Profilbild von Ambermoon

Ambermoon

Lesejury Star
offline

Ambermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Ambermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.09.2018

Eine schottische Milieustudie, verpackt in eine absolut spannende Gangster-Story.

Kurzer Abstecher
0

Jim Francis hat endlich seinen Frieden gefunden. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern führt er ein beschauliches Leben unter der Sonne Kaliforniens. Nichts mehr deutet darauf hin, dass er einst ...

Jim Francis hat endlich seinen Frieden gefunden. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Töchtern führt er ein beschauliches Leben unter der Sonne Kaliforniens. Nichts mehr deutet darauf hin, dass er einst ein berüchtigter Straftäter war. Doch dann wird sein Sohn aus erster Ehe ermordet. Um der Beerdigung beizuwohnen, reist Jim noch einmal in die Stadt, die er nie wieder betreten wollte. Und auf Edinburghs Straßen flüstern die Leute: Franco Begbie ist zurück ...(Klappentext)

■♤■♤■♤■♤■♤■♤■♤

"Wenn der Zorn ihn übermannt, kann er sein früheres Selbst noch spüren.
Doch in Kalifornien gibt es bei seiner Lebensführung nur wenig,
was ihn so in Rage zu bringen vermag, dass er diesen Punkt erreicht.
Allerdings liegt zwischen ihm und Kalifornien augenblicklich ein ganzer Ozean."
(S. 113)


Wer "Trainspotting" kennt, kennt auch Begbie, wer "Trainspotting" nicht kennt, wird ihn kennenlernen. Diesen Roman kann man also ohne weiteres ohne Vorkenntnisse lesen.

Begbie, bzw. Jim Francis, hat sich vom Gangsterleben völlig zurückgezogen und hat sich im sonnigen Kalifornien ein normales Leben aufgebaut - eine hübsche Frau, zwei entzückende Töchter, Haus am Meer und er ist nun ein gefragter Künstler. Doch einmal Gangster, immer Gangster?
Das man ihm nicht blöd zu kommen braucht und er mit allen Wassern gewaschen ist, wird schon auf den ersten Seiten klar. Wenn es dabei auch noch um seine Familie geht, kennt er nichts und fährt schon mal schärfere Geschütze auf. Als er erfährt, dass sein Sohn tot ist und er dazu erstmal nichts näheres erfährt, ist für ihn klar, dass er wieder in das verhasste Edinburgh zurück muss. Er will nicht nur die Beerdigung besuchen, sondern erfahren was genau vorgefallen ist.
Er bemüht sich nicht in alte Gangstergewohnheiten zu verfallen und die Kontrolle über seine Aggressionen und Emotionen zu behalten, versucht sich wirklich dort in nichts hineinziehen zu lassen. Doch kaum in Edinburgh scheint sich diese dunkle Atmosphäre wieder in ihm einzunisten und er wird immer mehr zu dem Mann, der er früher war - zu Begbie.
Und wir, die Begbie kennen, wissen was das bedeutet, denn - einmal Gangster, immer Gangster...oder?

Welsh hat eine ganz eigene Dialogführung, was anfangs eventuell etwas gewöhnungsbedürftig sein mag, an die man sich jedoch sehr rasch gewöhnt.

"-Ich habe doch was angestellt, gesteht er und beobachtet, wie ihre Gesichtszüge entgleiten.
-Nicht mit den beiden Kerlen. Aber mit ihrem Auto."
(S. 16)


Diesem Stil ist er treu geblieben, ansonsten merkt man, dass "Kurzer Abstecher" ein späteres Werk von Welsh ist. Dieser Roman ist zwar durchaus mit blutigen und gewalttätigen Szenen gespickt und auch die vulgäre und derbe Sprache, welche das Milieu der Edinburgher Gangsterszene hervorragend einfängt, ist vorhanden, trotzdem ist es einer der ruhigeren und vor allem tiefsinnigeren Romane von Welsh.

Das große Thema hier ist, ob man immer das bleibt was man ist und was die Umgebung aus einem gemacht hat, oder ob man sich grundlegend ändern und zu einem völlig anderen Menschen werden kann. Kann man die Einflüsse, welche einem als Kind prägten und einem zu dem gemacht hat was man ist völlig vergessen und verdrängen, oder...einmal Gangster, immer Gangster?
Die Story wird zwischendurch immer wieder durch Rückblenden in die Kindheit von Begbie unterbrochen. So erfährt man wie er zu dem Menschen wurde, der er jetzt ist. Im Grunde konnte aus ihm überhaupt nichts anderes als ein Gangster werden. Schon früh lernte er die Sprache der Straße und der Gewalt kennen, waren doch alle männlichen Familienmitglieder der Begbies schottische Kleinmafiosi.
Dadurch erhält man Einblick auf die prägenden Einflüsse Begbies, seine oft falschen Entscheidungen und auch in seinen Charakter. Dadurch erhält diese Thematik ungewöhnlich Tiefe.

