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Veröffentlicht am 06.01.2017

Frauenpower auf Afrikanisch!

Woza Sisi
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Margit Maximilian ist ORF-Redakteurin und Afrika-Spezialistin. Ihr Plan, Powerfrauen aus Sub-Sahara-Afrika zu porträtieren, war kein leichtes Unterfangen. Reisehindernisse und Terminprobleme waren nur ...

Margit Maximilian ist ORF-Redakteurin und Afrika-Spezialistin. Ihr Plan, Powerfrauen aus Sub-Sahara-Afrika zu porträtieren, war kein leichtes Unterfangen. Reisehindernisse und Terminprobleme waren nur zwei der zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte. Deshalb mussten auch manche Porträts, die die Autorin geplant hatte, leider wegfallen. Schade, denn es gibt noch so viele interessante Frauen, über die ich gerne etwas gelesen hätte. Die 10 hier porträtierten Afrikanerinnen sind aber ein guter Querschnitt.

Die Autorin trifft diese Frauen direkt vor Ort ihres Wirkungskreises und begleitet sie ein paar Tage. Sie erzählt von diesen Begegnungen, porträtiert die Frauen, ihre Vergangenheit und ihr gegenwärtiges Tun, und liefert ggf. auch noch politische und geschichtliche Hintergründe.

Allen Frauen ist gemein, dass sie unermüdlich daran arbeiten, sich von den gängigen, teils mittelalterlichen Rollenbildern der afrikanischen Frau zu lösen und ihr Land vorwärts zu bringen. Dies tun sie auf ganz unterschiedliche Weise, im Kleinen oder im Großen.

Da ist z. B. die ehemalige "Miss Kibera" Winnie Akinyi (Kenia), die noch immer - obwohl sie es nicht mehr nötig hätte - in ihrem alten Slum lebt und Slumkindern die Schulausbildung finanziert. Oder Sylvia Tamale (Uganda), die Rechtsprofessorin und Feministin, die wegen ihrer Aufklärungsarbeit zur Sexualität afrikanischer Völker und ihrer Unterstützung gleichgeschlechtlicher Liebe sogar 2003 zur "schrecklichsten Frau des Jahres" gekürt wurde - neben einem fanatischen Rebellenführer und Massenmörder. Wirklich beeindruckend fand ich z. B. die Nonne Adriana Dwoki (Südsudan), die Schulen und Heime für Straßenkinder baut und ihnen ein neues Zuhause gibt, oder Martine de Souza, die in Dörfern über Kinderhandel aufklärt und selbst heimatlose Kinder aufnimmt.

Weniger anfangen konnte ich mit der Bildhauerin Reinata Sadimba (Mosambik), die zwar eine interessante Lebensgeschichte hat und mit ihren Kunstwerken weltweit berühmt wurde, die aber einzig für ihre Kunst lebt und sich sonst nicht weiter engagiert. Dann wird noch die bekannte Moderatorin und TV-Produzentin Mo Abudu vorgestellt, die vor allem eine Geschäftsfrau ist und ein sehr luxuriöses Leben führt. Man kann darüber streiten, ob diese Frauen so recht in die Reihe der "Kämpferinnen" passen, aber letztendlich sind die hier vorgestellten Afrikanerinnen alle recht unterschiedlich darin, wie sie wirken und leben. Egal, ob ihr Tun nur ein paar Menschen hilft oder weitere Kreise zieht, so sind sie alle faszinierende Persönlichkeiten, über die ich gerne gelesen habe. Nebenbei habe ich etwas mehr über Geschichte und Kultur der 10 afrikanischen Länder erfahren.

Margit Maximilian ist eine gute und kritische Beobachterin. Manchmal hat mir aber ein roter Faden in den Porträts gefehlt, es wurde viel zwischen Gegenwart (dem Treffen) und Vergangenheit oder politischen Begebenheiten hin- und hergesprungen. Auch waren die Treffen manchmal etwas unkoordiniert, was aber wohl einfach den Verhältnissen geschuldet ist. Außerdem hätte ich gerne weiterführende Informationen, z. B. Links zu den Projekten der Frauen oder Literatur zu den angesprochenen Themen, erhalten. Im Mittelteil finden sich einige Farbfotos, die den porträtierten Frauen auch ein Gesicht geben. Das finde ich bei einem solchen Buch sehr wichtig.

