Cover-Bild Erforschen – Erkennen – Weitergeben
42,00
inkl. MwSt
  • Verlag: ratio-books
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 478
  • Ersterscheinung: 15.06.2021
  • ISBN: 9783961360970
Johannes Koder, Kurt Smolak, Sonia Mucznik, Asher Ovadiah, Dickran Kouymjian, Boghos Levon Zekiyan, Ioannis Grossmann, Elene Machavariani, Erwin Reidinger, Mario Schwarz, Sophia Kalopissi-Verti, Levon Chookaszian, Dragan Vojvodić, Miodrag Marković, Eva Haustein-Bartsch, Jenny Albani, Georgios Chr. Tsigaras, Charalampos G. Chotzakoglou, Jadranka Prolović

Erforschen – Erkennen – Weitergeben

Gewidmet dem Gedenken an Helmut Buschhausen
Heide Buschhausen (Herausgeber), Jadranka Prolović (Herausgeber)

Vorwort:
Die wissenschaftlichen Leistungen des Kunsthistorikers Helmut Buschhausen, sei-nen Werdegang und seine Persönlichkeit in kurzen Worten zu würdigen, ist ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Es kann sich dabei immer nur um Andeutungen handeln. Er hatte ei-nen weiten Horizont - in der Zeit, die er in der Tiefe ausgelotet hat, - in den geographischen Weiten, in denen er die europäischen Grenzen hinter sich gelassen hat, - in den Inhalten, die er nie bloß als optisch-künstlerische Phänomene, verhaftet in der Vergangenheit, begriffen hat.
Schon in der Schulzeit, die er 1958 mit dem Abitur beendete, zeigte sich sein weitge-spanntes Interesse. Er erlernte zusätzlich Hebräisch und Assyrisch. Sein Studium führte ihn zunächst nach Münster, dann über München nach Wien, wo er 1966 mit einer Dissertation über die Landschaften des italienischen Barockmalers Domenichino promovierte - ein The-ma, das sich vor dem Hintergrund seiner weiteren wissenschaftlichen Laufbahn ungewöhn-lich ausnimmt. Bis 1975 widmete er sich Forschungsaufträgen der Akademie der Wissen-schaften und den damit verbundenen Reisen und Publikationen. Nach seiner Habilitation 1973 wurde er 1976 zum a. o. Professor auf einer Professorenstelle neuen Typs ernannt, mit der er zwei Universitätsinstituten zugeordnet war, dem Institut für Kunstgeschichte und dem Institut für Byzantinistik und Neogräzistik. In den folgenden Jahren führten ihn Vorträge, verbunden mit Studienaufenthalten und Lehrtätigkeit, an viele Orte: Nach New York an das Metropolitan Museum, nach London in das Warburg Institute, nach Moskau und St. Peters-burg und in alle Hauptstädte des Balkans.
Drei große Bereiche waren die Schwerpunkte seiner Forschungen, das Mittelalter, die Kunst Armeniens und die Zeit des frühen Christentums.
Die Hauptthemen des Mittelalters waren Buchmalerei, Emailarbeiten und byzantinische Fresken. Als besonders hervorzuhebende Früchte dieser Arbeit seien vor allem das mit dem Staatspreis ausgezeichnete, opulente Buch über den Altar des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg genannt und das Buch über die Marienkirche in Apollonia, einer im ersten Jahrtausend v. Chr. gegründeten griechischen Kolonialstadt im heutigen Albanien, die schon früh zum Bischofsitz wurde. Das Buch über Die süditalienische Bauplastik im König-reich Jerusalem von König Wilhelm II. bis Kaiser Friedrich II. zeigt die hohe Qualität der Kunst der Kreuzfahrer, beantwortet wichtige historische Fragen und ist von hohem doku-mentarischem Wert, da inzwischen die meisten Kreuzfahrermonumente auf dem Tempel-platz in Jerusalem entfernt, beschädigt oder vernichtet worden sind.