Nur wenige Autoren schaffen es Tiefsinnigkeit in einen fesselnden Roman voll derber Sprüche und blutiger Gewalt zu packen, doch Irvine Welsh ist einer von ihnen. Ein Grund, weshalb er zu einem meiner Lieblingsautoren gehört.

"Die meisten von ihnen haben eine gewisse Ahnung davon, dass die klügsten Menschen diejenigen sind,
die sich selbst als ewige Schüler begreifen,
die niemals damit aufhören zu lernen und sich angesichts der ständig wechselnden Möglichkeiten und Bedrohungen des Lebens immer wieder neu ausrichten."
(S. 101)


Fazit:
Steht Irvine Welsh drauf, ist Irvine Welsh drin und somit war ich auch von diesem Roman restlos begeistert, wenn er auch etwas "ruhiger" ist als "Trainspotting", "Porno" und vor allem als "Drecksau".
Für all diejenigen, welche mal etwas neues bezüglich Genre probieren wollen und vor Gewalt und derben Sprüchen nicht zurückschrecken, kann ich Irvine Welsh sehr empfehlen.

© Pink Anemone

Veröffentlicht am 13.09.2018

Ein Roman voller Drogen-Exzesse und Gewalt. Daher kommt dieser auch nicht ohne Trigger-Warnung aus und ist nichts für zarte Gemüter. Ich jedoch bin begeistert.

Kill Your Friends
0

FSK 16 J.

Wer nichts von derben Kraftausdrücken hält, bzw. nichts für Romane mit solchen übrig hat, sollte jetzt gehen, wer die entschärfte Rezension lesen möchte, der möge auf Amazon ausweichen...falls ...

FSK 16 J.

Wer nichts von derben Kraftausdrücken hält, bzw. nichts für Romane mit solchen übrig hat, sollte jetzt gehen, wer die entschärfte Rezension lesen möchte, der möge auf Amazon ausweichen...falls sie dort überhaupt freigegeben wird. Alle anderen .... Herzlich Willkommen zu meiner zweiten FSK 16 J. -Rezension.

¸♬·¯·♩¸¸♪·¯·♫¸¸¸¸♬·¯·♩¸¸♪·¯·♫¸¸


Erfolg um jeden Preis. Steven Stelfox ist A&R-Manager in einer großen Plattenfirma, immer auf der Suche nach dem nächsten Hit, immer am oberen Level. Doch als die Erfolge ausbleiben, greift er zu radikalen Mitteln. Plötzlich verwandeln sich die guten Freunde in Todfeinde. In einer Welt, in der sich die Protagonisten krampfhaft über Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll definieren, gerät sein Leben zunehmend außer Kontrolle. Die Folgen sind verheerend...(Klappentext)


Triggerwarnung für diesen Roman: Rassismus, Sexismus, physische und vor allem sexualisierte Gewalt

"Das ist MEIN Job:
Ich höre mir Musik an - Sänger, Bands, Songwriter - und entscheide, welche eine reelle Chance auf kommerziellen Erfolg haben.
Dann kümmere ich mich darum, dass ihre Musik angemessen aufgenommen wird, und wir, die Plattenfirma,
verkaufen sie schließlich an euch, die Öffentlichkeit.
Klingt ganz einfach in deinen Ohren? Fick dich ins Knie - du würdest es keine zehn Minuten überleben."
(S. 18)


Steven Stelfox - 27 Jahre, erfolgreich, gut aussehend und ein aufgeblasenes Arschloch. Er ist arrogant, sexistisch, rassistisch und ein Egomane durch und durch. Steve Stelfox ist also alles andere als ein Sympathieträger und man kann ihn schon ab der ersten Seite nicht leiden.

Durch diesen koksziehenden Vollidioten erhält man Einblick in seine Welt - in die Welt der Musikindustrie und die ist alles andere als ein Ponyhof. Diese besteht nämlich aus Intrigen, Machtgeilheit und noch mehr solcher Typen wie Steven. Eigenleben vor Fremdleben ist hier die Devise und Steven nimmt das nur allzu wörtlich. Muss er ja irgendwie, um seinen Lebensstandard weiterhin hoch zu halten - um sich weiterhin teure Klamotten, Koks und Nutten leisten zu können.
Als sein Arsch auf Grundeis geht, genügt es nicht mehr anderen bloß ans Bein zu pissen und deren Karrieren zu zerstören, um weiters einer der Alpha-Gorillas im Musik-Business zu sein. Steven muss zu drastischeren Mitteln greifen, denn - Eigenleben vor Fremdleben.

