Cover-Bild Das Burgtheater und die Wiener Identität
Band der Reihe "Enzyklopädie des Wiener Wissens"
19,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Bibliothek der Provinz
  • Themenbereich: Geschichte und Archäologie - Geschichte
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 164
  • Ersterscheinung: 07.10.2010
  • ISBN: 9783902416148
Klaus Dermutz

Das Burgtheater und die Wiener Identität

Kontinuität und Krisen, 1888–2009
Das Burgtheater hat im 20. Jahrhundert wie keine andere Institution die Wiener Identität geprägt. Vor allem die Ensemblemitglieder dieses traditionsreichen Hauses haben mit ihrem Burgtheaterstil und ihrem Burgtheaterdeutsch mehrere Generationen von Wienerinnen und Wiener in ihrer Weltanschauung, in ihrer Theaterauffassung und auch in ihren privaten Verhaltensregeln und Sitten be­stimmt. In keiner anderen Metropole der Welt ist der Konnex eines Theaters mit seiner Stadt von einem so engen Zusammenhalt wie beim Burgtheater und Wien.

Mit dem Umzug des Burgtheaters in den 1888 eröffneten Prunkbau kam es zunächst zu einer schwierigen Neubestimmung der Schauspielästhetik und der Wiener Identität. Die Schauspielerinnen und Schauspieler vermissten den intimen Raum des Burgtheaters am Michaelerplatz und sehnten sich nach der kammerspielartigen Bühne zurück. Mit der Eröffnung des neuen Burgtheaters begannen in einem noch größeren Ausmaß als in den Jahrzehnten davor die Aufgaben der Repräsentation in den Mittelpunkt der Interessen des Burgtheaters zu rücken. Auf das prachtvolle neue Haus antwortete man mit einem dekorativen Stil, der die Opulenz in der Gestaltung der Kostüme und Bühnenbilder betonte. Dieser Ästhetik entsprach ein getragener Burgtheaterstil, der sich vor allem nach dem Zusammenbruch der Monarchie als Distinktionsmerkmal der feinen Wiener Gesellschaft herauskristallisieren sollte. Der dekorative Darstellungsstil und die Sprechweise der Ensemblemitglieder des Burgtheaters hatten großen Einfluss auf die Besucherinnen und Besucher, die den Sprachduktus und die Umgangsformen ihrer Lieblinge im Alltag kopierten.
Das Wiener Publikum verstand stets die berühmten Schauspielerinnen und Schauspieler des Burgtheaters als Mitglieder einer großen künstlerischen Familie, in die man nur wirklich aufgenommen wurde, wenn man sich an die Riten und Regeln dieses traditionsreichen Theaters hielt. Das Erbe der Monarchie wirkte insofern sehr lange nach, als sich auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges am Burgtheater eine konservative Mentalität herausbildete, die tatkräftig Einfluss auf die Auswahl der Stücke und ihre Darstellung nahm. Das Burgtheater und sein Publikum bestätigten sich gegenseitig, indem sie einander, wie Hermann Bahr dies am Beginn des 20. Jahrhunderts einmal formulierte, das „Gefühl der Dauer“ gaben. Dieses „Gefühl der Dauer“ ist auch am Beginn des 21. Jahrhundert eines der wesentlichsten Merkmale der Wiener Identität. Das Burgtheater hatte in den verschiedenen politischen Phasen des 20. Jahrhunderts immer die Aufgabe, den Wienerinnen und Wienern zu sagen, dass sie in der Metropole der vielfach beschworenen Kulturnation Österreich leben.
[ Enzyklopädisches Stichwort ]

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