Die Suche nach der weiblichen Glücksformel
In der Erzählung „Probleme, Probleme“ (Simultan, S.36-61) ist Bachmanns Beatrice eine 20 Jahre junge Wienerin namens Beatrix, die im Haus der Tante wohnt und ihren unsoliden Lebenswandel diskret zu verbergen ...
In der Erzählung „Probleme, Probleme“ (Simultan, S.36-61) ist Bachmanns Beatrice eine 20 Jahre junge Wienerin namens Beatrix, die im Haus der Tante wohnt und ihren unsoliden Lebenswandel diskret zu verbergen sucht, denn sie schläft lange und vertrödelt den Vormittag mit so belastenden Dingen wie lauwarm zu duschen oder die richtigen Kleider für den Auftritt auf der Bühne des Alltags auszuwählen. Die weibliche Glücksformel jener Zeit lässt den jungen Frauen noch die Wahl zwischen Beruf oder Ehe, was die Sorge um den Reiz der eigenen Leibwäsche einzuschließen scheint und den „Hinweis auf die Büstenhalter“ oder die „hauchdünnen (…) Slips“ (39) zum Bestandteil eines möglichen Lebensplanes werden lässt, sodass der Text mit dem Ausruf am Schluss - „Ja, die Männer!“ (61) - den perspektivischen Fluchtpunkt vorgibt, die Blickachse und den Adressatenkreis gleichermaßen umfassend. Das know how muss aber erst erkauft werden, denn die Studentin Jeanne, eine furchtlose Anwaltstochter, kommt per Autostopp aus dem fernen Paris, weiß offensichtlich um diese Dinge, muss dafür aber im teuren Café Sacher statt dem günstigeren Café Eiles ausgeführt werden, „denn sie fand Wien wenig rigolo.“ (39) Die Französin war auch „ein Monstrum (…) an Aktivität“, das u.a. wissen wollte, „wo es Hasch gab, Burschen (zum) (K)ennenlernen, tanzen gehen, in die Oper rennen“ usw., sodass sogar auf den Heiratsmärkten jener Zeit die harten Tatsachen der Marktgesetze schon voll zur Geltung kamen. Auch in eroticis ist Beatrix schon aus dem Gröbsten raus, denn „in der letzten Zeit in der Schule und dann in einem Internat war doch reichlich mehr und genug passiert“ (41), sodass ihr die „Berührungen“ eines 15 Jahre älteren Verehrers an Ohr, Brust und Knie beim einvernehmlichen Kinobesuch eher „peinlich“ sind, „sie war einfach zu alt dafür.“ Dabei ist sie „zum Umblasen“ zart, wiegt magere 46 Kilo und bekennt sich zu „ihrem Verfallensein an den tiefen Schlaf“ bis in den späten Vormittag hinein. Sie sieht sich als „demivierge“ (42,49), als mädchenhaft: „Ich bin eine Mädchenfrau. Oder bin ich eher ein Frau-Mädchen?“ (55) Parallel existiert eine „Cousine Elisabeth, die studiert und doktoriert hatte und sich abrackerte, dieses Musterkind.“ (44) Auch ohne jede Abschlussprüfung muss sich Beatrix in diesem „graue(n) Wien“ (54) überanstrengen und bei der Berufsorientierung für Frauen endlich zu Potte kommen. In Frage kommen Tätigkeiten in Boutique, Galerie, Buchhandlung oder beim Dolmetschen. (42) Die junge Frau kommt also vorläufig nicht unter die Haube, allenfalls beim Friseursalon RENÉ, in dem wie in Qualtingers Welt ein Herr KARL die Regie führt, während das weibliche Personal des Schönheitssalons nur Vornamen hat. Ganz im Unterschied zu den Kundinnen, die nur an ihren Nachnamen tragen - sie sind „mindestens Dreißig (…), der Durchschnitt um die Vierzig.“ (46) Sie sind alle schon unter der Haube und tragen ihr Schicksal mit Haltung und dem Willen zur Schönheit. Der Griff zur Illustrierten hilft über die Wartezeit mit Lockenwicklern und Trockenhaube und informiert, dass „Jacqueline Kennedy jetzt Frau Onassis“ heißt und mit „Ari auf Deck“ der „Jacht Christina“ abgebildet wird. (48,53) Den eigenen Urlaub verbringt Beatrix doch „lieber noch am Wörthersee“ (49), jedenfalls nicht bei den alpineren Varianten von mare e monti „auf diesen Skihütten (…) mit diesen Leuten vom Alpenverein.“ (48) Trampen und LSD hat es übrigens auch schon gegeben. (51) Außerdem gibt es ja noch Erich, den Kinoverehrer, „ein schwacher Mensch“ (54), dem ihre kalkulierte Teasingübung gilt: „wenn sie die Strümpfe auszog, um ihn zu reizen.“ (52) Das Problem mit der Kosmetik (wie überhaupt mit der Schönheit und dem schönen Schein) liegt in den lamentablen Zeitstrecken oder Streckenzeiten: „die kurze Zeit der Perfektion, in der sie makellos war.“ (58) Das Deja vue ist auch ein da capo, ein encore, wie es auf allen Bühnen dieser allzu diesseitigen Welt vorkommt: „und wieder würde sie konsumiert werden, vom Leben, von Erich, denn dieser wehleidige Narr konsumierte sie auch, ohne zu wissen, wie kostbar sie war und wie sie sich verausgabte…“
Michael Karl