Man begleitet Steven ein Jahr lang und somit 12 Monate. Jedes Monat wird durch damalige News aus der Musikbranche eingeleitet und jedes Kapitel durch ein Zitat eines Produzenten oder Sänger, wie z.B.: Simon Cowell, Don Simpson, etc.

Bis es zu einem Mord kommt, dauert es jedoch etwas. Bis dahin plaudert Steve über die Musikindustrie und wie sie wirklich ist, was sich jedoch alles andere als langweilig gestaltet.
Man besucht mit ihm Events, Puffs und Geschäftsessen, ballert sich die Birne mit teuren Alkoholika, Koks und sonstigen Drogen und Pillen zu und lernt dabei all die anderen Loser und Arschlöcher kennen. Hierbei wird geflucht was das Zeug hält. Dann ,wie aus dem NIchts und völlig unerwartet, quasi aus einer Laune heraus, geschieht es - der erste Mord. Einfach so und nahezu emotionslos, als wäre dieses Geschehen eine Nebensächlichkeit. Dies ist wohl das schockierender, als die ganze sexistische und abwertende Flucherei. Hier erkennt man dann erst mit was für einem Typ Mensch man es wirklich zu tun hat. Er ist nämlich nicht nur ein Arschloch, sondern ein berechnendes und gefühlskaltes Oberarschloch.

Ihr mögt nun womöglich das Gefühl haben ich würde diesen Typen abgrundtief hassen..nun ja..nein. Das zwischen mir und diesem abgewichsten Arsch,der auf alles schimpft und scheißt, ist es sowas wie eine Hass-Liebe. Vielleicht seid Ihr auch der Meinung, dass meine Wortwahl derb und proletarisch ist. Nun, dann braucht Ihr hier überhaupt nicht mehr weiterlesen oder auf andere Rezensionen umschwenken, denn dann ist dieser Roman definitiv nichts für Euch. Wenn dem also so sein sollte, dann - Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Für sensible Gemüter ist dieser Roman nämlich definitiv NICHTS.

"Während [das] Atmen von einem lauten, mühsamen Schnorcheln zu einem rasselnden Wispern wird und schließlich ganz aufhört,
sehe ich Clips der Cardigans, Radiohead, Texas und die neue Blur-Single.
Zufrieden, dass er tot ist, hole ich meinen Schwanz raus und pisse ihn voll."
(S. 113)


Der Schreibstil ist flüssig und die Charaktere sind durchwegs gut gezeichnet, wenn man auch fast niemanden leiden kann, da ja auch Steve niemanden leiden kann.
Hier richtet sich der Protagonist an den Leser und erzählt seine Geschichte, mit seinen Ansichten und das in einem ziemlich tiefen Jargon - rassistisch, sexistisch, derb...so wie Steven eben ist. Dagegen sind meine Worte nahezu als niedlich zu bezeichnen. Dabei wird der Leser auch direkt angesprochen und man hat das Gefühl Steven gegenüber zu sitzen - mit einem teuren Whisky in der Hand und vor einem eine Line Koks auf dem Tisch. Man ist hier mitten drin, statt nur dabei. Manchmal wurde aber selbst mir das Gefluche und Geschimpfe zu viel, bzw. begann es mich zeitweise zu langweilen, da ich immerzu darauf hoffte, dass Steve wieder mal durchdreht. Was er dann auch tut...wieder völlig unerwartet und wie aus dem Nichts.
Die Atmosphäre der 90er wird gekonnt eingefangen und wiedergegeben, sei es durch diverse Sprüche, wie z.B. "Coolio", oder durch damals angesagte Bands und Songs. Das erhöht natürlich den Lesegenuß, vor allem wenn man in dieser Zeit selbst durch die Clubs zog, wie ich.

"Sein Nachname enthält einen Bindestrich, scheiße,
und trotzdem redet er immer wieder wie ein mit Schuhcreme geschwärzter Dick Van Dyke -
die gedehnten Vokale, die verschluckten Konsonanten -,
weil er irgendwann mit fünfzehn mal eine HipHop-Platte gehört und beschlossen hat, die Dachpappen wären cool."
(S. 45)


Eine Freundin sagte mir, dass die Story sehr an "American Psycho" von Bret Easton Ellis erinnert und dem muss ich zustimmen. Der Schreibstil von Niven mach das Buch dennoch speziell - ein Niven eben und daher "American Psycho" zwar ähnlich, aber trotzdem ganz anders.

