- Verlag: Schweitzerhaus Verlag
- Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
- Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
- Ersterscheinung: 01.07.2012
- ISBN: 9783863322007
Mord im Penthouse
Eine unmoralische Geschichte
Karin Schweitzer (Erzähler)
1/Friedemann Wunder
Der mannshohe Spiegel bringt die Wahrheit an den Tag, unerbittlich, gnadenlos, so sehr er sich auch dreht und windet, um den nach wie vor durchtrainierten, muskulösen Körper in die vorteilhafteste Position zu bringen. Er ballt die Faust, spannt den Bizeps, prüft Spannung und Härte mit der linken Hand und nickt zufrieden. Vorsichtig streicht er mit der Fingerspitze des Mittelfingers der linken Hand über die tiefen Falten auf der Stirn, diese unübersehbaren Spuren eines ausschweifenden Lebenswandels, reckt das Kinn, trainiert den arroganten Blick, verzieht die Mundwinkel - zwei Reihen makelloser, weißer Zähne, die zu gleichmäßig sind, als dass sie echt sein könnten, blitzen in dem sonnenbankgebräunten Gesicht - und was als feistes Grinsen gedacht war, erstarrt in einer verzerrten Grimasse.
'Hier ein kleiner Schnitt, da eine leichte Korrektur', zischt er, 'Aber wer, verdammt noch mal, wer soll’s machen. Sind doch alles Metzger. Höchstens in den Staaten … vielleicht …'
Als er jung war, die ersten Meriten erwarb, hatte er sich geschworen, dass er sich nie auch nur in die Nähe des Skalpells, eines seiner nicht annähernd so genialen Kollegen, wie er selbst, begeben wird, doch konfrontiert mit den unleugbaren Spuren menschlichen Verfalls, gerät sein Vorsatz merklich ins Wanken, droht sich aufzulösen, wie seinerzeit der hohe ethische Anspruch: ich werde sie von ihrem Makel erlösen, die Hässlichen dieser Welt, geopfert auf dem Altar ewig wachsender finanzieller Prosperität und gesellschaftlich verordneter Eitelkeit.
Dr. Dr. hc Friedemann Wunder, gefragte Kapazität und nach wie vor unumstrittene Nr. 1 der plastischen Chirurgie - vielen Prominenten und unzähligen Namenlosen hat er mit seinen virtuosen Kunstgriffen zu mehr Selbstbewusstsein und im wahrsten Sinne des Wortes, gesteigertem öffentlichen Ansehen verholfen - steht schon mehr als eine Stunde vor dem riesigen Wandspiegel seines luxuriösen Badezimmers - Marmor, nicht schwarz oder weiß, sondern rosa, vergoldete Armaturen, ein Whirlpool, groß genug für eine mittlere Orgie - und hadert mit seinem Schicksal.
Ohne den Blick von der Gestalt im Spiegel abzuwenden, die ihm, allen Zweifeln zum Trotz, beeindruckend erscheint, greift er das hohe Longdrinkglas vom Rand des Villeroy & Boch Doppelwaschbeckens und leert es in einem Zug.
Mit der linken Hand taste er nach der Flasche Gin, die normalerweise in dem schwarz lackierten Schrank neben dem Spiegel steht.
'Irina die dämliche Kuh hat natürlich wieder alles weggeräumt. Seit die im Haus ist, steht nichts mehr da, wo man es braucht.'
Im Großen und Ganzen ist er jedoch zufrieden mit Irina, der blonden Haushälterin, deren unaussprechlicher Nachname ihm nicht über die Lippen will. Vor drei Monaten hat er sie eingestellt. Sie macht eine gute Figur und das Gesicht ist hübsch, obwohl man da auch noch etwas verbessern könnte. Sie stammt aus einem winzigen lettischen Dorf mit einem ebenso eigenartigen Namen, nicht gemacht für deutsche Zungen und was letztlich den Ausschlag gab, sie arbeitet für fünf steuerneutrale Euro die Stunde.
'Was soll das Gezeter …', ruft er sich zur Ordnung, 'ich bin der Größte, Magier der Schönheit. Deshalb respektieren und fürchten sie mich. Wer kommt ihnen schon je so nahe, kennt ihre intimsten Geheimnisse, im wahrsten Sinne bis unter die Haut!?'
