Das Trauma der erzwungenen Migration
Wenn man bei dem Titel „Zikadensommer“ und dem farbenfrohen Cover an einen leichten Wohlfühlroman mit griechischem Flair denkt, liegt man total falsch.
Der Roman beginnt mit den wundervollen Ortsnamen ...
Wenn man bei dem Titel „Zikadensommer“ und dem farbenfrohen Cover an einen leichten Wohlfühlroman mit griechischem Flair denkt, liegt man total falsch.
Der Roman beginnt mit den wundervollen Ortsnamen Ambelokipi und Neapoli (Stadtteile von Athen) und dann werden ziemlich viele Geschichten erzählt, auf die man sich erst einmal einlassen muss. Mira räumt die Wohnung ihrer verstorbenen Eltern aus und denkt über ihre Kinderlosigkeit nach, aber auch darüber, dass sie nichts wegwerfen kann, was ein Gesicht hat.
In einem zweiten Erzählstrang wird der Kapitän mit den Worten "Ich hänge mein Herz nicht an Orte" eingeführt.
Natalie Bakopoulos erzählt Geschichten über das Leben, Geschichten der Einsamkeit und der Trauer gespickt mit geografischen Details und kulturellen Besonderheiten Athens.
Athen fühlt sich vertraut und fremd und heiß an." (S. 167) Dieser Satz zu Anfang des zweiten Teils spiegelt die Zerrissenheit der Figuren wider. Ich empfinde den Roman wie eine Migrantengeschichte. Mira fühlt sich nirgendwo richtig zugehörig und sucht ihren Platz. Als Leser ist man auch auf der Suche nach dem Codierschlüssel und etwas Nähe. Mira wird alles zu viel, der Lärm der Stadt, die ausweglose Situation der Flüchtlinge und dass sich nichts ändert. Nur das Meer scheint ihr und dem Kapitän Ruhe und Zuversicht zu geben.
Gegen Ende des Romans werden die Passagen über das Meer und die Stille der Inselberge länger. Das Trauma der Migration scheint sich in der Ruhe der griechischen Landschaft aufzulösen.
Der Roman hinterlässt bei mir eine tiefe Schwere und Melancholie. Mir gefällt dieses bewegende Stück Literatur über Verlust und Migration, Trauer und Liebe und über das Älterwerden. Ein Coming-of-Middle-age Roman mit Tiefgang.
4/5 griechische Meereswellen dafür