"Woza Sisi" ist ein informatives, spannendes Sachbuch über afrikanische Frauenpower. Die Lektüre macht auf jeden Fall nachdenklich, denn hier wird nicht nur die Unterdrückung afrikanischer Frauen thematisiert, sondern auch z. B. Menschenhandel, Armut oder die Ausbeutung Afrikas durch den Westen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, woher diese Frauen die Kraft und den Willen haben, immer weiter zu machen. Das ist wirklich bewundernswert und ringt mir meinen größten Respekt ab. Außerdem ist mir wieder klar geworden, was für ein privilegiertes Leben ich in Deutschland führen darf. Schließen möchte ich mit diesem schönen Zitat:

"Die Menschheit ist ein Vogel mit zwei Flügeln. Ein Flügel ist weiblich, der andere männlich. Wenn nicht beide gleichermaßen entwickelt sind, dann wird die Menschheit nicht in der Lage sein, zu fliegen."

Veröffentlicht am 06.01.2017

Erschütterndes und aufschlussreiches Werk über die Menschenversuche im Dritten Reich

Hippokrates in der Hölle
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Als ich die Anfrage erhielt, ob ich "Hippokrates aus der Hölle" gerne rezensieren möchte, musste ich erstmal überlegen, da es nach einer wirklich harten Lektüre klang. Da ich mich aber sehr für den Holocaust ...

Als ich die Anfrage erhielt, ob ich "Hippokrates aus der Hölle" gerne rezensieren möchte, musste ich erstmal überlegen, da es nach einer wirklich harten Lektüre klang. Da ich mich aber sehr für den Holocaust interessiere, siegten letztendlich Neugierde und Wissensdurst. Als das Buch dann ankam, habe ich mich ein paar Wochen vor der Lektüre gedrückt. Ich hatte Sorge, dass ich die ganzen Details darin zu eklig und unerträglich finden würde und mich durch das Buch regelrecht durchquälen musste, auch wenn ich schon so viele schlimme Sachen zu dem Thema gelesen habe.

Letztendlich war meine Sorge aber (zum größten Teil) unbegründet. Man kriegt hier natürlich abscheuliche Gräueltaten zu lesen, aber der Autor ist nicht so sensationslüstern, dass er hier genüsslich die ekligsten Details ausbreitet. Das muss er auch gar nicht, denn das, was man zu lesen bekommt, ist schon plastisch genug und reicht aus, um sich vorstellen zu können, wie furchtbar die damaligen Versuche für die Opfer sein mussten. Beziehungsweise - nein, eigentlich kann man sich das nicht vorstellen. Menschen, die in Eiswasser getaucht werden, bis sie an Erfrierungen sterben. Menschen, die innerlich verätzen. Menschen, die bei lebendigem Leibe und ohne Betäubung aufgeschnitten werden, damit man sich in Ruhe ihre Organe anschauen kann. Kann man sich sowas wirklich vorstellen?

Der Eid des Hippokrates besagt unter anderem, dass man als Mediziner alles zum Wohle des Patienten zu tun und zu unterlassen habe. Doch die Ärzte in den KZs haben diesen Eid mit Füßen getreten, auch wenn einige von ihnen glaubten, sie würden nicht dagegen verstoßen, denn ihre Versuche sollten ja letztendlich für den Erhalt und die schnellere Genesung der "Herrenrasse" dienen. Die "Versuchskaninchen" waren in ihren Augen keine Menschen, nur eine Unterrasse, die bestenfalls als Arbeitskraft diente.

