Cover-Bild Die Pest
Band 2411 der Reihe "Beck'sche Reihe"
(1)
  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Charaktere
9,95
inkl. MwSt
  • Verlag: C.H.Beck
  • Themenbereich: Geschichte und Archäologie - Geschichte
  • Genre: Sachbücher / Geschichte
  • Seitenzahl: 128
  • Ersterscheinung: 04.05.2021
  • ISBN: 9783406760693
Klaus Bergdolt

Die Pest

Geschichte des Schwarzen Todes
Die Pest war über Jahrhunderte eine der schlimmsten Seuchen der Menschheit. Die großen Pandemien dieser Krankheit haben den Lauf der Geschichte beeinflusst. Klaus Bergdolt stellt ihren weltweiten Siegeszug mit den gravierenden sozialen, politischen und mentalitätsgeschichtlichen Folgen dar. Erst spät wurde der Erreger entdeckt, doch auch heute ist die Krankheit noch nicht ganz besiegt.

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.01.2022

Homo vulnerabilis zwischen Lockdown und Lockerung

0

Das Wort „plague“ hat sich im Englischen ähnlich den biblischen „Plagen“ als Sammelwort für fast alle Arten von Plagen und Seuchen in der Geschichte behauptet. Das sollte nicht wundern, denn eine trennscharfe ...

