Profilbild von Ambermoon

Ambermoon

Lesejury Star
offline

Ambermoon ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Ambermoon über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.06.2019

Ein genialer Serienauftakt - spannend, wendungsreich und blutig. Ich liebe es!!

The Fourth Monkey - Geboren, um zu töten
0

5 Jahre, unzählige Opfer und ein Serienkiller, der auch nach seinem Tod nicht ruht …
Tue nichts Böses, sonst wird er dich bestrafen. Zuerst wird er einen Menschen entführen, den du liebst. Dann wird er ...

5 Jahre, unzählige Opfer und ein Serienkiller, der auch nach seinem Tod nicht ruht …
Tue nichts Böses, sonst wird er dich bestrafen. Zuerst wird er einen Menschen entführen, den du liebst. Dann wird er dir ein Ohr des Opfers in einem weißen Geschenkkarton schicken. Daraufhin ein Auge, dann die Zunge. Du kannst versuchen, ihn zu stoppen, aber du wirst es nicht schaffen. Denn er ist der Four Monkey Killer, und er kennt kein Erbarmen. Du kannst nur hoffen, dass er nicht weiß, wer du bist, und dass er es nie erfährt …
(Klappentext)

☠☠☠☠☠

"Es war der Anfang von etwas Schrecklichem gewesen. Von etwas, was sich jemand ganz genau zurechtgelegt hatte. Von etwas Bösem."
(S. 20)


Eigentlich wollte ich zu diesem Buch überhaupt keine Rezension schreiben, doch hier kann ich einfach nicht anders und muss Euch berichten. Dieser Thriller ist nämlich absolut abgefahren!!

Seit 5 Jahren hält der 4MK (Fourth Monkey-Killer) Chicago in Atem. Sieben Opfer gehen auf seine Rechnung und diese Rechnung beinhaltet Selbstjustiz mit dem Ergebnis Tod.
Jedes Opfer war die Rache für die ungesetzliche Handlung eines Angehörigen der weiblichen Opfer. Doch er tötet nicht nur, sondern foltert und verstümmelt seine Opfer. Zuerst schneidet er ihnen ein Ohr ab, dann die Augen, danach die Zunge und schließlich tötet er die Frauen. Stück für Stück werden diese Teile dem gesetzlosen Angehörigen zugeschickt.
Nun scheint es als wäre der Serienkiller endlich gestoppt worden .. durch einen Bus, im wahrsten Sinne, denn er wurde von einem überfahren.
Es hätte alles so ein glückliches Ende nehmen können, wenn er nicht noch ein 8. Opfer irgendwo versteckt hätte. Selbst nach seinem Tod scheint er den Ermittlern dreckig ins Gesicht zu lachen.
Porter, der leitende Ermittler, und sein Team müssen das Mädchen finden, doch wie ohne Hinweise? Oder gibt das Tagebuch des Killers, welches bei ihm gefunden wurde, Aufschluß darüber? Selbst in dieser Autobiographie verhöhnt der 4MK die Ermittler, lässt Porter aber gleichzeitig tief in die Psyche und Seele eines wahren Psychopathen blicken ... und die Uhr tickt ... TICK TACK!

"Ich habe gemordet, einfach nur weil ich dem Drang nachgeben musste, der mit der Zeit übermächtig wird. Einem Drang - einem Hunger nicht ganz unähnlich -, der nur gestillt werden kann, indem Blut fließt oder ein gequälter Schrei erklingt." (S. 28)

Hier eröffnet sich einem ein blutiger Thriller, gepaart mit schriftstellerischer Leistung par excellance. Der Schreibstil ist grandios und lässt einem nur so durch die Story fliegen.
Die Story selbst ist fesselnd, brutal und blutig und die Charaktere ausgefeilt und authentisch.
Man liest sowohl aus Porters Sicht, wobei einem die Dialoge zwischen den Ermittlern oft schmunzeln lassen und dadurch die Story etwas aufgelockert wird. Man erhält aber auch Einblick in die Perspektive des Opfers. Diese Passagen sind dann düster und beklemmend. Und dann wäre noch das Tagebuch des Fourth Monkey-Killers. Dieses gewährt einem Einblicke in das Leben des Killers - von Kindheit an, bis zum Ende, quasi eine Autobiographie. Dieser Teil ist mehr als nur verstörend.


"Der Schmerz in ihrem Ohr, die tauben Zehen, die Verletzlichkeit, weil sie sich nackt an diesem unheimlichen Ort befand - all das schoss ihr durch den Kopf. Der fremde Blick, der auf ihr ruhte. Der Mann, der sie verschleppt hatte - ein Mann, der genauso gut meilenweit oder bloß Zentimeter von ihr entfernt sein mochte, irgendwo hier in der Finsternis."
(S. 208)


Jede Perspektive endet mit einem Cliffhanger und ich kann nicht sagen welche Passage mein Favorit war, denn jede ist auf ihre Weise einnehmend und spannend zu verfolgen. Die Story ist nämlich von überraschenden Wendungen durchzogen und nicht selten kam mir ein "Oh, verdammt!!" über die Lippen.
Das Ende, bzw. die Auflösung, hält dann noch eine zusätzliche Überraschung bereit. Ich würde Euch jedoch raten vor Beendigung des Buches den Klappentext des 2. Teils der Sam Porter-Reihe "Das Mädchen im Eis" NICHT zu lesen, denn in diesem wird böse gespoilert und verdirbt so manche Überraschung.

