Dystopie eines intelligenten Autors
Die Welt der Literatur hat aktuell einige Vertreter des Genres »Dystopie« auf Lager, die zum Teil sehr intensive und nachvollziehbare Diskussionsgrundlagen der weiteren Gesellschaftsentwicklung bieten ...
Die Welt der Literatur hat aktuell einige Vertreter des Genres »Dystopie« auf Lager, die zum Teil sehr intensive und nachvollziehbare Diskussionsgrundlagen der weiteren Gesellschaftsentwicklung bieten und damit auch das eine oder andere aktuelle Problem anzuprangern vermögen. Gerade im populären Jugend- und Science-Fiction-Bereich haben sich Geschichten gefunden, die in ihren Verfilmungen wahre Blockbusterformate annahmen – man bedenke zum Beispiel nur die »Tribute von Panem« oder »Divergent«. Gespickt mit Special Effects und einer für meinen Geschmack viel zu großen Portion Gewalt hat man es geschafft, ein großes Publikum zu erreichen.
Ich bin geneigt, diese Herangehensweise als »industriell-kommerziellen« Weg zu bezeichnen.
Jedoch haben große Denker und Persönlichkeiten der Literatur auch andere, weniger profitorientierte Wege gefunden, den heutigen Raubbau mit Mensch und Natur anzusprechen, etwa Jostein Gaarders »2084« oder das Aussteigermonument »Into the wild«.
Heute möchte ich aber von einem weiteren, großartigen Werk berichten, das ein Kollege jüngst im Verlag Twentysix veröffentlichte. Michael E. Vieten legte seine Vorstellung einer künftigen Gesellschaft als »Handbuch zur Rettung der Welt« auf – besser gesagt: Er malte sich aus, wie die Welt aussehen könnte, wenn wir weiter Raubbau auf Kosten unserer Zukunft betrieben. Wie die Menschen zu leben gezwungen wären, wenn der zu erwartende Gesamtzusammenbruch tatsächlich stattfindet.
Dabei bewies Herr Vieten ein umfangreiches Wissen über globale wirtschaftliche Zusammenhänge, volkswirtschaftliche Zukunftsmodelle und nicht zuletzt über die menschliche Psyche. Wenn der Leser also in eine Welt eintaucht, deren industrielle Entwicklung verschwunden ist und dabei einen verseuchten Planeten voller ums Überleben kämpfender Menschen hinterließ, dann wird die Entwicklung hierzu in den Erzählungen des älteren Protagonisten Josh durchaus nachvollziehbar vermittelt. Dabei wirkt dieses Buch jedoch nie belehrend, nie mit dem erhobenen Zeigefinger ins Gehirn bohrend, wie bei manch anderem Vertreter dieses Genres. Nein, eher wird man zum Nachdenken angeregt – etwas, was die heutige Menschheit durchaus einmal versuchen könnte und sollte.
Im Verlauf des Buches, insbesondere am Anfang, kommt es zu der einen oder anderen Gewaltszene, die die Verrohung durch das Fehlen einer höheren Ethik bei der neuen Lebensweise zeigen soll; diese Szenen werden aber nicht explizit ausgebaut und keinesfalls werden Grausamkeiten in irgendeiner Form verherrlicht (was bei anderen Vertretern des Genres häufig der Fall ist und bei mir stets dazu führt, das Lesen eines solchen Buches abzubrechen; im vorliegenden Buch konnte ich sie überblättern).
Unterm Strich regt dieses Buch sehr zum Nachdenken an. Der Spannungsbogen ist gekonnt ausgebaut und man ist ständig auf den weiteren Verlauf der Geschichte gespannt.
Es verbleibt die Empfindung, es mit einem großen Stück hochwertiger Literatur zu tun zu haben. Und mit einem hervorragenden, intelligenten Schriftsteller, der weiß, wovon er schreibt.