Klappentext
An Tagen wie diesen. „Pssst, du, sag mal, hast du was dabei?“ Wenn Frauen dringend einen Tampon brauchen, benehmen sie sich wie Drogendealer, damit bloß niemand die Übergabe von drei Gramm gepresster Watte bemerkt. Das Thema Menstruation ist immer noch ein großes Tabu. Warum eigentlich? Heike Kleen geht der Sache auf den Grund. Äußerst unterhaltsam erzählt sie von den erstaunlichen Vorgängen im weiblichen Körper, von alten Mythen und neuesten Erkenntnissen, geheimen Kräften und eigenen Erfahrungen.
Frech, witzig, aufschlussreich!
Stil
Aufgrund der positiven Meinung einer Bloggerkollegin waren meine Erwartungen an dieses Buch gigantisch. Ein wichtiges Thema wie eben jenes, namentlich die Menstruation in den Fokus der Gesellschaft rücken, kann – leider immer noch – nicht oft genug angegangen werden. Die Enttäuschung setzte jedoch rasch ein. Die Erklärungen sind furchtbar umgangssprachlich verfasst. Der Eisprung wird u.a. mit Whats-App Metaphern erklärt. Dazu fließt erstaunlich viel der persönlichen Weltanschauung der Autorin ein, die an vielen Stellen keinen wirklichen Mehrwert leistet. Mir ist durchaus bewusst, dass dies zur Auflockerung gewählt wurde, um das Buch einem möglichst großem Publikum zugänglich (hierauf komme ich später noch einmal zurück) zu machen. Bei mir haben diese Beschreibungen allerdings lediglich zu Abneigung geführt.
Recht unwichtige Dinge wie YouTube Videos von Männern, die versuchen eine Menstruation zu simulieren, erhalten Verweise. Wissenschaftliche Hinweise, oder Geschichtliches geht oftmals leer aus oder enthält selten Verweise auf weitere Literatur. Von einem Sachbuch erwarte ich allerdings, dass „Fakten“ direkt im Buch nachschlagbar sind (zum Beispiel in Form von Literaturempfehlungen und/oder Hinweisen zu wissenschaftlichen Publikationen). Da wird u.a. auf die menschenunwürdige Behandlung von Menstruirenden in aller Welt aufmerksam gemacht, dabei aber nur kurz angerissen und was wie und wo wirklich passiert, muss ich mir während der Lektüre selbst heraussuchen.
„Nun könnte man natürlich fragen, warum wir Menschen überhaupt bluten – und die meisten Tiere nicht oder nur ganz wenig. Was ist da schief gelaufen in der Evolution? Oder hat da oben jemand Mist gebaut am sechsten Tag?“
– Seite 35
Auf der einen Seite fordert Kleen von uns allen, dass wir klartext reden, wenn es um das Thema Menstruation geht, verfällt auf der anderen Seite jedoch selbst wiederholt in blumige Umschreibungen.
Dieser Stil zieht sich durch das komplette Buch und natürlich ist es Geschmackssache. Ich präferiere, gerade im Bereich Sachbuch, einen weniger flapsigen Ton und bin der Meinung, dass Wissen trotzdem interessant und nicht trocken vermittelt werden kann.
Um noch einmal zu verdeutlichen, weshalb es mir schwer gefallen ist, dieses Buch zu lesen, möchte ich auf das nachfolgende Zitat verweisen:
„Hatten die USA im November 2016 ein Zyklus-Problem, wurde Trump nur gewählt, weil zu viele verheiratete Frauen gerade große Lust auf einen hübschen Fremden hatten und ihr Gewissen nur erleichtern konnten, indem sie ihre Stimme einem hässlichen Dummen geben? Oder hatten einfach alle Singles ihre Tage?“
– Seite 44
In diesen beiden Sätzen läuft so vieles falsch und steht symbolisch für mein Dilemma, in das ich mich mit der Aufgabe der Rezension begeben habe.