">>Ich wette, wenn ich das Messer genau richtig ansetzen würde, wenn ich unten anfangen und mich dann ganz langsam um die Dorsalseite herum nach oben arbeiten würde bis zum Ellennerv, könnte ich deine Haut wie einen nassen Handschuh abziehen.<<"
(S. 318)


Fazit:
Spannend von Anfang bis Ende, wendungsreich, sodass einem manchmal regelrecht der Atem stockt und allem voran der Schreibstil, der einem Kopfkino beschert und eine unglaublich literarische Sprachgewalt besitzt. Dieses Buch ist ein genialer Serienauftakt einer neuen Thriller-Reihe und wenn der Autor diese Art zu schreiben beibehält, könnte dies einer meiner Lieblingsreihen werden. Für schwache Mägen und sensible Nerven ist dieses Buch, und wohl die gesamte Reihe, nur bedingt zu empfehlen. Ich hingegen liebe es!

© Pink Anemone (inkl. Buchtrailer, Leseprobe, Bilder und Autoren-Info)

Veröffentlicht am 15.05.2019

Eines jener Bücher in das man ein- und nie wieder auftauchen möchte und einem lange in Erinnerung bleibt. Eine wahre Wohlfühl-Dystopie.

Der Wal und das Ende der Welt
0

Erst wird ein junger Mann angespült, und dann strandet der Wal. Die dreihundertsieben Bewohner des Fischerdorfs St. Piran spüren sofort: Hier beginnt etwas Sonderbares. Doch keiner ahnt, wie existentiell ...

Erst wird ein junger Mann angespült, und dann strandet der Wal. Die dreihundertsieben Bewohner des Fischerdorfs St. Piran spüren sofort: Hier beginnt etwas Sonderbares. Doch keiner ahnt, wie existentiell ihre Gemeinschaft bedroht ist. So wie das ganze Land. Und vielleicht die ganze Welt. Weil alles mit allem zusammenhängt.
John Ironmonger erzählt eine mitreißende Geschichte über das, was uns als Menschheit zusammenhält. Und stellt die wichtigen Fragen: Wissen wir genug über die Welt, in der wir leben? Was brauchen wir, um uns aufgehoben zu fühlen? Und was würdest du tun, wenn alles auf dem Spiel steht? ...
(Klappentext)

?????

"Am blassgrauen Himmel über Piran Head flogen an diesem Tag keine Flugzeuge. Auf dem Wasser waren keine großen Schiffe zu sehen. Keine Wanderer kamen über die Klippenwege. Kein Fahrzeug fuhr auf der Straße. Kein Strom floss durch die Kabel, kein Wasser durch die Leitungen. Die Radiosender sendeten keine Musik. Als die Dorfbewohner an diesem trüben Oktobertag erwachten, hörten sie nur das Schreien der Möwen, das Pfeifen des kalten Nordwindes und das Läuten zweier Kirchenglocken."
(S. 347)


Was war zuerst da - der Wal oder der angspülte nackte Mann?
In dem kleinen Fischerdorf St. Piran an der Küste Cornwalls geschahen zwei besondere Ereignisse an einem Tag und innerhalb weniger Minuten. Es wurde ein Wal ganz nah an der Küste gesichtet und es wurde ein Mann an den Strand gespült. Zwei Ereignisse und beide führten dazu, dass in diesem kleinen Dorf ab diesem Zeitpunkt nichts mehr ist wie es einmal war.

Wie Joe wird man in St. Piran angespült. Es ist ein malerisches Dörfchen, von der Außenwelt nahezu abgeschnitten und mit gerade mal 300 Einwohnern. St. Piran wimmelt nur so von skurrilen aber äußerst liebevollen Figuren und jeden einzelnen schließt man sofort ins Herz. Jeder hat seine Eigenheiten, jeder seine kleine Geschichte und jeder seinen Grund in diesem kleinen Fischerdörfchen zu bleiben, anstatt in eine der größeren Städte zu ziehen. Dann ist da nun auch Joe, der ihnen im wahrsten Sinne vor die Füße gespült wurde und das kleine Dörchen somit in Aufruhr versetzt.
Joe ist, bzw. war, Börsenanalytiker einer Bank und sorgte mit seiner letzten Analyse in seiner Abteilung für einen Supergau. Er flüchtete und gelangte so auf sehr spektakuläre Weise nach St. Piran.
Im Verlauf erfahren wir, in Form von Rückblenden, was sich ereignete, was für ein Typ Joe vorher war und erhalten auch Einblicke was passiert, wenn nur ein Zähnchen im großen Zahnrad des Systems abbricht und somit unweigerlich zum Kollaps führt - ein wahrer Schmetterlingseffekt, der zu Krieg, Hunger, Pandemien und so zum Ende der Zivilisation und somit auch der Menschlichkeit führt. Doch dies scheint diesmal nicht nur bloße Theorie zu sein und im Verlauf spitzt sich die Lage zu und macht auch vor dem abgelegenem Dörfchen St. Piran nicht Halt.

