Eine beeindruckende Reise
Marlene Knobloch ist verunsichert nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der Eskalation des Krieges mitten in Europa - wie so viele ihrer Generation der 30-Jährigen Millennials, zu der auch ich ...
Marlene Knobloch ist verunsichert nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der Eskalation des Krieges mitten in Europa - wie so viele ihrer Generation der 30-Jährigen Millennials, zu der auch ich gehöre. Da die Autorin und ich demselben Jahrgang entstammen, musste ich ihren Essay "Serious Shit" unbedingt lesen.
Anfangs habe ich mich schwer getan mit dem Bild, das Knobloch von uns zeichnete: Eine undankbare, lethargische und pessimistische Altersgruppe, womit ich mich überhaupt nicht identifizieren konnte.
Doch das war nur der Anfang von Knoblochs beeindruckender Reise, auf der sie gründlich recherchiert und sich mit vielen Sichtweisen auseinandergesetzt hat. Daher haben mich die folgenden Kapitel umso mehr gefesselt.
An verschiedenen Beispielen zeigt die Autorin, dass unsere friedensverwöhnte Generation, die dankbarer Weise keinen Krieg erleben musste, es sich zu bequem in unserer Demokratie gemacht hat. Wir konnten uns zu hoch individualisierten "Selbstunternehmern" entwickeln, deren Fragen sich eher um den nächsten Workation-Trip oder die 4-Tage-Arbeitswoche drehen.
Marlene Knobloch stellt die wichtigsten Fragen unserer Generation: Wann haben wir aufgehört, uns füreinander zu interessieren? Warum sind wir nicht mehr fähig, respektvolle Diskurse zuzulassen und warum verlieren wir uns stattdessen in Schwarz-Weiß Denken? Warum verschließen wir uns vor den großen Problemen unserer Gegenwart und Zukunft und fokussieren uns eher auf kleinere Probleme?
In den vergangenen Jahren konnten wir zunehmendes Schwarz-Weiß Denken beobachten. Es werden nur noch die Nachrichten konsumiert, die der eigenen Überzeugung entsprechen und andere Meinungen werden schlicht nicht zugelassen oder sogar respektlos abgewertet, wie jüngst währen der Impfdebatte beobachtet werden konnte. Doch laut Knobloch "ist die Zeit für unüberlegte Radikalität vorbei", denn die bedarf einer stabilen Demokratie, die wir durch unser fehlendes Interesse füreinander verlieren.
Wir dürfen nicht immerzu nur verlangen, dass sich die Politik, die Welt, die Gesellschaft für uns interessiert und wir auf dem Standpunkt bleiben, dass wir nicht Schuld an den Problemen der Welt sind. Denn wir müssen endlich das Denken umkehren und anfangen, uns bewusst auch für die Welt und vor allem füreinander zu interessieren.
Natürlich hat Knobloch keine Lösungen für all diese Probleme und ich teile nicht alle ihre Meinungen, doch mit ihrem Essay ist ihr ein wichtiger Aufruf für ein größeres Bewusstsein unserer Möglichkeiten auf die Welt zu reagieren gelungen, das mich beindruckt hat.