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Veröffentlicht am 31.01.2020

Wohlfühl-Ich, aber zu welchem Preis?

Wohlfühlgewicht
1

Oh man. Ich weiß auch nicht... irgendwie hatte ich in letzter Zeit kein Händchen für Rezensionsexemplare. Naja, Ehrlichkeit ist wichtig und darum bewerte ich Bücher auch so, wie ich sie empfinde.


Bei ...

Oh man. Ich weiß auch nicht... irgendwie hatte ich in letzter Zeit kein Händchen für Rezensionsexemplare. Naja, Ehrlichkeit ist wichtig und darum bewerte ich Bücher auch so, wie ich sie empfinde.


Bei Wohlfühlgewicht von Mareike Awe handelt es sich um eine (mit viel gutem Willen) 200 Seiten Klappbroschur, die satte 18€ kostet. Das Buch verspricht viel: endlich raus aus der Diät-Falle, essen wann und was man möchte und dabei trotzdem natürlich schlank (und gesünder) sein!

Ich hatte mich im Vorfeld schon ein kleines bisschen mit intuitivem Essen beschäftigt und stehe dem Thema eigentlich eher positiv gegenüber. Grundsätzlich ist es wohl immer gut, auf den eigenen Körper zu hören und seinem Hungergefühl wieder zu vertrauen.

Dazu gibt es auch ein paar gute Ansätze im Buch, die ich gern loben möchte und für die ich auch den zweiten Stern vergebe. So werden zum Beispiel (hormonelle) Vorgänge im Körper anschaulich und einfach erklärt. Wir erfahren, warum Diäten nicht funktionieren können, was dabei passiert und weshalb man so häufig unter Heißhungerattacken leidet, wenn man verzichtet und sich enschränkt.

Außerdem gibt es hilfreiche Infos zum Thema Hunger. Welche verschiedenen Arten gibt es da und wie äußern sich diese? Auf welchen Hunger sollte man hören und dann etwas essen, welchen dagegen auf andere Weise angehen? Auch hier sind die Erklärungen verständlich und gut.

Als Beispiel für intuitives Essverhalten werden immer wieder Kinder erwähnt und Awe plädiert dafür, sie einfach essen zu lassen, bis sie satt sind und zu nichts zu zwingen. Da gehe ich komplett mit.


Das war es dann aber leider auch schon und ich komme zur Kritik.

Zum einen steckt im Buch ein gutes Stück Klassismus. So heißt es zum Beispiel in Kapitel 3:

"Essen ist jederzeit verfügbar, wenn du es dir erlaubst."

Das stimmt natürlich so nicht und als Person, die auch schon Zeiten durch hat, in denen das Geld am Ende des Monats so knapp war, dass ich einige Tage lang nichts mehr im Kühlschrank hatte, sehe ich sowas immer kritisch. Auch in Deutschland gibt es eine Menge Krankheit und Armut. Aber gut, lesen wird drüber weg und gehen davon aus, dass sich das Buch eher an Mittelstand bis reich richtet (was natürlich schade ist, weil ja auch arme Menschen ein Recht auf ein gesundes Wohlfühl-Ich haben sollten... aber das ist nur meine Meinung und natürlich ist mir klar, dass die Autorin niemandem einen vollen Kühlschrank zaubern kann. Aber ein paar Worte dazu wären nett gewesen, ich komme auf Finanzielles auch nochmal zurück).

Ein weiterer Punkt ist der Zeitfaktor. So soll man natürlich essen, wenn man Hunger hat. Da aber eben sehr viele Menschen berufstätig sind und nicht alle in irgendeinem Büro sitzen, wo sie sich ihre Zeit einteilen können, ist das oft schwer möglich. Wer im sozialen Bereich, im Einzelhandel, in der Produktion, im Handwerk, im Labor etc. arbeitet, muss sich sehr wahrscheinlich an vorgegebene Pausenzeiten halten. Isst man dann nichts, weil man eigentlich noch satt ist, hat man vielleicht eine Stunde später Hunger, aber keine Möglichkeit mehr, etwas zu essen. Das gleiche gilt für die mentalen Übungen. Die meisten soll man täglich machen, einige sogar anfangs jede Stunde. Nun stelle man sich eine Friseurin vor, die ihre Kundin mitten im Schnitt sitzen lässt, weil die Stunde rum ist und sie nun erstmal ihre Übungen machen muss. Oder die Kassiererin schließt plötzlich die Augen, um zu ihrem Wohlfühl-Ich zu kommen - und die Schlange an der Kasse wird immer länger. Für viele Menschen ist das Durchführen so einfach nicht möglich.

Ich persönlich habe sowieso keinen Zugang zu diesen Übungen. Einige haben einen eindeutig esoterischen Touch, mit Ansätzen aus der Manifestations-Lehre (von der ich nicht viel halte) und dem "Gesetz der Anziehung", andere sind einfach nur albern. (Bitte dran denken, dass es sich hier bei allem um meine perönliche und natürlich rein subjektive Meinung handelt! Es geht mir hier nicht darum, Menschen ihre positiven Erfahrungen und Erfolge abzusprechen. Vielleicht funktioniert es für einige und dann freut mich das natürlich für diese Personen.)

Im Buch nimmt das Diät-Ich der Autorin sehr viel Raum ein. Es geht immer und immer wieder um ihr (ehemaliges) gestörtes Essverhalten, um Einschränkungen und Fressattacken, gefolgt von Heulkrämpfen und Minderwertigkeitsgefühlen. Jede Menge Drama, mit dem ich mich nicht identifizieren konnte. Hinzu kommt der ständige Versuch, Nähe zu den Leserinnen aufzubauen:

"Wenn du ein bisschen so bist wie ich..."

"Vermutlich kennst du das..."

"Sicherlich hast du auch schon mal..."

"Vielleicht bist du mir ähnlich..."

Zieht bei mir leider einfach nicht, sorry.