"Ein Mann in Irland klagte: >>Das schwarze Zeug ist alle.<<
>>Das Öl?<<, fragte Peter.
>> Kein Öl, du Pfeife. Guinness!<<"
(S. 338)


Es ist schwer dieses Buch in ein Genre einzuordnen. Es ist nicht nur ein Roman und nicht nur eine Dystopie.
In den mir bekannten Dystopien liegt die Welt bereits in Trümmern - hier ist man jedoch dabei wie alles seinen Anfang nimmt.
In den anderen Dystopien kämpft jeder gegen jeden, jeder konzentriert sich auf sein eigenes Überleben - hier sieht man wie es laufen könnte, wenn man sich die Menschlichkeit bewahrt und zusammenhält.
Und in anderen Dystopien läuft man durch ein Setting aus zerstörten Gebäuden mit beklemmender Atmosphäre, doch hier befindet man sich in einem malerischen Fischerdörfchen, mit weichem Sand unter den Füßen, weiß getünchten Häusern im Rücken und blickt auf das tiefblaue Meer.
Und dann ist da natürlich der Wal, der sich nah an der Küste aufhält und seine Fontäne in den regenverhangenen Himmel bläst. Dieser hat seine ganz eigene Aufgabe in diesem Roman.

Der Schreibstil ist klar und flüssig, mit ruhigen Tönen, wunderschönen Naturbeschreibungen und Wohlfühlatmosphäre. Das mag nun etwas kurios klingen, da es sich hier um ein beginnendes Endzeitszenario handelt, doch in diesem dystopischen Roman sind vor allem Zusammenhalt, Hoffnung und der Erhalt der Menschlichkeit die großen Themen. Hier entwickeln sich die Charaktere, ohne sich selbst zu verlieren.

">>Es gibt ein paar Dinge, auf die wir uns immer verlassen können, Joe.
Die Sonne wird morgen aufgehen. Wir sind alle sterblich. Und es wird immer Gesetze geben, die es zu befolgen gilt.<<"
(S. 299)


Man fühlt sich in diesem Roman/in dieser Dystopie so unheimlich wohl, spürt jedoch auch gleichzeitig die drohende Gefahr, welche in immer größer werdenden Schritten auf einen zukommt ... und trotzdem würde man nicht weg wollen, genau so wie die Bewohner von St. Piran auch.

Fazit:
Dieser dystopische Roman ist bedrückend, regt zum Nachdenken an und ist zugleich wunderschön und voller Hoffnung - quasi eine Wohlfühl-Dystopie.
Ich habe gelacht, ich habe auch das ein oder andere Tränchen verdrückt, habe mich nur zu gerne in diesem Fischerdörfchen aufgehalten und selbst ich Misanthropin, habe so ein kleines bisschen den Glauben an die Menschheit gewonnen.
Es ist eines jener Bücher, in das man ein- und nie wieder auftauchen möchte und welches einem lange in Erinnerung bleibt. Ein Lesehighlight sondergleichen!

© Pink Anemone (inkl. Leseprobe, Bilder, Rezept zum Buch und Autoren-Info)

Veröffentlicht am 14.05.2019

David Hunter is back und das besser wie schon lange nicht mehr

Die ewigen Toten
0

Im 6. Teil der Bestsellerreihe um David Hunter ermittelt der forensische Anthropologe in einem verlassenen Krankenhaus mit schreckensreicher Vergangenheit.
Nur Fledermäuse verirren sich noch nach St. Jude. ...

Im 6. Teil der Bestsellerreihe um David Hunter ermittelt der forensische Anthropologe in einem verlassenen Krankenhaus mit schreckensreicher Vergangenheit.
Nur Fledermäuse verirren sich noch nach St. Jude. Das Krankenhaus im Norden Londons, seit Jahren stillgelegt, soll in Kürze abgerissen werden. Doch dann wird auf dem staubigen Dachboden eine Leiche gefunden, eingewickelt in eine Plastikhülle. Die Tote, das sieht David Hunter sofort, liegt schon seit langer Zeit hier. Durch das trockene und stickige Klima ist der Körper teilweise mumifiziert.
Als beim Versuch, die Leiche zu bergen, der Boden des baufälligen Gebäudes einbricht, entdeckt der forensische Anthropologe ein fensterloses Krankenzimmer, das nicht auf den Plänen verzeichnet ist. Warum wusste niemand von der Existenz dieses Raumes? Und warum wurde der Eingang zugemauert, obwohl dort nach wie vor Krankenbetten stehen? Betten, in denen noch jemand liegt…
(Klappentext)

☠☠☠☠☠

"Es herrschte allgemein der Eindruck, dass die Suche sich dem Ende zuneigte, dass das St. Jude keine weiteren Überraschungen mehr bereithielt. Ich hätte es besser wissen sollen."
(S. 287)


Dies ist der 6. Teil der Hunter-Reihe und im Grunde ist jeder Band in sich abgeschlossen und kann daher eigenständig gelesen werden. Als Reihen-Junkie möchte ich jedoch die Empfehlung abgeben, diese Serie der Reihe nach zu lesen, um in den vollständigen Genuss von David Hunter zu kommen. Immerhin schweift der Autor doch hin und wieder in die Vergangenheit und gibt einen Einblick in frühere Fälle. Man kann dann so manche Zusammenhänge besser verstehen.

David Hunter ist ein forensischer Anthropologe und eher ein stiller Typ, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. Manchmal scheint es als könne er mit den Toten besser umgehen als mit den Lebenden, aber hin und wieder blitzt sein von Sarkasmus geprägter schwarzer Humor auf - Engländer eben. Meistens versucht er Konfrontationen aus dem Weg zu gehen und entgleisende Situationen mit Worten zu entschärfen. Man sollte ihn jedoch nicht zu sehr reizen. Er ist einfach eine coole Socke und natürlich einer der besten in seinem Fach.

