Ein toller Mix aus Gesellschaftsroman, Krimi und Psychothriller.
„Kühn hat zu tun“ fand ich schlicht und einfach große Klasse. Ein großartiger Gesellschaftsroman mit Krimi- und Psychothriller-Elementen, der die Probleme der heutigen unteren Mittelschicht, diesen ewigen ...
„Kühn hat zu tun“ fand ich schlicht und einfach große Klasse. Ein großartiger Gesellschaftsroman mit Krimi- und Psychothriller-Elementen, der die Probleme der heutigen unteren Mittelschicht, diesen ewigen Tanz am Abgrund, gefährlich nah dem Abrutschen ins Mittellose, satirisch raffiniert und insg. ganz wunderbar zur Geltung bringt.
Das Ganze gewinnt durch die Verbindung zum Geschehen am Ende des 2.ten Weltkrieges nochmals an Tiefe. Diese Verklärung, in der die heutige Generation der etwas über Vierzigjährigen mit ihren Familien lebt, die Unmöglichkeit, den Irrtum klarzustellen, nur weil es den Politikern nicht in den gewollt verklärenden Narrativ passt, daher werden alle Versuche der Aufklärung verdrängt und die Aufklärer ausgegrenzt, damit bloß die Fassade a la Friede, Freude, weiter bestehen kann, was den heutigen Politikern wiederum sehr genehm kommt, all das steht klar vor Augen. Und da sieht man auch gleich die Auswirkungen dieser Scheinheiligkeit: die Nazi-Hydra hebt ihren Kopf, verkleidet als Bürgerinitiative der Siedlung, und wen schnappt sie? Kühns 16-jährigen Sohn. Kühn, stets im Dienst und auf der Verbrecherjagd, der sich bloß vornimmt, endlich mit seinem Sohn zu reden, dies aber nie schafft, der tut einem leid. Da findet sich „ein Stellvertreter“, der Anführer der Bürgerinitiative, der sich auf seine Art um den Jungen kümmert und ihn zu seinen Zwecken benutzt.
Kühn hat die Hände voll zu tun. Er ist dabei, einen Mord aufzuklären, der quasi vor seiner Tür geschah. Da ist noch ein Mädchen aus der Siedlung im Alter von Kühns Tochter verschwunden, dem muss er auch nachgehen. Dabei ist er längst von Burn-out gezeichnet und weiß nicht, wie er den Wunsch seiner Tochter nach einem Pferd erfüllen soll, denn seine bescheidenen Bezüge reichen bei weitem nicht. Und da ist noch Schimmel im Keller, der bei seinem Nachbarn noch stärker ausgeprägt ist, was so viel heißt, dass die Siedlung Weber Höhe auf verseuchtem Boden gebaut wurde und dass sich Kühn, wie viele anderen Bewohner, aufgrund falscher Angaben hochverschuldet haben, usw.
Das Ganze wurde sehr kunstfertig, mit Leichtigkeit und Augenzwinkern zu einem großartig erzählten Gesellschaftsroman mit Krimi-Elementen geformt. Am Ende wurde alles aufgeklärt, alle Motive etc. freigelegt. Die Überraschung zum Schluss kommt nicht zu knapp.
Jan Weiler hat selbst gelesen, ganz gut, wie ich fand. Er hat den besten Draht zu Kühn, so hat er ihn auch entspr. in Szene gesetzt.
Wenn man Teil 1 kennt, versteht man viel besser auch Teil 2, den ich zuerst gehört habe. Also wer die Reihe noch nicht kennt, erst Teil 1, dann Teil 2 hören bzw. lesen. Ich glaube, ich höre Teil 2 nochmals: Schön erzählt, gesellschaftssatirisch wie tragisch, unter einem anderen, dem heute aktuellen Aspekt.
Ich verbleibe auf weitere Folgen mit Kühn gespannt und vergebe gern 5 hell leuchtende Sterne und eine klare Hör-/Leseempfehlung.