Platzhalter für Profilbild

Aglaja

Lesejury-Mitglied
offline

Aglaja ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aglaja über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.03.2023

Roland erzählt sein Leben

Lektionen
0

Der kleine Junge Roland hat seine ersten Jahre in einer britischen Garnison in Libyen verbracht und wurde 1959 mit neun Jahren Internatsschüler in der Heimat Großbritannien. Dort führte den musikbegabten ...

Der kleine Junge Roland hat seine ersten Jahre in einer britischen Garnison in Libyen verbracht und wurde 1959 mit neun Jahren Internatsschüler in der Heimat Großbritannien. Dort führte den musikbegabten Jungen seine Klavierlehrerin früh in die Geheimnisse der Sexualität ein. Roland beendet die Schule nicht, es zieht ihn hinaus ins Leben, das er in vollen Zügen genießt. Der Preis dafür ist, dass er es zu nichts bringt. Später dann verdient er seinen Lebensunterhalt als Hotelpianist und Tennislehrer.
Das Buch mäandert durch Rolands Leben, das Leben von anderen Personen und Persönlichkeiten, durch Wichtiges und Unwichtiges, durch Geschichte
und Geschichten, Wissen und Erkenntnisse, durch Raum und Zeit.
Nicht alles bräuchte man zu wissen.
Roland ist ein durchschnittlicher Mann, ein realistischer Mensch, dem die
Beschäftigung mit geistigem Erkenntnisgewinn fern liegt, Zeitgeschehen während seiner Lebenszeit, ist das was ihn interessiert, da es unmittelbar mit seinem Leben zusammenstößt.
Obwohl Roland schon als kleinem Jungen erstaunliche Ausdrucksfähigkeit am Klavier zugesprochen wird, Bach wird hervorgehoben, erfahren wir nicht,
aus welchen geistigen oder emotionalen Quellen sich sein Einfühlen in die Musik speist.
Roland ist alt geworden, über siebzig Jahre. Er liest seine mehr als vierzig
Tagebücher durch und kommt zu dem Schluss, dass er nach 1986 keine neuen Erkenntnisse und Einsichten mehr gewonnen habe.
Eine erstaunliche Aussage! Hatte er mit fünfundreissig Jahren schon alle seine Lektionen gelernt?
Man hat beim Lesen des Buches immer wieder stark den Eindruck, als könnte es sich doch um das Fazit des eigenen Lebens von Ian McEwan handeln.
Fiktion und Tatsachen bunt gemischt.
Zum Schluss noch ein Satzfragment von S. 41, ...Glück interessierte ihn nicht...
Der vielfach preisgekrönte Autor kann zweifellos schreiben, doch bei diesem
Buch, war mir, das scheinbar aus den Tagebüchern Zusammengeschriebene
zuviel. Oft besteht die Kunst im weglassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

wahrhaft tragisch

Elektra, die hell Leuchtende
0

Aus der Ferne von mehr als drei vergangenen Jahrtausenden erstehen Schicksale vor uns, ergreifend und erschreckend, Götter und Menschen, Halbgötter und Helden erstehen vor unseren Augen. Tragödien, die ...

Aus der Ferne von mehr als drei vergangenen Jahrtausenden erstehen Schicksale vor uns, ergreifend und erschreckend, Götter und Menschen, Halbgötter und Helden erstehen vor unseren Augen. Tragödien, die sich zu jeder Zeit, an jedem Ort abgespielt haben und immer wieder den menschlichen Geist beschäftigen.
Nicht die Helden, sondern das Leid der Frauen kommt in diesem Buch, das einen Teil der griechischen Sagen nacherzählt, zu Wort.
Die Autorin beleuchtet das Schicksal der Frauen in ihrem Werk.
Klytämnestra, die Gattin Agamemnons und ihre Tochter Elektra, die zwei tragischen Hauptgestalten, die ihr friedloses Leben bestimmen ließen durch Vergeltung und Rache. "Bitterer Rachedurst, ein schlimmeres Leiden als das des Tantalos in seinem einsamen See", so sagt Elektra.
Die Autorin hat sich tief hineingefühlt in die fürchterlichen Seelenlandschaften der beiden Figuren, in ihre psychische Entwicklung bis zum bitteren Ende.
Das Buch wäre gut in einer Schulbibliothek aufgehoben, neben den klassischen Werken der griechischen Götter- und Heldensagen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

Deutsche Geschichte in Kasachstan

Sibir
0

Josef, der als kleiner Junge all dies erlebt hat, verbrennt eines Tages seine gesamten Aufzeichnungen, Tagebücher und Erinnerungsstücke, die er aus Sibirien mit nach Deutschland gebracht hat, er will sich ...

