Profilbild von Aniya

Aniya

Lesejury Profi
offline

Aniya ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aniya über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.08.2019

Schaurig

Kalte Wasser
0

Lauren bekommt Zwillinge.
Während ihres Krankenhausaufenthaltes taucht im Zimmer nachts plötzlich eine unheimliche Frau auf, die einen Korb dabei hat. Darin befinden sich ebenfalls Zwillinge - und die ...

Lauren bekommt Zwillinge.
Während ihres Krankenhausaufenthaltes taucht im Zimmer nachts plötzlich eine unheimliche Frau auf, die einen Korb dabei hat. Darin befinden sich ebenfalls Zwillinge - und die Frau möchte tauschen.
Lauren schließt sich erschrocken im Bad ein und ruft die Polizei, doch es kann kein Eindringen festgestellt, niemand gefasst werden.
Zuhause begegnet ihr die unheimliche Frau wieder und wieder. Lauren traut sich vor Angst mit ihren Kindern nicht mehr aus dem Haus. Mann und Ärzte schieben alles auf die Psyche, den Schlafmangel.
Als Lauren ihren Mut zusammen nimmt und mit den Kindern spazieren geht, schläft sie bei einer Pause ein. Als sie aufwacht, ist der Kinderwagen verschwunden, wird aber schnell wieder gefunden.
Allerdings sind die Babys nicht mehr Laurens.
Niemand glaubt ihr - bis auf Polizistin Harper, der irgendwas an dem Fall ganz seltsam vorkommt...

Kalte Wasser ist eine gute Mischung:
Wir haben den unheimlichen, geheimnisvollen Teil, bei dem ich mich durchaus gegruselt habe (das passiert bei mir aber schnell, ich bin ein Angsthase), die etwas zu engagierte Polizistin, die auf Frauen steht und alles rund um Schwangerschaft, Geburt, Gewalt, Depressionen, Rollenverteilung.

Vom Paranormalen abgesehen, gab es die bedrückendsten Szenen für mich in der ersten Hälfte des Buches.
Wir erleben Laurens Entbindung gleich zu Beginn hautnah mit.
Es ist eine Zangengeburt und Lauren leidet Höllenqualen.
Auch als alles überstanden scheint, geht es ihr nicht besser.
Das Krankenhauspersonal ist empathielos und ruppig.
Sie bekommt innere Blutungen, die mit einem schmerzhaften und übergriffigen Eingriff gestillt werden müssen und bei denen Laurens Grenzen nicht respektiert werden.
Ich habe in letzter Zeit viel über Gewalt unter der Geburt gelesen und auch darüber, wie sehr unser glorifiziertes Mutterbild Frauen schaden kann und z.B. dafür sorgt, dass sich viele keine Hilfe suchen, die sie bräuchten, aus Angst, als Rabenmutter dazustehen.
Die Autorin stellt das Leid und die Angst meiner Meinung nach sehr gut dar.
Lauren leidet also mehr oder weniger stumm, weint viel, hat Angst, keine gute Mutter zu sein.
Man merkt, wie alleine sie mit allem dasteht.
Früher hieß es, man brauche ein Dorf, um ein Kind großzuziehen, heute soll das eine Person (meist die Mutter) allein schaffen, während Väter schon Helden sind, wenn sie sich das frisch gebadete und gewickelte Kind für 20 Minuten auf die Brust legen lassen.
Alles wird nochmal schlimmer, als Lauren entlassen wird.
Ein paar Tage gibt sich ihr Mann noch ein wenig Mühe, aber bereits nach den ersten schlaflosen Nächten zieht er ins Gästezimmer, weil er "es nicht mehr aushält" und ohne Schlaf "zu nichts zu gebrauchen ist". Es sind nur zwei Wochen Vaterschaftsurlaub und nicht mal während dieser Zeit schafft er es, sich gleichwertig um die Kinder zu kümmern.
Er gibt Lauren immer wieder zu verstehen, dass all das ihre Aufgabe und sowieso gar keine richtige Arbeit ist.
Als er wieder seiner Erwerbstätigkeit nachgeht, kommt er spät nach hause, weil er noch "durch die Bars" muss, "Kontakte knüpfen".
Und natürlich hat er auch noch ein paar andere Geheimnisse...
Ganz ehrlich, der Ehemann war für mich einfach ein riesen Schwein, aber ich kam nicht umhin daran zu denken, dass die Autorin hier ziemlich gut die (oder besser: eine) Realität abgebildet hat.
Natürlich sind nicht alle Männer so, dennoch passieren bestimmte Dinge wohl doch immer noch zu oft. Es gibt ja auch diverse Studien dazu, dass Mütter nach der Geburt ihren Schlaf einbüßen und Väter eher nicht, oder dass Mütter bei Wiedereinstieg in den Job 61% ihres Gehaltes verlieren und Väter nichts.
Zwischen den Zeilen wird in Kalte Wasser auch die Expertise angesprochen: von Lauren wird erwartet, dass sie sofort alles weiß und kann, dabei hat sie keine Ahnung, ist auf ähnlichem Wissensstand, wie ihr Mann, denn es sind auch ihre ersten Kinder.
Das Stillen fällt ihr schwer, sie hat Schmerzen und es strengt sie an.
Sie liest Bücher, um mehr über Babys und Erziehung zu erfahren, während ihr Mann seine "Papalektüre" nicht einmal durchblättert.
Für mich hat die Autorin hier jedenfalls einen fantastischen Job gemacht. Das alles kommt so wunderbar schleichend, der Ehemann wird nicht als absolutes Monster portraitiert.
Ich hatte richtige Beklemmungen und schlimmstes Mitleid mit Lauren.