Dieses Mal führt ihn ein Fall in ein altes leerstehendes Krankenhaus im Norden Londons. Normalerweise treiben sich nur noch Junkies und Obdachlose im St. Judes herum, diesmal wurde jedoch kein Besoffener oder zugedröhnter Drogenabhängiger gefunden, sondern eine Leiche. Die scheint schon länger auf dem Dachboden zu liegen, denn sie ist bereits mumifiziert. Doch diese Mumie bleibt nicht die einzige Leiche. Als der morsche Boden nachgibt, werden im Raum darunter weitere Leichen entdeckt und diese sehen auch nicht mehr allzu frisch aus. Was jedoch den Ermittlern und auch David Hunter die Gänsehaut auffahren lässt ist, dass diese beiden Leichen augenscheinlich lebendig eingemauert wurden.
Was ging in diesem Krankenhaus vor sich und was erwartet sie noch in diesen dunklen Gängen? David Hunter macht seinem Namen wieder einmal alle Ehre, denn für ihn bedeutet es nur eins - Die Jagd ist eröffnet.

Ich bin ja immer auf der Suche nach Büchern aus dem Genre Thriller und Horror mit Krankenhaus- oder Psychiatrie-Setting. Bezüglich Horrorromane gibt es leider nicht viel und noch weniger Gutes auf dem Buchmarkt. Im Genre Thriller hingegen findet man schon das ein oder andere Schmankerl und dieses Buch steht hierbei ganz oben auf der "Best-of"-Liste.

"Das T-Shirt war hochgezogen und unter der Brust gerafft, sodass der Bauch frei lag. Oder was davon übrig war. Die Bauchhöhle war von unterhalb der Rippen bis zum Schambein aufgerissen. Die inneren Organe waren so geschrumpft und zersetzt, dass sie nicht zu erkennen waren."
(S. 31)


Simon Beckett hat die Gabe eine wunderbar unheimliche Atmosphäre zu schaffen, mit den richtigen Worten beim Lesen Bilder im Kopf entstehen zu lassen und dies vor allem die Settings betreffend. Egal ob weitläufige Heide oder kaltes und verregnetes Sumpfland, wie z.B. in den vorherigen Bänden der Hunter-Reihe, man fühlt sich jedes Mal in dieses Setting regelrecht hineingepflanzt. So natürlich auch hier.
Man sah die staubigen und zum Teil verfallenen dunklen Gänge des verlassenen Krankenhauses vor sich, riecht den abgestandenen Moder und fühlt vor allem diese bedrückende und auch unheimliche Atmosphäre eines alten Spitals, welches noch aus der viktorianischen Ära stammt.
Während David Hunter dieses verfallene Krankenhaus nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr betreten möchte, wollte ich am liebsten gar nicht mehr raus.

"Offene Türen lenkten den Blick in düstere Räume, leer bis auf einen umgefallenen Stuhl hier oder einen kaputten Tisch da. Wenn dies je ein Ort der Genesung und Heilung gewesen sein sollte, war davon nichts mehr zu spüren. Jetzt lag Verzweiflung über allem."
(S. 83)


Doch nicht nur die Atmosphäre ist ein Highlight, sondern natürlich auch die Story selbst. Spannend von Anfang bis Ende und die vielen überraschenden Wendungen sind bei Simon Beckett ebenso legendär wie das Erschaffen eines atmosphärischen Settings. Langeweile sucht man hier vergebens.

Auch die Charaktere, wie üblich, authentisch, ausgefeilt und facettenreich gezeichnet und nicht jeder wird überleben und nicht jeder ist einem sympathisch. Dies alles wird durch einen flüssigen Schreib- und packenden Erzähl-Stil ergänzt und wurde so zu einem Page-Turner der Extraklasse, der einem wieder auf spannende Weise in die Welt des beliebtesten forensischen Anthropologen David Hunter entführt.
Nur das Ende war mir dann doch etwas too much was den Verlauf des privaten Bereichs von David Hunter betrifft. Das ist jedoch Meckern auf hohem Niveau.

"Hexanal, ein Gas, das in den frühen wie den späteren Verwesungsstufen auftritt, ähnelt frisch gemähtem Gras, und Butanol durftet nach herbstlichen Blättern. Der Geruch von Verwesung kann all diese Noten enthalten, er ist komplex wie edler Wein. Und da der Tod voller Überraschungen ist, kann er sich mitunter auch auf ganz andere Weise ankündigen."
(S. 8)


Fazit:
Nach jahrelanger Hunter-Abstinenz ist Simon Beckett mit diesem Band zurückgekehrt und das besser wie schon lange nicht mehr. Möglich das meine Begeisterung durch mein Faible für unheimliche Krankenhäuser etwas beeinflusst wurde, doch dieser 6. Teil zählt zu einem der besten. Ich habe dieses Buch regelrecht inhaliert und daher war regelmässig ein "Ohhh" und "Ahhh" von mir zu hören.
Simon Beckett dürfte zu seiner alten Form zurückgefunden haben und nun hoffe ich, dass ncoh einige Bände folgen werden. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

© Pink Anemone (inkl. Bilder, Leseprobe und Autoren-Info)

Veröffentlicht am 30.04.2019

Eine wunderschöne und spannende Story mit einem Touch von "Stolz und Vorurteil" und welche einen wieder an Bücher mit Magie glauben lässt.