Josef, der als kleiner Junge all dies erlebt hat, verbrennt eines Tages seine gesamten Aufzeichnungen, Tagebücher und Erinnerungsstücke, die er aus Sibirien mit nach Deutschland gebracht hat, er will sich nicht mehr erinnern,
er will endgültig vergessen.
Jetzt ist er alt und sein Gedächtnis scheint nachzulassen.
Seine Tochter Leila versucht alles was ihr aus Erzählungen ihres Vaters geblieben ist aufzuschreiben, ehe es im Dunkel des Vergessens für immer verschwindet.
Es ist die Geschichte der Deutschen, die aus ihren blühenden Dörfern in Russland, während der Stalinzeit nach Sibirien verschleppt wurden.
Ein hunderttausendfaches Schicksal. Gemeinsam war ihnen allen der Wille zum Überleben in dieser fremden Welt.
Josef wurde mit seiner Familie nach Kasachstan deportiert, in eine schier unendliche Steppe, in der sie mittellos ausgesetzt wurden, schutzlos den Naturgewalten ausgesetzt, in dem gnadenlosen System der stalinistischen Arbeitslager, in dem sie Kälte, Hunger und Feindschaft kennen lernten.
Sie gehörten aber auch zu denen, die schon nach zehn Jahren durch politische Verhandlungen nach Deutschland ausreisen durften.
Man nannte es "die Heimkehr der Zehntausend".
Deutsche Geschichte, die nicht vergessen werden darf!

Meisterhaft verknüpft die Autorin die Vergangenheit in Kasachstan mit der Gegenwart in Deutschland, von der Zeit des Neuankommens und dem Bruch mit dem alten Leben.
Dieses Buch könnte man als Reminiszenz der Autorin an ihre Vorfahren betrachten, im Besonderen an ihren Vater.
Ohne das überraschende Ende, wäre das Buch vielleicht so nicht möglich gewesen.

Das Buchcover mit der Regenbogenforelle hat sich mir nicht erschlossen,
eine Darstellung, die die Weite der zentralasiatischen Steppe zum Ausdruck
bringt, hätte mir besser gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

Vom Werwolf gebissen

Macht
0

Heidi Furre hat ein Buch geschrieben, das nicht dem reinen Lesevergnügen dient, dazu ist das Thema zu verstörend und zu präsent.
Die Macht sich eines anderen Menschen zu bemächtigen, gewaltsam in ihn einzudringen, ...

Heidi Furre hat ein Buch geschrieben, das nicht dem reinen Lesevergnügen dient, dazu ist das Thema zu verstörend und zu präsent.
Die Macht sich eines anderen Menschen zu bemächtigen, gewaltsam in ihn einzudringen, ist eine furchtbare Macht, die keinem Menschen gegeben sein sollte. Ein nur einmaliges Ausüben dieser Macht, kann ein ganzes langes Leben zerstören.