Die Teile, die nicht aus Laurens Sicht geschrieben sind, haben den Narrativ der Polizistin Harper.
Sie arbeitet nicht ganz so oft nach Vorschrift und insgesamt mochte ich sie sehr.
Allerdings habe ich bei ihr auch ein paar kleine Kritikpunkte:
Mir war es etwas zu weit hergeholt, dass sie sich so für Laurens Fall interessiert, obwohl er nur einer von vielen Abgeschlossenen unter den Akten ist.
Wenn sie noch diejenige gewesen wäre, die ins Krankenhaus gerufen wurde... aber sie sieht den Fall einfach auf dem PC und ist sofort Feuer und Flamme. Begründet wird das zum einen mit ihrer Vergangenheit, die mir dafür nicht ausreicht und zum anderen mit ihrer unschlagbaren Intuition - die, wie ich finde, dafür an anderen Stellen manchmal ziemlich zu wünschen übrig lässt.
Harper steht auf die Journalistin Amy. Ich wusste die meiste Zeit nicht, was ich von dieser Person halten soll und ich fand Harper ihr gegenüber wahnsinnig unvorsichtig... mit dem, was zu Amy am Ende rauskommt, war ich aber sehr zufrieden.

Kalte Wasser hatte auf mich jedenfalls eine ziemliche Sogwirkung und ich mochte die unheimliche Stimmung, die verschiedenen Gefühle, die es bei mir ausgelöst hat und die Fragen, die ich mir teilweise immer noch ein bisschen stelle.
Eine spannende Schauergeschichte, die sich zu lesen lohnt.

Veröffentlicht am 09.08.2019

Realistisch

Dry
0

Na, da haben wir doch mal einen dystopisch angehauchten Jugendthriller, der gar nicht so weit hergeholt ist!

Eines Tages streiken plötzlich alle Wasserhähne. Die Supermärkte sind binnen kürzester Zeit ...

Na, da haben wir doch mal einen dystopisch angehauchten Jugendthriller, der gar nicht so weit hergeholt ist!

Eines Tages streiken plötzlich alle Wasserhähne. Die Supermärkte sind binnen kürzester Zeit geplündert, Wasser wird zur absoluten Mangelware.
Wir begleiten eine Handvoll Jugendliche durch diese Zeit, vom ersten Schreck bis zur Katastrophe.

"Dry" hat mir wirklich ausgesprochen gut gefallen. Was mir in den 90ern noch als total unmögliches Szenario vorgekommen wäre, ist heute vielleicht gar keine all zu ferne Realität mehr. Für den Klimawandel und unseren Unwillen, etwas daran zu ändern, werden folgende Generationen bezahlen müssen. Und sie werden uns dafür hassen.

