Cover-Bild Massen, Mentalitäten, Männlichkeit
Band der Reihe "Enzyklopädie des Wiener Wissens"
18,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Bibliothek der Provinz
  • Themenbereich: Gesellschaft und Sozialwissenschaften - Soziologie und Anthropologie
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 164
  • Ersterscheinung: 11.05.2004
  • ISBN: 9783902416032
Matthias Marschik

Massen, Mentalitäten, Männlichkeit

Fussballkulturen in Wien
Überall dort, wo der Fußball, so wie in Wien oder – viel später – auch in Österreich, eine populare Massenkultur darstellt, kulminieren in diesem Sport paradigmatisch die sozialen und gesellschaftlichen Zustände dieses Territoriums.

Importiert als Schulspiel zur Ertüchtigung der männlichen Jugend in den 1880er Jahren, wurde der Fußball um 1890 von in Wien tätigen Engländern aufgegriffen. Im Spannungsfeld zwischen bürgerlich-ökonomischem und sozialdemokratisch-politischem Fußball entstand ein weites Feld eines genuinen Arbeiterfußballs, der fast die ganze männliche Wiener Bevölkerung in seinen Bann zog und dabei als Popularkultur im Dreieck Wien-Prag-Budapest spezifisch wienerische Eigenschaften entwickelte.
Mit dem Verbot des sozialdemokratischen Sportes im Februar 1934 wurde die bürgerlich-zweckfreie, kapitalistische Variante des Fußballs durchgesetzt. Die Ära des Nationalsozialismus brachte zwar massive Eingriffe in Sportkonzepte und -praxen mit sich, die Massenkultur des Wiener Fußballs tangierte sie aber kaum. In einem Zusammenspiel von resistentem Fußball und instrumentalisierendem Regime blieb dieser Sport ein Wiener Phänomen und wurde zu einer wesentlichen Form des Aufbegehrens gegen die ›Deutschen‹. Auch noch der dritte Endrang bei der WM 1954 war Ergebnis der Wiener Mischung aus letztem Einsatz und ballverliebtem Scheiberlspiel.
Erst Ende der 1950er Jahre begannen veränderte Rahmenbedingungen die Wiener Fußballpraxen im Sinne einer »Verösterreicherung« zu beenden. Dieser Prozess wurde bald darauf durch eine »Europäisierung« weitergeführt, die den Wiener Fußball in die zweite Reihe zurückstufte. Mit einer kurzen Unterbrechung an der Wende von den 1970er zu den 1980er Jahren musste sich der Wiener Fußball seitdem mit einem Schattendasein und einer meist nur mehr lokalen Präsenz bescheiden.
Doch trotz mäßiger Leistungen, massiven Zuschauerrückgängen und der Einbettung in europäische bzw. globale Strukturen, die ihm nur mehr Chancen des Reagierens auf internationale Entwicklungen offen lassen, ist der Wiener Fußball nicht untergegangen: Finden wir seine konkreten Manifestationen nur mehr im lokalen Fußball und im Stadthallenturnier, lebt er ideell in den Mythen und Geschichten rund um den Fußball weiter und diese Traditionen und Mythen haben in der enormen alltagskulturellen Bedeutung des Wiener Fußballs ebenso ihren Niederschlag gefunden, wie sie (bislang) dem Phänomen Frank Stronach Paroli boten: »Seine« Austria ist noch immer die launische Diva wie ehedem und die kampfbereite Rapid ist ihr eherner Widerpart.
[Enzyklopädisches Stichwort]

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