Phantom Marlowe
Der Titel klingt zunächst ziemlich nichtssagend, erst das Shakespearebild im Hintergrund lässt einen an den Dramatikerkollegen Christopher Marlowe denken. Und der ist tatsächlich thematischer Schwerpunkt, ...
Der Titel klingt zunächst ziemlich nichtssagend, erst das Shakespearebild im Hintergrund lässt einen an den Dramatikerkollegen Christopher Marlowe denken. Und der ist tatsächlich thematischer Schwerpunkt, aber doch ganz anders, als man erwartet hätte. Durch computerisierte Stiluntersuchungen mit neuesten Methoden wird das Marlowe zugeschriebene Werk zerlegt, und es zeigt sich, dass das uns überlieferte Bild ein Phantom ist, geschaffen vor allem durch Forschungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Marlowe der Sekundärliteratur, der im Werk Shakespeares auftaucht, mit der Stilistik Shakespeares nachgewiesen wird. Der Verfasser nähert sich diesem Ergebnis geschickt und spannend geschrieben an. Nicht nur der Untertitel „Paradigmenwechsel in Autorschaftsbestimmungen des englischen Renaissancedramas“ generiert einen ersten Erwartungshorizont, mit wenigen überzeugenden Belegen wird das Hauptargument der Marlowianer demontiert, dass Shakespeares „Venus und Adonis“ die Fortsetzung von Marlowes „Hero und Leander“ sei. Natürlich fehlen auch Marlowes Todesumstände nicht. Als gelungen muss der ironische Abschluss gelten, der mit Nachhall betitelt ist. Was ist negativ an dem Buch? Es ist eher für fachwissenschaftlich mit dem letzten Stand der Forschung Vertraute geeignet als für eine breite Leseröffentlichkeit, und es gibt eine Reihe von Tippfehlern, die auch der Verlagslektor geflissentlich übersehen hat.