Absolut nicht der Zielgruppe entsprechend
Tiffany Jewells "Das Buch vom Anti-Rassismus" aus dem Zuckersüß Verlag war so überzeugend, dass ich mir auch Jamia Wilsons "Das Buch vom Feminismus – Ein intersektionaler Leitfaden für die nächste Generation" ...
Tiffany Jewells "Das Buch vom Anti-Rassismus" aus dem Zuckersüß Verlag war so überzeugend, dass ich mir auch Jamia Wilsons "Das Buch vom Feminismus – Ein intersektionaler Leitfaden für die nächste Generation" anschauen musste. Leider konnte mich das Buch in vielerlei Hinsicht nicht überzeugen. Ich konnte keinen wirklichen Leitfaden finden, sondern eher autobiografische, teilweise ausufernde Beschreibungen der eigenen Erlebnisse und wie die Autorin zu ihrer Einstellung bezüglich des Feminismus gekommen ist. Angeregt hat mich hier leider selbst nichts. Auch die Wortwahl und der Sprachstil waren für die angestrebte Zielgrippe absolut unpassend.
Die Autorin und die Illustratorin:
Jamia Wilson ist eine feministische Aktivistin sowie Autorin und Referentin. Sie war Dirketorin der Feminist Press und Vizepräidentin für die Programme am Women’s Media Center. Außerdem arbeitete sie für diverse Medien wie der New York Times, dem CNN, der Teen Vogue oder der Washington Post.
Aurélia Durand ist Illustratorin und kommt aus Frankreich. Mit ihren Illustrationen repräsentiert sie vor allem People of Color in der Gesellschaft. Ihre Kunst ist in Werbekampagnen, Galerien oder Magazinen zu finden.
Inhalt:
„»Das Buch vom Feminismus« ist eine knallbunte Einführung in den intersektionalen Feminismus für die nächste Generation von Aktivist:innen: In diesem Handbuch für Kinder und junge Erwachsene ab 10 Jahren kartografiert die Erfolgsautorin Jamia Wilson den Kampf um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Sie erzählt ihre eigene Geschichte, nennt die relevanten Statistiken und Zitate und lädt ihre Leser:innen dazu ein, ihre eigene Antwort auf die Frage zu finden: »Was bedeutet Feminismus heute?« Ein neues feministisches Standardwerk für junge Erwachsene!“ (Klappentext)
Kritik und Fazit:
Das Cover kommt bunt und vielfältig daher. Auch im Innern befinden sich viele bunte und moderne Illustrationen. Das Buch ist äußerlich also recht ansprechend gestaltet und sorgt zunächst für gute Laune und einen positiven Blick auf die Welt. Inhaltlich ist das aber leider absolut nicht der Fall.
Das Buch richtet sich an Kinder ab 10 Jahren. Oftmals ist der Text aber viel zu schwer verständlich. Da wimmelt es nur so vor Bandwurmsätzen, Abkürzungen, Fremdwörtern, verschachtelten Sätzen und ermüdenden Aufzählungen. Ich habe den ein oder anderen Satz meiner 11-jährigen Tochter vorgelesen und sie hat nur wenig von dem verstanden, was die Autorin da schrieb. Auch ich musste einige Worte nachschlagen, weil sie selbst mir – die ihre Magisterprüfungen zum Thema Feminismus und Suffragette Movement geschrieben hat – unbekannt waren. Wie sollen hier also Kinder und Jugendliche verstehen, worum es der Autorin geht? Das enttäuschte mich beim Lesen immer mehr und machte mich irgend wann fast schon wütend.