All die neuen Regeln führten bei mir außerdem dazu, dass ich mir viel mehr Gedanken um Essen, mein Gewicht und meinen Körper gemacht habe, als jemals zuvor. Wohl habe ich mich dabei nicht gefühlt und das kann ja auch nicht Sinn der Sache sein. Ich bin in der priviligierten Postion, nicht übergewichtig zu sein und hatte mir eigentlich nur ein etwas besseres Essverhalten erhofft, vor allem, dass ich weniger schlinge. Dazu habe ich hier aber nur den Tipp "iss langsamer" bekommen und ja, no shit, Sherlock.

Im Vorfeld hieß es, dass durchaus auch Untergewicht angesprochen wird. Da mir Stress und Ärger oft den Appetit verhageln, war ich sehr gespannt darauf zu erfahren, was man dagegen intuitiv tun könnte. Leider kam das Thema dann aber nur in einem Nebensatz vor, nach dem Motto "wenn du untergewichtig bist, wirst du mit intuitivem Essen natürlich ein bisschen zunehmen". Ansonsten dreht sich alles ausschließlich ums Abnehmen, sich zu dick fühlen, Fressanfälle etc.

Dabei wird Body Positivity ganz groß geschrieben. Liebe dich uneingeschränkt und zu jeder Zeit selbst! Der Körper ist dein größtes Geschenk, er darf dir nicht egal sein und du musst ihn die ganze Zeit ehren. Und kauf dir was Schönes für dein Wohlbefinden... Wenn ich ehrlich bin, stresst mich diese ständige Selbstliebe ziemlich. Mein Körper ist mein Körper, ich bin mit ihm zufrieden, denke aber den Großteil des Tages überhaupt nicht über ihn nach. Ich habe ja auch noch ein bisschen was anderes zu tun und stecke meine Energie lieber in soziale Kontakte, in mein Schaffen und ins Lernen. Außerdem darf es ruhig auch mal einen Tag geben, an dem man sich – ganz ohne schlechtes Gewissen – unwohl fühlen darf.

Mein größtes Problem ist die dicke Marketingmaschine, die hier eigentlich angekurbelt wird. Das Programm der Autorin wird sehr oft erwähnt, am Ende wird sogar empfohlen, das doch am besten zu buchen, denn grade anfangs bräuchte man ja noch Hilfe und mentales Coaching. Bei den Preisen bin ich fast hinten übergekippt. So etwas könnte ich mir nie leisten. Als ich dann die überteuerten und auch in meinen Augen oft sinnlosen Produkte (etwa ein Armband, dessen Farben den Hunger symbolisieren und das man zu Rate ziehen soll, bevor man isst... oder ein "Feinschmecker-Löffel"?) entdeckt habe, wurde ich etwas stutzig. Dann bin ich auf das Event der Autorin gestoßen, dessen Tickets bei über hundert Euro losgehen (da wird einem allerdings nicht sehr viel geboten) und beim "VIP" Ticket enden, das fast doppelt so viel wie meine Monatsmiete kostet. Das finde ich vor allem deshalb so blöd, weil im Buch immer wieder betont wird, dass Awe einfach nur helfen will und es als ihre große Mission sieht, so vielen Menschen wie möglich zu einem glücklichen "Wohlfühl-Ich" zu bringen. Das gilt dann wohl nur, wenn man die nötige Kohle dazu hat. Noch merkwürdiger wird es, wenn man das Kapitel über Körperbilder liest, in dem die Autorin kritisiert, dass die Diät- und Schönheitsindustrie den Frauen nur das Geld aus der Tasche zieht und mit ihren Ängsten und Unsicherheiten Kasse macht. Dabei ist die Wellness-, Wohlfühl- und Self-Care-Industrie das gleiche in grün! Kapitalismus halt.

Ich nehme für mich die paar Infos über Hunger mit und versuche, ein bisschen langsamer zu essen und auf meine körperlichen Bedürfnisse zu achten. Ansonsten war das Buch leider eher eine Nullnummer. Ich freue mich für alle, denen es hilft, rate aber dennoch, ein bisschen vorsichtig zu sein und genau zu überlegen, wofür man sein Geld ausgibt.

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Veröffentlicht am 12.01.2020

Einige Längen, klasse Idee

Falling Skye (Bd. 1)
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Falling Skye ist eines von diesen Büchern, in denen die Gesellschaft in verschiedene Lager eingeteilt wird, in diesem Fall in "rational" und "emotional". Ich war sehr gespannt darauf, da grade diese Einteilung ...

Falling Skye ist eines von diesen Büchern, in denen die Gesellschaft in verschiedene Lager eingeteilt wird, in diesem Fall in "rational" und "emotional". Ich war sehr gespannt darauf, da grade diese Einteilung ja häufig von rechten Gruppierungen vorgenommen wird und auch in der sogenannten Manosphere immer wieder auftaucht. Dort natürlich mit dem Gedankengut rational = männlich, emotional = weiblich.

Die Idee des Buches ist richtig gut und bietet ordentlich Potenzial für ein bisschen Gesellschaftskritik. Leider gibt es dann aber doch ein paar Längen und ein bisschen zu viel Teenie-Drama.

Skye (ein normaler Name wäre ja auch langweilig) steht kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag, hat den Kopf voll mit Jungs und Schwärmereien (vor allem für ihren "besten Freund") und wünscht sich nichts mehr, als Rationale zu sein. Obwohl sie immer wieder betont, dass Emotionale ein sehr wichtiger Teil der Gesellschaft sind und natürlich ganz bestimmt nicht abgewertet und diskriminiert werden, hat sie ständig Angst, dass sie eine sein könnte.

Das Wort "emotional" wird als Beleidigung umhergeworfen, es gibt eine stark vereinfachte Binarität, die der Komplexität eines Menschen, seinen Gedanken und Gefühlen überhaupt nicht gerecht wird - und Skye wundert sich nicht ein einziges mal darüber.

Plötzlich gibt es dann eine Gesetzesänderung und anststatt bis zur Volljährigkeit zu warten, muss Skyes Klasse bereits jetzt ins Athene-Zentrum, um die Tests zu durchlaufen. Das passiert natürlich nicht ganz so, wie sie es sich vorstellt...

