Es ist schon eine Weile her, dass ich Fantasy gelesen habe, und dieses Buch ist für mich das erste aus dem Sub-Genre Urban Fantasy. Es hat die Messlatte für alle weiteren Bücher dieses Genres definitiv hoch gehängt, denn ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt. Auch die Übersetzung ist gelungen, zu keinem Zeitpunkt stolpert man über ungewöhnliche Sätze oder ungelenke Formulierungen.
Wie so viele Bücher unserer heutigen Zeit ist auch dieses in der Ich-Perspektive geschrieben, doch im Gegensatz zu vielen anderen Autoren gelingt es Forbes, den Leser mit diesem Stil vom ersten Moment an zu fesseln. Wir sehen die Welt durch die Augen von Conor Night, und wir erleben von Anfang an mit, dass Conor ein zynischer, aber nicht vollkommen des Lebens müder Mensch ist. Er will seine Familie ernähren, auch wenn er nicht bei ihr sein kann, und dafür nimmt er den furchtbaren Zustand seines Körpers gerne in Kauf. An Conors Seite steht Danelle, die wie er als Söldnerin für Geld so ziemlich alles tut. Sie ist der kluge Kopf des Duos, sie hat ihm alles beigebracht. Wir erleben sie nur aus der Sicht von Conor und so sind einige Details, die wir später erfahren, durchaus überraschend.
Die Welt, in der die beiden leben, ist finster. Obwohl es nur wenige Jahrzehnte in der Zukunft spielt, muss man sich doch immer wieder in Erinnerung rufen, dass alles auf der Erde ist wie gehabt - mal abgesehen von den mutierten Menschen und der Magie. Die Regierungen und Nationalstaaten bestehen fort, es gibt Internet und Fernsehen und Autobahnen und Flughäfen. Zwischen all dem Zauber, der veranstaltet wird, und all den Gestalten aus Sagen und Legenden wirken so kleine, beinahe nachlässig eingestreute Hinweise auf Normalität skurril. Und genau das ist die Stärke dieses Buches: Die Art, wie alles, was sich seit der "Umkehrung" geändert hat, beschrieben wird, ist so authentisch und plastisch, dass der Leser gar nicht auf die Idee kommt, es in Frage zu stellen. Das Andere ist normal und akzeptiert, das Normale wirkt fremd und lässt einen aufhorchen.
Der Fantasy-Roman streift auch immer wieder Fragen von Rassismus und der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Angesicht neuer Bedrohungen. Den Rassismus erleben wir regelmäßig und sehr ausdrucksstark in der Figur von Amos, der mir aber trotzdem am Ende ans Herz gewachsen ist. Es ist interessant zu sehen, wie die Regierungen (oder zumindest jene der Vereinigten Staaten) ohne zu zögern bewachte Lager einrichten, um dort jene mutierte Menschen, die durch Aggression geprägt und kaum zu kontrollieren sind, so genannte Wilde, einzusperren. Es sagt viel über das gesellschaftliche Klima der Welt aus, dass das allgemein akzeptiert wird. Doch obwohl sich der Roman Mühe gibt, auch diese politischen Aspekte der "Umkehrung" zu beschreiben, liegt seine Stärke woanders.
Was mich vom ersten Moment an die Geschichte gefesselt hat, waren die Würfel. Vielleicht liegt es daran, dass ich Rollenspielerin mit Leib und Seele bin, aber die Magie der Würfel ist faszinierend. Sie haben ein Eigenleben und sie müssen überredet werden, um zu wirken. Ihre Magie ist vielschichtig, tödlich und brutal. Nekromantie ist in dieser von Magie durchwirkten Welt verachtet, weil sie weniger elegant ist als die auf bspw. dem Wasserelement basierende Magie, aber wen kümmert elegant? Nekromantie ist cool. Und Conor ist cool. Er ist der Typ, der eine Explosion verursacht, aber nicht abwartet, um sie anzuschauen, sondern einfach davongeht, wohl wissend, dass sein Werk getan ist. Er kennt die Würfel und er weiß ohne hinzuschauen, was sie gewürfelt haben, wenn er die Effekte sieht. Als er später ein mächtigeres Artefakt erhält, dass ebenfalls einen hohen Preis für den Einsatz fordert, zögert er nur kurz. Er ist abgebrüht genug, um sich wenig um sein eigenes Leben zu kümmern.
Nur manchmal wackelt der Plot und zwar immer dann, wenn der Autor aus den Stärken der Ich-Perspektive ausbricht und uns eine ex-machina Entwicklung präsentiert, die nicht funktionieren kann. Manchmal tut Conor Dinge oder weiß Dinge, die aus dem Nichts kommen und wo es unlogisch ist, dass der Leser nicht eingeweiht war. Da gibt es bspw. eine Kampfszene, in der wir Conor bei der Planung beobachten, seine Gedanken zu allem mitbekommen - und plötzlich hat er einen Trumpf in der Hand, an den er die ganze Zeit während der Planung nicht gedacht hat. Die Szene gerät dadurch ins Wanken und verliert ihre Kraft, da die Präsentation leidet. Manche Dinge kann man mit der Ich-Perspektive einfach nicht tun, und solche Twists, die auf das Genie des Protagonisten zurückzuführen sind, gehören dazu.
Am Ende erhalten wir eine ordentliche, wenn auch unerwartete Aufklärung für die Geschehnisse des Romans, während zeitgleich klar ist, dass noch mehr folgen muss. Obwohl wir also keinen echten Cliffhanger haben, ist doch gekonnt Neugierde auf die Fortsetzung geweckt, was für den Mut und das Selbstbewusstsein des Autors spricht, nicht auf billige "abreißende Handlung" setzen zu müssen.
Fazit:
Der Roman "Der Nekromant - Totennacht" von M. R. Forbes ist ein gelungener Auftakt zu dieser Urban-Fantasy-Trilogie. Der Protagonist Conor Night ist ebenso cool wie liebenswert und die Welt, die ihn umgibt, ist meisterhaft aufgebaut. Der Autor schafft es auf herausragende Weise, bekannte Elemente des Fantasy auf neue Weise zusammenzumischen und so eine dunkle, spannende Welt zu kreieren, in der Nekromantie einfach das Coolste ist, was die Erde je gesehen hat.