Rahoteps letzter Fall
Theben, im 4. Jahr der Herrschaft von Eje: Rahotep ist Zaungast an einem spektakulären Tatort. Fünf nubische Jungen, vermutlich auf der untersten Hierarchiestufe einer der umtriebigen Opiumhändlerbanden. ...
Theben, im 4. Jahr der Herrschaft von Eje: Rahotep ist Zaungast an einem spektakulären Tatort. Fünf nubische Jungen, vermutlich auf der untersten Hierarchiestufe einer der umtriebigen Opiumhändlerbanden. Sie wurden geköpft, und auf einer Straße in einem Elendsviertel in Reih und Glied abgelegt - ihre Köpfe zu ihren Füßen. Im Mund eines Leichnams findet Rahotep ein Papyrus mit einem achtzackigen Stern. Zaungast ist Rahotep deshalb, weil sein Vorgesetzter bei den Medjai ihn inzwischen völlig aufs Abstellgleis geschoben hat, Rahotep konnte schon seit Jahren keinen richtigen Fall mehr aufklären.
Da kommt ihm das Angebot Anchesenamuns gerade recht: Eje ist dem Tode nahe und es gibt keinen Thronfolger. Anchesenamun braucht einen starken, neuen Ehemann, der an ihrer Seite Ägypten mitregiert und hoffentlich mit einem gemeinsamen Sohn und Thronfolger die Dynastie sichert.
Darum wird sich der oberste ägyptische Botschafter, Rahoteps alter Freund Nacht, auf den Weg zum Hethiterkönig Schuppiluliuma machen und ihn um einen seiner Söhne bitten. Rahotep soll Nacht begleiten und für seine persönliche Sicherheit sorgen. Diese Mission ist streng geheim, schließlich sind die Hethiter seit Jahrzehnten Ägyptens Erzfeinde, und dieser Schachzug der Königin ist ebenso riskant wie genial.
Im letzten Band seiner Ägypten-Trilogie begibt sich Nick Drake historisch gesehen auf dünnes Eis, denn als Hauptthema dieses Bandes hat er die sogenannte Dahamunzu-Affaire auserkoren. Auf dem Gebiet des heutigen Anatolien, wo sich früher das Reich Hatti befand, wurden Bruchstücke von Tontafeln gefunden, unter anderem Fragmente von Briefen einer Dahamunzu (= Gemahlin des Pharao), in denen sie den König der Hethiter um einen Sohn bittet, da sie kinderlos und verwitwet ist. Da die Tafeln in Keilschrift und nicht in ägyptischen Hieroglyphen verfasst sind, enthalten sie nicht den richtigen Namen der betreffenden Pharaonin. Bis heute ist umstritten, wer die Absenderin dieser Tontafeln war, sowohl Nofretete als auch ihre Tochter Anchesenamun kämen in Frage.
Die Historiker, die Anchesenamun für wahrscheinlicher halten, begründen dies hauptsächlich damit, dass Nofretete höchstwahrscheinlich vor Echnaton verstorben ist.
Die entgegengesetzte Partei hängt der Theorie an, dass Nofretete identisch ist mit Semenchkare, der nach Echnaton und vor Tutanchamun für kurze Zeit Ägypten regiert haben könnte. Ebenfalls ein Kapitel, das sehr im Dunkel der Geschichte verschwunden ist, denn es gibt nur sehr wenige Funde, die überhaupt auf Semenchkare hinweisen.
Solch lückenhafte historische Fakten sind natürlich für einen Autor geradezu eine Einladung, diese Lücken mit einer eigenen Geschichte zu füllen. Nick Drake hat sich nun für die Anchesenamun-Variante entschieden, und wenn man diesen Ansatz als gegeben annimmt, hat er für dieses mysteriöse Kapitel des Neuen Reiches eine stimmige und runde Deutung gefunden, die mir sehr gut gefallen hat.
Rahoteps Fall ist dagegen völlig fiktiv, er ermittelt inoffiziell gegen die Opiumhändler, die Theben neuerdings mit der Droge überschwemmen. Eine Art antikes Drogenkartell, das als Vorlage das organisierte Verbrechen neuerer Zeiten hat. Ebenfalls ein sehr interessanter Ansatz, zu dem der Autor einen raffinierten Fall rund um Opiumanbau, Lieferwege und Bandenkriege konstruiert hat.
Der Abschlussband der Ägypten-Trilogie ist um einiges düsterer und brutaler als die beiden Vorgängerbände Nofretete - Das Buch der Toten und Tutanchamun - Das Buch der Schatten. Eine nachvollziehbare Entwicklung, da Rahotep seit seinem ersten Fall in Echnatons Auftrag einige persönliche und berufliche Tiefschläge einstecken musste. Insgesamt sind zwischen dem Beginn des ersten und dem Ende des dritten Bandes etwa zwanzig Jahre verstrichen. Rahotep ist also ein etwas brummeliger, älterer Herr geworden, der zudem politisch und gesellschaftlich gesehen auch noch einer recht düsteren Zukunft entgegenblickt. Dies schlägt sich klar auf die Stimmung des Buches nieder, der Ich-Erzähler hat den natürlichen Optimismus der Jugend irgendwo auf der Strecke verloren.
Das Buch ist wieder mit einem sehr interessanten Nachwort des Autors sowie einer Literaturliste versehen. Auch die bereits aus dem letzten Buch bekannte Karte ist wieder auf beiden Umschlaginnenseiten abgebildet. Allerdings wäre es doch schöner gewesen, wenn man zumindest auf einer der beiden Abbildungen Nachts und Rahoteps Reiseweg hätte nachvollziehen können, statt einfach die alte Ägypten-Karte doppelt zu recyceln, die nun bei einer Reise ins Ausland nicht wirklich informativ war.
Bei einem letzten Band kommt man nicht umhin, im Grunde die komplette Reihe zu bewerten. Mich hat Nick Drake mit seiner Ägypten-Trilogie vollends überzeugt, ich habe es immer wieder genossen, mich mit Rahotep in seinen Medjai-Alltag, hauptsächlich bestehend aus recht brutalen Mordfällen und Palastintrigen, zu stürzen.
Die Bücher sind auffällig gut recherchiert, und in den Details auch auf dem neuesten Stand der historischen Forschung. Trotzdem sind sie keinesfalls trocken, sondern im Gegenteil mit spannenden Kriminalfällen und witzig-ironischen Dialogen höchst fesselnd und unterhaltsam. Definitiv ein Schmankerl für alle Leser, die gerne mal ins antike Ägypten abtauchen möchten.