Die Kunst und Buchmalerei Armeniens hat Helmut Buschhausen wohl am längsten und intensivsten beschäftigt. Neben vielen wissenschaftlichen Aufsätzen hat er fünf Bücher zu diesem Thema verfasst, unter anderen die wissenschaftlich kommentierte repräsentative Ausgabe des Etschmiadzin-Evangeliars des Matenadaran in Erewan, des bedeutendsten Werks der armenischen Buchkunst, und schließlich sein letztes, 2009 geschriebenes Buch über die armenische Buchmalerei und Baukunst auf der Halbinsel Krim. Bis dahin war die-ser künstlerische Bereich noch völlig unbekannt und unerforscht. Außerdem wirkte Helmut Buschhausen an drei großen Ausstellungen zur armenischen Kunst mit, denn die allgemein verständliche Vermittlung kunsthistorischer Inhalte an eine breite Öffentlichkeit war ihm immer ein sehr großes Anliegen. Die Arbeiten zur Kunst Armeniens nahmen ihren Ausgang in den armenischen Bibliotheken und Sammlungen, die im Westen eine Heimstatt gefunden hatten, vor allem im Mechitharisten-Kloster in Wien, und führten Helmut und Heide Busch-hausen schließlich wiederholt nach Armenien selbst und vor allem in den Matenadaran.
Auch die Zeit des frühen Christentums begleitete Helmut Buschhausen sein Leben lang. Die ersten Ausgrabungen in Misis - Mopsuestia in der Türkei gehören dazu ebenso wie sein erstes Buch über Die spätrömischen Metallscrinia und frühchristlichen Reliquiare. Beson-ders wichtig waren ihm die 1986 bis 1992 im Auftrag der ägyptischen Altertumsverwaltung durchgeführten Ausgrabungen in Abu Fano in Ägypten, einer einstigen Ansiedlung von et-wa tausend frühchristlichen Mönchen. Hier gelang es ihm die Gebeine des zu seiner Zeit weithin berühmten koptischen Heiligen Apa Bane aufzuspüren – eine Sternstunde früh-christlicher Archäologie.
Alles bisher Genannte sind dürre Fakten, die kaum ahnen lassen, welch unendliche Mü-hen dahinter stehen. Sie übersteigen die Vorstellungskraft bei weitem.
Zur Zeit seiner Ausgrabungen in der Türkei war dieses Land noch keine dem Westen geöff-nete Touristendestination. Albanien (Apollonia) war damals noch ganz von der Außenwelt abgeschottet. Armenien war ein vom Westen kaum wahrgenommener, von Armut geprägter russischer Satellitenstaat, der weit hinter dem Eisernen Vorhang um seine Identität rang. Ägypten war das Land der Pharaonen am Nil und der Touristenburgen am Roten Meer und sonst aus der europäischen Wahrnehmung ausgeblendetes Niemandsland. Jerusalem, be-sonders der Tempelplatz, war damals wie heute Streitobjekt vieler Nationen und Religionen.
Helmut Buschhausen besaß besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich vor ihm auftürmenden gewaltigen Schwierigkeiten bei den Arbeiten in diesen Ländern in An-griff zu nehmen und zu überwinden. Hinter allem stand ein mächtiger innerer Antrieb, dem er sich selbst und alles andere ganz unterwarf, gepaart mit einem ungeheuren Fleiß. Zehn Bücher und an die hundert Aufsätze enthalten die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Be-mühungen. Dieses immense Arbeitspensum war nur in der Gemeinschaft mit seiner Frau Heide möglich. Beide waren ebenbürtige wissenschaftliche Partner als „H. und H. Busch-hausen“ im Tandem, auf dem sie abwechselnd vorne saßen. Ihre Arbeiten werden noch lange fundamentale Geltung haben für die weitere Forschung.
Seine umfassende Neugier machte Helmut Buschhausen zum Entdecker, zum Aben-teurer und zum Forschungsreisenden. Der Entdecker, der die weißen Flecken auf der Land-karte sieht und erforschen will, ja muss. Der Abenteurer und Forschungsreisende, der nicht blindlings und mit unkalkulierbarem Risiko aufbricht, sondern bereit ist, alle Entbehrungen und Widrigkeiten auf sich zu nehmen, um dem Ziel vor Augen unbeirrt zu folgen. Er gehör-te zu einer Spezies Wissenschaftler, die wir sonst von unseren geistigen Großvätern und Urgroßvätern kennen und die wohl auf diese Weise nur noch im auslaufenden europäischen Humanismus möglich war, also kurz vor der Digitalisierung der globalisierten Welt.