Klingt ja so weit erstmal spannend, hält dann aber neben besagtes Drama, viel Streit und Liebe eben doch erst am Ende Spannendes bereit (aber dann wird es richtig gut!). Es gibt hier mal wieder ein Love-Triangel (gähn) und viele Figuren wirken etwas flach, fast wie frisch aus dem YA-Playbook für stereotype (und etwas nervige) Charaktere. Ähnlich verhält es sich auch mit der Story, denn dieses zwei-Klassen-Gesellschafts-Dingens scheint da sehr beliebt zu sein, hält aber hier immerhin einige Überraschungen bereit.

Im Buch werden immer wieder Sexismen angesprochen und Syke versucht zumindest, ein wenig Kontra zu bieten (was aber leider meist weggewischt wird, weil sie den Satz oft nicht mal zuende sprechen kann), und natürlich gibt es auch so eine unterschwellige Misogynie. Das manifestiert sich vor allem in der Figur der Jasmine, die ich ehrlich gesagt mit am besten finde, obwohl sie gar nicht so viel on page ist.

Sie ist anfangs ein blasser Stereotyp, deren einzige Charaktereigenschaft über den Großteil des Buches ihre Gemeinheit ist. Natürlich erkennt man bereits an der Schminke und am Wort "künstlich", das in ihrem Zusammenhang immer wieder auftaucht, dass sie total böse ist! Jeder Satz von ihr ist schnippisch, zickig oder absolut fies. Sie hat keine Hobbies (außer andere ausstechen), keine Ängste, keine Gefühle, keine Tiefe, teilweise wirkt sie nicht mal wie ein echter Mensch. Und sie wird natürlich von den "Guten" verachtet, zum Beispiel dafür, dass sie offenbar jemanden bestochen hat, ihr roten Lippenstift zu besorgen.

- "'Ich übernehme dann mal unsere Miss Universe da vorne', raunt Tamika mir zu und deutet mit dem Kinn auf Jasmine, die mit wie immer roten Lippen auf uns zustolziert. Sie muss einen der Testleiter bestochen haben, ihr den Lippenstift aus ihrem Koffer zu besorgen. Ich schüttle verächtlich den Kopf." -

Roter Lippenstift aus ihrem eigenen Koffer! Was für ein Monster!!!

So schlecht ich diesen Take von "Good Guy" Alexander finde, so begeistert bin ich davon, dass die Autorin gegen Ende eine etwas andere Richtung einschlägt und uns Jasmine nochmal in einem ganz neuen Licht zeigt. Und um ganz ehrlich zu sein... ihre Geschichte hätte ich fast schon lieber gelesen als die von Skye. Das gilt auch für die Mutter von Luce, die zwar persönlich gar nicht vorkommt (Luce berichtet nur von ihr), der ich aber gern dabei zugesehen hätte, wie sie sich aus ihrer furchtbaren Lage befreit.

Es gibt es leider insgesamt sehr viel Raum für Streit, Verrat, "Zickenkrieg" und natürlich darf auch das Wort "Schlampe" – dick an die Wände eines Schranks gesprüht – nicht fehlen. Da hätte ich mir manchmal gewünscht, dass ein bisschen auf die Bremse getreten wird.

Eine Frage habe ich mir während des Lesens immer wieder gestellt: Warum lässt man eingentlich Teenager Tests machen, die dann die Weichen für das komplette restliche Leben stellen? Ich meine, Teenager sind mitten in der Pubertät, die Hormone fahren Achterbahn, man ist emotionaler als sonst... Ich bin heute ein komplett anderer Mensch, als das etwas "unfertige" Teenie-Mädchen, das ich vor 15 Jahren war. Der selbe Test hätte heute ganz andere Ergebnisse. Mir ist klar, dass die wahre Intention hinter der Zuweisung eh dafür sorgt, dass das egal ist, aber warum wundert sich die Gesellschaft nicht darüber?

Skye ist auch wirklich alles andere als rational, trotzdem schneidet sie in den Prüfungen immer wieder als solche ab. Sie betont des öfteren, dass "Jungsgeschichten" erstmal egal sein sollten, weil sie Wichtigeres zu tun hat und es um ihre Zukunft geht, verknallt sich aber ziemlich schnell in "Good Guy" Alexander, einen der Mitarbeiterbeiter dort (dieser mysteriöse Typ ist natürlich nicht der, der er zu sein scheint...).

An einer Stelle manipuliert ihr Angebeteter ihr Ergebnis und sie weiß das, leider hat sie jedoch kein schlechtes Gewissen den anderen Mädchen gegenüber, sondern macht sich nur Sorgen, weil er seinen Job und ihre Zukunft auf's Spiel setzt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie sich mal ein paar Gedanken macht, ob sowas zum ersten mal passiert. Denn wenn ein Typ leichtfertig ihr Ergebnis verfälschen kann, dann kann das den anderen natürlich auch passieren, und nicht nur zum Positiven!

Der Schreibstil ist insgesamt okay. Wir haben die Ich-Form, den Präsens, verschiedene POVs und ja, das ist halt nicht so meine Lieblingserzählweise. Aber das ist ja - wie alles - subjektiv.

Mein größtes Problem war dann doch die Langeweile, die sich bei mir durch Anfang und Mitte gezogen hat... Aber immerhin ist die Grundidee interessant und die Autorin bemüht sich, zumindest bei den Nebenfiguren einen kleinen Funken Diversität reinzubringen. Nicht selbstverständlich auf dem deutschen Buchmarkt.

Einiges ist gelungen, so mochte ich zum Beispiel Skyes inneren Konflikt (auf der einen Seite das, was sie gelernt hat und richtig findet, auf der anderen Seite die Ungereimtheiten und die Gnadenlosigkeit des Systems, gekrönt von der Entdeckung am Schluss).

Zum Ende hin wird das Buch dann deutlich besser, die Story geht in eine Richtung, die ich mir schon die ganze Zeit gewünscht (und die ich vermutet) hatte.