Emma, der Faun und das vergessene Buch
0

Als Emma beim Aufräumen in der Bibliothek ihres Internats ein altes Notizbuch findet, denkt sie zunächst, es wäre eine Art Chronik der Schule. Aber es ist genau umgekehrt: Alles, was man in dieses Buch ...

Als Emma beim Aufräumen in der Bibliothek ihres Internats ein altes Notizbuch findet, denkt sie zunächst, es wäre eine Art Chronik der Schule. Aber es ist genau umgekehrt: Alles, was man in dieses Buch hineinschreibt, wird tatsächlich wahr.
Natürlich beginnt Emma sofort damit, den Schulalltag auf Schloss Stolzenburg ein wenig zu „korrigieren“. Doch nichts geschieht so, wie sie es sich gedacht hat. Zumal auch schon früher Chronisten das Buch genutzt haben. Zum Beispiel eine junge Engländerin, die Ende des 18. Jahrhunderts ein Märchen über einen Faun verfasst hat und später eine erfolgreiche Schriftstellerin wurde. Oder Gina, die vor vier Jahren plötzlich verschwand, nachdem sie ihre Geheimnisse der Chronik anvertraut hatte.
Als sich jetzt auch noch Ginas Bruder Darcy einmischt, ist das Chaos perfekt. Denn Emma und Darcy sind einander in herzlicher Abneigung zugetan – zumindest glauben das die beiden....
(Klappentext)

✽✽✽✽✽

"Wenn ein Mädchen dazu bestimmt ist, eine Heldin zu werden, dann wird das Schicksal schon dafür sorgen, dass etwas in ihre Hände gerät, womit genau das möglich ist."
(S. 94)


Emma, ein 16-jähriges Mädchen, kehrt nach den Sommerferien völlig euphorisch ins Internat zurück. Dieses Jahr soll alles anders werden - besser. Wenn sie nur gewusst hätte WIE anders alles werden wird.
Nicht nur, das sie beim Entrümpeln der alten Schlossbibliothek auf ein geheimnisvolles Chronic-Buch stößt, welches voller Magie zu stecken scheint und alles wahr wird, was man hineinschreibt. Auch dieser arrogante Darcy de Winter, ein ehemaliger Schüler und Nachkomme des einstigen Grafen und Schlossherrn, macht ihr das Leben schwer. Dieser arrogante Schnösel ist auf der Suche nach Hinweisen, um seine Zwillingsschwester zu finden, welche vor 4 Jahren im Internat auf mysteriöse Weise verschwand.
Alles scheint irgendwie zusammenzuhängen und ebenso scheint alles bald unkontrolliert um Emmas Ohren zu fliegen.

Könnt Ihr Euch noch an diese ganz bestimmten Bücher Eurer Kindheit und Jugend erinnern, welche Euch ganz und gar vereinnahmt haben, Euch auf diese ganz spezielle Art und Weise in fremde Geschichten und Welten versetzten?
Als ich 10 Jahre war, verschlang ich alle "Hanni und Nanni"-Bücher (und allgemein alle Bücher mit Internatsgeschichten), reiste mehrmals mit dem "Zauberer von Oz" in eine verrückte magische Welt und klärte mit den "Fünf Freunden" spannende Fälle. Als Kind hatte man irgendwie einen anderen Zugang zu Büchern, es war ein wahres Erlebnis diese Bücher zu lesen und sie riefen ganz eigene "Lesegefühle" in einem aus. Dieses Gefühl verliert man leider im Verlauf des Erwachsenwerdens und hin und wieder sehnt man sich nach dieser kindlichen "Buchmagie".
Dieses Buch schaffte es, mich während des Lesens wieder wie damals als Kind zu fühlen. Ich tauchte nach langem wieder in ein Internatsleben ein, begab mich auf eine Reise in eine verrückte magische Welt, die zwischen zwei Buchdeckeln steckt und zum Ende hin wurde auch noch ein spannender Fall daraus.
Hier versteckt sich also eine Mischung aus "Hanni und Nanni", eines magischen Märchens und eines Mystery-Krimis.

"Später fragte ich mich manchmal, was geschehen wäre, wenn ich nicht darauf gestoßen wäre. Wenn wir gar nicht erst in die Bibliothek gegangen wären. Oder, wenn ich es zwar gefunden, aber einfach beiseite gelegt hätte,. Wenn ich es irgendwo in ein Regal geschoben hätte? Was wäre dann geschehen?"
(S. 14)


In diesem Jugendbuch ist außerdem ein mutiges, selbstironisches und freches Mädchen die Protagonistin, dessen Welt sich nicht ständig um Aussehen, Jungs und Nagellack dreht - endlich! Natürlich gibt es hier auch Schulbälle und natürlich ist auch die erste Liebe ein Thema, aber dabei verliert sich Emma nicht und schmachtet nicht ständig vor sich hin. Sie hat Wichtigeres zu tun, nämlich inter das Geheimnis dieses Buches zu kommen und so Magie in ihr Leben zu lassen. Auch wenn dann alles anders verläuft, als sie es geplant und sich vorgestellt hat.