Eines der wichtigsten Ingredienzien eines solchen Forscherlebens ist jedoch der Mut. Mut gehört dazu, sich ohne weitere personelle Unterstützung in die Grundlagen- und Feld-forschung zu begeben. Im Konkreten bedeutet es, Material zu heben, zu sammeln, zu sich-ten, zu ordnen und zu dokumentieren, also eine Materialschlacht und wirkliche Knochenar-beit. Mut zu haben, heißt auch, nicht vor äußeren Hindernissen zurückzuweichen oder zu kapitulieren. Sie reichen von politisch bedingten Hemmnissen, schier unlösbaren Koordina-tionsaufgaben bis zu praktischen organisatorischen Erfordernissen im großen Stil. All diese enormen Reibungsflächen mit den aktuellen Verhältnissen und Umständen der Zeit bewah-ren aber andererseits auch vor dem elfenbeinernen Turm und schärfen den Blick für die Gegenwart sowie die nähere und weitere Umgebung.
Aus einer kleinräumig denkenden europäischen Perspektive mag die Erforschung der frühen Kunst Armeniens als kunsthistorisches Randgebiet erscheinen. Ebenso könnte man der Meinung sein, dass frühchristliche Grabungen in der Wüste Ägyptens nicht von vorrangigem Interesse seien. Beides trifft nicht zu, wie noch zu sehen sein wird. Dass aber gerade diese Forschungen eine ungeahnte Wirkmächtigkeit in der Gegenwart entfalteten, hebt sie weit über die üblichen Früchte kunsthistorischer Tätigkeiten hinaus. Das armenische Volk, über viele Jahrhunderte immer wieder vertrieben, verfolgt und vom Genozid heimge-sucht, sah - und sieht – in seinen heiligen Büchern das Konzentrat seiner christlichen Kultur, Tradition und Geschichte. Tatsächlich geben die darin enthaltenen Kolophone den Blick frei auf die Geschichte Armeniens im Allgemeinen, aber auch auf die persönliche Geschichte der verschiedenen Besitzer, die nicht selten die Bücher vor drohender Gefahr in Sicherheit brachten. Bücherschicksale und Menschenschicksale sind eng verwoben, auch heute noch. Das um seine Identität kämpfende Land Armenien sah in den Arbeiten Helmut Buschhau-sens einen wesentlichen Beitrag auf dem Weg zur Selbstfindung und geistigen Eigenständig-keit und zeichnete ihn dafür mit der selten verliehenen Mesrop Maštoc͑ Medaille aus. In Ägypten war die mit wohlwollender Unterstützung des Bischofs Demetrius von Mallawī erfolgte Freilegung des frühchristlichen geistigen und geistlichen Zentrums von Abu Fana für die christlichen Kopten der Gegenwart von großer Bedeutung. Es stärkte ihr Bewusstsein im ständigen Abwehrkampf gegen den islamischen Fundamentalismus und der wiederge-fundene heilige Ort löste eine erneute Pilgerwelle aus.
Ein bedeutendes Kapitel im Lebensbuch Helmut Buschhausens ist seine Lehrtätig-keit, die er mit Leidenschaft betrieb. Auch hier stand für ihn nicht die bloße Wissensvermitt-lung im Vordergrund. Ihm ging es um das Weitergeben von Erkenntnissen und Erkennen als paradigmatische Problembewältigung der Wissenschaft, die den Studierenden als Vorbild und Ertüchtigung für den menschlichen Alltag dienen sollten. Anstelle des quantitativen Wissens sollte qualitativ geschulte Lösungskompetenz den jungen Leuten, in denen er vor allem die Träger der Zukunft sah, das Rüstzeug für das Leben geben.
Die Wachheit Helmut Buschhausens für die Vorgänge in der Gegenwart beschränkte sich aber nicht auf seine Rolle als Lehrer und Forscher. Er nahm lebhaften Anteil an gesell-schaftlichen Problemen unterschiedlicher Art. Er wirkte sogar aktiv mit bei einigen Bürger-initiativen und war Gründungsmitglied des Verein Gedenkstätte Gustav Klimt, der sich er-folgreich für den Erhalt des letzten Ateliers von Gustav Klimt eingesetzt hat.
Helmut Buschhausen hatte einen weiten Horizont in der Zeit, der er in der Vergan-genheit bis zu den Anfängen der christlichen Kultur nachspürte und deren Entwicklung und Aufblühen er ins Mittelalter und zum Barock verfolgte. Darüber hinaus hatte er einen weiten Horizont in den geographischen Dimensionen und in den künstlerischen Inhalten. Sein Weg führte ihn vom Abendland ins Morgenland, vom Okzident in den Orient. Er ging den Weg zurück zu den Ursprüngen des Christentums und der christlichen Kultur und scheute sich dabei nicht wissenschaftliches Neuland zu betreten.

Eva-Maria Höhle

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