Das höchste Böse ist das höchste Gute
Dieses Buch ist eine Zumutung! Ich halte mit diesem Verdikt nicht hinterm Berg. Aber ist es deswegen ein schlechtes Buch? Auch wenn „schlecht“ das Gegenteil von „gut“ ist, so kann man zwar mit Fug und ...
Dieses Buch ist eine Zumutung! Ich halte mit diesem Verdikt nicht hinterm Berg. Aber ist es deswegen ein schlechtes Buch? Auch wenn „schlecht“ das Gegenteil von „gut“ ist, so kann man zwar mit Fug und Recht behaupten, das es sich hier in jedem Fall um kein „gutes Buch“ handelt, doch gerade deshalb ist es alles andere als schlecht. Es ist sogar, eben weil es keinen Anspruch als ein „gutes Buch“ im literaturästhetischen Sinne zu gelten, erkennen lässt, ein sehr wichtiges, ein empfehlenswertes, ein Augen öffnendes, ein verstörendes, zum Nachdenken provozierendes und damit ein wirklich sehr gutes Buch, dessen Entdeckung ich hiermit jedermann ans Herz lege.
Dieses Werk kann nicht einmal wirklich Literatur genannt werden, diese Bezeichnung ist Camouflage. Es ist eher eine sich notdürftig als Literatur tarnende Proklamationsschrift, die Proklamation einer dystopischen Anti-Gesellschaft, die auf den Trümmern unseres sich immer mehr zersetzenden Gemeinwesens notwendigerweise als einzig denkbare Alternative zur Rettung unserer Art, unserer Kultur, unseres Seins an sich, errichtet werden muss.
Ja, die Haltung, die Weltanschauung, wenn man so will, die dieses Werk durchzieht ist zutiefst antihumanistisch, im abstoßendsten Sinne elitär, die geschilderten Handlungsmomente oftmals ekelhaft und widerwärtig, auf das Übelste zugespitzt, so dass es einem beim Lesen oftmals die Kehle zuschnürt. Und dennoch keimt im Leser der Verdacht auf, dass es anders nicht gehen wird. Der Schrecken über diesen Anflug an Erkenntnis, dass das Gegenteil eines bislang selbstverständlichen Humanismus die Rettung sein soll, verstört zutiefst. Aber da die Erzählung, von den beobachtbaren gesellschaftlichen Verwerfungen unserer Zeit ausgehend, eine fiktionale Beschreibung eines sich möglicherweise ergebenden apokalyptischen Zukunftszenarios bietet, kann sie auch als Warnung verstanden werden. Noch liegt es in unseren Händen, eine Entwicklung wie die geschilderte zu verhindern!
Lanz Martell, der Meister des Tempels ist omnipräsent, er ist der Autor, der sich selbst beschreibt, sein Auftreten im Geschilderten ist konstitutiv für den Handlungsprozess Und er ist die Leitschnur, an der sich der Leser durch das Erzähllabyrint hangelt, einerseits Lichtgestalt, andererseits Projektionsfläche des im Leseprozess immer wieder aufbrechenden Hasses.
Ausgangspunkt ist unsere heutige Zeit, unser bislang erreichter gesellschaftlicher Tiefpunkt von dem aus sich die halluzinierte Vision einer völligen Entartung in naher Zukunft speist. Wer auf die Wirklichkeit unserer Länder schaut, weiß, woher die Panikattacken des Lanz Martell rühren. Wer mit dem (Ne)Hammer in einer von Tag zu Tag mehr und mehr Freiheit aufgebenden, sich diktatorisch einfärbenden Gesellschaft zu philosophieren gezwungen wird, der ist nicht mehr weit von der Epoche der Bestien entfernt. (Und seh’ ich nach Deutschland, nicht nur in der Nacht, dann bin ich wahrhaftig um den Schlaf gebracht.) Und so irrt man im geistigen Trümmerfeld auf der Suche nach Erlösung und bedient sich, wie Lanz es tut, mit vollen Händen in der Rumpelkammer völkischer Esoterik, erschafft sich aus Symbolen, die der normalen Logik unzugänglich bleiben, eine Grenzwelt des ariophilen Rassismus, die zugleich faustisch und unfaustisch daherzukommen scheint, um sich in dieser apokalyptischen Gegenzivilisation nicht nur ans nackte Überleben zu klammern, sondern in einem quasi dionysischen Akt die Rettung der Menschheitselite sicherzustellen. Nietzsche raunt unüberhörbar in jedem Kapitel mit: Das höchste Böse ist das höchste Gute – Mysteria Mystica Maxima.
Ich habe mehrere Bahnfahrten gebraucht, um diese literarische Zumutung zu verdauen. Und im Gegensatz zu meinen Gewohnheiten habe ich dieses Buch behalten, egoistisch darauf bedacht, diese Straßenkarte zu einem Leben nach unserem Leben nicht aus der Hand zu geben. Deshalb: Kauft dieses Buch und versucht es zu lesen. Aber schnallt euch vorher an!!