Als Jane Austen-Fan bin ich natürlich doppelt begeistert, da es sich hier um eine kleine und magische Adaption des Klassikers "Stolz und Vorurteil" handelt, in der auch Jane Austen vorkommt, wenn auch unter einem anderen Namen. Es hat Spaß gemacht Charaktere aus diesem Literaturklassiker und Parallelen zu dieser Story zu entdecken. Doch auch LeserInnen, die Jane Austen und ihr Werk "Stolz und Vorurteil" nicht kennen werden hier auf ihre Kosten kommen. Ich bezweifle nämlich, dass viele 12-jährige diesen Klassiker schon kennen. Es ist einfach nur ein kleines Lese-Goodie für diejenigen die ihn kennen.

Der Schreibstil ist einfach und locker und man liest aus der Ich-Perspektive von Emma. Zwischendurch erhält man aber auch Einblick in das Buch selbst und in das bereits Geschriebene, was sich sehr interessant liest und einen düsteren Touch beinhaltet.

Die Charakterzeichnung von Emma ist gelungen und vor allem authentisch. Wir begleiten ein noch etwas naives aber auch mutiges und sehr humorvolles Mädchen, welches dabei ist sich zu entwickeln.
Die Story selbst fängt eher ruhig an und man erhält einen Einblick in das Internatleben, doch man ist immer von dieser Magie umgeben, welche aus diesem Buch strömt. Im Verlauf und vor allem zum Ende hin wird es immer spannender und es kommt auch zu der ein oder anderen überraschenden Wendung.

"Mit einem Mal lag ein Wispern in der Luft, ein Flüstern, so leise, dass ich es mehr fühlte, als hörte. Ein raschelndes Murmeln, ein Summen, das die Härchen auf meinem Arm zum Vibrieren brachte und beinahe nach einem Namen klang. Meinen Namen."
(S. 22)


Fazit:
Es ist äußerst selten, dass ein Buch in mir dieses bestimmte Lesegefühl hervorruft, welches ich als Kind und Jugendliche so sehr liebte. Dieses Buch hat es geschafft und ließ mich nostalgisch träumen und schließlich begeistert zurück.
Für alle die überzeugt sind, dass Bücher magisch sind, auch wenn sie keine verstaubten Chronic-Bücher wie in dieser Story sind.

"Und ich warte
zwischen den Zeilen, im Dunkel dieser einen Nacht,
höre ich zarte
Flügel sich eilen,
sich nähern mit des Donners Macht.
Wie wünscht ich andre Worte mir,
ein neues Buch und mehr Papier!"
(Auszug aus dem Faunlied / S. 413)


© Pink Anemone (mit Leseprobe, passendem Lese-Sound und Autoren-Info)

Veröffentlicht am 28.04.2019

Ein Coming of Age- und Weird Fiction-Horror vom Feinsten. Ein Highlight sondergleichen!!

Elm Haven
0

Es ist der Sommer 1960. Die schwüle Hitze macht allen in Elm Haven, Illinois, schwer zu schaffen, und die Tage fließen träge dahin. Für die fünf Freunde Mike, Duane, Dale, Harlen und Kevin wird diese Zeit ...

Es ist der Sommer 1960. Die schwüle Hitze macht allen in Elm Haven, Illinois, schwer zu schaffen, und die Tage fließen träge dahin. Für die fünf Freunde Mike, Duane, Dale, Harlen und Kevin wird diese Zeit zum Sommer ihres Lebens, dessen Ereignisse ein unzerstörbares Band der Freundschaft und des geteilten Grauens zwischen ihnen schmieden werden. Denn noch ahnen sie nicht, was im Keller ihrer Schule lauert. Noch liegt Elm Haven friedlich in der Sommerhitze … (Klappentext)

☥☥☥☥☥☥☥☥☥☥

Dieser Wälzer von knapp über 1000 Seiten enthält 2 Bücher:

"Summer of Night" - 1991 Amerikanische Erstveröffentlichung
"A Winter Haunting" - 2002 Amerikanische Erstveröffentlichung

Aufgrund dessen wird dieser Beitrag ebenfalls in gewisser Weise zwei Rezensionen enthalten, da ich auf beide Bücher getrennt eingehe, um dann ein zusammenfassendes Fazit zu erstellen. Nun denn, wollen wir uns nicht mehr mit unnötigem Geplapper aufhalten und begeben uns nach Elm Haven.

☥☥☥☥☥

Sommer der Nacht

"Doch dabei fiel dem aufmerksamen Beobachter plötzlich auf, dass die hohen Fenster große, schwarze Löcher waren, als wären sie entworfen worden, um das Licht zu verschlucken, anstatt es einzulassen oder zu reflektieren. Die theatralischen pseudoitalinienischen Verzierungen waren einem brutalen und gewöhnlichen Stil aufgepfropft worden, den man als Schul-Gotik des mittleren Westens bezeichnen konnte; der abschließende Eindruck war nicht der eines atemberaubenden Bauwerks, nicht einmal der einer wahren architektonischen Kuriosität, sondern lediglich der einer zu groß geratenen, schizophrenen Anhäufung von Ziegeln und Steinen, gekrönt von einem Glockenturm, der eindeutig von einem Wahnsinnigen entworfen worden war."
(S. 11)


Wir befinden uns im Jahr 1960 und in Elm Haven, einer Kleinstadt in Illinois. Der letzte Schultag und zugleich auch der letzte Tag der Old Central School, welche ab nun geschlossen und verlassen sein wird. Die Vögel zwitschern, die Straße flimmert in der Sommerhitze und für die Kinder haben nun die Sommerferien begonnen. Unter ihnen die sechs Jungen Dale, Mike, Duane, Kevin, Jim und Lawrence, der kleine Bruder von Dale und sie haben die Ferien schon herbeigesehnt. Doch diesmal verlaufen die Sommerferien anders als geplant. Es verschwindet plötzlich ihr Schulkamerad Tubby und die Jungs machen es sich zur Aufgabe ihn zu finden. Da alles mit der Old Central School zusammenzuhängen scheint, beginnen sie genau dort mit der Suche. Doch das Verschwinden von Tubby ist nicht das einzige und schon gar nicht das unheimlichste Ereignis in Elm Haven. Es hat damit lediglich begonnen.