Schweren Herzens trennt er sich von seinem Spiegelbild, wandert, noch immer nackt, durch den breiten Flur, über Marmor, nun jadegrün, ins Wohnzimmer. Gegen die hohen, breiten Fensterscheiben prasseln schwere Regentropfen eines heftigen Sommergewitters. Er steuert zielstrebig das wuchtige Vertiko aus Wurzelholz an, ein Replikat im Stil der dreißiger Jahre, entnimmt der rechten Schublade eine kleine silberne Schatulle, setzt sich auf die mit burgunderrot gefärbte Büffelleder bezogene Couch, stellt das feinziselierte Kästchen vor sich auf den makellos reinen Glastisch - keine Schliere trübt den Glanz - und öffnet es. Er ergreift mit Daumen und Zeigefinger ein kleines Plastiktütchen, hebt es auf Augenhöhe, schüttelt und runzelt ungläubig die Stirn - sollte etwa Irina … nein, das würde sie nicht wagen.
Keine zwei Stunden mehr, dann wird Natalie, diese Blaupause aller Society-Schnepfen über Fünfzig, ihn abholen. Und wie alle seine Geschöpfe ist sie nahezu vollkommen. Die Brüste mit wie erigiert stehenden Nippeln, der wohlgeformte Po, die kunstvoll verkleinerten Schamlippen und die absolut dauerhafte Haarentfernung, alles sein Werk. Er wird sie zum Empfang des Ministerpräsidenten begleiten. Das Ganze dürfte zwei Stunden dauern und im Anschluss wird sich die Horde immer gleicher Schmarotzer, Möchtegerns und Aufschneider in einer angesagten Bar selbst feiern und er wird sich Punkt 24 Uhr empfehlen und Natalie wird sich hüten ihm in der Öffentlichkeit eine Szene zu machen.
'Sie ist so beschissen perfekt, dass ich sie hasse.'
Einem Ritual gleich formt er mit einem kleinen orientalischen Dolch, der schmale Griff kunstvoll mit Edelsteinen verziert, zwei feine weiße Linien.
Seine Gedanken wandern zum gestrigen Abend, als er mit Natalie telefonierte und diese ihm unmissverständlich, als er es wagte herumzudrucksen und fieberhaft nach einer Ausrede suchte, zu verstehen gab, wie wichtig diese Einladung für sie und dass es unerlässlich sei, ihn an ihrer Seite zu haben. Und da war dieser Unterton, unverschämt fordernd, du musst … du musst … du musst … du musst … hallte in seinem Schädel und wie schon so oft verflucht er diesen einen, unbedachten Moment der Schwäche und Offenheit. Es war nach einem seiner denkwürdigsten Exzesse, er fühlte sich nackt, hilflos, wie ein gerade geborenes Kind verloren in der Einöde und Natalie erschien ihm wie eine gütige Amme, zwischen deren anbetungswürdigen Brüsten er Wärme und Geborgenheit fand.
Voller Abscheu denkt er an den stupiden Sex, den sie gelegentlich selbstbewusst einfordert und dass er sich danach immer wie ein lausiger Gigolo vorkommt.
Erst bedient er das eine, danach das andere Nasenloch durch ein dünnes silbernes Röhrchen, das neben dem Kokstütchen auf blauem Samt seinem Einsatz entgegen wartete. Augenblicklich kribbeln abermillionen Ameisen über die Stirnhöhle unter seine Schädel-
decke, ein sanfter Schauer durchläuft seinen Körper und verlorengeglaubte Energien, Klarheit und die Gewissheit alles, aber auch alles im Griff zu haben, kehren zurück.
'Ich werde wie immer fabelhaft aussehen, ein eloquenter und witziger Unterhalter sein und wer weiß, immerhin der Bürgermeister, kann schon was bringen …' Er richtet sich auf - 175,5 Zentimeter, seine Schuhe lässt er in London fertigen, speziell, was immerhin 3 Zentimeter bringt und ihn unter günstigen Bedingungen, kleine Frauen, rundliche Männer, nicht größer als er selbst im wirklichen Leben, wie einen Einmeterachtzigmann erscheinen lassen. Und er sieht schon ein wenig lächerlich aus, wie er da steht, dieser in die Jahre gekommene nackte Mann mit stolz geschwellter Brust.