Es werden verschiedene KZ-Ärzte und ihre Experimente vorgestellt, z. B. der auf Unterkühlungs- und Höhenversuche spezialisierte Sigmund Rascher, der "Schlächter von Mauthausen" Aribert Heim und natürlich der berühmte Auschwitz-"Todesengel" Josef Mengele, der an der Ankunftsrampe mit einem kurzen Blick darüber entschied, wer sofort ins Gas gehen musste. Später wollten sich die, die vor Gericht kamen, damit herausreden, sie hätten nur Befehle befolgt. Doch die Initiative der meisten Menschenversuche ging von den Ärzten selbst aus, und viele von ihnen führten nicht nur stoisch ihre Versuchsreihen durch, sondern fanden einen perfiden Gefallen daran, ihre Opfer zu quälen und Herr über Leben und Tod zu spielen. Auftraggeber war meist der SS-Funktionär Heinrich Himmler, der bereitwillig mit der Maxime "Nur zu, experimentieren Sie! Irgendetwas wird schon dabei herauskommen." die Todesurteile Tausender Menschen unterschrieb. Ironisch mutet es an, dass der große Tierfreund Hitler Tierversuche ab 1933 gesetzlich verbot und somit Medizinern dadurch noch ein weiteres Argument für Menschenversuche lieferte...

Umso schlimmer, dass die meisten der Verbrechterärzte letztendlich unbehelligt blieben. Einige begingen Selbstmord, andere wurden hingerichtet oder mussten Haftstrafen verbüßen. Nicht wenige konnten jedoch fliehen oder wurden gar freigesprochen und konnten sich ein neues Leben - oft als niedergelassene Ärzte! - aufbauen, etwas, das ihren Opfern nicht mehr möglich war. Und oft war es so, dass die Aliierten diese Verbrecher nicht bestraften, sondern selbst einstellten und von ihrem Wissen profitierten!

Doch nicht nur die einzelnen Mediziner tragen Schuld. Die Menschenversuche im Dritten Reich waren nicht (nur) die Werke Einzelner, sondern eines ganzen Systems. Universitäten und vor allem die Pharmaindustrie unterstützten ihre Kollegen. So verlangte z. B. die IG Farben, die unter anderem das in den Gaskammern verwendete Zyklon B herstellte, Menschenversuche mit den Krebserregern Rutenol und Acridin. Diese kosteten viele Häftlinge den Tod und brachten - wie ein Großteil der in diesem Buch vorgestellten Versuchsreihen - keinerlei brauchbare Ergebnisse.

Michel Cymes ist selbst Arzt und macht keinen Hehl aus seiner Verachtung und Abscheu für diese Bestien. Es ist immer wieder unfassbar, welche Gräueltaten im Dritten Reich (und auch darüber hinaus heute noch) begangen wurden, doch dass hier die Massenmörder Ärzte waren, die sich doch dem Schutz des Menschenlebens verschrieben haben, ist umso erschreckender. Cymes hat selbst beide Großväter in Auschwitz verloren, auch sie sind vermutlich damals die berühmte Selektionsrampe unter den Augen Mengeles entlanggegangen.

So ist der Autor ungleich vorbelasteter als ein normaler Leser wie ich, die weder Medizinerin ist noch Verwandte im 2. Weltkrieg verloren hat. Dadurch ist dieses Sachbuch nicht durch und durch nüchtern geschrieben, was aber dem lebendigen Schreibstil sicherlich zu Gute kommt und mir persönlich auch sympathisch war. Zudem verzichtet Cymes dankenswerterweise auf medizinisches Fachgeplänkel, so dass ich durch die Seiten förmlich durchgeflogen bin.

Ergänzt werden Cymes Ausführungen durch 21 Fotos und eine zweiseitige Bibliographie.

"Hippokrates in der Hölle" ist ein sehr interessantes und aufschlussreiches Werk über die Menschenversuche der KZ-Ärzte im Dritten Reich. Erschütternd, grausam und sicherlich nichts für Zartbesaitete, aber dennoch ein weiteres wichtiges Dokument über den Holocaust.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Das Leben im Warschauer Ghetto beklemmend und eindrücklich wiedergegeben

Aron und der König der Kinder
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Der Roman wird aus Sicht des jungen Aron erzählt. Er ist ein kleiner Taugenichts, da er viel Blödsinn anstellt und seinen Eltern mehr Kummer als Freude bereitet. Im Ghetto wird er ein echter Überlebenskünstler ...

