Verweilen wir zunächst einen Moment beim Titel „Es wird jemand sterben“, ausgesprochen von der wunderlichen alten Dorfbewohnerin Sofia Henschenmacher, der Dorfhexe, wie es sie auch noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – der Roman spielt im Jahre 1955 – allenthalben gab, denn da stand der Aberglaube noch in voller Blüte. Jemand? Nun, es wird tüchtig gestorben in diesem düsteren Buch – totgeschlagen, gelyncht, mitleidlos sterben gelassen, gemordet! Die ganze Bandbreite!
Alles beginnt mit dem Verschwinden der jungen, lebensfrohen Ursula, die mit ihrer Mutter nach der Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in dem kleinen Dorf am Rande der Eifel, in dem die Geschichte spielt, eine Behelfsunterkunft, aber beileibe keine Heimat gefunden hat. Flüchtlinge gehören nun einmal nicht zu einer eingeschworenen und unerträglich selbstgerechten Dorfgemeinschaft. Damals genauso wenig wie heute! Ein Verdächtiger ist schnell gefunden in dem Dorfdeppen Martin, der der oben zitierten eingeschworenen Gemeinschaft, die sich gerade auf das kommende Wirtschaftswunder vorbereitet, schon seit langem ein Dorn im Auge war. Behinderte passen eben auch nicht in das ehrenwerte Dorf, sie gehören weggesperrt! Wie gut, dass man längst gelernt hat, andere Wege zu gehen und um Integration und Inklusion zumindest bemüht ist.
Der junge Martin also wird zum nächsten Opfer, hingemetzelt von vier Gerechtigkeitsbürgern. Und damit wird eine Lawine in Gang gesetzt, die das vordergründig heile Dorf in eine eigentümliche Mischung aus Passivität, Wegschauen, Angst, Misstrauen, Hass, unbändige Aggressionen und Gewalt – da kann es einen schon gewaltig schaudern! - versetzt und sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Die unwillig und höchstens zaghaft ermittelnde Polizei steht vor einer Mauer des Schweigens, niemand will etwas wissen und diejenigen, die Informationen geben könnten, stellen sich unwissend. Der Polizei vertraut man noch lange nicht und ist überdies sicher, mit dem Unheil, das über das Dorf gekommen ist, selbst fertig zu werden, zumal es Dinge hinter den bürgerlichen Fassaden gibt, die dort auch bleiben sollen und auf keinen Fall das Licht des Tages erblicken dürfen.
Und so kommt es, wie es in einem Roman wie diesem kommen muss: zur Katastrophe, die durchaus hätte verhindert werden können. So könnte man meinen, bekommt aber Zweifel, wenn man verfolgt, wie oberflächlich, geradezu dilettantisch der Polizeiapparat, der nur langsam in die Gänge kommt, ermittelt! Der im Klappentext angekündigte junge, ehrgeizige Kommissar, der aus der Kreisstadt zu Hilfe gerufen wurde und angeblich einen Blick „hinter die biederen Fassaden“ wagt, tut nämlich genau das nicht! Sehr schnell schießt er sich auf den Apothekersohn Felix, der Ursula heiraten wollte, als Mörder ein, hinterfragt nichts, zieht keine andere Möglichkeit auch nur in Betracht, sondern steckt den jungen Mann ins Gefängnis und reibt sich zufrieden die Hände! Kann man denn noch dilettantischer vorgehen – um dieses Adjektiv noch einmal zu benutzen?
Und kein Wunder, dass die Dörfler sich für bessere Ermittler halten – aber eigentlich schlagen sie nur vorurteilsbehaftet um sich! - als diese Polizei, die in Herbert Pelzers Roman vertreten ist. Ein arg negatives Bild und man sollte nicht auf den Polizeiapparat an sich schließen! Genauso wenig, wie man das hier beschriebene Dorfleben mit all seinen abstoßenden Abartigkeiten als repräsentativ ansehen sollte. Hier hat beinahe jeder eine Leiche im Keller, von teilweise monströsen Ausmaßen – und man scheut davor zurück, so tief zu blicken, wie es der Autor seine Leser tun lässt. Mit erschreckender Rohheit und äußerster Brutalität wird man konfrontiert, mit unbegreiflicher Kaltblütigkeit und Gewissenlosigkeit nicht nur einer einzigen Person. Um das ertragen zu können, braucht man vielleicht stärkere Nerven, als ich sie habe...
Lange habe ich mich gefragt, ob es in dem Roman, von dem ich auch jetzt noch nicht weiß, ob ich ihn wirklich als Kriminalroman bezeichnen möchte, denn auch positive, aufrechte Charaktere gibt. Zum Glück ist das so, doch wird ihnen, gerade ihnen, viel Leid zugemutet, an dem sie entweder zerbrechen oder zu zerbrechen drohen. Mit den Bösewichten wird aber genauso gnadenlos verfahren – keiner kommt mit dem Leben beziehungsweise gänzlich ungeschoren davon! Ausgleichende Gerechtigkeit? Ja, aber mit dem Vorschlaghammer, roh und brutal!
Bücher müssen ihre Leser finden, das heißt, dass Leser und Buch zusammenpassen müssen. Doch gelegentlich ist dem nicht so – das ist enttäuschend für den Leser wie auch für den Autor. Was ich hier gelesen habe, ist ein pechschwarzes, deprimierendes, beinahe durchweg negatives Buch. Dass die Geschichte realistisch ist oder sein soll – wiewohl in einzelnen Aspekten zu kategorisch verallgemeinernd -, macht es nicht besser. Unbestreitbar aber ist, dass der Roman gut, logisch und enorm spannend geschrieben ist; und auch wenn er nicht der meine ist, so wird er doch ganz gewiss seinen begeisterten Leserkreis finden.