Wären die Längen und das zu schnelle, für mich lahme Liebesgedöns nicht und hätten Drama und Streit weniger Platz eingenommen, hätte ich locker fünf Sterne vergeben können, so werden es dann eben drei.

Lina Frisch ist ja noch sehr jung und dafür hat sie doch eine solide Geschichte zu Papier gebracht, was alles andere als einfach ist. Ich ziehe meinen imaginären Hut vor ihrer Arbeit und glaube, da können wir noch einiges erwarten!

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Veröffentlicht am 25.12.2019

Ich bin nicht die Zielgruppe

Make it happen
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Ich habe vor einigen Jahren Pam Grouts E² gelesen und fand es so mittel-gut. Es waren interessante Ansätze drin, aber eben auch jede Menge Geschwurbel. Da Make It Happen einen völlig neuen Ansatz und einen ...

Ich habe vor einigen Jahren Pam Grouts E² gelesen und fand es so mittel-gut. Es waren interessante Ansätze drin, aber eben auch jede Menge Geschwurbel. Da Make It Happen einen völlig neuen Ansatz und einen ganz anderen Blick auf das Thema verspricht, war ich sehr gespannt auf das Buch.

Leider wurde ich weder mit dem Schreibstil und dem Ton der Autorin noch mit dem Inhalt warm.

Mein größtes Problem: niemand muss für diese "Tipps" 20 Euro ausgeben!

Positiv denken, sich selbst lieben, Wünsche und Träume aufschreiben, Atemübungen, Vertrauen, Dankbarkeit (oh Gott!), bla bla. Alles schon tausend mal da gewesen.

Außerdem widerspricht sich die Autorin ständig:

Sie erklärt zu Anfang beispielsweise, dass sie sich ihre schlechten Beziehungen, beschissenen Jobs und eine ausgekugelte Schulter mit ihren negativen Gedanken selbst herbeigeführt hat, später erfährt man dann aber, dass Gedanken allein natürlich nichts verändern, sondern dass man Handeln muss (ja, ach nee... das hätte ich euch gratis erzählen können).

Beim Thema "selbst herbeigeführt" wäre ich übrigens ganz vorsichtig, denn da ist man mal ruck zuck dabei, Menschen für schlimme Situationen selbst verantwortlich zu machen: chronische Erkrankung und Gewalt in der Beziehung? Hast du dir selbst herbeigeführt, mit all deinen negativen Gedanken! Hättest du dich mal mehr angestrengt!

Die Autorin packt zwar einen kleinen Disclaimer rein und sagt, dass damit natürlich keine "Unschuldigen" gemeint sind. Als Beispiel nimmt sie Kinder, die von Missbrauch betroffen sind und sagt, dass diese natürlich nicht selbst Schuld haben. Aber gilt das nur für Kinder? Oder wer sind diese "Unschuldigen"? Wo ziehen wir die Grenze?

Ich hatte richtiges Bauchgrummeln beim Lesen.

Generell wird hier viel von "Opfer spielen" und "Opferrolle" geredet, ein Framing, dass ich überhaupt nicht mag. Es wird suggeriert, dass man unmöglich tatsächlich Opfer werden kann, sondern sich immer nur selbst in diese Position begibt (oder so tut, als wäre man dort).

Damit wird natürlich obendrauf noch in die typische Kerbe gehauen, die dieses Wort sowieso schon negativ besetzt, was ich ganz schlimm finde.

Auch die (wohl unbeabsichtigte) Respektlosigkeit der Autorin ist mir an manchen Stellen sauer aufgestoßen. Einmal sagt sie, sie wäre ja auch vor ihrer... ich nenne es mal "Erleuchtung"... nicht als "depressiver Miesepeter" durch die Welt gelaufen. Ich musste diese Stelle mehrfach lesen und konnte es trotzdem nicht glauben. Natürlich sind Menschen mit Depressionen keine "Miesepeter", sondern haben eine ernsthafte Erkrankung, die ernst genommen und behandelt gehört, schon allein weil sie unter Umständen tödlich enden kann! Als Betroffene, die leider schon allzu oft gehört hat, dass sie sich doch "nur mal zusammenreißen" muss, und "einfach mal ein bisschen fröhlicher sein" soll, hat mich das einfach besonders gestört.

Ich habe vor einer Weile mal ein Interview mit einem Psychiater gehört, der sich kritisch darüber äußerte, dass Probleme zu sehr "nach innen gekehrt" werden. Er meinte: "Ein armer Mensch wird auch nach Monaten der Therapie noch arm sein." Und dass es nicht immer so gut ist, den Patient:innen zu sagen, dass sie alleine verantwortlich sind und sich eben nur mal "was Gutes tun" sollen, weil man dann dazu neigt, gesamtgesellschaftliche Strukturen, die eben auch zu Erkrankungen führen, zu ignorieren. Beim Lesen dieses Buches musste ich immer mal wieder daran denken.

Schon alleine weil auch hier der Self-Care/Self-Love-Wahn großen Raum einnimmt.

Wie, dir geht's schlecht? Kauf doch einfach jede Menge Zeug! Duftkerzen, Badeschaum, Notizbücher, tolle Stifte, Kristalle (Levin sagt, sie hätte "fast immer einen Rosenquarz im BH"... keine Ahnung warum sie das tut, aber ich musste immerhin ein bisschen lachen), die Angebote der Autorin (siehe unten)... Kosum war ja schon immer die Lösung!

Bitte nicht falsch verstehen, ich habe nichts per se gegen Self-Care. Mir ist klar, dass es im Kapitalismus manchmal absolut notwendig ist, sich selbst zu optimieren, gesünder zu leben und jede Menge Wege zu suchen, wie man noch besser entspannen kann. Das ist eine Überlebensstrategie.

Ich kritisiere aber das ganze System, das uns zu Kerzen/Yoga/Meditation und dem Kauf von Selbsthilfebüchern zwingt - und den Burnout am Ende eben doch nicht fernhält.

