Durchfahrt auf eigene Gefahr
Wie genial ist das denn? Ich musste unbedingt das Ende wissen, habe viel über Ethnologie gelernt, es gibt wenige so originelle Ansätze für einen Krimi und sowohl im späten (oder eher frühen) Einschlafen ...
Wie genial ist das denn? Ich musste unbedingt das Ende wissen, habe viel über Ethnologie gelernt, es gibt wenige so originelle Ansätze für einen Krimi und sowohl im späten (oder eher frühen) Einschlafen als auch beim Aufwachen habe ich aufgrund des Buches über Schuld, Schuldfähigkeit, Reue und Moral nachgedacht. Da hat wohl jemand etwas richtig gemacht – auf jeden Fall der Leser, der zu dem Start einer Reihe greift.
Berlin, Sonderdezernat Fremdkultur, Heiko Brandt ist hier der Chef. Oberkommissar Jens Volkert könnte dazu etwas sagen. Tut er auch. Brandt gilt nicht als Teamplayer. „Er gehörte nicht einmal hierher. Ein Zustand, der ihn, gleich wo er war, zu begleiten schien.“ Das Gefühl hat von sich auch Oberkommissarin Zehra Erbay. Die Einser-Absolventin wurde gerade versetzt ins SD Fremdkultur – ja klaaaaar, hatte sich da jemand gedacht, Türkin, was soll die auch sonst anderes können außer Fremdkultur. Brandt hat eigentlich als Ethnologe gearbeitet und als Späteinsteiger zur Polizei gekommen. Als eine Leiche auf einem Golfplatz gefunden wird, hält man ihn für den Richtigen – weil der Tote Araber ist, oder weil man ihn geköpft hat – oder nur, weil der Oberstaatsanwalt Gunnar Siegrist, der schon mit Brandts Vater befreundet war, über ihn da den richtigen Zugriff zu haben meint?
Erbay bringt System in erste Ermittlungsergebnisse und zeigt Brandt, wie man zügig Auto fährt, Brandt widment sich einigen Nebenkriegsschauplätzen wie Saskia, dem rituellen Konsum von Schamanen-Drogen, einer unbekannten Frauenleiche und einem jungen Flüchtling, dann braucht man doch noch seine Erfahrungen als Ethnologe, und wie. Politik und eine weitere Leiche ohne Kopf führen dazu, dass sich die Ereignisse überschlagen. Und zum Schluss? Zum Ende darf ich darüber nachsinnen, wer Strafe verdient und wer ihr entrinnen darf, wie Gerechtigkeit „richtig“ wird. Zehra klärt das mit einer Serviette. Brandt kennt Rituale und einen Tattowierer.
Und ich? Ich mochte das. Ich kenne auch die Reihe um den Polizeipfarrer Martin Bauer, die Idee als Ermittler finde ich weiterhin gut, aber diese Reihe besser (von der Reihe kommt auch mein einziger Nörgelpunkt an der Lektüre: Dem Leser wird mitgeteilt, Brandt hatte in Duisburg seine erste Todesnachricht zusammen mit Polizeiseelsorger Martin Bauer überbracht „ein beeindruckend kompromissloser Mann". Kam bei mir rüber wie dem Spiegelbild zu sagen, wie toll man ist). Mir gefiel, wie die Charaktere sich aneinander reiben, wie alles Schicht um Schicht aufgebaut wird, welche Typen hier vorgestellt werden. Solche Showveranstalter als Chefs wie Tietze kenne ich, wenn auch außerhalb der Polizei. Alte Leute, die etwas gesehen haben, fand ich schon immer witzig (vielleicht nicht immer gegenüber). Und die Sprüche: Gelernt habe ich „Scheiße mit Goldrand“ und Renés Trick mit dem aufgestellten Schild: „Gülleverwertungszentrum Ost/Durchfahrt auf eigene Gefahr“ Einfacher konnte man sich unerwünschte Besucher nicht vom Hals halten.“ 5 Sterne.
Und jetzt will ich wissen, was auf den Philippinen passiert war. Und was mit Brandts Vater, und dem kleinen Bruder von Zehra und – wie heißt der nächste Band???
Voodoo Berlin. Okay, liegt hier. Autoren-"Hälfte" Reiter ist übrigens studierter Ethnologe.