Die Jungs:

Dale: 11 Jahre, liest mehrere Bücher pro Woche und am liebsten die ACE-Science-Fiction-Reihe - Der Besonnene
Mike: Dales bester Freund, ein fröhlicher Junge und immer zu Späßen aufgelegt, obwohl er in ärmlichen Verhältnissen aufwächst - Der Anführer
Jim Harlen: von allen nur Harlen genannt; er schneidet nur zu gerne Grimassen und bringt die anderen dadurch in den unmöglichsten Situationen zum Lachen und er hat eine verdammt große Klappe - Der Sarkastische
Kevin: 9 Monate jünger als Dale und daher nicht in der selben Klasse; er ist eher der ruhige und schüchterne dieser Truppe - Der Ängstliche
Duane: ein pummeliger und eher stiller Junge und hochbegabt, was jedoch von den Lehrern nicht erkannt wird und er den anderen Jungs sicher nicht auf die Nase bindet; er möchte unbedingt Schriftsteller werden - Der Denker
Lawrence: der 3 Jahre jüngere Bruder von Dale und auch immer mit dabei. Er hat vor nichts Angst, außer der Dunkelheit - Der Mutige

Die Story beginnt ruhig und bedächtig, indem die Kleinstadt, die Protagonisten und die Old Central School vorgestellt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht schon hierbei Gänsehaut aufkommt. Schon die Beschreibung der Old Central School löst leichte Beklemmung aus und zwischendurch, manchmal nur am Rande erwähnt, passiert etwas, etwas das man nicht greifen kann, man aber weiß das es vorhanden ist und einem eine leichte Gänsehaut auffahren lässt - ein Schrei, raschelndes Maisfeld an einem windstillen Tag, unheimliches Flüstern, etc. Diese Dinge kommen immer wieder wie aus dem nichts. Man geht z.B. gerade ins Freiluftkino, um sich eine Abendvorstellung anzusehen, der Geruch von frisch gemähten Gras liegt in der Luft, Grillen zirpen, man freut sich seine Freunde zu sehen und dann ... ZACK ... wird es plötzlich unheimlich und die Nackenhaare stellen sich einem auf.

"Dale und Lawrence standen erstarrt auf dem Gehweg, umklammerten ihre Popcorntüten und blickten nach oben, wo die Fledermäuse ihre beiden Namen schrien, mit einer Schärfe, als würden Zähne über eine Schiefertafel gezogen. Weit, weit entfernt sagte die verstärkte Stimme von Schweinchen Dick: 'D-d-d-as war's Leute!'
>>Lauf!<<, flüsterte Dale."
(S. 81)


Anfangs treten diese Dinge nur sporadisch auf, doch im Verlauf der Story wird die Atmosphäre und die unheimlichen Geschehnisse zunehmend beklemmender und die ruhigen Passagen dazwischen kürzer - als würde sich langsam aber stetig die Schlinge des Horrors langsam zuziehen, bis es z um großen Knall kommt.

Der Schreibstil von Simmons ist einmalig, der Plot packend und die Charaktere hervorragend ausgearbeitet. Man liest hierbei aus der Perspektive jedes Jungen und daher schließt man jeden einzelnen von ihnen ins Herz, fiebert mit ihnen mit und sieht ihnen dabei zu, wie sie sich entwickeln und über sich hinaus wachsen.

Mich konnte jedoch vor allem die dichte Atmosphäre begeistern. Der Autor schafft es auf hervorragende Weise den Leser in einen Sommer der 60er zu katapultieren. Man sieht Elm Haven mit seinen Farmen, die von Maisfeldern umgeben sind, spürt die Hitze des Sommers auf der Haut, während man mit dem Fahrrad über staubige Landstraßen radelt. Die Atmosphäre macht auch bei den beklemmenden und unheimlichen Stellen nicht Halt. Manchmal war es so spannend und furchterregend, dass ich überlegte ans Ende zu blättern, um mich zu vergewissern, dass alles gut geht und ich gehöre keineswegs zu dieser Art von Lesern die das normalerweise machen. Ich habe es natürlich nicht gemacht und das war auch gut so, denn sonst hätte ich mich um so einige überraschende Wendungen gebracht.