Die Autorin hat sowieso einen sehr eingeschrenkten (australischen?) Blick auf das Leben und die Welt (als sie im Kapitel zur Körperliebe schreibt, wie viele Männer sie nackt gesehen haben, entschuldigt sie sich bei ihrem Vater - und mein WTF-O-Meter schlägt aus...). Dass dauernde Body Positivity auch anstrengend sein kann und dass Selbstzweifel ohne schlechtes Gewissen ab und an möglich sein müssen, vergisst die Autorin im Kapitel über Selbstliebe.

Nach ihrer Devise sollen wir nun also für alles immer und jeder Zeit die volle Verantwortung übernehmen und dürfen keine "Ausreden" mehr finden, wie z.B. "die Trump-Regierung".

Mal ehrlich, wenn wir die Politik nicht für unsere Ausgangs- und Rahmenbedingungen verantworlich machen können, wen denn dann? Wenn ich in den USA ohne Krankenversicherung hocke (für uns Deutsche ja zum Glück undenkbar!), dann muss ich doch die Politik kritisieren können. Wozu brauchen wir denn Politiker:innen, wenn wir an diese nicht vertrauensvoll ein kleines Stück Verantwortung abgeben können? Um dann aufzustehen und laut zu werden, wenn die nicht machen was sie sollen, versteht sich.

Aber das alles ist noch nicht mal mein größtes Problem mit dem Buch. Richtig raus war ich, als dieser ganze Eso-Kram anfing, von dem ich eigentlich gehofft hatte, dass er hier nicht stattfindet.

Sternzeichen zum Beispiel. Da ist die Rede von der Sonne, die durch die Sternzeichen läuft und ja, die Autorin sagt natürlich, dass die Sonne sich eigentlich nicht bewegt, sondern ein Fixstern ist. Allerdings wird in der Astrologie nun mal alles "von der Erde aus betrachtet". Was bedeutet, dass dieser Humbug die Wissenschaft ignoriert und im Prinzip überhaupt keine Bedeutung hat. Und wieder einmal: bitte nicht falsch verstehen. Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen ihre Horoskope lesen und ihrem Sternzeichen eine große Bedeutung beimessen.

Ich habe aber was dagegen, wenn Personen daraus Geld schlagen und wenn sie Unsinn verbreiten.

Das gleiche gilt für Mondphasen und seien wir ehrlich, dabei geht es lediglich um den Schatten, den die Erde in der jeweiligen Nacht auf den Mond wirft, weil sie zwischen ihm und der Sonne steht - und dass das angeblich einen Einfluss auf uns hat. Bei Neumond soll man sich die Haare schneiden, dann wachsen sie schneller ("gern geschehen" schreibt die Autorin dazu gönnerhaft). In Wirklichkeit gibt es bei allen Menschen jeden Monat eine Phase, in der die Haare schneller wachsen. Ob der Mond da einen Einfluss drauf hat vermag ich nicht zu sagen, allerdings weiß ich, dass die Haare auch völlig ohne Schnitt einen kleinen Wachstumsschub haben, es ist also wurst, wann man sie schneiden lässt. Gern geschehen.

Eine meiner Hass-Stellen ist die über den Menstruationszyklus und der "weiblichen Energie". Abgesehen davon, dass natürlich nicht jede Frau menstruiert, war mir dieser Zweig, der sich allein auf biologische Eigenschaften bezieht und da eine Art Kult draus macht, schon immer sehr suspekt. Es werden einfach zu viele Menschen ausgeschlossen.

Außerdem wird so viel in diesem Buch zusammengewürfelt: Ayurveda, Yoga, Yin und Yang, traditionelle chinesische Medizin, Manifestation, Kristalle, Mondphasen, Meditation, Tarot...

Hier wird alles mitgenommen, was sich irgendwie in die Eso-Ecke stellen lässt und in Wirklichkeit gar nicht zusammengehört.

Und die "Tipps" hat man – wie oben erwähnt - alle ganz bestimmt schon mal irgendwo gelesen. Zwischen der Lebensgeschichte der Autorin und den sich wiederholenden Hinweisen finden sich dann auch mal konkrete Beispiele: Du willst einen bestimmten Job ergattern. Mantraartig wurde dir nun eingeimpft, dass du selber aktiv werden musst und dass ohne Handeln gar nichts geht. Was kannst du nun also tun, um einen Schritt auf dieses Ziel zuzugehen? Halt dich fest, die Autorin hat eine Idee, auf die du ganz sicher nicht gekommen wärst! Achtung: du suchst im Internet nach Stellenangeboten, die auf deinen Traumjob passen. Düdum Tsch.

Oder möchtest du vielleicht fünf Euro mehr in der Tasche haben? Dann denk und glaub ganz fest daran... und verzichte auf den zweiten Kaffee! Schon bist du reicher!

Auch ein Parkplatz direkt vor deiner Haustür lässt sich ohne Probleme manifestieren – wenn du bereit bist, auch mal dreißig Minuten rumzufahren und zu suchen. Eine halbe Stunde sinnloses Rumgekurve, das ist dann dein Beitrag zum Klimawandel. Im Einklang mit sich selbst, aber gegen den Planeten!

Das ganze Kapitel über Geld besagt im Kern, dass man Einnahmen und Ausgaben berechnen soll und alles andere dann dementsprechend anpasst. Auch das sollte ja eigentlich bekannt sein. (Natürlich muss man auch noch die "Geldgeschichte neu schreiben" alles mit "Gefühlen aufladen" und "ganz fest darauf vertrauen", dass das Geld kommt...)

Sorry, aber besser wird es nicht. Alles, was in diesem Buch steht, weiß man schon. Und weil sich die Autorin immer wieder auf das eigene Handeln beruft und auch von "Sperren" im eigenen Denken spricht, kann sie sich jedes mal rausreden, wenn es eben doch nicht funktioniert.

Dann wolltest du es nämlich einfach nicht richtig, hast dich nicht genug angestrengt, stehst dir selbst im Weg, verstehst es einfach nicht, hast dich verschlossen. Ziemlich praktisch. Für die Autorin. Deren Konto ist übrigens das einzige, auf dem sich Geld manifestiert, wenn man dieses Buch kauft, auch wenn sie was anderes behauptet.

