Band 25
der Reihe "reihe staben"
30,00
€
inkl. MwSt
- Verlag: gutleut verlag
- Themenbereich: Belletristik
- Genre: keine Angabe / keine Angabe
- Seitenzahl: 152
- Ersterscheinung: 15.10.2023
- ISBN: 9783948107628
Semiramis soweit ich erinnere
Semiramis if I Remember
Alexander Kappe (Herausgeber), Jan Kuhlbrodt (Herausgeber), Michael Wagener (Herausgeber), Michael Wagener (Übersetzer)
»ICH ERINNERE MICH, WIE MICH MEIN VATER NACH MEINER FRÜHESTEN KINDHEITSERINNERUNG FRAGTE, UND ICH IHM SAGTE: JA, ICH ERINNERE MICH AN DAS HAUS IN SOUTH NEOSHO (WO WIR WOHNTEN, ALS ICH IN DEN KINDERGARTEN GING), AN DIE OVALE SCHEIBE IN DER EINGANGSTÜR. ER LACHTE UND SAGTE, NEIN, DIE WAR DA NICHT. ER HIELT INNE UND WURDE PLÖTZLICH GANZ ERNST, UNMÖGLICH, DASS DU DICH DARAN ERINNERN KANNST. UND ER BEHAUPTETE, DIE OVALE SCHEIBE DER EINGANGSTÜR WAR NICHT IN DEM HAUS IN SOUTH NEOSHO, SONDERN IN DER TÜR EINES FRÜHEREN HAUSES, AUS DEM WIR AUSGEZOGEN WAREN, ALS DU EIN PAAR WOCHEN ALT WARST – ALSO DEM HAUS, IN DEM ICH GEBOREN WURDE.«
Den Abschluss der Waldrop-Trilogie, die in diesem Herbstprogramm beim gutleut verlag erscheint, bildet Semiramis soweit ich erinnere. Wenn Das Prinzip der Lokalität der Gedichtband der Ruhe und Der Umriss der Brücke der Gedichtband der Überschreitung ist, dann ist Semiramis der Gedichtband der Erinnerung.
Semiramis ist eine altorientalische Heldin, die in verschiedenen griechischen, assyrischen, jüdischen und armenischen Quellen, aber auch bei Boccaccio oder in Dantes Göttlicher Komödie auftritt. Mal gilt sie als begnadete Baumeisterin und Erschafferin der Hängenden Gärten von Babylon, mal als Gründermütter der gesamten Stadt. Mal ist sie durch Intrigen zur Herrscherin geworden, nur um dann eine unerwartet gerechte Herrschaft auszuüben, mal überlistete sie ihre Gegner durch geschicktes Vortäuschen einer männlichen Identität. Die eine feste Haupterzählung des Lebens der Semiramis gibt es gleichwohl nicht; ihre unbestimmte, ja chimärische Position im kulturellen Gedächtnis erlaubt Keith Waldrop eine Aneignung besonderen Ausmaßes. Er katapultiert sie in die Gegenwart; auch in den Raum seiner inneren Gegenwart, der vollgestellt ist mit Masken, die aufzuziehen Erinnerungen auslöst, mit unbekanntem Ausgang. Das Selbstportrait als Maske, wie der Alternativtitel des Texts heißt, vollzieht sich durch das Hineinschlüpfen in einen Ballsaal mit seltsamer Ausleuchtung. »Die verärmteste Form des Doppelgängers ist ein Schatten«, schreibt Waldrop. Sich selbst portraitieren, sich selbst abbilden, sich selbst vollständig ausleuchten, das ist unmöglich – denn wir verfügen letztlich nicht über uns selbst. Nicht nur vor anderen, sondern vor uns selbst tragen wir Masken. Das Spielfeld verändert sich jedoch, wenn wir die Maske einer anderen Person tragen. In Semiramis vollziehen sich die Erinnerungen darum auch durch ihre Abwesenheit – Anwesenheit gibt es nur in Erinnerungsspuren. Verlorenen Menschen, verlorenen Gegenstände, eingebildeten Kindheitserinnerungen, vertauschte Rollen. Die eigene Erinnerungswelt nimmt der Autor als etwas in seine dichterischen Hände, das es nur noch als Legende mit Lücken gibt. Die Leerstellen in der Erinnerung fühlt und füllt die Fantasie.
Den Abschluss der Waldrop-Trilogie, die in diesem Herbstprogramm beim gutleut verlag erscheint, bildet Semiramis soweit ich erinnere. Wenn Das Prinzip der Lokalität der Gedichtband der Ruhe und Der Umriss der Brücke der Gedichtband der Überschreitung ist, dann ist Semiramis der Gedichtband der Erinnerung.
Semiramis ist eine altorientalische Heldin, die in verschiedenen griechischen, assyrischen, jüdischen und armenischen Quellen, aber auch bei Boccaccio oder in Dantes Göttlicher Komödie auftritt. Mal gilt sie als begnadete Baumeisterin und Erschafferin der Hängenden Gärten von Babylon, mal als Gründermütter der gesamten Stadt. Mal ist sie durch Intrigen zur Herrscherin geworden, nur um dann eine unerwartet gerechte Herrschaft auszuüben, mal überlistete sie ihre Gegner durch geschicktes Vortäuschen einer männlichen Identität. Die eine feste Haupterzählung des Lebens der Semiramis gibt es gleichwohl nicht; ihre unbestimmte, ja chimärische Position im kulturellen Gedächtnis erlaubt Keith Waldrop eine Aneignung besonderen Ausmaßes. Er katapultiert sie in die Gegenwart; auch in den Raum seiner inneren Gegenwart, der vollgestellt ist mit Masken, die aufzuziehen Erinnerungen auslöst, mit unbekanntem Ausgang. Das Selbstportrait als Maske, wie der Alternativtitel des Texts heißt, vollzieht sich durch das Hineinschlüpfen in einen Ballsaal mit seltsamer Ausleuchtung. »Die verärmteste Form des Doppelgängers ist ein Schatten«, schreibt Waldrop. Sich selbst portraitieren, sich selbst abbilden, sich selbst vollständig ausleuchten, das ist unmöglich – denn wir verfügen letztlich nicht über uns selbst. Nicht nur vor anderen, sondern vor uns selbst tragen wir Masken. Das Spielfeld verändert sich jedoch, wenn wir die Maske einer anderen Person tragen. In Semiramis vollziehen sich die Erinnerungen darum auch durch ihre Abwesenheit – Anwesenheit gibt es nur in Erinnerungsspuren. Verlorenen Menschen, verlorenen Gegenstände, eingebildeten Kindheitserinnerungen, vertauschte Rollen. Die eigene Erinnerungswelt nimmt der Autor als etwas in seine dichterischen Hände, das es nur noch als Legende mit Lücken gibt. Die Leerstellen in der Erinnerung fühlt und füllt die Fantasie.
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