"Er hob die langen Finger. Sein Gesicht ... schmolz ... das Fleisch unter der Haut wallte, Knorpel und Knochen gruppierten sich neu, die lange Nase und das Kinn wuchsen zusammen und bildeten die Schnauze, die Mike bei dem Soldaten auf dem Friedhof gesehen hatte."
(S. 608)


Es ist ein typischer Coming of Age-Horror im Stile von Stephen King und in gewisser Weise eine Mischung aus "IT" und "The Body" (im deutschsprachigen Raum als "Stand by me" bekannt). Doch während King manchmal einen sehr ausschweifenden und "blumigen" Erzählstil hat und seine Stories daher die ein oder andere Länge aufweisen, konzentriert sich Simmons auf das Wesentliche, die Charaktere und Atmosphäre. Längen sucht man hier vergebens.

Dieses Buch beschwerte mir das schönste und gleichzeitig gruseligste Leseerlebnis seit Langem und ich wollte die Jungs am Ende überhaupt nicht mehr verlassen.

Im Auge des Winters

"Als er gegen drei Uhr eine Pause für ein spätes Mittagessen einlegte, floss das Licht bereits wieder aus dem Tag wie graues Abwaschwasser aus der Spüle."
(S. 974)


Hier begeben wir uns wieder nach Elm Haven. Inzwischen sind 41 Jahre vergangen und der Winter steht vor der Tür.
In dieser Story lesen wir aus der Sicht von Dale. Dieser lebt nun in Montana und zu seinen früheren Freunden hat er keinerlei Kontakt mehr. Selbst der Kontakt zu seinem Bruder Lawrence beschränkt sich auf nur wenige Telefonate zu allen heiligen Zeiten. Er ist Literaturprofessor und Autor, Letzteres eher schlecht als recht und seine Ehe hat er aufgrund einer Affäre mit einer Studentin in den Sand gesetzt. Ihn plagen Depressionen, Alpträume und er hat auch einen Selbstmordversuch hinter sich.
Eines Tages beschließt er nach Elm Haven zurückzukehren, um ein Buch zu schreiben, so sagt er sich, denn den wahren Grund kann er sich selbst nicht wirklich beantworten. Er mietet das Farmhaus seines verstorbenen Freundes und schon bei seiner Ankunft geht es nicht mit rechten Dingen zu. Was hat ihn wirklich nach Elm Haven gezogen?

"Wie auch immer, Dale war davon überzeugt, dass hier in diesem kalten Farmhaus im hintersten Illinois die Wehen eingesetzt hatten und dass eine wüste Bestie auf das Glückliche Eck zukroch, um entweder geboren zu werden oder zu sterben."
(S. 967)


Hier lesen wir nicht nur aus Dales Perspektive, sondern auch aus der seines verstorbenen Freundes. Auf diesen möchte ich jedoch nicht näher eingehen, da ich sonst die erste Story spoilern würde. Man trifft zwar nicht auf die Freunde aus seiner Kindheit, doch der ein oder andere bekannte Charakter läuft uns vor die Füße.
Auch hier kann Simmons mit der Atmosphäre punkten und auch hier beginnt es eher ruhig und die unheimlichen Passagen treten nur vereinzelt auf. Trotzdem weiß man von Anfang an, dass hier etwas lauert und einem während des Lesens permanent im Nacken sitzt. Im Verlauf werden sowohl Story, als auch die Atmosphäre zunehmend beklemmender und unheimlicher.

Zwischendurch reist man immer in die nahe Vergangenheit von Dale und vor allem die Affäre nimmt hiebei einen großen Platz ein. Ich fragte mich manchmal wieso all dies relevant sei, da ich absolut keinen Zusammenhang zur Hauptstory sah und überlegte, ob dies eventuell Lückenfüller sein sollen. Ab der Mitte hatte ich auch das Gefühl zu wissen wohin das alles führt, las jedoch aus Neugierde weiter, da ich wissen wollte wie der Autor das alles aufdröselt und zu Ende bringt. Mann, was hat mich Simmons hinters Licht geführt. Es kommt nämlich alles anders als gedacht und hat mich richtig geflasht.


"Jetzt, mehr als vierzig Jahre später, legte sich Dale schlafen und lächelte über die Erinnerung. Er hörte nicht das Kratzen, das an die Stelle des heulenden Winds getreten war - ein Kratzen, das aus der Finsternis hinter dem Ofen kam, wo die Öffnung zum Kohlenverschlag war."
(S. 785)


Zum Schreibstil sage ich hier nicht mehr viel, denn auch hier stimmt einfach alles. Ich spürte die Kälte des Winters ebenso wie die kalte Umklammerung des Unheimlichen. Diese Story ist Weird Fiction-Horror vom Feinsten.

Fazit:
Wenn ich einen Wälzer von 1000 Seiten innerhalb von 3 Tagen verschlinge, dann will das selbst bei mir etwas heißen. Ich konnte und wollte nicht aufhören zu lesen. Beide Stories sind auf ihre eigene Art packend und einnehmend, weisen jedoch unterschiedliche Atmosphären auf.
"Sommer der Nacht" ist hierbei mein Favorit, wobei das auch an der King-Nostalgie, gelegen haben kann, welche ich dabei empfand. Ich bin ein absoluter Stephen King-Fan, sammle sogar alle seine Ersterscheinungen, aber selbst ich muss zugeben, dass Dan Simmons mich wesentlich mehr packen konnte und mich auf keiner Seite langweilte. Ich wage sogar zu behaupten, dass Simmons ein besserer King ist, wenn man einen Vergleich ziehen möchte.
Dieses Buch katapultierte sich somit zu einem meiner absoluten Lesehighlights und am liebsten würde ich wieder von vorne beginnen zu lesen.

© Pink Anemone