Sprachlosigkeit trotz - oder angesichts - der Sehnsucht nach Liebe
Lot Vekemans hat bislang Dramen geschrieben, „Ein Brautkleid aus Warschau“ ist ihr Prosadebüt – der Roman ist angenehm einfach zu lesen, es gibt keine Kapriolen in Sprache oder Erzählstil, auch die Handlung ...
Lot Vekemans hat bislang Dramen geschrieben, „Ein Brautkleid aus Warschau“ ist ihr Prosadebüt – der Roman ist angenehm einfach zu lesen, es gibt keine Kapriolen in Sprache oder Erzählstil, auch die Handlung kann der Leser leicht nachvollziehen - ein wohltuend unprätentiöser Stil.
Die Geschichte ist in der Ich-Perspektive geschrieben, in drei Kapiteln – jedes Kapitel aus der Sicht eines anderen der Protagonisten:
das erste Kapitel gehört der Stimme der jungen Polin Marlena, die von ihrer ersten großen Liebe schwanger wird, vom jüdischen US-Amerikaner Natan. Dieser ist zu Besuch in Polen auf der Suche nach Spuren seiner Vorfahren und Gast im Hause von Szymon, einem Cousin seines Vaters, als er und Marlena einander zufällig begegnen. Sie treffen sich fortan heimlich in Warschau. „Für den Bruchteil einer Sekunde erwog ich, umzukehren. Die Treppe hinunter zum Bahnsteig, zurück in den Zug, zurück nach Hause, zurück zu allem, was ich schon seit Jahren verlassen wollte (S. 13)“.
Als Vorwand gegenüber ihrer Mutter dient Marlena die titelgebende Suche nach einem Brautkleid aus Warschau für eine Freundin. Natan kehrt kurzfristig in die USA zurück, ohne zu wissen, dass Marlena schwanger von ihm ist.
Marlena kann nicht bei ihrer konservativen Mutter bleiben. „Bei uns im Hause bestimmte meine Mutter alles. …. Ich hatte eine Verfehlung begangen, und sie würde die Verfehlung wiedergutmachen. Nicht meinetwegen, sondern ihretwegen, wegen ihres Anstandes und natürlich wegen ihres hart erarbeiteten Platzes im Jenseits (S. 30)“.
Sie weiß nicht, wie sie Natan erreichen soll und landet stattdessen über eine Heiratsagentur bei einem Ehemann in den Niederlanden: „Ich sah traurige Augen. Augen, die vom Leben betrogen worden waren. Augen, die ich von meinem Vater kannte. Und meinem Großvater. …. Die Augen gehörten Andries.“ S. 41 Ihm gehört das zweite Kapitel.
Marlena erzählt Andries von Natan und dem Baby.
„Wenn Du weg willst, kannst du gehen. Aber wenn du noch da bist, wenn ich wiederkomme, ist das Kind von mir. Von mir und keinem anderen (S. 51)“.
Er liebt Marlenas Sohn Stan als sein eigenes Kind. Das Familienleben ist harmonisch, bis Marlena auf Besuch mit Stan nach Polen fährt. Man erfährt, dass Andries das Leben lebt, das ihm erst von seinem von ihm als grausam empfundenen Vater, dann von seiner älteren Schwester bestimmt wurde. Der letzte Satz des Vaters war „Du schuldest mir noch etwas (S. 94)“, einen Enkel. In Stan erfüllt Andries diese Schuld sowohl als auch widersetzt er sich, wie auch in seinem Verhalten in beiden Ehen.
Und dann gibt es da Szymon, der das dritte Kapitel erzählt – er ist das Bindeglied: Jude, ohne sich als im Glauben verwurzelt zu betrachten, polnischstämmig, in Polen lebend, in den Niederlanden geboren, ein Onkel Natans.
Die Motive der Personen und die ruhige fließende Erzählung sind es, die mich an dieses Buch gefesselt hielten:
Nein, rede doch über deine wahren Beweggründe, sage, was du willst – möchte man fortwährend den Protagonisten zurufen: Vekemans Personen unterlassen – sie handeln nicht. Sie lassen geschehen – sie entscheiden nicht. Sie gehen nicht auf etwas zu, eher treiben sie von etwas weg. Sie lassen andere für sich entscheiden. Bis, ja, bis Andries sich in sein Auto setzt.
Das Buch ist eine Liebesgeschichte, allerdings eine, die in weiten Teilen nicht einmal nach Erfüllung zu suchen scheint. Die Hauptpersonen erwarten das Versagen, das Sich-Etwas-Versagen. Themen sind das Schweigen und die Sprachlosigkeit, das Hinterhertrauern und Suchen nach dem, was man nicht hat, das Verhältnis zur Heimat, Entscheidungen und ihre Konsequenzen, speziell auch die Entscheidungen von anderen über das eigene Leben. Lot Vekemans schafft es, Fragen gleichzeitig offen zu lassen und das Gefühl zu geben, für ihre Personen seien sie gerade hinreichend beantwortet (auch wenn sich der Leser nicht ganz sicher ist, wie). Sie wirkt versöhnend und beruhigend trotz eines durchgehend melancholischen Tons. Ich habe den Roman in einem Abend geradezu verschlungen, fühlte mich zwischendurch traurig ob der Situationen, in denen die Protagonisten trotz meines Kopfschüttelns landeten, beendete ihn verwundert versöhnt, aber mit dem seltsamen Gefühl, mich zu fragen, was da gerade passiert sei, wo denn das Buch hin sei. Ja, ich möchte unbedingt bald wissen, was denn Lot Vekemans da an weiterem zu liefern in der Lage sein wird.