Das Szenario fühlte sich für mich wahnsinnig echt an. Ich konnte mich total gut in die Geschichte rein finden und das Buch dann kaum noch aus der Hand legen.
Das ging so weit, dass ich eines Nachts total verschlafen zur Toilette geschlurft bin und vor dem Händewaschen plötzlich die kurze Panik hatte, dass kein Wasser kommen würde.
Außerdem kam ich nicht umhin mich zu fragen, was denn wäre, wenn so etwas bei uns passieren würde.
Wäre ich vorbereitet?
Nein, gar nicht.
Ich habe echt ein paar mal darüber nachgedacht, mir einen kleinen Wasservorrat anzulegen, so hat die Story bei mir eingeschlagen. (Hab's natürlich nicht gemacht :D)

Der Schreibstil ist flüssig und ich bin ziemlich schnell durch die Seiten geflogen. Am besten hat mir die langsame Steigerung bis zum Ausnahmezustand gefallen.
Erst sind alle nur ein bisschen nervös, denken aber, das geht bald wieder vorbei.
Dann greift langsam Panik um sich. Und am Ende gibt es regelrechte "Wasserzombies", die vor nichts zurückschrecken, um an ein bisschen Flüssigkeit zu kommen.
Dabei sind vor allem die gefährdet, die vorgesorgt haben.
Und hier komme ich zu ein paar kleinen Kritikpunkten, die mich jetzt aber auch nicht zu sehr gestört haben.

Vor allem Keltons Vater tat mir wahnsinnig leid. Das Buch meint es nicht gut mit ihm, obwohl er für mich der einzige Mensch mit ein bisschen Verstand war. Er wird wie ein durchgeknallter Prepper und Nerd dargestellt, da die Welt aber zu Beginn der Geschichte bereits ziemlich ausgedörrt ist, hat er für mich einfach nur sehr clever und berechtigt vorgesorgt.
Keltons Mutter ist dagegen das überdrehte Klischee der absolut empathischen Frau, die immer helfen will und ihre Vorräte auch auf Kosten der eigenen Familie mit anderen teilen möchte.
Sorry, aber wenn so etwas passiert und ich habe Vorräte und einen Schutzbunker, in dem es sich ziemlich lange leben lässt, dann könnt ihr sicher sein, dass ich meine Füße stillhalte, nichts abgebe und einfach nur versuche, mit meiner Familie zu überleben!
Zumal die Nachbarn sich vorher ständig beschwerten, Keltons Vater auslachten und als bekloppt hinstellten. Und ganz ehrlich? Umgekehrt hätten die ihnen auch nichts abgebeben.

Mein zweiter Kritikpunkt ist, dass es mir ein bisschen schwer viel, mit den Protas warmzuwerden. Alyssa stellt sich oft so doof an, dass es wehtut, Jacqui ist total drüber, Garrett ist oft nervig, Kelton wird gleich zu Anfang als Stalker vorgestellt, der total in Alyssa verliebt ist und von Henry will ich gar nicht erst anfangen... Ich habe da echt ein bisschen gebraucht, bis ich für die fünf mit gefiebert habe.

Und zu guter Letzt haben mich auch die Snapshots zwischendrin ein bisschen genervt, die aus der Sicht von eigentlich völlig Unbeteiligten geschrieben waren. Am schlimmsten fand ich den Teil eines Mädchens, von dem angedeutet wird, dass sie sich für eine Flasche Wasser prostituieren wird - nicht nur das, sie gibt sogar ihre ach so wichtige und heilige Jungfräulichkeit her (Amis, ey...).
Die Tatsache, dass es normal erscheint, dass es auch in diesen Zeiten einen Typen gibt, der mit minderjährigen Mädchen für eine Flasche Wasser in seinem Auto Sex hat, spricht schon wieder Bände über Männer(bilder).