Während er sich dem Dresscode entsprechend kleidet, spukt Chloé in seinem Kopf und die Vorstellung, dass es weitaus prickelnder wäre mit dieser Frau den Abend zu verbringen, deren unverhohlene, offensiv zur Schau getragene Sinnlichkeit und eindeutige, dennoch charmante Bonmots, mitunter erfrischend vulgär, ihn immer wieder an Mae West erinnert, besonders wenn sie wieder einmal einen dieser gewagten ausladenden Hüte trägt. Sie ist so ganz anders als diese sogenannten Damen der feinen Gesellschaft, denen die Geilheit förmlich aus glitzernden Augen in den Botox gestählten Gesichtern trieft und die das Wort Ficken selbst nach einigen belebenden Cocktails nur giggelnd hinter vorgehaltener Hand herausbringen und dabei glauben, noch immer jungfrauenhaft zu erröten. Selbstredend treiben Chloé und er es nicht mehr miteinander, schon lange nicht mehr, das für ihn entscheidende Verfallsdatum der 39 Lenze ist längst weit überschritten und ihm schaudert bei dem Gedanken an ihren unverhüllten Körper.
Der Abend verläuft wie erwartet. Wunder ist ganz Dr. Dr. hc, weltläufig, brillant im Bildungsbürgertumsmalltalk, von diskretem Charme, schnupft zwischenzeitlich frische Energie auf der weißen Klobrille, in der grauen Zelle des schwarz gekachelten WCs und Natalie scheint vollends zufrieden, hebt die Mundwinkel so weit es die Lähmung gestattet. Später, im Broadway, zieht er sich zurück, lächelt vielsagend, schlürft viel zu schlappen Gin-Tonic und grübelt, wie er Natalie seinen frühen Abgang plausibel verkaufen soll. Doch als er aus den Augenwinkeln beobachtet, dass sich diese angeregt mit einem jungen Kerl unterhält, den er noch nie in diesem illustren Kreis gesehen hat und in dessen Oberschenkel sich die Fingernägel ihrer linken Hand krallen und er unverhohlen in ihr Silikon gepolstertes Dekollete starrt - an den Seriennummern der Implantate könnte man sie identifizieren, sollte sie als verstümmeltes Opfer eines Unfalls oder eines Gewaltverbrechens enden, weicht die Anspannung und er träumt sich in seine Verabredung: Annabelle, 0 Uhr 45.
Der mannshohe Spiegel bringt die Wahrheit an den Tag, unerbittlich, gnadenlos, so sehr er sich auch dreht und windet, um den nach wie vor durchtrainierten, muskulösen Körper in die vorteilhafteste Position zu bringen. Er ballt die Faust, spannt den Bizeps, prüft Spannung und Härte mit der linken Hand und nickt zufrieden. Vorsichtig streicht er mit der Fingerspitze des Mittelfingers der linken Hand über die tiefen Falten auf der Stirn, diese unübersehbaren Spuren eines ausschweifenden Lebenswandels, reckt das Kinn, trainiert den arroganten Blick, verzieht die Mundwinkel - zwei Reihen makelloser, weißer Zähne, die zu gleichmäßig sind, als dass sie echt sein könnten, blitzen in dem sonnenbankgebräunten Gesicht - und was als feistes Grinsen gedacht war, erstarrt in einer verzerrten Grimasse.
'Hier ein kleiner Schnitt, da eine leichte Korrektur', zischt er, 'Aber wer, verdammt noch mal, wer soll’s machen. Sind doch alles Metzger. Höchstens in den Staaten … vielleicht …'
Als er jung war, die ersten Meriten erwarb, hatte er sich geschworen, dass er sich nie auch nur in die Nähe des Skalpells, eines seiner nicht annähernd so genialen Kollegen, wie er selbst, begeben wird, doch konfrontiert mit den unleugbaren Spuren menschlichen Verfalls, gerät sein Vorsatz merklich ins Wanken, droht sich aufzulösen, wie seinerzeit der hohe ethische Anspruch: ich werde sie von ihrem Makel erlösen, die Hässlichen dieser Welt, geopfert auf dem Altar ewig wachsender finanzieller Prosperität und gesellschaftlich verordneter Eitelkeit.