Fazit:
Ich bin ein absoluter Fan von John Niven und dieses Buch zu lesen hat mir richtig Spaß gemacht.
Es ist verstörend, abartig, morbid, ein durchaus obszöner Roman voller Gewalt. Gleichzeitig hat mich die Story gefesselt und ich musste an mehreren Passagen sogar lauthals lachen. Dieses Gefühl von heiß-kalt, dem Wechsel zwischen ekelhaft und zum Schreien komisch, muss ein Autor erstmal bringen.
Irgendwie ist dies eine spezielle Art gewisser schottischer Autoren. Irvine Welsh gehört z.B. auch zu dieser äußerst seltenen Autoren-Spezies.
Ich für meinen Teil freue mich jetzt schon, im Jänner wieder mit dem Wichser Steve abzuhängen. Da erscheint nämlich der 2. Teil "Kill 'em All".

© Pink Anemone

Veröffentlicht am 31.08.2018

Dieses Buch über die Geschichte der Medizin ist informativ wie ein Sachbuch, spannend wie ein Thriller und schaurig wie ein Horror...und gerade deshalb eines meiner absoluten Lesehighlights.

Der Horror der frühen Medizin
0

Grausig sind die Anfänge der Medizin: Leichenraub, blutige Operationen wie Kirmesspektakel, Arsen, Quecksilber, Heroin als verschriebene Heilmittel. Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Unwissen der Ärzte ...

Grausig sind die Anfänge der Medizin: Leichenraub, blutige Operationen wie Kirmesspektakel, Arsen, Quecksilber, Heroin als verschriebene Heilmittel. Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Unwissen der Ärzte sagenhaft, wie sie praktizieren, ein einziger Albtraum. Bis ein junger Student aus London mit seinen Entdeckungen alles verändert … Lindsey Fitzharris erzählt vom Leben dieses Mannes und vom Horror, den ein einfacher Arztbesuch damals bedeutete – schaurig, unterhaltsam, erhellend....(Klappentext)

✚✚✚✚✚

"Alles war infrage gestellt, alles war unerklärt,
alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit."
(Ignaz Semmelweis / S. 119)


Der Titel des Buches könnte treffender nicht sein, denn es liest sich wie ein Roman im Sub-Genre Medizin-Horror.
Leider war dies damals traurige Wirklichkeit - traurig vor allem für den Patienten, denn der Tod war ihm im Krankenhaus so gut wie sicher. Und doch wurde die Medizin durch ein paar Ärzte voran getrieben.
Durch Ärzte die sich über Konventionen und andere Ärzte hinwegsetzten, Ärzte die nicht nur abhackten und rumschnippelten, sondern sich wirklich dafür interessierten ihren Patienten zu helfen, Ärzte wie Ignaz Semmelweis, Alexander Flemming, Robert Koch und eben auch Joseph Lister, den wir hier begleiten werden.

Lister war nicht nur Arzt, sondern auch durch und durch Forscher und Wissenschaftler. Ihn begleitet man durch das kranke und tödliche viktorianische London.
Doch auch andere Ärzte begegnen uns und auch an deren Leben und Geschichten darf man teilnehmen.
Wie z. B. Robert Liston, dessen rohe Gewalt und Schnelligkeit schon vor der Erfindung der Äther-Anästhesie, sein Markenzeichen war. Diese Schnelligkeit war zwar vor allem bei Amputationen ein Segen, jedoch war er hierbei hin und wieder zu enthusiastisch. Zum Beispiel schnitt er dabei einem Patienten auch gleich noch den Hoden mit ab oder er hatte mit dem Messer so einen Zahn drauf, sodass er seinem Assistenten auch gleich drei Finger abtrennte.
Oder Berkley Moynihan, der sich erinnerte, dass er und seine Kollegen in einem Kittel operierten, der vor lauter Blut und Dreck schon von alleine in der Ecke gestanden hätte. Dieser war übrigens auch der erste Chirurg der Gummihandschuhe verwendete.

Man wohnt Amputationen, Ausschabungen und diversen äußerst ungewöhnlichen Behandlungsmethoden bei, die einem den Ekel ins Gesicht treiben. Und natürlich behandelt man auch Gangrän, Erysipel und Sepsis, welche Lister besonders interessierten.