Insgesamt finde ich das Buch aber sehr gelungen, spannend und gut geschrieben. Vielleicht regt es auch ein bisschen zum Nachdenken an, das wäre doch schön. :)

Veröffentlicht am 09.08.2019

Schwierig

Quicksand: Im Traum kannst du nicht lügen
0

Dieses Buch ist vor allem eins: anstrengend.
Bevor man es aufschlägt, sollte man wissen, dass man sich während der gesamten Geschichte im Kopf der Protagonistin Maja befindet. Und die ist ätzend, nervig, ...

Dieses Buch ist vor allem eins: anstrengend.
Bevor man es aufschlägt, sollte man wissen, dass man sich während der gesamten Geschichte im Kopf der Protagonistin Maja befindet. Und die ist ätzend, nervig, verurteilend, überheblich, fies, egoistisch - mit Absicht, denn die Autorin weiß, was sie da tut.

Die Story beginnt, als Maja vor Gericht sitzt. Alles ist bereits vorbei, wir erfahren am Rande von einem Schulmassaker, an dem sie hauptsächlich beteiligt gewesen sein soll.
Und während die Staatsanwältin die Anklageschrift verliest, während Tag um Tag der Verhandlung vergeht, fängt Maja an, zurückzudenken, abzuschweifen, zu überlegen.
Vieles hat am Anfang wenig mit der eigentlichen Geschichte und dem, was man so dringend wissen will, zu tun.
Es geht oft um kleine Anekdoten, Erinnerungen an früher und darum, wie Maja sich das Leben anderer so vorstellt.
Dabei steckt sie Menschen, die sie kaum kennt, in winzig kleine Schubladen - und ärgert sich darüber, dass andere das mit ihr machen.
In seitenlangen gedanklichen Monologen ergießt sie sich in diesen Vorstellungen. Es geht die ganze Zeit so "sie ist der Typ, der...", "ich schätze mal, er wird jeden Tag...", "ich kann mir richtig vorstellen, wie..."
Das sagt sehr wenig über die gemeinten Personen aus, dafür aber umso mehr über Maja selbst. Sie mag niemanden, findet jeden und jede scheiße und hält sich für ach so viel besser als alle anderen.
Um dem ganzen dann die Krone aufzusetzen, werden relativ zum Schluss die Lesenden selbst angesprochen und Maja mutmaßt, wie wir so drauf sind, aus welcher Gesellschaftsschicht wir kommen etc.
Im Prinzip liest man also hunderte Seiten, auf denen sie erklärt, wie "blöd" und "hässlich" und "oberflächlich" und "unwissend" jemand ist, wie deep sie selbst ist und dass sie die Partys und den oberflächlichen Kram eigentlich gar nicht mag (und da kann sie uns an manchen Stellen noch so oft sagen, dass sie sich ja auch manchmal dumm vorkommt oder irgendwas nicht verstanden hat, sie ist und bleibt arrogant).
Sie beleidigt gedanklich ihre Eltern und ihre beste Freundin (man bekommt regelrecht den Eindruck, die würde sie richtig hassen) und erklärt uns dann, dass sie diese Menschen trotzdem sehr liebt.
All das lesen wir, damit uns Maja am Ende sagt: "Na? Ihr mögt mich nicht, was? Ihr habt auch so gar nichts verstanden!"
Hm, ja, wahrscheinlich. Augenrollen

Im Buch werden außerdem wahnsinnig viele Themen untergebracht: Sexismus, Rassismus, Wirtschaft, Steuern, Drogen, (sexualisierte) Gewalt, psychische Erkrankungen, die Schere zwischen arm und reich...
Dabei hat Maja von allem eine Vorstellung, aber von nichts so wirklich Ahnung, was wiederum zu ihrem Alter und ihrem behüteten Lebensstil passt.
Gelegentlich fühlte ich mich sogar an mich selbst als Teenie erinnert (bis auf den Lebensstil) und war fast schon ein wenig peinlich berührt.