Das Wort „plague“ hat sich im Englischen ähnlich den biblischen „Plagen“ als Sammelwort für fast alle Arten von Plagen und Seuchen in der Geschichte behauptet. Das sollte nicht wundern, denn eine trennscharfe Abgrenzung von Pandemieursachen wie Pest, Pocken, Cholera, Typhus oder Masern war durch das erschreckende Unwissen von Behörden und Ärzten, die von „Miasmen“ sprachen, „Schutzanzüge mit Schnabelmasken“ (35) trugen wie der Pestarzt Dr. Chicogneau (auf dem Titelkupfer von 1720) oder schlicht zur sofortigen Flucht rieten wie der Urmedicus Galen (24), über Jahrhunderte von einer peinlichen Hilflosigkeit gekennzeichnet und wurde von einer Neigung zum „therapeutischen Lügen“ (73) begleitet, das fachlich sogar reflektiert und empfohlen wurde (medicus prudens, 1614). Eine globale Pandemie hat uns 2020 völlig unerwartet aus der Bahn geworfen und die kurze Einführung des in Stuttgart geborenen Augenarztes und Medizinhistorikers Klaus Bergdolt (Jg. 1947) kommt da wie gerufen. Man kann Konstanten im Umgang mit Kontingenzen ebenso studieren wie die Schliche, mit denen sich Eliten, Amtsträger oder sonstwie Verantwortliche aus der Affäre zu ziehen oder an der Macht zu halten suchten. Schon Bergdolts kleine Einführung von 2006 ist voll davon und verweist auf eine Vielzahl von „Chronisten“ als Gewährsmänner. Wem das nicht reicht, kann zu der XL-Fassung greifen (4 Aufl. 1994-2017). Der Umgang von Eliten mit Pandemien ist aufschlussreich, denn Macht kommt nicht nur von „machen“, sondern auch von der massentauglichen Glaubwürdigkeit im Umgang mit dem Machbaren. Pandemien sind Zeiten, in denen überkommene Machtsysteme und tradierte Ungleichgewichte bei der Verteilung von Gütern und Geldern auf dem Prüfstand stehen und diese Probe ggf. nicht bestehen (27ff, 70ff). Für Egon Friedell markierte die Große Pest in der Mitte des 14.Jhts. z.B. den Anbruch einer neuen Zeit. (50) Die alten Stadtmauern schützten die sich sicher wähnenden Bürger vor Mikroben oder Viren eben nicht mehr. Eine „Umschichtung der Gesellschaft“ (50) kann das kleine Buch allerdings noch nicht widerspruchsfrei aufhellen. Während die Ärzte vor aller Augen versagten, legten die Medici in Florenz einen geradezu kometenhaften Aufstieg hin und eroberten das Stadtregiment einer der bald schönsten Städte der Welt. (56) Einerseits geht es also um das nie da gewesene Florieren von Handel und Gewerbe im Spätmittelalter: „Der Aufstieg des Mittelstandes, vor allem der Zünfte, war für die Zeit nach 1349 charakteristisch“ (68) und „der Handel, der vor der Pest bebte, hatte sie begünstigt!“ (71) Die Pest von 1348 war „selbst eine indirekte Folge der Stabilisierung der innerasiatischen Handelswege durch die Mongolenherrschaft.“ (70) Kam im Hochmittelalter ex oriente lux, drohte im Spätmittelalter von dort eher die Pest. (8) Die Lagunenstadt Venedig ist „als Exempel“ (74) Betreiberin und Nutznießerin des Levantehandels, was aber auch bedeutet, „dass die Stadt allein zwischen 1348 und 1576 mehr als zwanzigmal (!) heimgesucht wurde.“ (75) „Schiffe, Matrosen und Kaufleute“ (79) fungierten, wie wir inzwischen sagen, als „Superspreader“. Hafenstädte sind die ersten, die „verpestet“ werden und mit Quarantäne (von ital. quaranta = 40 Tage) reagieren (Marseille 1383, Seite 30). Andererseits sind es gerade diese aufblühenden Kräfte von Handel, Handwerk und Mobilität, die in der Zerreißprobe des Pandemiealltags die Macht in den Rathäusern übernehmen: „Objektiv versetzte der Schwarze Tod zwischen 1347 und 1351 den Adelsherrschaften bzw. der spätmittelalterlichen Aristokratie der toskanischen Städte den Todesstoß und führte zur Etablierung von Handwerkern und Zünften als neuen staatstragenden Gruppen.“ (47) Denn ein Versagen der Behörden kann die Bürger teuer zu stehen kommen: In Venedig verlieren nach Auskunft des zuständigen Dogen Andrea Dondolo „el terzo deli habitadori“ ihr Leben (74). Bis zum Sommer 1348 haben die meisten Stadtoberen den Rat Galens befolgt und sind aufs Land geflohen. Es kommt also quasi zu einem „government shutdown.“ (75) Dieser ist eine gute Basis für Verschwörungstheorien, die schon Seneca in „De ira“ in diesem Zusammenhang erwähnt mit seinem Wort von der „pestiletia manufacta“ (25). Pest und letztlich alle Seuchen sind von Menschen gemacht („man made“), aber keiner will es gewesen sein. Die Moral liegt ohnehin am Boden, denn die „Gute(n) starben und die Bösen überlebten“ (59), sodass man in Oberammergau seit 1633 alle zehn Jahre (außer 2020!) „in einem Passionsspiel des Leidens Christi zu gedenken“ beschloss. (61) Das Dilemma des homo vulnerabilis scheint also eine historische Konstante zu sein: Auch im Zeitalter von Atomraketen und Quantencomputern ist er über das Maß von Lockdown und Lockerung unschlüssig. Den obrigkeitlichen Strategien der „Verharmlosungen“ widmet der Autor ein kurzes Kapitel (70-73). „Die Regierungen hielten das Zurückhalten der Unglücksbotschaft offenbar sogar für ihre Pflicht“ (70) oder „sie reagierten (…) mit kalkulierter Verspätung“ (84). „Als die Hansestadt Bremen zwischen 1623 und 1628 dezimiert wurde, verzichtete der Rat aus populistischen und ökonomischen Überlegungen auf Versammlungsverbote. Trotz der grassierenden Seuche wurden Märkte und Volksfeste abgehalten.“ (71) Noch 1813 „entschloss sich der Rat (in Hamburg, MK) zu einer Verharmlosungsstrategie. Die ersten Pestfälle wurden als saisontypische, „hitzige“ Krankheiten verharmlost, wodurch wertvolle Zeit für Vorsorgemaßnahmen verstrich (Boysens).“ (71) Wenn die Magistrate aber dann doch handelten, konnte es sowohl für das eingesetzte Personal (Witwen, Nonnen, Ordensangehörige, 29) ebenso gefährlich werden wie für Bürger, die gegen die erlassenen Verbote (etwa der Einreise, 74f) verstießen. Eigentlich „lebensgefährlich“, denn ganze Konvente „starben (…) nicht selten aus“ (29) und auf Gebotsübertretungen stand nicht selten die Todesstrafe: „Die notwendige Sozialdisziplinierung war hart und nicht ohne Drohungen durchsetzbar.“ (79) Die wirtschaftlichen Folgen waren in jedem Fall schon damals gravierend: „Geschäfte und Gewerke kamen zum Erliegen.“ (86) Die hochgradige Ansteckungsgefahr (Kontagiosität, 32) wurde unterdessen allenthalben beobachtet, nur dass man aus Mangel an grundlegendem Wissen beim therapeutischen Zugriff zwar Himmel und Hölle in Bewegung setzte, was den Einfluss der Gestirne (Astrologie) ebenso einschloss wie das Walten eines auf Rache sinnenden Gottes (Theologie), damit aber (natürlich!) nur wenig Wirkung erzielte. Der Arzt und Humanist Felix Platter (1536-1614) habe „neun Epidemien überlebt()“ (35), aber der eigentliche, eher stille Held von Bergdolts gelungener Einführung in die Gegenstände der historischen Seuchenforschung wirkte als Erzbischof in Mailand und hörte auf den Namen Karl Borromäus (61,72,82).
Michael Karl

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Charaktere