Bei einem Verriss prüfe ich zunächst mehrere Punkte, bevor er tatsächlich zu einem wird. Gibt es einen bedenklichen Inhalt, den nur ich fragwürdig finde, oder wird die Thematik auch anderen sauer aufstoßen? Bei Das Tage-Buch bin ich schlussendlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das Buch bei mir komplett durchgefallen ist, als Buch im Bereich „Unterhaltung“ aber sicher auf AbnehmerInnen stoßen wird.
Ein Sachbuch, welches eine solche Sprache anschlägt, kann ich nicht unbedingt ernst nehmen. Ich habe durchaus Non-Fiction mit härterem Ton gelesen, aber entweder war er angemessen oder wirkte zumindest nicht so einfach wie hier.
Unabhängig davon, was meine persönliche Meinung zum 45. Präsident der Vereinigten Staaten ist, frage ich mich, was genau diese Aussage nun dazu beitragen soll, dass die Gesellschaft offener mit dem Thema Monatsblutung umgeht.
Den nächsten Punkt erachte ich allerdings für durchaus wichtiger und ich hatte dies bereits an anderer Stelle erwähnt. Wie soll ein Buch mit Vorurteilen aufräumen, wenn es sich eben jener bedient? In dem Zitat wird auf die Forschungsergebnisse der amerikanischen Psychologin Kristina Duronte eingegangen, die herausgefunden haben will, dass der Zeitpunkt des Zyklus Wahlergebnisse beeinflussen kann. Anstatt näher auf diese These einzugehen, versteift sich Kleen auf „humorvolle“ Einschübe, die in Wahrheit einfach nur sexistisch und verletzend sind. Alle wählenden Singles sollen demnach ihre Tage gehabt haben. Sätze wie diese müssen sich Menstruirende seit Generationen anhören und werden dabei ausschließlich im negativen Kontext genutzt. Sie stehen für Zickigkeit und unsympathisches Verhalten. Diese Sätze kommen des Weiteren zum Einsatz, wenn sich Frauen
beispielweise im Beruf durchsetzen, Beförderungen einfordern usw. Gerade in einem Buch, das zur Aufklärung über die Menstruation und dem Abbauen von Vorurteilen führen soll, erwarte ich tatsächlich eine angemessenere Wortwahl. Ansonsten hat solch ein Werk für mich persönlich null Mehrwert.
Inhalt
In einem Kapitel wird darauf eingegangen, dass das bloße Erfragen nach Tampons für viele menstruierende Menschen bereits eine große Überwindung ist. Besonders im Büro und auf öffentlichen Toiletten. Unabhängig davon, dass ich gerade in diesen Bereich immer sehr gute Erfahrungen gemacht habe, erscheint es mir nicht sinnvoll, auf Menschen, die sich offen aushelfen, ein schlechtes Licht zu werfen. Diese „mega coolen Frauen, die es vielleicht wirklich gibt“ (Seite 18), gibt es auch. Und nicht nur die, da – überraschender Weise – nicht nur „Frauen“ menstruieren. Will Heike Kleen mit ihrem Buch nicht dazu beitragen, dass das Tabuisieren aufhört? Wenn ja, wieso greift sie die Personen an, die bereits offen über ihren Zyklus reden (die ohne Hechtsprünge verloren gegangenen Tampon aufheben können?). Die unterstellte Verklemmtheit der Gesellschaft findet sich leider recht häufig auch in diesem Buch wieder.
Für mich gehört zu einen umfassenden Erklärung über den Zyklus mehr dazu, als zu erklären, was dieses Blut ist, was es macht und womit es aufgefangen werden kann. Der Zyklus besteht nicht ausschließlich aus der Menstruation. Auch wenn sich dieses Sachbuch Das Tage-Buch lässt sich nicht darauf ausruhen zu sagen, ja eine Schwangerschaft hat hier in diesem Buch nichts zu suchen. Der erste Tag der Monatszyklus ist der erste Tag der Monatsblutung und der letze der Tag, vor dem Beginn des Einsetzens der Blutung. Dazwischen passiert allerdings noch eine Menge, auf die hier nicht eingegangen wurde.