Eine Sache, die mir in diesem Buch ebenfalls eher weniger gefallen hat, waren die Beziehungen und die Glaubwürdigkeit.
Ich habe halt z.B. einfach nicht verstanden, was die Jungs von ihr wollten, warum sie was mit ihr anfingen. Viel showing, wenig telling, wie wir Engländer sagen. ;)
Es wird nichts romantisiert und es gibt auch keinen dicken Zuckerguss, was ich der Autorin hoch anrechne. Grade zum Schluss (ohne das ich spoilern will) fand ich Majas Stimme am stärksten, ihre Bürde schlimm und ihr Umfeld und den Umgang mit dem Thema noch schlimmer.
Dennoch habe ich nicht verstanden, wieso es überhaupt angefangen hat. Gut, dafür bräuchte man vielleicht Sebastians Stimme, oder die des anderen Jungen, Maja kann ja auch nicht alles wissen.

Gut gefallen hat mir dagegen aber das etwas zurechtgerückte Bild von Schweden, das mir dieses Buch durch die Wirtschafts- und Steuerthemen vermittelt hat. Grade hier in Deutschland neigt man ja dazu, die skandinavischen Länder als reinstes Paradies, in dem alles immer super läuft, darzustellen und das ist selbstverständlich Unsinn.
Natürlich gibt es auch dort Probleme, der Kapitalismus greift um sich, die Reichen werden reicher... verglichen mit Deutschland ist Schweden aber immer noch meilenweit vorne und die geben sich wenigstens Mühe und versuchen, ihr Land zu einem schöneren Ort für alle zu machen.

Bei der Art der Erzählung (alles in Majas Kopf und ausschließlich durch ihre Brille und Rückblenden) war ich meistens hin- und hergerissen. Mal hielt ich sie für ein großartiges Konzept für den Spannungsbogen, mal für völlig unnötiges in die Länge ziehen.

Der Schreibstil ist für mich das beste am gesamten Buch. Ich halte die Autorin für unheimlich klug und talentiert und das ist auch der Grund, warum ich dem Buch trotz meiner harschen Kritik 3 Sterne gebe. Weniger hat es einfach nicht verdient, schon gar nicht nur, weil hier anscheinend mein Geschmack nicht immer so getroffen wurde.

Für mich war es im Endeffekt aber leider zu überladen, zu viel pubertäres Geschwurbel und Teenie-Drama, zu viele gewollt unsympathische Charaktere, zu gewollt deep, zu gewollt provokant, einfach zu gewollt. Ich war ziemlich erleichtert, als ich die letzte Seite gelesen hatte und das Buch schließen konnte.

Veröffentlicht am 09.08.2019

Hat mir gefallen

#ichwillihnberühren
0

Was für eine kurzweilige und schöne kleine Geschichte, mit vielen Anregungen zum Nachdenken!

OJ und Er stehen auf einander, wissen aber natürlich nicht, was der jeweils andere denkt. OJ holt sich Tipps ...

Was für eine kurzweilige und schöne kleine Geschichte, mit vielen Anregungen zum Nachdenken!

OJ und Er stehen auf einander, wissen aber natürlich nicht, was der jeweils andere denkt. OJ holt sich Tipps online und Er bei einer Freundin. Beide kratzen ihren Mut zusammen und tasten sich vor...

Grade OJs Unsicherheiten sind so plausibel. Nicht nur die Angst vor einer regulären Abfuhr, sondern auch die vor eventuellem Ekel des Gegenübers hält ihn zurück und macht ihn schüchtern.
Ich kenne all das nur zu gut, auch wenn meine Sorge in eine etwas andere Richtung geht:
Sobald das erste mal zur Sprache kommt, dass meine letzte Beziehung mit einer Frau war und ich bi bin, habe ich Angst, dass Frauen denken könnten, ich wolle nun automatisch was von ihnen. Und tatsächlich ist es mir schon passiert, dass dann so Sätze wie "Oh, äh, ach so, naja Hauptsache du stehst jetzt nicht auf mich, haha" kommen. Am besten ist dann aber das Gesicht dieser Personen, wenn ich ihnen versichere, dass sie nun wirklich überhaupt nicht mein Typ sind und ich so gar nichts von ihnen will.
Dann sind sie irgendwie beleidigt..
Ist das nicht verrückt? Erst haben sie Angst, dass ich was von ihnen wollen könnte und dann sind sie sauer oder verletzt, weil ich es nicht tue. Versteh eine die Heten. ;)
Mir gefielen die Gedanken, die sich OJ so macht, jedenfalls richtig gut.
Z.B. hier:

"Wenn also zwei Männer eine Beziehung eingehen wollen, müsse eben einer die Frau sein. Bin ich zu empfindlich, wenn ich das schon diskriminierend finde?" (Nein!)
"Die Anerkennung einer Homo-Beziehung klingt jedenfalls anders" (Ja!)