Dr. Dr. hc Friedemann Wunder, gefragte Kapazität und nach wie vor unumstrittene Nr. 1 der plastischen Chirurgie - vielen Prominenten und unzähligen Namenlosen hat er mit seinen virtuosen Kunstgriffen zu mehr Selbstbewusstsein und im wahrsten Sinne des Wortes, gesteigertem öffentlichen Ansehen verholfen - steht schon mehr als eine Stunde vor dem riesigen Wandspiegel seines luxuriösen Badezimmers - Marmor, nicht schwarz oder weiß, sondern rosa, vergoldete Armaturen, ein Whirlpool, groß genug für eine mittlere Orgie - und hadert mit seinem Schicksal.
Ohne den Blick von der Gestalt im Spiegel abzuwenden, die ihm, allen Zweifeln zum Trotz, beeindruckend erscheint, greift er das hohe Longdrinkglas vom Rand des Villeroy & Boch Doppelwaschbeckens und leert es in einem Zug.
Mit der linken Hand taste er nach der Flasche Gin, die normalerweise in dem schwarz lackierten Schrank neben dem Spiegel steht.
'Irina die dämliche Kuh hat natürlich wieder alles weggeräumt. Seit die im Haus ist, steht nichts mehr da, wo man es braucht.'
Im Großen und Ganzen ist er jedoch zufrieden mit Irina, der blonden Haushälterin, deren unaussprechlicher Nachname ihm nicht über die Lippen will. Vor drei Monaten hat er sie eingestellt. Sie macht eine gute Figur und das Gesicht ist hübsch, obwohl man da auch noch etwas verbessern könnte. Sie stammt aus einem winzigen lettischen Dorf mit einem ebenso eigenartigen Namen, nicht gemacht für deutsche Zungen und was letztlich den Ausschlag gab, sie arbeitet für fünf steuerneutrale Euro die Stunde.
'Was soll das Gezeter …', ruft er sich zur Ordnung, 'ich bin der Größte, Magier der Schönheit. Deshalb respektieren und fürchten sie mich. Wer kommt ihnen schon je so nahe, kennt ihre intimsten Geheimnisse, im wahrsten Sinne bis unter die Haut!?'
Schweren Herzens trennt er sich von seinem Spiegelbild, wandert, noch immer nackt, durch den breiten Flur, über Marmor, nun jadegrün, ins Wohnzimmer. Gegen die hohen, breiten Fensterscheiben prasseln schwere Regentropfen eines heftigen Sommergewitters. Er steuert zielstrebig das wuchtige Vertiko aus Wurzelholz an, ein Replikat im Stil der dreißiger Jahre, entnimmt der rechten Schublade eine kleine silberne Schatulle, setzt sich auf die mit burgunderrot gefärbte Büffelleder bezogene Couch, stellt das feinziselierte Kästchen vor sich auf den makellos reinen Glastisch - keine Schliere trübt den Glanz - und öffnet es. Er ergreift mit Daumen und Zeigefinger ein kleines Plastiktütchen, hebt es auf Augenhöhe, schüttelt und runzelt ungläubig die Stirn - sollte etwa Irina … nein, das würde sie nicht wagen.
Keine zwei Stunden mehr, dann wird Natalie, diese Blaupause aller Society-Schnepfen über Fünfzig, ihn abholen. Und wie alle seine Geschöpfe ist sie nahezu vollkommen. Die Brüste mit wie erigiert stehenden Nippeln, der wohlgeformte Po, die kunstvoll verkleinerten Schamlippen und die absolut dauerhafte Haarentfernung, alles sein Werk. Er wird sie zum Empfang des Ministerpräsidenten begleiten. Das Ganze dürfte zwei Stunden dauern und im Anschluss wird sich die Horde immer gleicher Schmarotzer, Möchtegerns und Aufschneider in einer angesagten Bar selbst feiern und er wird sich Punkt 24 Uhr empfehlen und Natalie wird sich hüten ihm in der Öffentlichkeit eine Szene zu machen.
'Sie ist so beschissen perfekt, dass ich sie hasse.'
Einem Ritual gleich formt er mit einem kleinen orientalischen Dolch, der schmale Griff kunstvoll mit Edelsteinen verziert, zwei feine weiße Linien.