Der Roman wird aus Sicht des jungen Aron erzählt. Er ist ein kleiner Taugenichts, da er viel Blödsinn anstellt und seinen Eltern mehr Kummer als Freude bereitet. Im Ghetto wird er ein echter Überlebenskünstler und schließt sich mit Lutek, Boris, Adina und Zofia zu einer Schmugglerbande zusammen. Das Leben zwingt die Jugendlichen dazu, kriminell zu werden, jedoch hatte ich vor allem bei Boris und Lutek das Gefühl, dass hier bereits schon vor dem Einmarsch der Deutschen viel kriminelle Energie vorhanden war. Die beiden hatten kein Mitleid für irgendwen und hätten genauso gut auf die andere Seite, die der Täter, gepasst. Die Bande war mir deshalb auch von Anfang an umsympathisch.

Aron mochte ich anfänglich nicht. Er ist zwar nicht so herzlos wie Boris und Lutek, aber auch nicht wirklich sympathisch. Hierzu trug sicherlich auch der nüchterne Erzählstil bei, in dem er das entbehrungsreiche Leben und später auch die von ihm beobachteten Gräuel wie Erschießungen relativ emotionslos schildert. Dadurch werden die Agierenden und auch der Protagonist auf Distanz zum Leser gehalten. Erst als Aron ganz alleine ist und auf Korczak trifft, wirkt er viel verletzlicher und unschuldig wie das Kind, das er noch immer ist. Erst hier konnte mich die Geschichte abholen, vorher habe ich sie recht emotionslos heruntergelesen.

Die Geschichte gewinnt viel durch den Auftritt des Waisenhausleiters Korczak. Dieser ist eine faszinierende Persönlichkeit, die auch wirklich damals gelebt hat und nicht vom Autor erfunden wurde. Korczaks Hingabe für seine Waisenkinder war beeindruckend und rührend. So ging er mit den Kindern freiwillig ins Vernichtungslager und somit in den Tod, statt das Angebot anzunehmen und sich selbst zu retten.

Das Leben im Ghetto und die menschenunwürdigen Lebensumstände werden eindringlich und realistisch wiedergegeben und lösen beim Lesen Beklemmungen aus. Jegliche Menschlichkeit geht unter den Ghettobewohnern nach und nach verloren, Opfer werden Täter, es zählt das nackte Überleben, das Recht des Stärkeren. Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie schlimm das Leben dort war, wie gefährlich, entbehrungsreich und menschenunwürdig.

Ich habe ja schon viele Bücher über den Holocaust gelesen, in der Regel Zeitzeugenberichte und Sachbücher, so dass die Erlebnisse von Aron und den jüdischen Bewohnern des Ghettos mich nicht mehr erschrecken konnten. Dennoch ist diese mehr oder weniger fiktive Geschichte beklemmend und erschütternd und ließ mich traurig zurück.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Witzig und unterhaltsam - Antisemitismus für Anfänger ;-)

Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!
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Über dieses Buch bin ich ganz zufällig gestolpert. Juden, Holocaust, Antisemitismus - ja, darüber habe ich schon einiges gelesen. Aber ein aktuelles Buch eines jungen Israelis, der in Deutschland lebt ...

Über dieses Buch bin ich ganz zufällig gestolpert. Juden, Holocaust, Antisemitismus - ja, darüber habe ich schon einiges gelesen. Aber ein aktuelles Buch eines jungen Israelis, der in Deutschland lebt und das ganze Thema äußerst humorvoll betrachtet, das hat mich natürlich sehr gereizt. Ich mag Humor, und ich mag es, wenn man schwierige Themen mit Witz bzw. Ironie anpackt.

Nun erzählt uns der Autor also aus seinem Leben. Mit 12 Jahren zog er aus Israel zusammen mit Mutter und jüngerem Bruder zum neuen Partner der Mutter in das sächsische Kaff Laucha, in dem Zusammengehörigkeit groß geschrieben wird. Vor allem in der NPD, die hier sogar im Stadtrat vertreten ist. Besonders präsent ist hier Lutz Battke, der Bezirkskaminkehrer und Fußballtrainer. (Falls nicht bekannt, bitte googeln, denn schon rein optisch ist der Mann ein Gedicht.)