Zum Abschluss möchte ich noch betonen, dass ich es überhaupt nicht schlimm finde, wenn andere das Buch mögen. Wenn sich jemand dadurch motiviert fühlt und etwas für sich mit rausnehmen kann, dann freue ich mich für diese Person. Das hier ist am Ende auch nur meine rein subjektive, persönliche Ansicht. Aber ich rate doch dazu, sich das Geld zu sparen und was Schöneres damit zu machen.


(Ich habe übrigens mal ein bisschen zur Atorin recherchiert und neben sehr viel Selbstinszenierung bietet sie unter anderem drei "Sessions" für satte 660 Dollar an, ihr eineinhalbstündiger Unterricht im Schreiben kostet 385 Dollar... außerdem kann man sich im "Lunar Lover Club" auf ihrer Website anmelden, natürlich ebenfalls gegen Geld (Halbjahres-Abo 33 Dollar pro Monat, Ganzjahre-Abo 22 - "All sales are final, no refunds are permitted") Wenn man auf "buchen" klickt, geht es ohne weitere Erklärungen zur Paypal-Zahlung.

Daraus kann man nun ableiten was man will und auch zu dem Schluss kommen, dass es völlig in Ordnung so ist. Ich bin mir da etwas unschlüssig.)

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Veröffentlicht am 15.12.2019

Enttäuschend

Der Hof der Wunder
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Bitte dran denken: das ist meine persönliche, rein subjektive Meinung.

"Der Hof der Wunder" stand schon lange vor Erscheinen auf meiner Wunschliste. Das Cover spricht mich total an und beim Titel kam ...

Bitte dran denken: das ist meine persönliche, rein subjektive Meinung.

"Der Hof der Wunder" stand schon lange vor Erscheinen auf meiner Wunschliste. Das Cover spricht mich total an und beim Titel kam mir sofort "Der Glöckner von Notre Dame" in den Sinn. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Buch allerdings um eine Art Retelling von "Les Miserables" und dem "Dschungelbuch". Nun bin ich mit ersterem nicht wirklich vertraut, mit letzterem dagegen schon und ich fand es ziemlich kreativ, aus Paris den "Dschungel" zu machen. In den Gildenherren erkennt man eindeutig die Tiere wieder, bzw. in den Gilden die Rudel. Das hat mir richtig gut gefallen.

Ebenfalls toll ist die Tatsache, dass die Autorin nicht vor Gewalt, Hässlichkeit und Elend zurückschreckt. Wenn Protagonistin Nina in einen Berg Kacke fällt, dann ist das nicht metaphorisch gemeint: sie fällt tatsächlich in Exkremente. Die leicht schmuddeligen Gilden, die Illegalität, die Gefahr und der Dreck von Paris... das alles passt wunderbar zur Gesamtstimmung des Buches.

Leider ist es mit dem Lob an dieser Stelle erstmal vorbei, denn ich habe eine Menge Kritik am "Hof der Wunder".


Zum einen ist da der Schreibstil. Erste Person, Gegenwart und da muss ich zugeben: das ist nicht grade mein Favorit. Das kann zwar auch gut gemacht sein und ich habe definitiv schon Bücher zu meinen Lieblingen sortiert, die ebenfalls mit dieser Zeit- und der Ich-Form arbeiten, generell merke ich aber, dass mir die Vergangenheit und die dritte Person da lieber sind.

Immerhin: alles ist ausschließlich aus der Sicht von Nina geschrieben. Das Rumgespringe zwischen mehreren Sichtweisen mag ich nämlich oft auch nicht besonders.


Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, es liest sich ein bisschen holprig, was zwar auch (wie so oft) an der Übersetzung liegen kann, sich aber definitiv nicht ausschließlich darauf schieben lässt.

Es fehlt zum Beispiel auch an Beschreibungen der Umgebung. Manchmal wusste ich nicht, wo sich die beiden Personen, die sich grade unterhalten eigentlich befinden. In einem Raum? Auf der Straße? Und wo legen sich Nina und Ettie da grade schlafen? Auf dem Boden? Ohne Decke?

Wo anfangs zu wenig Bilder gezeichnet werden, passiert später dann zu viel: Ich möchte wirklich nicht über mehrere Seiten erklärt bekommen, welche zwanzig Kuchensorten irgendwo rumstehen und wie sie dekoriert sind.


Ein weiterer Kritikpunkt sind die vielen Zeitsprünge, deren Länge manchmal gar nicht angeben wird, ein anderes mal steht dann eine Jahreszahl über dem Kapitel – allerdings hatte ich zu diesem Zeitpunkt die vorige meist schon vergessen, konnte also nicht nachrechnen und hatte auch keine Lust, da extra nochmal nachzugucken.


Mein nächstes Problem ist Nina, unsere Protagonistin. Sie kann einfach alles und stellt sich jeder Herausforderung ohne Probleme. Außerdem hat sie offenbar ein fotografisches Gedächtnis, denn sie kann zu jeder Person, jeder Gilde, jedem Ehrenkodex und Regelwerk sofort alle Informationen runterbeten. Man könnte meinen, sie gehört zur Schreibergilde, aber nee, sie ist Diebin, die "schwarze Katze". Und sie kommt natürlich überall rein. Wenn sie im Rahmen ihrer Mission (dazu gleich mehr) irgendwo einsteigen muss, läuft das etwa so:

Ihr wird gesagt, wo sie hin muss. Dann gibt es einen großen Aufschrei, denn oh Gott! Da ist noch niemand rein- oder rausgekommen! Wirklich noch nie!! Es ist praktisch unmöglich, da einzusteigen!!!

Als Leserin freue ich mich natürlich schon auf den ausgeklügelten Plan, den Nina nun schmieden wird und auf nervenaufreibene Szenen vom Einstieg, die mich nägelkauend auf der Kante meines Sofas sitzen lassen.

Nichts davon bekomme ich.

Nina plant sich so halbgar was Unoriginelles zusammen, steigt dann über eine Stelle ein, die schon immer da war und auf die schon hundert andere mit einer halben Gehirnzelle hätten kommen können und macht, was gemacht werden muss. Große Probleme hat sie dabei nicht – läuft bei ihr.

