Klassische Geschichte mit neuen Blickwinkeln
Scarlett O’Hara ist wohl eine der kompliziertesten, aber auch stärksten Frauenfiguren in der Literatur. Ihre Geschichte sowie die berühmte Liebesgeschichte mit Rhett Butler, die von Margaret Mitchell geschrieben ...
Scarlett O’Hara ist wohl eine der kompliziertesten, aber auch stärksten Frauenfiguren in der Literatur. Ihre Geschichte sowie die berühmte Liebesgeschichte mit Rhett Butler, die von Margaret Mitchell geschrieben worden ist, wird in dieser Fassung von Amina Eisner aufgegriffen und erweitert. Nun kommen die Sklaven zu Wort, die an Scarletts Seite für die Familie haben arbeiten müssen. So erfahren wir einiges zu ihren Gedanken über die Herrschaften und die Situation des Bürgerkrieges an sich. Zusätzlich gelangen wir zu den Nachfahren der damaligen Sklaven, die mittlerweile in Berlin leben und sich auch heute noch Anfeindungen, Diskriminierungen und Unrecht gefallen lassen müssen.
Dieses Hörbuch ist eine sehr spannende und kurzweilige Fassung geworden. Anfangs war ich sehr gespannt auf die Umsetzung. Außerdem hatte ich Angst, dass sprachlich mehr von der Neuauflage des Romans verwendet wird, da auch dieser Titel „Vom Wind verweht“ heißt und nicht „Vom Winde verweht“ und diese Neuübersetzung einfach ein riesengroßer Quatsch ist (oder verwenden Sie mittlerweile auch den Begriff „Darky“ für eine farbige Person?). Ich halte nichts davon, einen Klassiker umzudichten, weil heute nicht mehr sein darf, was mal war, anstatt sich lieber kritisch mit den Themen im Heute auseinander zu setzen und Lehren daraus zu ziehen. Romane spiegeln eben eine Art Zeitgeist in ihrer Entstehungszeit wider, berichten davon und es ist mittlerweile ein Unding, dass heute alles moralisiert werden muss, deshalb diesbezüglich anfangs eine große Skepsis meinerseits.
Die Geschichte der Scarlett wird allerdings beinahe wie gewohnt erzählt, die Sprache ist ein Stück weit moderner. Die Handlung orientiert sich in den gröbsten Punkten am Film, einige Kleinigkeiten kommen mehr nach dem Buch. Sogar die Sprechtexte sind teilweise fast wie aus der deutschen Synchronisation und da ich den Film auch schon gefühlt 100x gesehen habe, habe ich bereits in Gedanken schon den Text im Kopf vervollständigt. Die Rollen der jeweiligen Figuren werden von verschiedenen Sprechern gesprochen, sodass man sie erstens sehr gut zuordnen kann und zweitens beinahe ein Hörerlebnis entsteht, als ob das Werk vertont worden ist. Die musikalische Umrahmung durch wiederkehrende Jingles, die die Kapitel voneinander trennen und auch Martin Luther King mit Teilen seiner Rede „I have a dream“, der eine jeweils neue Folge einleitet, sind meiner Meinung nach äußerst gelungen. Ursprünglich war das Hörbuch ein Podcast von mehreren Folgen, die aufeinander aufgebaut haben, deshalb immer wieder die Einleitung (worüber ich mich zuerst gewundert habe).
Wie bereits erwähnt, Scarletts Geschichte kennt man eigentlich zur Genüge. Interessant ist nun, was die Sklaven von ihr denken oder von gewissen Situationen und Verhaltensweisen hielten. Ich hatte mir beinahe noch mehr Eindrücke von ihnen versprochen bzw. dass sie die Geschichte komplett aus ihrer Sicht sprechen und umrahmen, aber stellenweise kommen sie ein wenig kurz, da ist die klassische Geschichte doch überragend. Dafür sind natürlich die Kapitel in der Neuzeit bei den Erben der ehemaligen Sklaven dazu gekommen und ihre Geschichte gänzlich neu, aber genauso interessant, mit welchen Dingen sie sich auseinandersetzen müssen. Hier wurden zudem aktuelle Vorfälle (Black Lives Matter) eingearbeitet. Letztendlich zeigen sie uns zum Schluss, dass sich grundsätzlich in den Jahren/Jahrzehnten seit dem Bürgerkrieg nicht viel geändert hat und farbige Menschen heute noch immer für ihre Rechte und gegen Rassismus kämpfen müssen.
Mein Fazit: Ein großes Epos mit einer schillernden Frauenfigur wurde hier neu vertont und mit einer anderen Sichtweise hinterlegt. Die Kombination von alter und neuer Geschichte und Erlebnissen hat mir hervorragend gefallen und ich bin durch das Hörbuch innerhalb von wenigen Tagen „durchgeflogen“. Es hat mir einerseits viel Freude bereitet, wieder die Geschichte von Scarlett und Rhett zu hören, andererseits fand ich den Ansatzpunkt eine andere Perspektive mit ins Spiel zu bringen, sehr gut. Ich kann das Hörbuch daher nur weiterempfehlen.