Cover-Bild Unvollständige Erinnerungen
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16,00
inkl. MwSt
  • Verlag: ROWOHLT Taschenbuch
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: Sachbücher / Film, Kunst & Kultur
  • Seitenzahl: 352
  • Ersterscheinung: 01.11.2010
  • ISBN: 9783499626104
Inge Jens

Unvollständige Erinnerungen

«Eine wunderbare Lebenserzählung.»
(Der Spiegel)
«Ein mutiges Buch, ein Stück
Zeitgeschichte.»
(NDR Kultur)
Aus dem Inhalt:
Kindheit und Jugend
Lehrjahre
Tübingen und ein Hausgenosse aus Hamburg
Beruf: Editorin
Lebensdinge
Neue Horizonte
Alma mater Tubingensis
Widerstand und Widerstehen
Land und Leute jenseits der Mauer
Anna Seghers’ Mahnung – und Wendezeiten in Berlin
Die Manns und kein Ende
Der Anfang eines langen Abschieds
In guten und in schlechten Tagen

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Veröffentlicht am 20.12.2021

Paarlauf fürs Leben: 57 Jahre nie abreißende Gespräche (11)

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Als Rezensent weiß man gar nicht, was es an diesem schönen Buch zu mäkeln gibt. Da versucht jemand, der von der Bildungsrepublik Deutschland so einiges miterlebt hat, sich selbst reinen Wein einzuschenken, ...

Als Rezensent weiß man gar nicht, was es an diesem schönen Buch zu mäkeln gibt. Da versucht jemand, der von der Bildungsrepublik Deutschland so einiges miterlebt hat, sich selbst reinen Wein einzuschenken, bevor nicht nur der Körper verfällt, sondern - weit schlimmer - auch das Bewusstsein. Auch wenn der aktuelle Zeitgeist die ökonomisch viel nutzbareren Aspekte des Körperlichen grell ausleuchtet, überbetont und verherrlicht, wissen doch nicht nur wir Büchermenschen, dass es eben jenes Bewusstsein ist, das die Person, das Personale und letztlich auch die Persönlichkeit ausmacht. Und da hat die jahrzehntelange Begleiterin eines Tübinger Rhetorikgenies keinen Mangel an eigener Profilstärke zu beklagen. Ganz im Gegenteil. An der Seite des weithin gerühmten Hochschullehrers, der sich am Katheder oder im Studio vor zahlreichem Publikum stets pudelwohl fühlte - die kreatürliche Angst holte ihn erst am Schluss, dann aber massiv ein - und in die Tausende gehende Auftritte hinlegte und Examina abnahm, hat Inge Jens über Jahr-zehnte an einer Quadratur des Kreises gezimmert - der Rolle der Ehefrau und Mutter ebenso gerecht zu werden wie der Rolle als schreibende und edierende Intellektuelle, die mit und ohne „Walter“ manch öffentliche Bühne zu bespielen wusste. Hölderlins „ein Gespräch sind wird“ hat nicht nur dieses Ehepaar über die Runden gebracht (11) und allein dieser humane Aspekt rechtfertigt ein immerhin moderates Interesse an den Erinnerungen einer first lady der akademischen Welt, die der Enkelin Paula gewidmet sind. Wer seinen Urlaub nicht auf „Malle“ verbringt, dem kann es passieren, dass er (noch zu DDR-Zeiten) eine Führung im Naumburger Kaiserdom erlebt (200), die schon mal drei Stunden dauern kann, wenn die Teilnehmer gebildet sind, also nicht nur Augen im Kopf haben, sondern auch vielfältige Kenntnisse besitzen und keine bloß ökonomischen, dealrelevanten Interessen verfolgen. Kann man sich vorstellen, welch ein rhetorischer Aufwand zum Tragen kommt, wenn versuchsweise ein Brückenschlag unternommen werden soll zwischen den fernen Zeiten der Ottonen - Kaiser und den aktuellen Tagen der Honecker - Diktatur, die gerade dem eigenen Ableben entgegenstrebte? Das Loskommen von „dem nie problematisierten Kategorienschema meines Elternhauses“ (146) hat auch Inge Jens (Jg. 1927) ein Leben lang beschäftigt. Man sieht sie im Bild 1 mit Schultüte 1933, in Bild 4 die großbürgerliche Villa der Eltern in Wandsbek, in Bild 30 als junge Frau 1964, die fast aussieht wie Petra Kelly. Der „Hausgenosse“ Walter ist auf vielen Abbildungen zu sehen, auch er ein Hanseat aus Hamburg, den es in die schwäbische Provinz verschlagen sollte. Das junge Paar fährt Rad und Stocherkahn (Bild 12-16), hat oft gute Laune (17f), tagt mit der Gruppe 47 (19), kennt Gott und die Welt, u.a. die Bachmann, den Enzensberger, Hans Mayer oder die beiden Ernsten (Bloch + Rowohlt) - Bild 21, 24f, 29 + 32. Ca ira! Wer mit Walter Jens nichts anfangen kann, schaue sich doch einmal Bild 37 an, bei der Sitzblockade in Mutlangen am 1.9.83 aufgenommen - der Mann hatte doch immerhin einigen Mutterwitz! Nun ja - „Sprache: Das war sein Werkstoff.“ (304) Die Folge: „Mir gefiel das Leben mit ihm.“ (288) Auf den Rat naher und anderer Menschen zu hören, das gehörte zum „Betriebssystem“ der Inge Jens und war ein wesentlicher Baustein dieser Auffassung vom Leben als einem Gespräch. „Mein Vater hatte in Tübingen studiert. Also versuchte auch ich es mit Tübingen.“ (59) Systemdenken sieht sie allerdings eher mit Skepsis: Ich „brauchte (…) kein geistiges System, (… sondern) eine Fülle signifikanter Details.“ (74) Das Eigene wurde mit dem Mut zur Unterbrechung oder Störung immer beharrlich verfolgt, „während Walter seine Seminare hielt.“ (76) Ernst Rowohlts exotische Büchersammlung hilft bei der Themenfindung für die Doktorarbeit (75ff); Katja und Golo Mann sind bei den Editionen verlässliche Stützen (89ff, 222ff); der stets zugängliche Hans Mayer wird zum Ratgeber, auf den ebenfalls Verlass ist (111ff), auch weil er Tübingen und dem Neckar bis an sein (mit rastloser Arbeit zugebrachtes) Lebensende verbunden bleibt, und auch wenn man seine sterblichen Überreste dann lieber auf dem Dorotheenstätter Friedhof beerdigte, wo die vielen anderen Literaten zur letzten Ruhe gebettet sind. Heute leben wir ja in einem anderen, einem neuen Zeitalter. Dieses braucht keine Literaten mehr, denn es verlässt sich voll und ganz auf Methoden, Maschinen und Verwaltungen, gerade im exportorientierten Deutschland.
Michael Karl

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