Cover-Bild Ein Mensch brennt
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 336
  • Ersterscheinung: 08.09.2017
  • ISBN: 9783423281300
Nicol Ljubic

Ein Mensch brennt

Roman

Aufrüttelnd und provokant, zugleich warmherzig und witzig

Wenn es um Fußball geht, kann man dem zehnjährigen Hanno Kelsterberg nichts vormachen. In Sachen Protest allerdings auch nicht. Seit zwei Jahre zuvor der asketische Hartmut Gründler ins Souterrain der Familie zog und sich als unbeugsamer Politkämpfer entpuppte, steht Hannos einst heile Welt auf dem Kopf. Statt Fußball zu spielen, muss er nun mit zu Demos und verteilt Handzettel. Während der Vater den Mann im Keller zunächst belächelt, gerät die Mutter in den Bann des kompromisslosen Idealisten, die Ehe zerbricht. Ein provokanter und berührender Roman über eine Familie, die unversehens von der Zeitgeschichte gestreift wird.

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Lesejury-Facts

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  • Dieser Titel ist das Lieblingsbuch von Girdin.

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.11.2017

Ein auch sprachlich ansprechender Roman, den ich gerne empfehle. Er hat mich zurückgeführt in mein eigenes Denken und Handeln in jenen Jahren, als ich als Student auch in der damals noch jungen Bürgerinitiativbewegung aktiv war.

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Nicol Ljubic, Ein Mensch brennt, DTV 2017, ISBN 978-3-423-28130-0

Der Autor des vorliegenden Romans, Nicol Ljubic, schaffte es nach mehreren Auszeichnungen für seine Reportagen im Jahr 2011 mit seinem ...

Nicol Ljubic, Ein Mensch brennt, DTV 2017, ISBN 978-3-423-28130-0

Der Autor des vorliegenden Romans, Nicol Ljubic, schaffte es nach mehreren Auszeichnungen für seine Reportagen im Jahr 2011 mit seinem Roman „Meeresstille“ auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis. Danach hörte man lange wenig von ihm. Das lag daran, dass er insgesamt 5 lange Jahre an dem nun erschienenen Roman „Ein Mensch brennt“ gearbeitet hat, ein Roman, der zwischen 1975 und 1977 spielt, auf dem Hintergrund der Zeit, die man später als den Deutschen Herbst bezeichnete und der anhand einer Familiengeschichte das Leben des Umweltaktivisten Hartmut Gründler schildert. Der Rezensent kann sich selbst noch sehr gut nicht nur an jene bleiernen Jahre erinnern, sondern auch an Hartmut Gründler selbst, dessen Aktionen in der noch jungen Umwelt- und Bürgerinitiativbewegung nicht immer unumstritten waren.

Erzählt wird die Geschichte von dem mittlerweile 44 jährigen Hanno Kelsterberg. Mittlerweile schon seit langer Zeit in therapeutischer Behandlung, versucht er Jahrzehnte später, jener dramatischen Geschichte auf die Spur zu kommen, die sein Leben nicht nur verändert hat, sondern beinahe vollkommen zerstört hätte.

Hanno Kelsterberg war 1975 gerade einmal zehn Jahre alt, als seine Eltern dem Tübinger Lehrer Hartmut Gründler ein Zimmer in ihrem Haus vermieteten. Schon bald sollte dieser Einzug das Leben der Familie verändern. Denn besonders Hannos Mutter wird schnell vom Denken Gründlers beeinflusst. Sie stellt die Ernährung der Familie auf die von Gründler bevorzugte Waerland-Kost um und kommt zum ersten Mal in ihrem Leben mit Politik und der Umweltschutzbewegung in Verbindung.
Und weil sie sich schon bald insgeheim in den fanatischen Umweltaktivisten verliebt, tut sie alles für ihn und entfremdet sich ihrer Familie. Dass sie auch noch über 3 Jahrzehnte nach Gründlers Selbstverbrennung am Buß- und Bettag 1977 in Hamburg ihn verteidigt und verbissen sein Andenken hochhält, muss der über sein Leben schreibende Hanno erschüttert feststellen, als er im Rahmen seiner Recherche seine sterbende Mutter besucht, und in Sachen Gründler nach wie vor keinen Zugang zu ihr findet.
Es ist die Katastrophe von Fukushima, die 2011 den Autor Ljubic und damit seinen Ich-Erzähler Hanno Kelsterberg auf die Idee kommen lässt, auf dem Hintergrund des Deutschen Herbstes mit seinen dramatischen im Buch alle beschriebenen Vorkommnissen (RAF, Mogadishu, Schleyer-Entführung usw.) sich auf die Spurensuche nach Hartmut Gründler zu begeben, eingebettet in eine überzeugend erzählte Familiengeschichte. Er schildert das, was im kleinen Hanno in den Jahren 1975 -1977 vorgeht genauso überzeugend, wie die Suche des erwachsenen Hanno nach seiner Geschichte und der Bedeutung der Person Gründlers.
Hanno versucht durch den Rückblick letztlich das ganze Buch hindurch zu verstehen, wie die schillernde Figur des Umweltaktivisten Hartmut Gründler mitverantwortlich war für das ihn und seine Kindheit zerstörende Ende der Ehe seiner Eltern war.

Obwohl Ljubics Roman hauptsächlich in Vergangenheit spielt, hat er doch angesichts der nach wie vor bestehenden Bedrohungen der Umwelt durch Atomkraft und andere Gefährdungen und der intensiven Debatten, wie man sich dem entgegenstellen kann und welche Mittel dabei legitim sind eine aktuelle Bedeutung. Wieviel sind Menschen zu opfern bereit, um einer Idee zu folgen? Zählt das Wohl Einzelner, wenn das ganze Gemeinwohl auf dem Spiel steht?