Danach wird sie natürlich gefeiert und als was besonderes angesehen.


Über einiges war ich extrem überrascht, denn die Autorin schreibt:


Q: "is there a / the usual / love triangle in ACOM?"
A: "ACOM's ladies are far too busy fighting, scheming & adventuring to have time for love triangles."


Also erstmal: Ladies? So viele weibliche Figuren gibt es da nicht, die meisten sind männlich. Nina bildet Beziehungen fast ausschließlich zu Männern (Ettie ist hier die einzige Ausnahme, aber sie ist ja auch eine "Schwester", wie so oft in diesen Büchern; wo kommen wir denn da hin, wenn es einfach mal eine richtige Freundschaft zwischen Frauen gibt). Einmal ist sie ganz stolz, weil sie das einzige zugelassene Mädchen in einer politischen Jungsgruppe ist. eyeroll

Außerdem hat sie sage und schreibe drei (in Zahlen 3!!!) Typen, die irgendwie auf sie stehen und somit potenzielle Love Interests sind. Geküsst wird natürlich auch. Mit all dem hatte ich nach der obrigen Aussage gar nicht gerechnet!


Ninas einzige Motivation ist übrigens erst ihre leibliche Schwester, die vom "Tiger" Kaplan gekauft wurde, dann die eben erwähnte Ettie, die er gerne haben würde und die es zu beschützen gilt.


Und damit komme ich zum nächsten Punkt, dem dünnen Plot. Denn das ist tatsächlich die ganze Geschichte. Ettie beschützen. Ende.

Die Autorin hat diese Geschichte wohl angeblich in grade mal zwei Wochen komplett geschrieben und wenn das wirklich stimmt, dann muss ich leider sagen: man merkt es. Es fehlt an so vielem, es gibt kleine Fehler und der Plot gibt so wenig her – und das obwohl hier zwei (!) bereits bestehende Geschichten genommen wurden, auf denen das ganze fußt. Sorry, aber da erwarte ich doch etwas mehr... richtige Abenteuer, Intrigen, gefährliche Situationen, clevere Twists, so Zeug. Und nicht diese dünne, ein wenig fanfiction-mäßige Story, in der der Protagonistin alles vor die Füße fällt und bei der ich mich beim Lesen manchmal sogar fremdschäme.


Was mir vorher auch nicht so klar war, ist der starke Fokus auf sexualisierte Gewalt, Menschenhandel und Prostitution. Ich weiß nicht, ob das ein großes Thema in "Les Miserable" ist, denn damit kenne ich mich wie gesagt nicht aus. In meiner Naivität habe ich bei "Fleischgilde" erst an Kanibalismus gedacht, es geht aber wie gesagt um die oben erwähnten Dinge.

Nun ist es vielleicht nicht so schlimm, diese Grausamkeiten in einem grausamen Buch darzustellen. Das gehört dazu. Mich stört jedoch der wahnsinnig einseitige, klischeehafte und langweilige Blick auf (Zwangs-) Prostitution: Männer kaufen, Frauen werden gekauft.

Von einem gefürchteten Gildenmeister des Fleisches verlange ich aber, dass er natürlich auch Männer "anbietet". Alles andere kann er sich doch gar nicht leisten, wenn er das absolute Monopol hat! Da es aber keine einzige Erwähnung von Homosexualität gibt (obwohl die Story das hergibt, ja schon fast verlangt!) und Frauen offenbar als Freierinnen nicht infrage kommen, bleibt es, wie oben schon geschrieben, einseitig.

Besonders ärgert mich das, weil die Autorin in ihren FAQs von der Wichtigkeit von Representation und "Diversity" redet. Ich verlange ja gar kein queeres Haupt-Couple, aber zumindest eine klitzekleine Erwähnung am Rande, dass Männer halt auch gerne mal Männer kaufen (grade im Paris des 19. Jahrhunderts... was meint ihr was da in Frankreich los war, es gab eine riesige queere Szene) wäre doch ganz nett gewesen.

Überhaupt wird dieses ganze Thema sexualisierte Gewalt so furchtbar schlecht behandelt. Über allen Frauen schwebt ständig die Bedrohung der Vergewaltigung. Und natürlich liegt es an ihnen selbst, dem entgegen zu wirken. Nina bekommt z.B. gleich zu Beginn ihren Kopf geschoren und eingetrichtert, dass sie ihr Haar immer kurz halten muss (dementsprechend habe ich sie mir immer kahl vorgestellt, bis dann auf einmal die Rede davon ist, dass ihre Haare gekämmt und "auf dem Kopf aufgetürmt" und verziert werden... offenbar war das Hübschsein dann später doch wichtiger), dass sie hungern muss, um "knabenhaft" auszusehen und sich in Jungsklamotten hüllen soll. Etties Haare werden mit einem Tuch bedeckt, um sie "vor hungrigen Blicken zu schützen". Das ist auf so vielen Ebenen Bullshit.

Erstens können Frauen in jedem Outfit Opfer solcher Taten werden, selbst Frauen die vollverschleiert durch die Gegend laufen.

Zweitens hat Schönheit damit recht wenig zu tun (es geht vorrangig um Macht).

Und drittens ist es totaler Quatsch, dass Jungs so etwas nicht passiert und man sich deshalb nur als einer verkleiden muss, um sicher zu sein!

Es betrifft zwar keine der relevanten Hauptfiguren, aber es schwingt schon manchmal ein kleines bisschen eine "Männer sind potenzielle Triebtäter, vor denen es sich zu jeder Zeit zu schützen gilt" Aussage mit.

Außerdem wird mehr als einmal betont, dass etwas schreckliches "ja auch Frauen und Kinder" betroffen hätte und deshalb sehr viel schlimmer wäre. Kinder, da gehe ich mit, aber Frauen? Wäre es denn weniger schlimm, wenn es nur Männer getroffen hätte? Nach dem Motto: "XY ist passiert, aber die Opfer waren zum Glück nur Männer. Keine Frauen dabei. So eine Freude!" Nee, da gehe ich nicht mit.


