Psychologisch interessanter Einblick in die Transgender-Thematik...
Der Roman „Rätsel. Betrachtung einer Wandlung“ der englisch-walisischen Autorin Jan Morris erschien erstmals bereits 1974.
Er erzählt von der inneren und äußeren Wandlung des Jungen/Mannes James zum Mädchen/zur ...
Der Roman „Rätsel. Betrachtung einer Wandlung“ der englisch-walisischen Autorin Jan Morris erschien erstmals bereits 1974.
Er erzählt von der inneren und äußeren Wandlung des Jungen/Mannes James zum Mädchen/zur Frau Jan und strotzt vor Ambivalenzen, auf die ich später noch genauer eingehen werde.
Die offensichtlichste Ambivalenz ist dabei die zwischen Mann sein und Frau sein.
Obwohl die Protagonistin sich von kleinauf als Mädchen/Frau empfand, obwohl sie sich den Frauen verbunden fühlte und eine Frau sein wollte und obwohl sie ihren männlichen Körper letztlich operativ in einen weiblichen um- bzw. verwandeln ließ, lesen wir unzählige frauenverachtende Aussagen. Das ist die zweite große Ambivalenz in dem Roman.
Die 1926 geborene Schriftstellerin hatte bereits als 4-jähriges Kind das Gefühl, im falschen Körper zu stecken.
Sie fühlte sich in ihrem Innersten als Mädchen, das in den Körper eines Jungen hineingeboren wurde und natürlich auch einen männlichen Namen, James, trug.
Schon früh empfand sie sich als einsame Beobachterin, die in einer anderen Welt lebte und ihr Geheimnis lange für sich behielt.
Später besuchte sie das College, eine Chorschule in Oxford und den Militärdienst.
Sie arbeitete als Reiseautor und Auslandsreporter, veröffentlichte Bücher und begleitete als Reporter für die „Times“ Sir Edmond Hilary auf einem Teil seines Weges hinauf zum Mount-Everest.
Sie heiratete eine Frau, zeugte Nachwuchs und war Vater bzw. Mutter von vier Kindern.
Seit Mitte der 1960-er Jahre lebte Morris als Frau und 1972, mit Mitte fünfzig, entschloss sie sich schließlich zur operativen Geschlechtsanpassung, ein chirurgischer Eingriff, der in Casablanca durchgeführt wurde und für den im Vorfeld die Ehe geschieden werden musste, weil im Großbritannien der 1970-er Jahre keine gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt war.
In dem Roman geht es letztlich, wie oben schon angedeutet, um innere Ambivalenzen.
Zunächst ist es der offensichtliche Zwiespalt zwischen Mann sein und Frau sein.
Wir lesen von einer Frau in einem Männerkörper, die sich sexuell von Männern angezogen fühlt, aber eine Frau geheiratet hat.
Jan Morris fühlt sich Frauen verbunden, erscheint aber nicht selten frauenfeindlich.
Immer wieder bedient sie sich überholter Geschlechterklischees und Rollenbilder, was nicht nur deplatziert, sondern auch überflüssig und ärgerlich ist.
Ich kann ihre Haltung und ihre Meinungen in diesem Kontext nicht als Zeitphänomen einordnen , sondern empfinde sie als vorurteilsbehaftet und zu wenig differenziert.
Nur Männer wüssten, was eine Konzentration der Energien bedeute und nur der Körper und der Verstand von Männern könne sich voll auf die Arbeit konzentrieren.
Am Ende schreibt sie sogar von den schwachen und unterlegenen Frauen und davon, dass Männer weniger intelligente, fleißige und gesprächige Frauen als sie selbst es seien, bevorzugten.
Immer wieder begegnen einem haarsträubende Verallgemeinerungen und frauenfeindliche, herablassende verächtliche Aussagen, was besonders irritierend und ärgerlich ist, weil Morris 2001 ihre Meinungen und Haltungen nochmals bekräftigte.
Als Morris dann auch noch von Freud’s Penisneid anfängt und der Abwesenheit von Penis und männlichen Hormonen Passivität, Zurückhaltung und die Bereitschaft zur Unterordnung zuschreibt, was sie nun, nach Operation und Wandlung wisse, hatte ich als Psychoanalytikerin den Eindruck, dass hier vieles durcheinander gebracht, verallgemeinert und über einen Kamm geschert wird.
Immer wieder beschlich mich der Eindruck, dass sich die Protagonistin nicht nur andersartig, sondern aufgrund ihres Transgender-Daseins, ihrer Erfahrungen und ihres Wissens als etwas Besonderes fühlte und sich entsprechend überhöhte.
Was mir ebenfalls auffiel und was mir persönlich nicht so sehr gefiel, war, dass der Roman, obwohl er ein so persönliches und intimes Thema behandelt sehr nüchtern daherkommt. Der Ton war mir zu distanziert, pragmatisch und routiniert, was wahrscheinlich der journalistischen Sozialisation der Autorin geschuldet ist.
Recht interessant und unterhaltsam fand ich ihre Anekdoten und Ausflüge zu weniger relevanten Nebenschauplätzen, z. B. zur bereits oben kurz erwähnten Mount-Everest Besteigung.
Trotz der aufgezeigten Kritikpunkte ist „Rätsel. Betrachtung einer Wandlung“, ein Klassiker der sog. Transgender-Literatur, ein ehrliches, mutiges, spannendes, psychologisch hochinteressantes und insgesamt lesenswertes, da streitbares und diskussionswürdiges autobiographisches Werk, das von Identität, Geschlechterzugehörigkeit und sexueller Identität sowie sexueller Orientierung handelt, biologische, psychologische und spirituelle Gedanken aufgreift und die unzähligen Schwierigkeiten der Menschen aufzeigt, die das Gefühl haben, im falschen Körper zu stecken.