All die schönen, dunklen Dinge
Die Küste von Yorkshire scheint eine pure Idylle zu sein, doch es passieren perfide, kriminelle Dinge hinter einer scheinbar perfekten Fassade, wie sie sich auch die Männer- und Golffreunde Tommy, Andy ...
Die Küste von Yorkshire scheint eine pure Idylle zu sein, doch es passieren perfide, kriminelle Dinge hinter einer scheinbar perfekten Fassade, wie sie sich auch die Männer- und Golffreunde Tommy, Andy und Steve aufgebaut haben. Alles gerät ins Wanken, als die Bekannte Wendy tot aufgefunden wird und immer mehr geheimnisvolle Fäden und Verbindungen zusammenlaufen. Neben dem schlagfertigen Ermittlerduo Reggie Chase und Ronnie Dibicki, die die zahlreichen Verflechtungen aufdecken wollen, kommt hier auch der melancholische Privatermittler Jackson Brodie ins Spiel, der noch von einer On-/Off-Beziehung und den Launen seines pubertierenden Sohnes angeschlagen ist. Es ist sein fünfter Fall, aber „Weiter Himmel“ lässt sich auch wunderbar lesen, wenn die Vorgänger nicht bekannt sind.
Ganz langsam und fein lässt Kate Atkinson ihren Kriminalroman mit einer mystisch-düsteren Atmosphäre anfangen: Sie lotet Milieus, menschliche Charaktere samt Bio-Vegan-Spleen und gesellschaftliche Schichten aus – manchmal braucht sie dafür nur zwei treffsichere Sätze. Mehrere Perspektiven (auch die Eitelkeiten und Familienverhältnisse der Übeltäter) und schnell wechselnde Szenen werden opulent und mit sprachlicher Finesse und vielen Details geschildert – Atkinson liebt es, diverse Gedankengänge weiterzuspinnen und der Leser sollte sich gut konzentrieren und die wunderbare Prosa genießen, bevor die spannende Handlung rund um den widerwärtigen und gewalttätigen Mädchenhandel und dem perfiden „Magischen Kreis“ beginnt und die Vorstadt-Idylle mächtig ins Wanken kommt.
Voller scharfem und schwarzem Humor nimmt Atkinson nicht nur die Protagonisten, Eigenarten oder gesellschaftliche Themen treffend und versiert auf die Schippe – sogar das Krimigenre an sich wird an manchen Stellen witzig und klug besprochen. Besonders lakonisch und schlagkräftig sind die Galgenhumor-Dialoge zwischen dem Ermittlerduo Reggie und Ronnie gelungen, aber auch Brodies zurückhaltender Charakter, der über tote Familienangehörige sinniert, Country-Musik liebt und auf gewisse Weise ein trauriger Schelm ist, ist wunderbar eingefangen.
Kate Atkinson gelingt es bravourös, in „Weiter Himmel“ neben dem widerwärtigen Eliten-Pädophilenring auch alltägliche Absurditäten ironisch und nonchalant auszuhebeln – gekonnt spielt sie mit vielen Zufällen, Situationskomik und alten Geheimnissen und eröffnet ein Panoptikum an plastischen Charakteren mit ein paar mutigen Außenseitern. Und hinter all den schönen Dingen steckt ganz schön viel Böswilliges, Dunkles und Abgründiges. Dass einer Autorin eine so klug-trockene Lakonie und eine unbeschwerte Sprache trotz des ernsten und aktuellen Themas fulminant gelingt, ist große und eher seltene Erzählkunst.