Alte und immer sehr aktuelle Fragen, die Ljubic zwischen den Zeilen aufwirft und die seinen Roman nicht nur zu einem lehrreichen Zeitzeugnis machen, sondern auch zu einem gelungenen literarischen Beitrag über die Bedeutung und die Grenzen politischen Engagements.

Ein auch sprachlich ansprechender Roman, den ich gerne empfehle. Er hat mich zurückgeführt in mein eigenes Denken und Handeln in jenen Jahren, als ich als Student auch in der damals noch jungen Bürgerinitiativbewegung aktiv war.



Veröffentlicht am 16.11.2017

Familiengeschichte mit komplexem Tiefgang

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Die titelgebende Figur des Romans „Ein Mensch brennt“ ist die historische Person Hartmut Gründler. Er hat sich am 16. November 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der damaligen Regierung mit Benzin ...

Die titelgebende Figur des Romans „Ein Mensch brennt“ ist die historische Person Hartmut Gründler. Er hat sich am 16. November 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der damaligen Regierung mit Benzin übergossen und angezündet und starb fünf Tage später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen. Erzählt wird die Geschichte von der fiktiven Figur des Hanno Kelsterbach. Als Hartmut Gründler 1975 ins Souterrain des Familienheims zieht, steht Hanno gerade kurz vor seinem achten Geburtstag. Durch die Augen dieses Kinds schildert der erwachsene Hanno die Haupthandlung in Rückblicken auf die Ereignisse in den 1970ern. Entsprechend gestaltet ist das Cover mit dem Seitenprofil eines Jungen, der interessiert in die Welt blickt, die er sich erst noch erschließen muss.

Der Roman beginnt im Jahr 2011 in der Zeit nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Inzwischen sind mehr als 33 Jahre vergangen seitdem sich Hartmut Gründler selbst angezündet hat. Hannos Mutter ist seit dieser Zeit überzeugte Umweltaktivistin und ein großer Anhänger der Ideen von Gründler. Hanno teilt deren Ansichten nicht, erinnert sich aber mit Bedenken an die Zeit als Gründler in die Kellerwohnung eingezogen ist und damit eine Veränderung im Wesen seiner Mutter begann. Er denkt zurück an den Kampf gegen die Atompolitik der Gruppe Lebensschutz, die Gründler ins Leben gerufen hat, und seine eigene Einbindung in die Aktivitäten durch das Engagement seiner Mutter in der Gruppe. Gleichzeitig versucht er durch den Rückblick besser zu begreifen, ob die schillernde Figur des Umweltaktivisten Anteil am Ende der Ehe seiner Eltern hatte.

Da auch ich in den 1970er Kind war, konnte ich die Agitation Hannos in dieser Zeit sehr gut nachvollziehen, sein Handeln auf Anweisung der Eltern, seine Freude am Hobby Fußball und gemeinsame Unternehmen mit der Familie. Ansonsten beobachtet man als Kind, hat seine Gedanken dazu, die viele Fragen aufwerfen, die man aber nicht abschließend formuliert oder sich nicht zu fragen traut, weil Kinder nicht alles wissen sollen. Die Sichtweise des Kinds bringt einen Anflug von Leichtigkeit in den Roman. Entsprechend der damals gängigen Vorstellung einer guten Ehe sorgte seine Mutter Martha sich ausschließlich um Haushalt und Kind. Der gemeinsame Kampf für die gute Sache gibt Martha die Möglichkeit im Engagement eine Art Befriedigung ihres Strebens nach Selbstbehauptung zu finden. Das Verständnis für die Ansicht seines Vaters als Familienoberhaupt und Versorger auf die Aktivitäten seiner Frau, das zum Zerwürfnis seiner Eltern führte, begreift Hanno erst später.

Beim Lesen habe ich manchmal vergessen, dass zwar Hartmut Gründlers wie auch mehrere andere Personen historisch verbürgt sind, die Geschichte aber an sich fiktiv ist. Geschickt wählt der Autor einen Protagonisten, der nur wenig jünger ist als er selbst, so dass er in seiner Wortwahl auf seine eigenen Erinnerungen zurückgreifen kann. Der Kontakt zu einem Mitstreiter Gründlers hat die Figur von Hannos Mutter nicht nur deutlich geprägt, sondern sie dadurch auch lebendig gemacht. Die Darstellung ist wirklichkeitsnah und nachvollziehbar.

Der erwachsene Protagonist wirft auch moralische Fragen auf. Beispielweise stellt er seine Rolle als Mitkämpfer im kindlichen Alter auf den Prüfstand. Hartmut Gründler war ein kompromissloser Idealist, der gewaltlosen Widerstand für die gemeinsame Sache forderte. Nicol Ljubic geht im Roman der Frage nach, wie viel man zu opfern bereit ist, um einer Idee zu folgen, bei der der Einzelne nichts zählt und allein dem Gemeinwohl dient.

„Ein Mensch brennt“ ist eine Familiengeschichte mit komplexem Tiefgang, die zwar als Hintergrund den Kampf gegen die Atomkraft in der Vergangenheit beinhaltet, aber gerade hier im Westen trotz des voraussichtlichen Endes der Atomenergie in Deutschland in Anbetracht des störanfälligen Kernkraftwerks Tihange/Belgien aktuell ist. Der Autor hat mit seinem Buch an ein verstörendes Ereignis erinnert, das uns beispielhaft den Kampf eines David in der Einzelperson des Hartmut Gründler gegen die mächtige Macht einer Bundesregierung als Goliath vor Augen führt. Die Geschichte bleibt in Erinnerung und ich empfehle sie gerne weiter, vor allem an Leser, die an geschichtlichen Ereignissen der jüngeren Vergangenheit interessiert sind.