"Zum Glück" sieht Shahak Shapira gar nicht so aus, wie man sich den typischen Juden vorstellt: Statt dunklen Haaren mit Seitenlöckchen und einer großen Hakennase, ist er blond und blauäugig. Und wer nicht glaubt, dass er, der optische Arier, wirklich Jude ist, kriegt folgende Erklärung: "Ja, pass auf, die haben uns damals Wasserstoff statt Zyklon B in die Gaskammer geblasen."

Nicht jeder kann mit solchen Sprüchen umgehen. Aber genau da liegt der Reiz von Shapiras Humor. Darf man über sowas lachen, vor allem als Deutscher? Also ganz ehrlich: Ich find's witzig. Klar gibt es Grenzen des guten Geschmacks, aber hier gilt: Der Autor ist selbst Jude, der darf das! Und wir dürfen darüber lachen. So einfach ist das.

Shapira berichtet von seiner Jugend im braunen Kaff, in dem die jüdischen Zuwanderer mit Argwohn betrachtet werden. Integration fällt unter diesen Bedingungen nicht leicht, aber Familie Shapira gibt ihr Bestes und macht sich Deutschland zur zweiten Heimat. Doch auf Probleme wegen seiner Herkunft stößt der Autor auch noch als Erwachsener.

In der Silvesternacht 2014/2015 dann der traurige Höhepunkt: Er wird von judenfeindlichen Arabern verprügelt. Seitdem steht er in der Öffentlichkeit, distanziert sich jedoch ausdrücklich von jeglichem Muslim-Bashing, denn Antisemiten gibt es überall. Und wie schon im Klappentext so schön gesagt: Man entscheidet unabhängig von seiner Herkunft und Religion, ob man ein rassistisches Arschloch sein will oder nicht.

Neben eigenen Erlebnissen verarbeitet der Autor auch die Geschichte seiner beiden Großväter. Der eine kämpfte im Warschauer Ghetto als Kind ums nackte Überleben und verlor im Holocaust seine Familie. Der andere Großvater war Amitzur Shapira, ein israelischer Leichtathletik-Trainer, der bei der Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen während den Olympischen Spielen in München 1972 ums Leben kam. In diesen Geschichten hat Humor nicht immer Platz, und so sind diese Kapitel vielleicht für manchen Leser ein Stilbruch, zu ernst, zu tragisch. Ich denke aber, bei dieser Thematik muss man auch nichts schönreden und nicht an unnötigen Stellen noch mit dem Hammer Lustigkeit hineinprügeln.

Mein einziger Kritikpunkt: Auf ein paar Erzählungen hätte ich persönlich verzichten können, z. B. das leidige Thema "Frauen", bei denen Shapira irgendwie keinen Schlag hatte. Missglückte Dates und Tinder-Erlebnisse - ja, ganz nett zu lesen, aber irgendwie nicht so ganz passend und auch recht belanglos.

Ansonsten aber erzählt der Autor mit Witz und Charme, bringt auch den einen oder anderen derben Spruch. Für spaßbefreite Menschen ist dieses Buch vermutlich nicht das Richtige. Hier werden zwar auch mal zwischendurch Fakten präsentiert (z. B. über den Nahostkonflikt), aber es geht natürlich in erster Linie um persönliche Erlebnisse und Empfindungen. Und die gibt der Autor auf humorvolle Weise unterhaltsam wieder.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Ganz nette Unterhaltung, aber ohne Emotionen und Höhepunkte

Das schwarze Loch in mir
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"Das schwarze Loch in mir" ist so ein Buch, das mich eher emotionslos zurücklässt. Kernthema ist der Bau des Tunnels und die Veränderungen, die in dem (fiktiven) Dorf Fjeldvig vor sich gehen. Anfangs trifft ...