"Die Frau drohte an der Flüssigkeit in ihrer Lunge zu ersticken.
Erichsen griff zu einer ungewöhnlichen Maßnahme:
Er drückte den Mund auf die offene Wunde und saugte Blut und Schleim aus den Atemwegen.
Dreimal musste er ausspucken, dann beschleunigte sich der Puls der Patientin wieder,...."
(S. 81)


Dies war der Ausgangspunkt seiner Forschungen über die Wundheilung und die Auswirkungen von Infektionen auf Körpergewebe und somit der erste Schritt in die Richtung der Wundhygiene. Hierbei kreuzen natürlich auch Ärzte wie Ignaz Semmelweis und Louis Pasteur unseren Weg.

Dies alles erfolgt in einem flüssigen und klaren Schreibstil und der Erzählstil ist äußerst plastisch. Für schwache Nerven und sensible Mägen ist dieses geschichtliche Sachbuch der Medizin also definitiv nichts. Ich bin mir jedoch sicher, dass hauptsächlich Personen, welche im medizinischen Bereich tätig sind und Personen, welche ein allgemeines Interesse an Medizin und Geschichte haben, zu diesem Buch greifen. Und ich gehe davon aus, dass diese Personen keineswegs zimperlich sind.

Jedes Kapitel wird mit einem Zitat eines Forschers, Wissenschaftlers oder Arztes eingeleitet und schon befindet man sich mitten in der Geschichte.

So sehr ich das viktorianische Zeitalter bewundere, bin ich doch froh in der heutigen Zeit zu leben. Doch so schockierend es sich auch liest, so faszinierend und interessant ist es, in die damalige Zeit einzutauchen und damit die ersten Schritte in die Richtung der heutigen Medizin zu verfolgen.

"Das begeisterte Publikum sah gebannt zu, wie der Anatom die aufgeblähten Bäuche verwesender Leichname aufschnitt,
aus denen Blut und stinkender Eiter quoll.
Manchmal wurde das makabre Schauspiel von lieblicher Flötenmusik begleitet."
(S. 10)


Dieses Buch besticht jedoch nicht nur durch interessante Fakten zur Geschichte der Medizin, sondern vor allem auch durch das Cover, wobei auch die Rückseite des Covers nicht zu verachten ist.
Die Verarbeitung zeugt zusätzlich von guter Qualität...sonst hätte das Buch den Urlaub mit Strand, Meerwasser und Wind sicher nicht so gut überstehen können.

Fazit:
Ich bin von diesem Sachbuch über die Medizin und dessen Geschichte absolut begeistert und könnte es immer und immer wieder lesen. Es ist informativ wie ein Sachbuch, spannend wie ein Thriller und schaurig wie ein Horror.
All diese Hürden, Fehler und auch Grausamkeiten, führten dazu, dass sich die Medizin weiterentwickelte.
Mein Respekt und auch Dank gehört all den Ärzten von damals, die den Mut hatten sich gegen Kollegen, Konventionen und Aberglauben zu stellen, um ihr eigenes Ding durchzuziehen. Damals erforderte dies nämlich Mut und vor allem auch Bereitschaft eventuell mit seiner eigenen Forschung unterzugehen.
Dies ist mein absolutes Lesehighlight, welches ich jedem der sich für Geschichte und Medizin interessiert, ans Herz legen möchte - Ihr werdet es lieben.

© Pink Anemone

Veröffentlicht am 31.08.2018

Origineller Zeitreise-Roman in dem einer meiner Lieblingsschriftstellerinnen Jane Austen wundervoll porträtiert wird. Das Ende ist jedoch so gar nicht nach meinem Geschmack gewesen.

Jane Austen - Jagd auf das verschollene Manuskript
0

September 1815: Rachel und Liam, zwei Zeitreisende, landen auf einem Feld im ländlichen England. Sie tarnen sich als reiche Unternehmer, kommen aber in Wirklichkeit aus einer technologisch fortgeschrittenen ...

September 1815: Rachel und Liam, zwei Zeitreisende, landen auf einem Feld im ländlichen England. Sie tarnen sich als reiche Unternehmer, kommen aber in Wirklichkeit aus einer technologisch fortgeschrittenen Zukunft. Denn Rachel und Liam haben eine kühne Mission: Sie wollen Jane Austen treffen, sich mit ihr anfreunden und ihr verschollenes Manuskript retten – indem sie es stehlen! Über Austens Lieblingsbruder Henry infiltrieren sie Janes Umfeld und kommen der berühmten Autorin nahe. Doch je tiefer die Freundschaft wird, desto schwerer fällt es Rachel, sich auf ihren Auftrag zu konzentrieren....(Klappentext)


