Anna Karenina ist neben Effi Briest und Madame Bovary die wohl berühmteste Ehebrecherin der Weltliteratur. Glücklos mit einem hohen Beamten verheiratet, verfällt die bezaubernde, kluge und sanftmütige Anna dem jungen Offizier Graf Wronski in unwiderstehlicher Liebe. Eine leidenschaftliche Affäre, die sie weder vor ihrem Mann noch vor der Gesellschaft verheimlicht, nimmt ihren Lauf. Anna Karenina ist bereit, dieser Liebe alles zu opfern … (Klappentext)
-------------------------------------------------------------
Es ist schwierig eine Rezension zu verfassen, die diesem Klassiker gerecht wird, aber ich werde es nach bestem Wissen und Gewissen versuchen.
Dieser Roman verläuft in zwei Handlungssträngen, die nebeneinander herlaufen, aber auch gekonnt miteinander verflochten werden.
Der erste erzählt von Anna, die sich in der oberen Gesellschaftsschicht bewegt, glücklich verheiratet ist und ein ruhiges, besonnenes Leben führt und ein einnehmendes Wesen hat..bis, ja bis sie auf den Offizier Graf Wronski trifft, sich unsterblich in ihn verliebt und die Dinge ihren Lauf nehmen.
Diese Handlung beinhaltet Betrug, Eifersucht, Drama und Depression, welche von Tolstoi in psychologischer Feinstarbeit beschrieben und aufgezeigt wird. Hier erhält der Leser vor allem Einblicke in die damalige russische Oberschicht.
Der zweite Handlungsstrang erzählt von Lewin. Hierbei kommt zwar auch die Liebe vor, dieser ist aber meiner Meinung nach viel tiefsinniger als der von Anna und steht auch im vollkommenen Kontrast zu ihrer Tragödie.
Lewin verabscheut die städtische Hektik mitsamt seiner Gesellschaft, deren Intrigen und Korruption und er zeigt dies auch offen. Ein kleiner Revoluzzer sozusagen. Er ist ein sehr nachdenklicher Mensch, der lieber auf seinem Gut auf dem Land lebt und das unverdorbene, unkomplizierte und einfache Leben bei seinen Bauern liebt.
Hier erhält der Leser Einblicke in das Leben der Bauern und deren Ansichten. Russland befindet sich da gerade im Umbruch, da zur damaligen Zeit gerade die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben wurde.
Dies sind die beiden Hauptcharaktäre, welche auch die größte Wandlung durchmachen. Nebenbei gibt es auch viele, ja seehr viele Nebencharaktere (die russischen Namen kamen mir nicht nur einmal durcheinander), deren Persönlichkeit Tolstoi gekonnt herausgearbeitet hat und an den Leser bringt. Man begegnet dem kühlen Politiker und Geschäftsmann, einigen Lebemännern vom Feinsten, einer davon betrügt seine Frau im großen Stil, ihr das weder verheimlicht noch ein schlechtes Gewissen hat, Philosophen, etc.
Trotzdem ist bei Tolstoi niemand nur gut oder böse, nichts ist nur schwarz oder weiß. Er schafft es, dass sich der Leser in jeden dieser Personen hineinversetzen kann und auch ein gewisses Verständnis für denjenigen aufbringt.
In diesem Roman wird die politische und philosophische Thematik direkt angesprochen, Dinge die damals die großen, wie kleinen Leute beschäftigt haben (und auch heute noch tun) - der Sinn des Lebens, Liberalismus, Kapitalismus, Religion, soziale Ungerechtigkeit,...
Vor allem im Handlungsstrang Lewins werden diese Themen aufgegriffen. Daher ziehen sich manche Stellen in diesem Bereich etwas. Wenn man sich da jedoch durchbeißt, erhält man als Leser interessante Einblicke in das Leben der damaligen russischen Verhältnisse und auch in die Gedankenwelt Tolstois, der in Lewin viel biographisches einfließen ließ.
Er selbst verachtete soziale Ungerechtigkeit, war von der Gleichheit der Menschen überzeugt, egal welcher Gesellschaft sie angehörten. Wenn man Lewin kennenlernt, lernt man auch Tolsoi kennen, der für die damalige Zeit ein bereits sehr modernes Denken an den Tag legte.
Fazit:
Auch wenn dieser Roman einige Längen aufweist, möchte ich diese nicht missen. Manchmal denke ich mir, ohne Ausschweifungen und Längen, ohne philosophischer und politischer Gedankengänge, ist ein Klassiker kein Klassiker.
Und Tolstoi schafft es trotzdem mich zu fesseln. Er zeichnet die Persönlichkeiten seiner Charaktere wie kein anderer, die Landschaftsbeschreibungen sind überwältigend und die Einblicke in das russische 19. Jahrhundert interessant und informativ.
Ich kann mich hier den Worten Thomas Mann's nur anschließen, der "Anna Karenina" als den größten Gesellschaftsroman der Weltliteratur bezeichnete.
Dies ist ein anspruchsvoller Klassiker, der wie kein anderer aufzeigt, dass jeder Mensch auf der Suche nach etwas Höherem, nach dem Sinn des Lebens und der Liebe ist - damals wie heute.
Es lohnt sich auf jeden Fall sich die Zeit und Muse zu nehmen, sich über diesen Wälzer zu trauen.