"Das schwarze Loch in mir" ist so ein Buch, das mich eher emotionslos zurücklässt. Kernthema ist der Bau des Tunnels und die Veränderungen, die in dem (fiktiven) Dorf Fjeldvig vor sich gehen. Anfangs trifft man eine harmonische Dorfgemeinde, die mich vom Lebensstandard an ein Amish-Dorf erinnert, wenn man mal moderne Dinge wie Telefone oder die zwei Computer in der Schule ausblendet. Doch man merkt schnell, dass hier viele Reibereien bestehen. Der Streit um die allen Dorfbewohnern gehörenden Schafe, das Alkoholproblem mancher Einwohner, die fehlende Toleranz gegenüber Davids Autismus. Als sich dann noch durch den Tunnelbau das Dorf mit der modernen Welt konfrontiert sieht, läuft einiges aus dem Ruder.

Die Geschichte wird aus Davids Sicht geschildert. Ich denke, dass es dem Autor durchaus gelungen ist, die Sicht eines Autisten realistisch wiederzugeben. David hat Probleme mit Ironie und Metaphern, er sieht Dinge natürlich anders als "normale" Menschen und ist oft mit einfachen Situationen überfordert. Obwohl er bereits 14 Jahre alt ist, hat er noch ein kindliches, unschuldiges Gemüt. Um sich selbst zu beruhigen, zählt er gerne Wetterrekorde und Vogelnamen auf, was zuweilen für die Anderen - und auch für den Leser - etwas anstrengend sein kann.

Die diesem Buch zugrunde liegende Idee ist eigentlich gut. Aber mich hat die Geschichte ehrlich gesagt ziemlich gelangweilt. Sie plätscherte so vor sich hin. Zu keiner Zeit konnte ich für die Figuren in der Geschichte irgendwelche Gefühle entwickeln. David tat mir leid, da er von allen gehänselt wird und keine Freunde hat. Dennoch konnte ich keine Bindung zu ihm aufbauen. Den Vater empfand ich als sehr anstrengende Person. Er ist über alle Maßen bigott und könnte mit seinen Ansichten genauso gut ins Mittelalter passen. Ständig zitiert er Bibelverse. Von seinem Gehabe her könnte er einer dieser schrägen Wanderprediger sein. Davids Mutter ist sehr liebevoll, und Peter ist wirklich ein toller großer Bruder.

Die anderen Dorfbewohner fand ich sehr unangenehm. Es gibt ein paar neutrale Leute, die ganz nett sind und zumindest nicht negativ auffallen. Aber der Rest ist einfach unsympathisch, und es ist frustrierend, dass fast niemand im Dorf mit David umgehen kann und auch nur ansatzweise versucht, ihn zu akzeptieren. Stattdessen wird er als Trottel beschimpft und ausgelacht. Wirklich positiv blieben mir nur der Lehrer und der Pastor im Gedächtnis.

Durch die vielen Landschaftsbeschreibungen kann man sich Fjeldvig ganz gut vorstellen. Ich persönlich war noch nie auf einer solchen Insel und fand die vielen Beschreibungen irgendwann ermüdend, ich bin aber generell kein Freund davon. Ich habe vermutlich einfach nicht genug für die Schönheit der mir völlig fremden Färöer-Inseln übrig und empfand vieles eher negativ: Das schlimme Wetter, die Abgeschiedenheit, der Rückschritt auf Fjeldvig nicht nur technisch, sondern auch in den Köpfen der Einwohner.

Die Altersempfehlung liegt bei 12 Jahren, aber ich zweifle etwas daran, dass das Buch junge Leser begeistert. Auch wenn es aus Sicht eines 14jährigen ist, fällt nicht nur die Identifizierung mit dem Protagonisten schwer. Auch die Handlung ist meiner Meinung nach nichts, was Teenager begeistert und fesselt. Der im Klappentext versprochene Höhepunkt in Form eines Unfalls kommt erst am Ende der Geschichte, so dass lange Zeit einfach keine Spannung aufkam und die Geschichte so vor sich hindümpelte.

"Das schwarze Loch in mir" ist ganz nette Unterhaltung, und wer einen Bezug zu den Färöer-Inseln hat, hat bestimmt seine Freude an dem Handlungsort. Ansonsten stehe ich dem Buch recht emotionslos gegenüber.