"Der Kampf ums Überleben dauert ein Leben lang, sterben jedoch kannst du in einem Moment."
Ich bin gerade sehr ernüchtert - bis kurz vor Ende war das ein 5-Sterne-Buch, aber zum Anfang:
"Sie dachte an den Mythos dieser Grenze, an all die Geschichten, in denen sie eine Rolle spielte, vor allem ...
Ich bin gerade sehr ernüchtert - bis kurz vor Ende war das ein 5-Sterne-Buch, aber zum Anfang:
"Sie dachte an den Mythos dieser Grenze, an all die Geschichten, in denen sie eine Rolle spielte, vor allem aber dachte sie, dass jede Grenze im Grunde nichts weiter als eine willkürlich gezogene Linie war, die sich Menschen ausgedacht hatten, um andere Menschen auszubeuten und zu unterdrücken..." Teil II, Kapitel 11. Jole wird mit sechzehn Jahren von ihrem Vater Augusto eingeweiht in das "Handwerk" des Tabakschmuggels. Die Familie lebt Ende des 19. Jahrhunderts in einem Bergdorf im Veneto und baut seit Generationen Tabak an. Doch zum Überleben reicht es oft nicht, der Anbau ist schwierig, die Kontrollbehörde unbarmherzig, die Region war schon unter den Österreichern ausgebeutet worden und leidet jetzt unter den Zollgendarmen des italienischen Königs Vittorio Emanuele II. Die Bauern helfen sich selbst, wildern, brennen heimlich Grappa, führen unter der Hand Schlachtungen durch oder schmuggeln eben Tabak. Augusto geht für seine Familie ein besonderes Risiko ein, um mehr Gewinn zu erzielen: er geht über den Monte Pavone, um den Tabak in Österreich zu verkaufen. Der Weg ist gefährlich, nicht nur die Zöllner beider Länder, auch Banditen lauern und tiefe Abgründe.
Autor Matteo Rhigetto beschreibt wunderbar das Leben der armen Bauern in der Region, ihre harte Arbeit, das entbehrungsreiche Leben, aber auch die Liebe innerhalb der Familie De Boer, mit Vater Augusto, geboren 1852, seiner Frau Agnese, den drei Kindern, der ältesten Tochte Jole, dann Antonia und Sergio. Ich habe viel gelernt über die Situation der einfachen Landwirte der Zeit, den Tabakanbau, die Landschaft. Dazu gibt es eine wirklich sehr bildhafte Schilderung des gefährlichen Wegs für den Tabakschmuggel, richtiggehend spannend. In anderen von mir in letzter Zeit gelesenen Italien-Büchern werden die Kinder (und häufig die Ehefrauen) viel geprügelt, alles wirkt liebloser (Ferrante, "Die Madonna der Berge"), da wirkt dieser Roman angenehmer; ob realistisch, vermag ich nicht zu beurteilen. Der starke Moral-Zwang auf Frauen fehlt (oder kommt nicht zum Tragen, weil die Familie fast allein lebt?).
Ich hing also wie gebannt am Text, sah mich auf sichere 5 Punkte hinlesen, dann kam es. Teile der Geschichte wurden zu einer Räuberpistole. Nun, ja, es geht um Schmuggeln und die Gefahren, aber der Teil am Meiler war für mich doch etwas arg aufgesetzt, ewig hingezogen, dazu noch etwas zu viel Zufall. Davon wäre eine "Zutat" ja vielleicht noch durchgegangen, aber in dieser Masse nicht. Und dann der Schluss: "Doch die weiten Wiesen dort oben, die Steine und Löwenzahnblüten würden immer und für alle Zeit die Existenz jedweder Grenze ignorieren.
Und so verhielt sich auch Jole und machte es damit der Natur nach, die sie so sehr liebte. Tief in ihrem Innern hoffte sie darauf, dass sich irgendwann niemand mehr ausgeschlossen fühlen müsste. Weder in den Bergen noch sonstwo in der Welt."
Ernsthaft? Ja, die Schmuggler überqueren die Grenze. Die Macht über ihre Region können sie nur als willkürlich empfinden. Dieses Grenzthema, das kommt einige Male, wie "Sie dachte an den Mythos dieser Grenze, an all die Geschichten, in denen sie eine Rolle spielte, vor allem aber dachte sie, dass jede Grenze im Grunde nichts weiter als eine willkürlich gezogene Linie war, die sich Menschen ausgedacht hatten, um andere Menschen auszubeuten und zu unterdrücken..." Teil II, 11
Die Ausbeutung gab es auch in Italien weg von der Grenze zu Österreich - wie auch überhaupt außerhalb von Italien, und oft völlig unabhängig von Grenzen. Ja, die Grenze zwischen Arm und Reich wird ebenfalls erwähnt, aber mir wäre es lieber gewesen, wenn der Autor diese Erkenntnis seinen Lesern zugetraut hätte, dass der bittere Hunger und die Armut durch die staatliche Willkür eine Schande sind, den Gedanken hatte ich so bereits ohne das Winken mit dem ganzen Zaun. Außerdem kann man das auch so lesen, dass da ein Vater seine Tochter bewusst in Gefahr bringt, statt wie viele andere der Region den Rücken zu kehren, beispielsweise. Auch wird sich durch die Gaunereien sicherlich nichts ändern, aber das am Rande. Das ist wirklich zuerst so toll und driftet dann mit dieser Holzhammer-Methode ab.
Schade. 3 Sterne.