Rezension zu "Nur wenn du allein kommst" (Souad Mekhennet)
Nur wenn du allein kommstSouad Mekhennet wurde 1978 als Kind türkisch-marokkanischer Eltern in Frankfurt/Main geboren und wuchs in den ersten Jahren bei ihrer Großmutter in Marokko auf, um im Sinne des Islam erzogen zu werden. ...
Souad Mekhennet wurde 1978 als Kind türkisch-marokkanischer Eltern in Frankfurt/Main geboren und wuchs in den ersten Jahren bei ihrer Großmutter in Marokko auf, um im Sinne des Islam erzogen zu werden. Mit drei Jahren kehrte sie nach Deutschland zu ihren Eltern und Geschwistern zurück. Sie ist Journalistin und Autorin und beschäftigt sich seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 intensiv mit dem islamistischen Terror.
Im vorliegenden Buch erzählt sie zuerst ihre eigene Geschichte und die ihrer Eltern, einem schiitisch-sunnitischen Paar, das sich fernab der Heimat in Deutschland als Gastarbeiter kennen- und lieben gelernt hatte. Es folgen Berichte aus Mekhennets journalistischer Tätigkeit im Ausland von 2003 bis heute. Sie fuhr unter Anderem in den Irak und Libanon, nach Algerien, Jordanien, Pakistan, Ägypten, Tunesien und Bahrain, um dort vor Ort zu recherchieren und sich mit Tätern und Opfern des Terrorismus zu treffen. Sie wagt sich viele Male in das Herz von Terrorgruppen wie Al-Quaida, Taliban oder IS(IS), redet mit den selbsternannten "Gotteskriegern", um auch beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Sie möchte Mittlerin sein zwischen der arabischen und der westlichen Welt.
Ihre Erlebnisse schildert sie eindrücklich und sehr detailliert. Viele der Treffen mit ihren Interviewpartnern sind nur möglich, weil Mekhennet selbst Muslimin ist, weil sie sich auf die arabische Gastfreundschaft und auf die Abstammung ihrer Familie mütterlicherseits vom Propheten Mohammed beruft. Oft hört sie Sätze wie "Wären Sie eine Deutsche/Amerikanerin, würden wir Sie entführen/töten." Als gebildeter Araberin jedoch wird sie meist mit Respekt behandelt, es werden ihr sogar einige Vertraulichkeiten entgegengebracht. So benennt z. B. ein Taliban-Kommandeur seine neugeborene Tochter nach der Journalistin. Doch kommt sie auch in viele bedrohliche Situationen und muss um ihr Leben und das ihrer Kollegen fürchten.
Ich habe viele Wochen für dieses Buch gebraucht, und wenn ich ehrlich bin, wich meine anfängliche Neugier nach einiger Zeit einer gewissen Ermüdung beim Lesen. Zu viele Namen, Daten, Gruppierungen - ich habe ehrlich gesagt oft gar nicht richtig durchgeblickt, wer jetzt wer ist und wo gerade wer gegen wen kämpft, wer welche Rolle wobei spielt. Manchmal hätte ich mir irgendwelche Übersichten in Form von Tabellen oder Karten (bezüglich der erwähnten Gebiete) oder zumindest ein Glossar gewünscht.
Zu den detaillierten Ausführungen kommen noch viele Fußnoten dazu. Ich bin ja ein Fan davon, Fußnoten, die nicht nur Literaturquellen, sondern auch Erläuterungen beinhalten, in der Fußzeile der jeweiligen Seite zu drucken und nicht in einem Anhang am Ende des Buches. Leider ist hier letzteres der Fall, und da die Autorin öfter in ihren Fußnoten Dinge erläutert und erklärt, war es ein nerviges Hin- und Herblättern, das meinen Lesefluss doch sehr beeinträchtigte.
Ich kann gar nicht sagen, ob ich die Autorin sympathisch finde oder nicht. Man erfährt zwar in den ersten Kapiteln vieles aus ihrem Leben, aber ich konnte keine Beziehung zu ihr aufbauen. Dies ist aber nicht nötig, um auf jeden Fall sagen zu können, dass sie eine kluge und mutige Frau ist, die sich ständig in die Höhle des Löwen begibt, um die Welt über den Terrorismus aufzuklären, und allein dafür muss man sie bewundern. Selbst in brenzligen Situationen behält sie einen kühlen Kopf.
Man merkt ganz stark, dass sich die Autorin als Araberin fühlt, dass ihr Herz in der arabischen Welt und im muslimischen Glauben verankert ist. So ist es für sie selbstverständlich, dass ihr zukünftiger Mann von arabischer Herkunft sein muss. Eine andere Möglichkeit zieht sie, die weltoffene und intellektuelle Frau, scheinbar gar nicht erst in Betracht.
Befremdlich fand ich auch ihre Schlussfolgerung, als sie erfährt, dass sie durch ihre zahlreichen engen Kontakte zu Terroristen vom US-Geheimdienst beobachtet wird. Sie konstatiert, dass dieser wohl kein Problem damit hätte, wenn sie ins Kreuzfeuer und in Lebensgefahr geriete. Denn ihr amerikanischer Kollege wurde vorher durch eine fingierte Morddrohung genötigt abzureisen, um ihn in Sicherheit zu bringen, während man abwartete, ob die Autorin ein Treffen mit einem hochrangigen Terroristen, an dem der Geheimdienst herankommen will, trotzdem durchführen würde. (Was sie zum Glück nicht tat.) Sie kommt zu dem Schluss, dass dem Westen ein muslimisches Leben (also ihres) weniger bzw. nichts wert sei, wie es ja auch die Terroristen immer propagieren. Jedoch stellt es sich für mich so dar, dass ihr amerikanischer Kollege nichtmal Arabisch spricht und Mekhennet die Interviews selbst organisiert und leitet, während ihr Kollege - auch nicht immer, falls die Interviewpartner nicht für seine Sicherheit garantieren wollen, weil er Amerikaner ist - sie nur unterstützend begleitet und dann später mit ihr die Artikel aufbereitet und veröffentlicht. Dass er da weniger in Verdacht steht als sie, ist eigentlich logisch.
Die Autorin hat viel erlebt und viel zu erzählen, und ihre Berichte sind gleichermaßen spannend und schockierend. Sie versucht, sich eine gewisse Objektivität zu erhalten, was meist, aber nicht immer gelingt. Aber sie ist eben auch nur ein Mensch. Es ist sowieso bewundernswert, dass sie nach all diesen Erlebnissen noch immer mit der gleichen Unterschütterlichkeit ihrer Arbeit nachgeht und sich nicht abbringen lässt, auch weiterhin in Kriegsgebiete zu fahren und dort mit gefährlichen Funktionären zu reden. Denn es ist wahrscheinlich, dass sie sich mit ihrer Arbeit auch einige Feinde macht.
Emotional ist nochmal der Epilog, in dem man erfährt, dass beim Amoklauf in München 2016, als ein junger Deutsch-Iraner im Olympiazentrum gezielt mehrere Menschen mit Migrationshintergrund tötete, auch der 14jährige Cousin der Autorin sowie sein bester Freund starben. Und so schließt das Buch mit den berührenden und weisen Worten: "Wenn ich eins gelernt habe, dann dies: Die Schreie einer Mutter, die ihr getötetes Kind beweint, klingen immer gleich, egal ob sie nun schwarz, braun oder weiß, Muslimin, Jüdin, Christin, Schiitin oder Sunnitin ist. Wir werden alle in derselben Erde begraben."