Liv ist mittleren Alters, lebt mit ihrer Familie in ihrem Heim in Norwegen. Sie beschreibt ihr tägliches Leben zuhause, auf ihren Wegen und ihrer Arbeit in einem Pflegeheim.
Mit scharfem Blick analysiert und reflektiert sie ihre detaillierten Beobachtungen, präzise sieht sie die menschlichen Stärken und Schwächen, ihr Tun und Trachten.
Verfolgt wird sie von dem Unfreiwilligen, dem Ekligen, so nennt sie es, die Vergewaltigung. Alles was sie gerne tat, wurde durch sie verdorben, alle Leichtigkeit ist dahin. "Denn es ist allgegenwärtig, das was ich suche zu vergessen."
"Ich wurde von einem Werwolf gebissen, der Biss geht nicht weg, egal was ich tue, es ist irreversibel", sagt sie.
Ihr ist eine Vergewaltigung widerfahren, von der man von außen betrachtet nicht genau weiß, ob es eine war. Liv weiß nicht, ob sie nein dazu gesagt, oder nur gedacht hat, groß gewehrt hat sie sich auch nicht, sie hat es über sich ergehen lassen. Seit dem vergiftet dieses Geschehen ihr Leben.
Wird sie Heilung und Vergessen finden?

Das Cover des Buches hat hohen Symbolcharakter, zerbrochenes Porzellan in rosa, rosarot sind die Träume der Mädchenträume, der Unschuld, zerbrochen, nicht mehr zu heilen.
Kintsugi ist die japanische Kunst, Kostbares, das zerbrochen ist zu veredeln, etwas noch schöneres daraus zu gestalten.
Ob das nach einer Vergewaltigung möglich ist?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 21.03.2023

Wovon leben wir

Wovon wir leben
0

Es wird nicht viel geredet in dem Dorf im Innergebirg, wo der Hausberg mit seinen langen Schatten vor der Sonne steht. Getratscht wird, doch das, was in der Tiefe der Seele vor sich geht, erzählt man sich ...

Es wird nicht viel geredet in dem Dorf im Innergebirg, wo der Hausberg mit seinen langen Schatten vor der Sonne steht. Getratscht wird, doch das, was in der Tiefe der Seele vor sich geht, erzählt man sich oft selbst nicht, Arbeit bestimmt das Leben.
Julia ist aus der Stadt zurückgekehrt in ihr Heimatdorf, die zwei schrecklichen Wörter arbeitslos und lungenkrank zieht sie hinter sich her. Sie will sich von ihrer Mutter trösten und pflegen lassen, doch die ist weg, hat den Vater sitzenlassen in dem trostlosen Dorf, wo es nicht einmal mehr eine Bäckerei gibt. Der Vater ist auch arbeitslos, die Fabriken haben zugemacht, für die Männer ist das Rauchen und Saufen im Wirtshaus geblieben.
Es herrscht ein rauer Ton, "es fehlt ihnen der Segen der Arbeit, der Dank der Ablenkung, damit es um nichts sonst gehen muss."
Da die Mutter nicht mehr da ist, soll Julia in Anspruch genommen werden.
"Wenn eine Frau ausfällt, muss die andere herhalten. So geht das Rezept zur alten und ewigen Suppe."
Der Vater und der Freund, beide haben Erwartungen an Julia, sie soll mit ihnen zum Wir werden, wo sie doch gerade erst auf dem Weg war ihr Ich zu finden. "Sie hat ein anderes spezifisches Gewicht."
Sie gerät in das Dilemma Pflicht und Verantwortung zu übernehmen, oder ihren eigenen Weg zu gehen, eine der schwersten Entscheidungen, vor die das Leben einen stellen kann.
Was ist das Richtige, oder darf man auch mal was Falsches tun?

In diesem Buch ist nicht die Rede von Feinsinn oder Schöngeist, es geht um das alltägliche harte Leben, das einem zugeteilt wird. Man hat keinen Einfluss darauf, in welches Elternhaus man hineingeboren wurde, man muss mit Krankheit und Schicksaschlägen zurechtkommen. Als Leser ist man froh, wenn man dort nicht leben muss, dass es einen selbst nicht getroffen hat.
Die Autorin hat mit ihren klugen Sätzen, ihren erfahrenen Beobachtungen, wie mit Hammerschlägen den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die nüchterne Sprache in lapidarer Poesie trifft genau das Thema und die Umwelt des Buches.
Man sollte nicht den Hinweis der Autorin übersehen, in dem sie auf die Quelle ihrer Inspiration zu diesem Werk aufmerksam macht. Es sind wissenschaftliche Arbeiten der Sozialpsychologin Marie Jahoda über die arbeitende Klasse aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere