Cover-Bild Lobreden auf Dinge
13,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Bibliothek der Provinz
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 80
  • Ersterscheinung: 1994
  • ISBN: 9783852520278
Heinz Janisch

Lobreden auf Dinge

Erwin Moser (Illustrator)

Die Wahrheit über die Rätsel, welche dieWelt uns aufgibt, ist vielleicht diese: daß jene, die man entziffert, sich verflüchtigen, daß nur die unausdeutbaren uns nähren und leiten können, Poesie, Nährerin und Magd der Rätsel. (Philippe Jaccottet, Der Spaziergang unter den Bäumen)

DIE KATZE
Die Katze schweigt mit vielen Dingen: Mit dem Tischbein, der Kante des Betts, mit der geöffneten Tür.
Die Katze ist ein Nestbauer der behaglichen, leichten Art. Kaum angekommen im Zimmer, springt sie aufs Fensterbrett, und schon könnte sie wieder auf der Straße wohnen, wenn es ihr in den Sinn käme. So aber bleibt sie in den bereitgehaltenen Handflächen der Dinge.
Gern kommt sie, um das Sprechen zu üben und das leise Lachen. Gern kratzt sie an der Oberfläche des Scheins und der falschen Freundschaft. Die Katze ist ein stolzer Eroberer der Nähe. Oft heißt diese Nähe auch: Distanz, ruhiger Blick.
Mein erstes Wort an die Katze am frühen Morgen ist eine Schale Milch. Während ich - über ein Buch gebeugt - am Tisch sitze, ist ihr Kopf über der Schale.
So finden wir beide Nahrung für den Tag.

DER BOTTICH
Der Bottich ist der Urgroßvater des Eimers, auch Kübel genannt.
Der Bottich ist ein rundes Holzgefäß, sagt das alte Buch. Der Bottich ist das Meer meiner Kindheit, sagt der Großvater. Schon sehe ich seine blaue Schürze als Segel über den Hof wehen.
Mit einem Bottich, sagt der Herr Pfarrer in der Volksschule, schüttet der liebe Gott alle Wolken und Sterne ins Weltall und uns auf den Kopf, wenn wir nicht dreimal das Vaterunser beten, noch vor dem Frühstück.
Auf dem Dachboden und im Keller fühlt sich der Bottich am wohlsten. Auch im Stall, neben der soeben gemolkenen Kuh, und in der Küche, in der Nähe der Großmutter, hält er sich gerne auf.
Er ist einer, der gern schweigt. Er hat viel Geduld. Es ist die Geduld, die den Bottich zum Freund der Weintrauben, der Äpfel und der Birnen gemacht hat.
Sie besuchen ihn gerne.
Der Bottich ist noch ein Kind der gewachsenen Bäume.

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