Hier zwei Beispiele:
"Wie einige der anderen Non-Profit-Organisationen, bei denen ich vor F.P. gearbeitet habe, hatten wir, obwohl progressive Werte, Vielfalt, Inklusion und Antirassismus integraler Bestandteil unserer Organisation waren, dennoch mit strukturellen Barrieren zu kämpfen, die den Institutionen in denen wir arbeiten, innewohnen, darunter die Hochschulbildung und die Überzeugungsarbeit gegenüber Geldgeber:innen in der philanthropischen Welt vor dem Hintergrund des Spätkapitalismus, Patriarchat und weißer Vorherrschaft in der Trump-Ära." (Jamia Wilson & Aurélia Durand: Das Buch vom Feminismus, S. 123)
"Die Debatte zu formen und die Messlatte anzuheben mit intersektionalen, dezentralisierten, von unten nach oben erfolgenden, von Jugendlichen geführten, bewusstseinserweiternden, gemeinschaftsgetriebenen, zugänglichen, schnell wirkenden und nachhaltigen Lösungen und Bewegungen." (Jamia Wilson & Aurélia Durand: Das Buch vom Feminismus, S. 126)
Es tut mir Leid, aber ich konnte es schon während meines Germanistik-Studiums nicht leiden, wenn man hochtrabend formuliert und mit Fremdwörtern um sich wirft. Wenn ein Satz über so viele Zeilen hinausreicht und vor lauter Kommata wimmelt, dann stimmt da was nicht. Das kann man doch verständlicher ausdrücken. Vor allem, wenn man sich an Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren richtet. Meiner Meinung nach: Setzen, sechs!
Neugierig wäre ich mal, wie die gendergerechte Sprache im amerikanischen Original umgesetzt wurde. Denn wenn dann auf einmal von Bürger:innenrechtler:innen die Rede ist, wird das Lesen des Textes doch etwas kompliziert. Und es wird gleichzeitig auch nicht überall konsequent durchgezogen, soweit ich das in Erinnerung habe.
Da das Buch aus dem Englischen übersetzt wurde, gab es natürlich einige Zahlen und Fakten aus Amerika, hin und wieder im Vergleich zu anderen Ländern. Hier hätte ich mir Anmerkungen der Redaktion mit Zahlen aus Deutschland gewünscht, sodass noch deutlicher wird, dass auch hier diese Probleme bestehen. Dass auch Deutschland weit davon entfernt ist, eine feministische Gleichberechtigung zu gewährleisten. Merkwürdig waren außerdem hin und wieder Vergleiche wie zum Beispiel dem zwischen Gehalt und Mord:
"Indigenous American Frauen verdienen im Vergleich zu weißen Männern nur 58 Cent pro Dollar. Für eine Bevölkerungsgruppe von Frauen, die zehnmal häufiger ermordet wird als der nationale Durchschnitt, ist das Lohngefälle eine Frage von Leben und Tod." (Jamia Wilson & Aurélia Durand: Das Buch vom Feminismus, S. 62)
Als etwas Positives kann ich aber die „Werde aktiv“ Boxen am Ende fast jeden Kapitels herausstellen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und bekommt Fragen, die zum eigenen Denken und dem Umgang mit Feminismus anregen. Das war es aber leider schon, was es mit dem Leitfaden in diesem Buch auf sich hat.
Wie bereits oben erwähnt ist das Buch stark autobiografisch geprägt und so verliert sich die Autorin manchmal in ihrer eigenen Vergangenheit. Da schreibt sie zum Beispiel über acht Seiten lang etwas über ihre eigene Haare und den Kampf damit. Das sprengt doch nun wirklich den Rahmen. Auch hatte ich zeitweilig den Eindruck mehr zum Thema Rassismus als zum Feminismus zu lesen. Sicherlich bedingt das eine auch das andere, da es sich ja auch um einen intersektionalen Leitfaden handelt. Aber zu sehr abschweifen sollte man da auch nicht. Dafür gibt es ja außerdem Das Buch vom Anti-Rassismus aus der gleichen Reihe.
Außerdem empfand ich es manchmal auch so, dass cis Männer automatisch mit Anti-Feministen gleichgestellt werden, wie beispielsweise im Vergleich bei Wikipedia. Es mag sein, dass hauptsächlich cis Männer Wikipedia bearbeiten, aber wo sind die Belege dazu, dass sich das negativ auf Frauen in der Gesellschaft auswirkt? Hier erfolgen leider immer wieder mal Anklagen mit wenigen oder gar keinen Belegen. Das empfinde ich als ziemlich unprofessionell.
"Das Buch vom Feminismus – Ein intersektionaler Leitfaden für die nächste Generation" hat meines Erachtens so viele Mängel, dass ich es leider nicht weiterempfehlen kann. Für Neulinge wird die Thematik nicht wirklich zugänglich gemacht und der Leser wird auch kaum animiert seinen eigenen Weg zum Feminismus zu finden oder gar zu gehen. Was wirklich schade ist, bei solch einem wichtigen Thema.