❉❉❉❉❉

"Wir hatten über alten Karten, Gemälden und Kupferstichen gebrütet,
detailierte Luftaufnahmen in 3-D hatten die großen Leinwände im Institut beleuchtet.
Doch nichts davon hätte mich hierauf vorbereiten können:
den Geruch von Kohlrauch und Vegetation, das Knarzen der Kutsche,
die Hufschläge der Pferde im Takt meines Herzens, wie eine Energie,
als wäre London ein fremder Planet, dessen Schwerkraftfeld mich einsaugte."
(S. 19)


Rachel, ausgebildete Ärztin, und LIam, Schauspieler der in Oxford studierte, kommen aus einer nicht näher benannten fernen Zukunft.
Sie gehören einem ganz speziellen Wissenschaftsteam an - dem "Jane Austen-Projektteam". Ihre Aufgabe ist ein verschollenes Manuskript von Jane Austen zu finden und auch zu stehlen, um es für die Nachwelt zu sichern.
Bei dem Manuskript handelt es sich um den Roman "Die Watsons", welchen Jane Austen bereits in ihrer frühen Schaffensperiode begann, jedoch nie vollendete. Des Weiteren sollen die beiden herausfinden woran Jane Austen starb. Dafür müssen sie in das England von 1815 reisen und wurden dementsprechend ausgebildet, um in dieser Epoche nicht aufzufallen.
Bei dieser Zeitreise sollen sie die Zukunft so wenig wie möglich verändern und daher in keinster Weise Einfluß auf die Geschehnisse ausüben. Leichter gesagt als getan, denn mit jeder neuen Bekanntschaft und jeder noch so kleinen Tat, scheint genau das zu passieren.

Gegenüber Zeitreise-Romanen bin ich immer etwas skeptisch, da es sich jedoch hier um Jane Austen und deren unvollendeten Roman "Die Watsons" handelt, musste ich diesen Roman einfach lesen.

"Ich bestaunte die Atmosphäre des Jahrs 1815, feucht und dicht gepackt mit Gerüchen, für die ich gar keine Worte hatte.
Mich erinnerte es an die Glasgewölbe im Brooklyn Botanic Garden, wohin wir früher Schulausflüge unternommen hatten.
>>Einst, Kinder, war die ganze Welt wie dies hier.<<"
(S. 9)


Es wird aus Rachels Sicht erzählt und man erhält nur wenig Informationen bezüglich der hochtechnologischen Zukunft und wenn dann nur bruchstückhaft.
Man hält sich ausschließlich im England des frühen 19. Jahrhunderts auf und das ist auch der Grund, weshalb mich dieser Zeitreise-Roman begeistern konnte. Dadurch erhält man Einblick in die äußerst komplizierte Etikette und das damalige Frauenbild, besucht Teegesellschaften und Dinners, wird vollkommen in die Atmosphäre des damaligen Londons gezogen und das Wichtigste - man trifft auf Jane Austen und ihre Familie.
Da Rachel aus der Zukunft kommt, erkennt man durch sie die gravierenden Unterschiede zwischen damals und heute, z.B. wie schwer es Frauen hatten, auf welche Annehmlichkeiten und Freiheiten sie verzichten mussten und wie anstrengend es damals war, selbst wenn man nicht zum gemeinen Fußvolk gehörte. Die Atmosphäre wurde also gekonnt eingefangen.

Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet und authentisch. Vor allem Jane Austen hat die Autorin, meiner Meinung nach, hervorragend getroffen. Spitzzüngig, direkt und mit herrlich trockenen Humor ausgestattet. So begegnet uns Jane Austen und genau so habe ich sie mir immer wieder beim Lesen ihrer Romane oder einer ihrer Biografien vorgestellt.

"Sie blickte zu mir - ein Augenverdrehen, ein sarkastischer Zucker der Mundwinkel-, nur für einen Augenblick, doch es genügte.
Um als Frau hier zu überleben und nicht den Verstand zu verlieren, brauchte man ein waches Gespür für Lächerlichkeit;
das hatte sie schon als sehr junges Mädchen begriffen.
Sie war mir weit voraus; andererseits:
War sie das nicht allen?"
(S. 180)


Aufgrund dieser Atmosphäre und der gelungenen Charakterzeichnungen ist die Story interessant und fesselnd zu lesen. Auch Romantik ist vorhanden, jedoch keineswegs übertrieben, schnulzig und schon gar nicht billig, sodass es mich hier nicht gestört hat. Wo Jane Austen drauf steht, ist eben auch Romantik drin.

