Cover-Bild Buch der Königstöchter
38,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Stroemfeld
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 700
  • Ersterscheinung: 18.03.2013
  • ISBN: 9783878777526
Klaus Theweleit

Buch der Königstöchter

Das Pocahontas-Projekt / Buch 2: Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen
Am Anfang war die Einwanderung. Am Anfang von was?
Am Anfang von dem, was wir heute 'Europa' nennen.
So ca. 2000 Jahre v. u. Z. (-2000) wandern verstärkt und
in mehreren 'Wellen' Indogermanen von Nordosten
her in die Gebiete ein, die wir heute als 'Griechenland'
kennen. Die hießen nicht immer so. Wie deren vorgriechische
Bewohner sich nannten, wissen wir nicht.
Sie schrieben nicht; sie wurden ausgelöscht; oder den
Einwandernden assimiliert. Alle Namen, die wir heute
haben, sind die der siegreichen Neuankömmlinge; Namen
der Kolonisatoren, der 'Griechen' eben (die auch
noch nicht schrieben als sie eintrafen).
Die 'Griechen' entwickelten dabei eine besondere
Kunst der Erzählung (bzw. des Gesangs); Formen, die
wir heute als 'Mythos' bezeichnen. Erste Funktion dieser
Mythos-Erzählungen war es, die eigenen (Un)Taten
zu verschönern; auf deutsch (bzw. griechisch): die eigenen
Taten der Landnahme als Taten von Göttern und
Titanen zu besingen – ein Dreh, aus dem Worte wie
'Genie' und 'genial' sich gebären ließen. Der historisch-
alte Grieche fühlt sich als göttlich (so wie heute
jeder durchschnittliche Amerikaner). (Und jeder durchschnittliche
eurasiatische I-pod-Besitzer wahrscheinlich
auch. I-pod = I-god).
Zur Landname braucht man Medien (nicht nur das
Pferd, auf dem Mann reitet). Das Medium, das 'die
Griechen' wählen, ist der Körper von Königstöchtern;
Töchtern der einheimischen Lokalherrscher, die von
den Göttern der Griechen (insbesondere Zeus, Poseidon,
Apoll) beschlafen (= vergewaltigt) werden.
Die kolchische Königstochter Medea, die Ostfrau vom
Ende des Schwarzen Meers, mytho-historisch etwa anzusetzen
um -1400, die dem seefahrenden Griechen
Jason (= Götterabkömmling), in den sie sich 'verliebt',
das Goldene Vließ ausliefert, ist schon eine Spätfigur dieses
Prozesses.Die Schrift-Heroen Hesiod und Homer stehen nicht
– wie heutige Medienlegende will – am Anfang einer
neuen Großkultur (der unseren); sie bilden zunächst
einmal einen Endpunkt: sie schreiben auf (mit der
neuen Medientechnologie des griechischen Vokalalphabets),
was in den 1000 Jahren, die hinter ihnen liegen,
griechische Einwanderer sich ausgedacht, erzählt
bzw. gesungen haben: bis hin zu ihnen nur mündlich
kolportierte, weitergegebene und variierte Geschichten
von Göttern, die Menschenfrauen beschlafen, Königstöchter,
welche ihnen Kinder zu gebären haben: die sog.
Heroen; Perseus, Theseus, Herakles usw.; letzterer z. B.
ist der Sohn, den Gottvater Zeus in die Königstochter
Alkmene pflanzt in der berühmten thebanischen Nacht,
in der es den Ehemann Amphitryon in zweifacher Ausfertigung
gibt. So wie Zeus (als Schwan) die schöne
Helena in die Königstochter Leda pflanzt, aus deren
Schönheit dann der Trojanische Krieg erwächst (wo durch
den Fall Troias das nördliche heutige Kleinasien unter
griechisch kolonisiertes Gelände fällt).
All dies ist Stoff der singenden Griechen spätestens
seit der sog. Palastkultur; Kultur von Mykene (ab etwa
-1600). Buch der Königstöchter zeichnet den Weg der griechischen
Landnahme über die Körper von ca. 30 geschwängerten
Königstöchtern nach, deren Vaterkönige
(infolge dieser 'Schwängerungen ohne Ehemann') ihre
Töchter großenteils verstoßen und (infolge der sich
anschließenden 'mythologischen' Auseinandersetzungen)
ihr Land – an die einwandernden Griechen – verlieren.
Eben so, wie der 'Indianer-König' Powhatan in Virginia,
Nordamerika, sein Land an die englischen Einwanderer
verliert, nachdem seine Tochter Pocahontas (mythologisch
exakt nach Medea-Modell die Retterin des
Kolonisten John Smith) in die Hände der englischen
Götter geraten war; so wie der reale Prozeß bei norma
ler Einwanderung und Landnahme eben verläuft: die
einheimischen Männer werden erschlagen, die Frauen
vergewaltigt. Manchmal entsteht eine neue Mischbevölkerung
wie in Mexiko: die Chicanas/Chicanos, la
raza; (positiv konnotiert); eingeleitet über die mythohistorische
Kazikentochter La Malinche, der es gelingt, an
der Seite des Conquistadors Cortés eine feurige Kämpferin
für die Sache der Spanier (und Christin) zu werden;
die Sache der Götter, nachdem ihre eigene Kultur sie
zur Sklavin degradiert hatte.