Traurig, dass ich das erwähnen muss, aber ein großes Plus dieser Geschichte ist auch, dass es keinen frauenfeindlichen Quatsch gibt (im deutschsprachigen Raum in Verbindung mit diesem Genre leider keine Seltenheit).
Es wird zwar Anfangs von "Männergerede" und "flachlegen" gesprochen, allerdings nicht explizit und mehr um die Eifersucht darzustellen, die sich ergibt, wenn man heimlich auf jemanden steht.
Gut finde ich bei dem Thema übrigens auch die Einordnung:

"Es ist schon echt verrückt, wie eifersüchtig man auf jemanden sein kann, ohne dass man auch nur ansatzweise ein Recht dazu hätte."

Klar sollte man sexuelle Orientierungen nicht fetischisieren oder gar Menschen direkt belästigen (passiert mir als "Bi-Frau" ständig, sexualisierte Sprüche und Ekligkeiten von Männern sind keine Seltenheit) und dennoch fand ich es für die Sichtbarkeit toll, dass Ers Text-Freundin offen zugibt, dass sie es "hot" findet, wenn "zwei Männer rummachen". Zu oft wird vergessen, dass Frauen eben auch eine Libido und Vorlieben haben und dass es - wenn es doch schon so normal ist, dass Männer "auf Lesben stehen" - dabei eben auch um zwei Männer gehen kann. Und das gar nicht mal so selten!
Außerdem erwähnt OJ in seinen Gedankengängen Männer und Frauen, bzw. Schwule und Lesben auch gemeinsam und bezieht sich eben nicht ausschließlich auf die Männer (zu oft ist nur von "den Schwulen" die Rede, wenn es doch eigentlich um Homosexuelle allgemein geht).

Der Schreibstil ist, sagen wir mal, ein wenig unausgereift.
Dennoch lassen sich die 167 Seiten schnell lesen, die Textnachrichten und Online-Beiträge lockern zwischendurch immer wieder auf.
Ich dachte mir die Ganze Zeit, ach, bis zum nächsten Tag liest du noch, dann packst du das Buch erstmal weg - nur um es doch in einem Rutsch durchzulesen.

Mit Er bin ich nicht so ganz warm geworden, OJ ist mir näher (ich zerdenke alles ähnlich), aber das ist auch gut so.
Wer Lust auf eine schnell zu lesende, süße und wahre (?) Geschichte hat, ist mit diesem Buch gut bedient, würde ich sagen.
Empfehlung!

(Hinten im Buch gibt es noch eine Seite für das Aktionsbündnis gegen Homophobie e.V. Ein Blick auf deren Website lohnt sich und wer da unterstützen kann, möge es bitte tun, denn die leisten wichtige Arbeit!)

Veröffentlicht am 09.08.2019

Toll!

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019
0

Ich freue mich ja über jedes bisschen Fantasy, das von gängigen Klischees abweicht und stattdessen frisch und kreativ auf Neues setzt.
Denn wenn ich eins nicht mehr lesen kann, dann ist das die Geschichte ...

Ich freue mich ja über jedes bisschen Fantasy, das von gängigen Klischees abweicht und stattdessen frisch und kreativ auf Neues setzt.
Denn wenn ich eins nicht mehr lesen kann, dann ist das die Geschichte der immer gleichen Welt mit immer gleichen Strukturen und Figuren. Speziell in der High-Fantasy, Tolkien lässt grüßen.
Das Genre bietet eigentlich die Möglichkeit der Grenzenlosigkeit, in der Fantasy kann man praktisch alles machen. Darum ärgert mich dieses enge Korsett, das viele Geschichten zusammenschnürt, so sehr.
In den 80ern gab es schon einige Autorinnen, die frischen Wind ins Genre brachten (Ursula K. Le Guin und Lynn Flewelling z.B.) und heutzutage gibt es auch wieder einen kleinen Ruck.

