Die Biografie Ein deutsches Mädchen – Mein Leben in einer Neonazi-Familie schildert das Leben der Autorin Heidi Benneckenstein, die in einer Neonazi-Familie aufwächst und als junge Erwachsene den Mut hat, auszusteigen. Das Buch erschien erstmals 2017 als Hardcover und im September 2019 im Tropen-Verlag (Klett-Cotta) als Taschenbuch.
Ende der Neunzigerjahre, ein beschauliches Dorf bei München. Heidrun Redeker, genannt Heidi, wird in einer konservativen Familie groß, in welcher der Nationalsozialismus in erschreckender Realität weiter existiert. Schon als Kind muss sie an Ferienlagern der Heimattreuen Deutschen Jugend teilnehmen, die nationalsozialistische Werte vermitteln. Besonders der Vater ist es, der ihren Einstieg in die Neonazi-Szene fördert.
Von Beginn an war Heidi mit nationalsozialistischem Gedankengut konfrontiert. Die familiäre Seite des Vaters verfolgte Ideologien fernab von Menschlichkeit und Toleranz. Mit fünfzehn Jahren nimmt die Autorin das erste Mal an rechten Aufmärschen teil. Sie spürt immer öfter Aggressivität in sich auflodern und so prügelt sie einmal auf einen Fotografen ein, bis dieser schwer verletzt am Boden liegt.
Nach und nach aber bröckelt das Weltbild der jungen Frau. Als sie den rechten Liedermacher Flex kennen lernt, der so anders ist als die geistlosen Kameraden in der Partei, überdenkt sie immer öfter die eigene Haltung. Mit zwanzig Jahren bricht sie mit ihrer Familie, lässt die dunkelste Zeit ihres Lebens hinter sich und taucht unter. Sie begibt sich gemeinsam mit Felix Benneckenstein, ehemals Flex, in ein Aussteigerprogramm und schafft den Schritt in ein neues Leben.
Inzwischen ist Heidi mit Felix Benneckenstein, der seine aktive Neonazi-Zeit auch hinter sich lassen konnte, verheiratet. Beide engagieren sich gegen rechts. Er hält Vorträge an verschiedenen Institutionen, um anderen Betroffenen, potenziellen Aussteigern Mut zu machen, sie arbeitet als Erzieherin in einer Kindertagesstätte. 2016 kam das gemeinsame Kind zur Welt. Die Familie lebt in München.
Ich habe mich dem Buch mit viel Neugier, aber auch Respekt genähert. Besonders hat mir die Reflektionsbereitschaft von Heidi Benneckenstein imponiert. Die Einblicke in ihr vergangenes Leben machen betroffen, schockieren und machen durchaus auch wütend. Gerade in aktuellen Zeiten, in denen Rechte wieder auf dem Vormarsch sind, macht das Geschehene fassungslos und ängstlich. Gleichzeitig finde ich es lobenswert, dass es zwei Menschen gelingt, dem braunen Sumpf zu entkommen und sich anschließend aktiv gegen diesen zu richten.
Der Schreibstil ist nüchtern und macht deutlich, wie gefährlich nah junge Menschen in Findungsphasen in rechte Milieus abgleiten können. Heidi Benneckenstein selbst ist nicht durch falschen Umgang oder tiefe Identitätskrisen vom richtigen Weg abgekommen, sie wurde hineingeboren. Die Kindheit und Jugend wurde ihr durch Drillinstrumente, Befehle und Lieblosigkeiten genommen. Mich hat der Weg nach ihrem Ausstieg beeindruckt und neugierig auf weitere Aussteigergeschichten gemacht.
Eine strenge, autoritäre und wenig liebevolle Erziehung in Verbindung mit einer menschenverachtenden Ideologie machten ein kleines Mädchen zu einer überzeugten Nationalsozialistin. Ein deutsches Mädchen ist die schonungslose Biografie einer Aussteigerin.