Ein Schmöker, der sich lohnt!
Die 1983 geborene Nino Haratischwili ist eine äußerst talentierte Erzählerin, die mit „Die Katze und der General“ einen eindrucksvollen und klugen Roman geschrieben hat, der einen radikalen, schonungslosen ...
Die 1983 geborene Nino Haratischwili ist eine äußerst talentierte Erzählerin, die mit „Die Katze und der General“ einen eindrucksvollen und klugen Roman geschrieben hat, der einen radikalen, schonungslosen und detaillierten Blick auf das sich verändernde Russland der 1990-er Jahre gewährt und für den Deutschen Buchpreis 2018 nominiert wurde.
Der Schmöcker, in dem es im Wesentlichen um den ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) und seine Auswirkungen auf verschiedene Menschen geht, ist nicht nur was seine Dicke, sondern auch was seinen Inhalt und seine Sprache betrifft eine Wucht.
Im Hauptteil geht es vor allem um drei Figuren:
Den General, die Katze und die Krähe.
Der Russe Alexander Orlow ist ein junger, gebildeter und feingeistiger Mann, der sich für Literatur und Sprache interessiert.
Seine Mutter möchte, dass er im Gedenken an seinen Vater, der ein Kriegsheld war, zum Militär geht. Trotz seines anfänglichen Sträubens wird er schließlich Soldat, der im Konflikt zwischen der Kaukasusrepublik Tschetschenien und Russland kämpft.
1995 befindet sich Alexander Orlow mit anderen Soldaten und ihrem anführenden Oberst auf Kriegsurlaub in einem Tal in Tschetschenien.
Der Alkohol berauscht und enthemmt sie derart, dass sie sich grauenvoll an einem Mädchen vergehen.
Alexander Orlow macht mit.
Kann nicht anders, als mitzumachen?
Muss mitmachen?
Als Zeuge?
Als Täter?
Wobei genau?
Bei einem furchtbaren Kriegsverbrechen, das auf einer wahren Begebenheit beruht.
Bei der Misshandlung, Vergewaltigung und Tötung der siebzehnjährigen Nura, die wir im Prolog kennenlernen und die von einer Zukunft träumt, in der sie studieren oder eine Lehre machen kann.
2016 lebt Alexander Orlow in Berlin. Er wird „Der General«“ genannt und ist inzwischen vom Mitläufer zum wohlhabenden und einflussreichen Oligarchen aufgestiegen, der das damalige Verbrechen aufrollen möchte und auf Rache und Vergeltung sinnt.
Dabei ist „die Katze“, eine junge Schauspielerin, die dem geschändeten Mädchen verblüffend ähnlich sieht, Mittel zum Zweck.
Und dann gibt es noch einen Journalisten, der großes Interesse an Alexander Orlows Leben hat und am liebsten eine Biographie über ihn schreiben würde.
Orlow verspricht ihm, dies tun zu dürfen, wenn er ihn bei seinem Projekt, ich nenne es „Abrechnungsfeldzug“, begleitet.
Und so wird aus dem Journalisten „die Krähe“, der Überbringer von Mitteilungen, der in einem niederträchtigen Plan vermittelt.
Wir lernen darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Personen und ihre Schicksale kennen.
Ein Personenverzeichnis anzufertigen macht durchaus Sinn und erleichtert vor allem zu Beginn den Durchblick!
Aus einzelnen Geschichten, Erzählungen und Erinnerungen entsteht mit der Zeit ein komplexes und buntes Bild, das sich trotz seines immensen und einschüchternden Ausmaßes zu betrachten lohnt.
Von Anfang an fesselte mich das Buch, das auf eindringliche und erschütternde Art aufzeigt, welch’ tiefgründige und auch negative Veränderungen der Krieg bei ursprünglich moralisch integren Menschen bewirken kann.
Die Autorin lässt sich viel Zeit, ihre Charaktere und deren Hintergründe detailliert vorzustellen, wodurch man ihnen sehr nahekommt und sich gut einfühlen kann.
Ich empfehle diesen spannenden und psychologisch tiefgründigen Roman, in dem es um Schuld und Sühne, Rache und Vergeltung, Brutalität und Krieg, Macht, Reichtum und Skrupellosigkeit, sowie die Sehnsucht nach Frieden und Erlösung, aber auch um Liebe geht, sehr gerne weiter.
Trotz Brutalität und Horror schafft Nino Haratischwili es auf beachtliche Art und Weise, neben ihrer klaren Sprache immer wieder poetische Sätze und Passagen einzuflechten.
Der Einblick, den man in diese fremdartige russische Welt bekommt, ist grandios und die Erzählkunst der Schriftstellerin faszinierend.
„Die Katze und der General“ ist eine intensive, anspruchsvolle, beeindruckende, packende und schmerzliche Lektüre, die volle Aufmerksamkeit fordert und nachhallt.
Das Ende war insofern gleichermaßen passend, wie etwas unbefriedigend, weil es in gewisser Weise ein offenes Ende ist, das mich mit so manchen Unklarheiten und Fragen zurückließ.
Ab und zu verlor sich die Schriftstellerin in Details, philosophischen Betrachtungen oder Wiederholungen, was zu einer gewissen Ungeduld und einem Anflug von Langeweile führte, aber letztlich sind diese beiden Kritikpunkte Jammern auf hohem Niveau.