Männer hat sich die Autorin scheinbar zum absoluten Fremdbild erklärt. Es wird an kaum einer Stelle die Chance ausgelassen, über die männlichen
Leser her zu ziehen. Sollten nicht gerade die nicht-menstruierenden Männer dieses Buch zwecks Aufklärung lesen?
„[…] so hat zum Beispiel eine britische Umfrage 2015 zutage gefördert, dass 26 % aller Männer in Großbritannien an einer Art „Männermenstruation“ leiden. Ihre Symptome: Hunger, Lust auf Süßes, schlechte Laune und Müdigkeit, 5 % litten sogar unter Bauchkrämpfen. Oh je! Mein spontaner Tipp: Einfach mal weniger Fish ’n‘ Chips essen, und schon sind die Probleme wie weggeblasen.“
– Seite 44
Hier wird durch eine Unterstellung völlig unsachlich auf eine Studie eingegangen (und diese dadurch schon fast untergraben). Auch in diesem Fall ist mir nicht klar, wo genau ein Lernen und Verstehen bei mir als Leserin einsetzen soll. Stereotypische Annahmen über britische Männer, die in Kleens Augen anscheinend völlig verweichlicht sind (wo wir wieder bei den Vorurteilen wie der Zickigkeit weiter oben wären) sind weder bereichernd, noch witzig.
„Zurück zu den – pardon – etwas einfacher gestrickten Männern.“
– Seite 45
Auch wenn damit der, vom Testosteron gesteuerte, männliche Zyklus gemeint ist, wurde auch an dieser Stelle wieder eine bewusst verletzende Sprache gewählt, die sich durch das ganze Buch zieht.
Das Tage-Buch ist in meinen Augen nichts Ganzes und nichts Halbes. Auf der einen Seite werden Menschen in zwei Lager gesteckt: typisch „weiblich“ und typisch „männlich.“ Auf der anderen Seite wird sich darüber echauffiert, warum Apps zum Festhalten des Zyklus‘ voll mit Blümchen sind. Diese Apps werden erwähnt und auch als nützlich erachtet, dennoch werden einige Funktionen nicht verstanden und als unnütz abgetan. Jede Familie, die bereits in Familienplanung gegangen ist wird wissen, wie nützlich es sein kann, Beschaffenheit des Muttermundes oder Konsistenz des Zervixschleims einzutragen und auswerten zu lassen.
Viele wichtige Themen rund um die Menstruation haben ihren Weg in dieses Buch gefunden, es scheitert m.E. jedoch an der Umsetzung. Sicher ist es möglich, ein solche Sachbuch humoristisch zu verfassen, doch sollte das eigentliche Ziel dabei nicht aus den Augen geraten. Kleen und ich werden einfach nicht mehr zusammen finden. Was besonders schade ist, wenn ich mir Abschnitt wie „Blutsschwestern“ (ab S. 214) anschaue. Der Schreibstil und das Eingehen auf wichtige politische Themen hebt sich komplett von dem Stil der anderen Abschnitte ab. Ein Tage-Buch in genau diese Stil wäre wahrlich großartig gewesen.
Fazit
Für ein Sachbuch ist Das-Tagebuch reichlich unsachlich gehalten und verfasst worden. Die Zielgruppe sind nicht wie im Vorwort vermeintlich angedacht alle, die sich über die Menstruation umfassend informieren wollen, sondern heterosexuelle Cis-Frauen, die sich mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Aus diesem Grunde kann ich für meine Blogleser leider keine Leseempfehlung aussprechen. Bücher zum Thema, die an alle Menstruierende gerichtet sind, werde ich bei Gelegenheit suchen und vorstellen.