten und »philosophische Toleranz«

2. Selbstmörder sprechen: Rechtfertigungen

3. Die Instanz des Gewissens: Selbsttötung als radikale Form einer selbstreflexiv vollzogenen »Sub-Justiz«

4. Auswertung der Datensätze: Zurechtmachungen und Projektionen

5. Biographien über Selbstmörder: Die zwei konkurrierenden Wahrnehmungsparadigmen

VIII. Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817)

1. Zwischen Norm und Anomalie I: Kasperls Selbstmord

2. Zwischen Norm und Anomalie II: Annerls Kindsmord

3. Die letzten Worte zweier Selbstmörder: »Meine Schande«

4. Verzweiflung oder Melancholie: Die Problematik der Zurechnungsfähigkeit

5. Politische Souveränität: Das »ehrliche Grab« und das »Monument«

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