Am Anfang war die Einwanderung: auch von dem, was
heute 'Amerika' heißt. Da muß die Landnahme nicht
erst entschlüsselt werden. Sie liegt auf der Hand bzw.
in amerikanischer Erde in Form gebleichter Knochen
sog. Indianer bzw. auf dem Grund des Atlantischen
Ozeans als breite Straße afrikanischer Knochen – wie
Amiri Baraka schreibt – (und zwar in Gedichtform
schreibt, als poetisch-historischer Tiefseetaucher, dem
– mit allem Jazz der Welt im Ohr, mit aller black music,
das aufgebrezelte Geschwätz von 'kein Gedicht mehr
nach Auschwitz' so egal ist, wie der jüdische Anspruch
auf das Recht der historisch beispiellosen Vernichtung
in der Shoah durch die deutschen Nazis). 'Shoah' ist
ein Permanentfaktum wenn nicht der 'Menschheitskultur
', dann zumindest der Geschichte der eurasiatischen
Populationen, der glorreichen Ackerbauern- und
Siedlergeschichte.
Ich wäre nicht unbedingt so stolz wie die heutige Türkei
es ist auf ihre Erstkultivierung der Äcker und Seßhaftwerdung
umherziehender Sammler und Jäger im
sog. Fruchtbaren Halbmond ca 10.000 Jahre v. u. Z.: auf die
Erfindung der Wiege also des Kriegs als Zivilisierungsmittel;
die Erfindung von Mord und Totschlag; die Erfindung
des Leichenhaufens als permanenter Einrichtung
vorm Palast des Herrschers. Eine Erfindung, in der
es den 'Gegensatz' von Orient und Okzident übrigens
nicht gibt; ca. 9000 Jahre lang nicht gibt, bis einwandernde
Indogermanen aus Zentralasien, sich selbst so
nennende 'Griechen' mit ihrem Gewaltherrscher Zeus
auf dem Panier (dem ersten weltbekannten Groß-Arier),
diesen Graben zu graben und dann zu zementieren beginnen
(mit Eisenwaffen, Schiffbau, schicken Säulentempeln
und phonetischer Alphabetschrift.*).
Differenzierungen: Medea – die sich in den Kolonisator
'verliebt' – gibt es (schon in der antiken Literatur) – in
vielen Wendungen. Nicht immer ist sie die, als die sie
heute (eher moritatenmäßig) den Stadttheatern geläufig
ist: die Mutter mit dem Messer. Beim Autor des 'Argonautenepos
' Apollonius v. Rhodos (um -250) gelangt
sie heil als Ehefrau des griechischen Vließräubers Jason
in dessen Heimatstadt Iolkos in Thessalien; und das
Epos endet, bevor sie überhaupt ihr erstes Kind gebiert.
Solche Wendungen der Geschichten haben immer ihren
politischen Hintergrund im jeweiligen Herrschaftsgebilde,
in welchem die Autoren schreiben, sowie in ihrer
eigenen Interessenlage (und ihren poetischen Qualitäten
selbstverständlich). Medea bei Euripides in Athen
ist eine andere als bei Apollonius im hellenistischen
Alexandrien, bei Ovid im augusteischen Rom oder bei
Seneca unter Nero.Besonders kraß ist das zu studieren am Fall der mythohistorischen
phönizischen Königstochter Dido,
später Königin von Karthago. In ihrer Figur (in der literarischen
Denunziation ihrer Figur) handelt der römische
Hofschriftsteller Vergil sowohl die militärische
Vernichtung der Stadt Karthago (-141) als gerechtfertigt
ab; wie auch den gerade eben vom Römer Octavian erzwungenen
Selbstmord der nordafrikanischen Königin
Kleopatra nach ihrem fehlgeschlagenen Versuch,
westliche und östliche Gebiete des römischen Herrschaftsbereichs
in einer einzigen neuen Dynastie zu
vereinigen: fehlgeschlagen zunächst mit Gaius Julius
Cäsar und dann mit dem Feldherrn Marcus Antonius.
Der erste wird ermordet (sein Sohn mit Kleopatra namens
Kaisar war als Thronfolger vorgesehen), der zweite
wird besiegt vom späteren Augustus. Vergil besingt den
Sieger Augustus in seiner Aeneis, macht böse Hexen aus
Dido/Kleopatra und verschafft Rom eine neue historische
Genealogie (= geboren aus den Aschen des nur
durch griechischen Betrug besiegten Troja).
Auf diese Weise sind 'mythische' und politische 'Realgeschichte
' unentwegt miteinander verzahnt. Buch der
Königstöchter folgt der Spur der kolonisierenden Landnahme
von den Körpern der frühen gottgeschwängerten
prä-griechischen Königstöchter – die in den Bildern
der großen Renaissancemaler und der späteren europäischen
Malerei nicht ohne Grund eine furiose Auferstehung
erleben – über die Asiatin Medea, die phönizisch/
karthagische Dido, zur mexikanischen Malinche, zur
nordamerikanischen Pocahontas (und einigen weiteren)
bis hin zu James Camerons 3D-Film Avatar (2009).
Auch Cameron (Landnehmer im Bereich digitaler
Film erfindungen) erobert sein technologisches Neuland
und entfaltet seine 'Utopie' einer neuen WeltallÖkologie
über den Körper einer (halb göttlichen, halb
animalischen, computeranimierten) Häuptlingstochter,
Pocahontas 2010.

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