So far, so good...und dann kam das Ende. Ein Ende was ich so gar nicht gebraucht hätte und mich daher etwas enttäuscht zurück ließ.
Hier ist nämlich nicht mehr Jane Austen das Thema, sondern diese ferne Zukunft, wo es dann doch zu nicht nachvollziehbaren und somit unglaubwürdigen Passagen kommt. Fehler die nur zu oft in Zeitreise-Romanen vorkommen und das Lesevergnügen trüben. Und habe ich schon erwähnt das Jane Austen nicht mehr vorkam?

Fazit:
Im Großen und Ganzen fand ich diesen Roman durchaus gelungen und die Ausarbeitung von Jane Austen einfach wundervoll.
Als Jane Austen-Liebhaber/in kann man sich dieses Buch also durchaus gönnen, um in das fiktive Leben der Schriftstellerin einzutauchen. Das Ende ist eben wieder eine andere Geschichte, ist jedoch zu verschmerzen.

© Pink Anemone

Veröffentlicht am 23.08.2018

Hist. Roman der in jeder anderen Zeit auch hätte spielen können und sich zu einem Groschenroman durch und durch entwickelte. Die unsympathische Protagonistin machte es nicht besser.

Das Versprechen der Jahre
0

London 1904: Lady Celia Lytton betört die englische Society mit ihrer Intelligenz und Schönheit zugleich. Sie ist die perfekte Gastgeberin, veröffentlicht im eigenen Verlag einen Bestseller nach dem anderen ...

London 1904: Lady Celia Lytton betört die englische Society mit ihrer Intelligenz und Schönheit zugleich. Sie ist die perfekte Gastgeberin, veröffentlicht im eigenen Verlag einen Bestseller nach dem anderen und genießt ihr junges Familienglück – ein privilegiertes Leben. Doch dramatische Ereignisse kündigen sich an, und als ihr Mann Oliver in den Krieg eingezogen wird, können die Lyttons nicht mehr die Augen vor der Realität verschließen. Die makellose Fassade bekommt erste Risse, und Celia beginnt zu verstehen, dass sie einen Preis zahlen muss, für die Entscheidungen, die sie getroffen hat, und die Geheimnisse, die sie bewahrt …(Klappentext)

❃❃❃❃❃

">>Ich hoffe, eines Tages in meinem Büro inmitten meiner Bücher, aufgefunden zu werden.<<"
(S. 24)


Der Klappentext versprach einen äußerst interessanten Roman über das damalige Verlagswesen, der Kampf der Frauen während des Ersten Weltkrieges als sie zu Hause blieben, während die Männer an der Front für das Vaterland kämpften und eventuell den Wiederaufbau danach.
Ich habe durchaus mit Romantik gerechnete, 1. da dies schon im Klappentext ersichtlich ist und 2. da kein historischer Roman ohne auskommt. Liebe und Leidenschaft, Macht und Intrigen - dies in gut recherchierte historische Romane eingebettet, kann durchaus erfrischend sein...falls dies nicht überhand nimmt.
Bevor ich zu diesen überhand nehmenden Passagen kam, musste ich aber schon mit dem Erzählstil etwas kämpfen. Dieser lässt den Leser nicht nur die Protagonistin begleiten, sondern so ziemlich jede darin vorkommenden Figur. Zudem ist er genauso schlicht und sehr einfach gehalten, wie auch der Schreibstil selbst auch.

"Celia bekam ein Gehalt von einhundert Pfund im Jahr, das sie in Gänze an Jenny weitergab.
Oliver und LM waren sich einig, dass es sich bei Celias Tätigkeit für Lyttons um ein offizielles Beschäftigungsverhältnis handeln müsse.
Die anderen Angestellten, die ihr gegenüber anfangs noch argwöhnisch waren, akzeptierten sie schnell."
(S. 37)


Der Vorteil - es lässt sich flüssig lesen und erfordert nicht viel Konzentration. Der Nachteil - es nimmt den Roman gehörig die Spannung und es plätschert eben so dahin. Man kann sich jedoch daran gewöhnen und der Roman ist somit, in gewisser Weise, die ideale Urlaubslektüre.

Bis zur Hälfte gestaltete sich der Roman auch durchaus interessant bezüglich der Einsichten in das damalige Verlagswesen, des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und der Konsequenzen hinsichtlich des Lytton-Verlags. Man erhält Einblick wie die Frauen ihren eigenen Kampf zu Hause austragen und sie daran wachsen und dadurch selbstbewusster werden.
Mit der 2. Hälfte geht es jedoch steil bergab und aus dem historischen Roman wird eine Soap à la "Reich und Schön", inklusive Affäre und Drama. War mir die Protagonistin bis dahin zwar schon etwas suspekt, danach hätte ich sie nur noch durch das Buch schnalzen mögen.