Fazit: Ich bin so, so enttäuscht. Wie eingangs geschrieben stand das Buch ewig auf meiner Wunschliste. Ich hatte mich riesig darauf gefreut, habe fast schon auf das Erscheinen hingefiebert und war mir sicher, dass ich es lieben und mit einer glühenden Fünf-Sterne-Rezi belohnen würde. Einen zweiten Stern vergebe ich nur für mein kleines Lob am Anfang und dafür, dass POC hier representiert werden (sogar own voices!). Eigentlich sollte es dafür keine cookie points geben, aber naja, gut finde ich es eben doch.


(Kleiner Nachklapp: Ich weiß nicht, warum das Buch als "Fantasy" vermarktet wird. Ich konnte keine Elemente dieses Genres entdecken.

Nachklapp 2: Fabeln spielen hier eine kleine Rolle. Allerdings heißt der Eber nicht Isegrim, sondern der Wolf, wenn ich mich richtig erinnere.)

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Veröffentlicht am 13.10.2019

Solide

Strange the Dreamer - Der Junge, der träumte
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"Strange the Dreamer" ist der typische erste Band einer Reihe - und damit schließe ich mich den vielen Rezensionen an, in denen das bereits angesprochen wurde. Das Buch arbeitet hauptsächlich auf den nächsten ...

"Strange the Dreamer" ist der typische erste Band einer Reihe - und damit schließe ich mich den vielen Rezensionen an, in denen das bereits angesprochen wurde. Das Buch arbeitet hauptsächlich auf den nächsten Teil hin:
Wir lernen die Welt, ihre Regeln, ihre Geschichte und die Charaktere kennen.
Aber zum Glück verzichtet die Autorin auf übermäßigen Info-Dump und webt alles Wissenswerte stattdessen geschickt zwischen die Story.
Die startet mit Lazlo, einem Waisenjungen, der von Mönchen großgezogen wurde. Seine Jugend ist von Disziplin und Gebeten geprägt, Liebe und Geborgenheit gibt es wenig. Auch deswegen flüchtet sich Lazlo in die Geschichten der sagenumwobenen Stadt Weep, die ursprünglich einen ganz anderen Namen hatte, der aber mysteriöserweise verschollen ist.
Einst gab es Karawanen mit Waren aus Weep, aber die kommen schon lange nicht mehr und jeder Mensch, der sich auf den Weg gemacht hat, um die Stadt zu suchen, ist nie zurückgekehrt.
Lazlo beginnt, in einer Bibliothek zu arbeiten und verbringt sein Heranwachsen damit, alles über Weep zusammenzutragen und aufzuschreiben, was er finden kann.
Eines Tages bietet sich ihm dann die Gelegenheit, gemeinsam mit berühmten Kriegerinnen und Kriegern, sowie Expertinnen und Experten (in unterschiedlichen Bereichen) in die geheimnisvolle Stadt zu reisen, um dort ein Problem zu lösen...
Action und nägelkauende Spannung gibt es in diesem Buch eher nicht, dafür lebt es von einer kreativen Welt und wahnsinnig liebenswerten Charakteren.
Allen voran natürlich Lazlo, der trotz seiner lieblosen Erziehung ein sehr sanftmütiger und hilfsbereiter Mensch geworden ist und sogar denen zur Seite steht, die ihm nichts als Undank entgegen bringen.
Im Gegenüber steht der "Goldjunge" Thyon Nero. Die beiden verbindet ein Geheimnis, das Thyon unbedingt bewahrt wissen möchte. Er ist arrogant und unfreundlich, dabei jedoch kein eindimensionaler Gegenspieler. Auf seinen Schultern ruht eine große Last, die zumindest ein bisschen zur Erklärung seines Verhaltens beiträgt.
Die Nebencharaktere bleiben in diesem Band noch etwas blass, haben aber bereits großes Potenzial.
Ein für mich sehr positiver Aspekt waren die hinterfragten patriarchalen Strukturen der Welt. Die Autorin zeigt uns erst das typische "keinen Frauen als Kämpferinnen, keine Frauen in der Bibliothek" etc. Das wird dann jedoch von den eintreffenden Kriegerinnen und Kriegern aus Weep misstrauisch und verständnislos beäugt, bleibt also nicht unwidersprochen so stehen. Eine echt nette Abwechslung im Fantasy Genre!
Später beginnt noch ein zweiter Erzählstrang, aus der Sicht eines jugendlichen Mädchens, die mit anderen, sagen wir mal... in der Klemme hockt. Das wirkt im ersten Moment verwirrend. Wer sind diese Jugendlichen, wo befinden sie sich, was machen sie da und warum ist alles so trostlos?
Obwohl mir Lazlos Stellen deutlich besser gefallen haben, hat auch dieser Teil der Geschichte seinen Sinn und zum Ende hin werden beide zusammengeführt.
Mein einziger kleiner Kritikpunkt ist die sich andeutende Romanze zwischen Lazlo und dem Mädchen (ihr Name ist Sarai). Die erscheint mir ein bisschen langweilig, vorhersehbar und linear. Bei Lazlo und Thyon wäre hingegen einfach so viel mehr Spannung und Britzeln rausholbar... Für mich persönlich hat die Autorin hier eine super Chance für ein spannendes Enemies-to-Lovers verschenkt.
Der Schreibstil ist angenehm und flüssig. Man kann das Buch gut wie einen langen, aber nicht langweiligen Prolog zum zweiten Teil lesen. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht!

Ich bin aber auch etwas verwirrt: hat man für die deutsche Version einen Teil weggelassen? Die englische Version hat über 500 Seiten. Deutsche Wörter sind länger und sperriger, deswegen sind die Übersetzungen meist etwas dicker. Hier haben wir aber 200 (!) Seiten weniger. Außerdem habe ich grade englische Rezis gewälzt und dort werden für Band 1 Dinge eschrieben, die in der deutschen Version noch gar nicht vorkommen... Versucht man hier aus einer Dilogie eine Trilogie zu machen?