Seine Gedanken wandern zum gestrigen Abend, als er mit Natalie telefonierte und diese ihm unmissverständlich, als er es wagte herumzudrucksen und fieberhaft nach einer Ausrede suchte, zu verstehen gab, wie wichtig diese Einladung für sie und dass es unerlässlich sei, ihn an ihrer Seite zu haben. Und da war dieser Unterton, unverschämt fordernd, du musst … du musst … du musst … du musst … hallte in seinem Schädel und wie schon so oft verflucht er diesen einen, unbedachten Moment der Schwäche und Offenheit. Es war nach einem seiner denkwürdigsten Exzesse, er fühlte sich nackt, hilflos, wie ein gerade geborenes Kind verloren in der Einöde und Natalie erschien ihm wie eine gütige Amme, zwischen deren anbetungswürdigen Brüsten er Wärme und Geborgenheit fand.
Voller Abscheu denkt er an den stupiden Sex, den sie gelegentlich selbstbewusst einfordert und dass er sich danach immer wie ein lausiger Gigolo vorkommt.
Erst bedient er das eine, danach das andere Nasenloch durch ein dünnes silbernes Röhrchen, das neben dem Kokstütchen auf blauem Samt seinem Einsatz entgegen wartete. Augenblicklich kribbeln abermillionen Ameisen über die Stirnhöhle unter seine Schädel-
decke, ein sanfter Schauer durchläuft seinen Körper und verlorengeglaubte Energien, Klarheit und die Gewissheit alles, aber auch alles im Griff zu haben, kehren zurück.
'Ich werde wie immer fabelhaft aussehen, ein eloquenter und witziger Unterhalter sein und wer weiß, immerhin der Bürgermeister, kann schon was bringen …' Er richtet sich auf - 175,5 Zentimeter, seine Schuhe lässt er in London fertigen, speziell, was immerhin 3 Zentimeter bringt und ihn unter günstigen Bedingungen, kleine Frauen, rundliche Männer, nicht größer als er selbst im wirklichen Leben, wie einen Einmeterachtzigmann erscheinen lassen. Und er sieht schon ein wenig lächerlich aus, wie er da steht, dieser in die Jahre gekommene nackte Mann mit stolz geschwellter Brust.
Während er sich dem Dresscode entsprechend kleidet, spukt Chloé in seinem Kopf und die Vorstellung, dass es weitaus prickelnder wäre mit dieser Frau den Abend zu verbringen, deren unverhohlene, offensiv zur Schau getragene Sinnlichkeit und eindeutige, dennoch charmante Bonmots, mitunter erfrischend vulgär, ihn immer wieder an Mae West erinnert, besonders wenn sie wieder einmal einen dieser gewagten ausladenden Hüte trägt. Sie ist so ganz anders als diese sogenannten Damen der feinen Gesellschaft, denen die Geilheit förmlich aus glitzernden Augen in den Botox gestählten Gesichtern trieft und die das Wort Ficken selbst nach einigen belebenden Cocktails nur giggelnd hinter vorgehaltener Hand herausbringen und dabei glauben, noch immer jungfrauenhaft zu erröten. Selbstredend treiben Chloé und er es nicht mehr miteinander, schon lange nicht mehr, das für ihn entscheidende Verfallsdatum der 39 Lenze ist längst weit überschritten und ihm schaudert bei dem Gedanken an ihren unverhüllten Körper.
Der Abend verläuft wie erwartet. Wunder ist ganz Dr. Dr. hc, weltläufig, brillant im Bildungsbürgertumsmalltalk, von diskretem Charme, schnupft zwischenzeitlich frische Energie auf der weißen Klobrille, in der grauen Zelle des schwarz gekachelten WCs und Natalie scheint vollends zufrieden, hebt die Mundwinkel so weit es die Lähmung gestattet. Später, im Broadway, zieht er sich zurück, lächelt vielsagend, schlürft viel zu schlappen Gin-Tonic und grübelt, wie er Natalie seinen frühen Abgang plausibel verkaufen soll. Doch als er aus den Augenwinkeln beobachtet, dass sich diese angeregt mit einem jungen Kerl unterhält, den er noch nie in diesem illustren Kreis gesehen hat und in dessen Oberschenkel sich die Fingernägel ihrer linken Hand krallen und er unverhohlen in ihr Silikon gepolstertes Dekollete starrt - an den Seriennummern der Implantate könnte man sie identifizieren, sollte sie als verstümmeltes Opfer eines Unfalls oder eines Gewaltverbrechens enden, weicht die Anspannung und er träumt sich in seine Verabredung: Annabelle, 0 Uhr 45.
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