Und damit wären wir bei den Charakteren. Diese bleiben auf gewisse Weise blass und ich konnte mich in keine der Figuren richtig hineinversetzen. Ab der 2. Hälfte hatte ich dann zumindest eine Sympathieträgerin. Das war die kleine Barty, welche als einzige eine positive Entwicklung durchmacht.
Die Protagonistin Celia Lytton hingegen wurde mir zunehmend unsympathisch. Hat sich zuvor schon alles um sie gedreht, wird es in der 2. Hälfte noch viel schlimmer und fast unmöglich sich in sie hinein zu versetzen oder ihr so etwas wie Sympathie entgegenzubringen. Diese Wandlung hatte keineswegs etwas mit Stärke, Mut, Durchsetzungsvermögen und Feminismus zu tun. Sie entwickelte sich einfach nur zu einer egoistischen Drama-Queen ohne Empathie anderen gegenüber.

----------ACHTUNG SPOILER!----------

Sex war für sie schon anfangs immer Mittel zum Zweck. Sei es, um ihren Traummann vor den Altar zu schleppen, um ihn zu manipulieren oder um sich für irgend etwas zu entschuldigen.
Als Oliver Lytton, zu diesem Zeitpunkt schon leicht traumatisiert, seinen Fronturlaub zu Hause verbringt, beschäftigt Celia allein nur der Gedanke, weshalb er kein Interesse für ihre Probleme und an ihr selbst zeigt.

"Während seines zehntägigen Aufenthaltes zu Hause stellte er Celia keine einzige Frage über Lyttons, wie sie mit ihrem eigenen schwierigen Leben zurecht komme.
Er schlief auch nicht mit ihr oder signalisierte ihr, dass er sich das wünsche.
Als er an die Front zurück musste, setzte sie sich an die Themse und fragte sich, wie eine Ehe solche Belastungen überstehen sollte."
(S. 285 /
Es ist natürlich viel schlimmer, dass er nicht mit ihr pempern will u. sich kein Stück für sie interessiert...schlimmer als das er wieder an die Front muss.)


Als Oliver schließlich aus dem Krieg zurückkehrt, mit schwerer Bauchverletzung und inzwischen schwerst traumatisiert wohlgemerkt, erklärte die Autorin wie egoistisch er nicht agiert.

"Er war dankbar, zu Hause zu sein, und freute sich darüber,
Celia und die Kinder wiederzusehen,
interessierte sich darüber hinaus jedoch nur für sich selbst und seine Genesung."
(S. 327 / Also Pfui..wie kann er nur!)


Celia hat daraufhin natürlich nichts besseres zu tun als sich, nach nur paar Wochen seiner Rückkehr, unsterblich in den erstbesten Autor zu verlieben und eine Affäre mit ihm zu beginnen.
Eh klar, wenn der Gatte mit posttraumatischer Belastungsstörung zu kämpfen hat und einem nicht mehr besteigen will, reagiert man nun mal so. Da ist ein Rasenmäher sensibler als die Protagonistin.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Roman für mich nahezu unlesbar.

----------SPOILER-ENDE!----------

Des Weiteren sind alle Figuren ungewöhnlich attraktiv, äußerst hübsch und höchst intelligent. "Normalos" kommen einem hier also nicht wirklich unter.

Und noch etwas habe ich hier zu beanstanden..jahaa, ich bin noch nicht fertig...und zwar: Die Beschreibung des Settings.
Bis auf die Passagen in denen der Erste Weltkrieg explizit erwähnt wird, könnte sich dieser Roman in jeder x-beliebigen Epoche befinden. Ich vermisste die historische Atmosphäre und ebenso die gut recherchierten historischen Ereignisse à la Ken Follet oder Rebecca Gablé.

Fazit:
Dieser Roman war eine große Enttäuschung für mich, habe ich mir doch, aufgrund der vielen Lobhudeleien bezüglich der Autorin und dieser Reihe, einen historischen Roman à la Ken Follett oder Rebecca Gablé erwartet. Bekommen habe ich einen Groschenroman mit unsympathischer Protagonistin und einem Setting ohne Atmosphäre.
Wer jedoch seichten Liebesschnulzen ohne Tiefgang etwas abgewinnen kann, könnte von dieser Saga durchaus begeistert sein. Ich persönlich halte mich von dieser Reihe und von Büchern dieser Autorin fern. Urlaubslektüre hin oder her.

© Pink Anemone