Witchmark ist eine Story, die ich so noch nie gelesen habe. Sie scheint in den 20ern zu spielen - allerdings in einer Alternativwelt, die einige Unterschiede zu unserer aufweist.
Miles Singer ist Arzt und versucht, sich bedeckt zu halten, denn er ist ein "Gesternter", der nicht gebunden werden und als Sekundär leben will.
Genau das passiert nämlich mit den meisten seiner Art, sie werden von Sturmsängern gebunden, die sich ihrer Magie bedienen.
Miles möchte frei sein und das war etwas, das mich an diesem Buch sehr berührt hat. Seine Angst ging mir nahe, seine Verzweiflung war spürbar, die Beklemmung nachvollziehbar.
Als vor seinen Augen ein anderer Hexer stirbt, ihm sein Zeichen überträgt und behauptet, vergiftet worden zu sein, versucht Miles den Mord gemeinsam mit dem geheimnisvollen und schönen Amaranthine Tristan aufzuklären - und stößt dabei auf weit mehr, als er hätte ahnen können.

Witchmark ist eine interessante Mischung aus Fantasy, etwas Steampunk, 20er-Jahre-Krimi und Tim Burton Atmosphäre, mit spannenden Momenten, solidem World-Building und sympathischen Charakteren.

Miles gefiel mir, sein Freiheitsdrang ist nachvollziehbar, seine Unsicherheiten sind es auch. Er weiß, was er will, ist in bestimmten Situationen jedoch schüchtern und hat kein Problem damit, zu seiner Angst zu stehen.
Sein größter Wunsch ist (neben seiner Freiheit) das Heilen und er lebt so, dass er diesem gerecht werden kann.
Der geheimnisvolle Tristan ist freundlich und verständnisvoll. Die zarte Liebe zwischen den beiden Männern ist eine weitere willkommene Abwechslung im Genre.
Ich habe es ja schon oft gesagt, aber ich tue es gerne wieder: ich freue mich, dass immer mehr Geschichten mit so einer selbstverständlichen Darstellung von LGBT+ Charakteren den Einzug auf den deutschen Buchmarkt finden.
Deutschsprachige Autorinnen und Autoren hängen da leider noch sehr hinterher und abseits von Nischen mit dicken Warnlabels findet so etwas hier nicht statt.
(Übrigens: im zweiten Band, der leider auf englisch erst 2020 erscheint, wird es um Miles' Schwester gehen und ein f/f Pairing geben, ich freue mich so!)

Die Art und Weise, wie Magie hier beschrieben und angewandt wird, erinnerte mich manchmal ein bisschen an die Bücher von Diana Wynne Jones, die zu meinen Lieblingsautorinnen gehört... darum hat mir auch das sehr gefallen.
Über allem hängt in dieser Story der Krieg. Er verändert die Menschen und die Soldaten, die zurückkehren, haben eine seltsame dunkelrote Wolke in ihrem Kopf, die sie von Gewalt fantasieren lässt.
Ein weiteres Geheimnis, dem Miles und Tristan auf der Spur sind.

Die Übersetzung ist im Schreibstil etwas holprig. Da ich die englische Version ebenfalls gelesen habe, habe ich sozusagen den direkten Vergleich.
Außerdem gab es da wohl ein paar Schwierigkeiten, zum einen mit der typischen Duzen-oder-Siezen-Frage (wurde hier gut gelöst) und zum anderen mit dem englischen "they", das ja auch benutzt wird, wenn man nicht weiß, ob es sich um eine männliche oder weibliche Person handelt. Im Deutschen gibt es das nicht und hier wurde einfach die Mehrzahl übersetzt, was etwas verwirrend ist.
Trotzdem tut das der spannenden Story keinen großen Abbruch und ich bin nach wie vor begeistert davon!

Übrigens ist das Cover nicht nur vom Motiv her wunderschön, sondern Teilelemente leuchten auch ganz dezent weiß im Dunkeln. So wie die Sterne, die man sich früher über's Bett geklebt hat. Ein sehr schönes Detail, wie ich finde.

Zum Abschluss der Rezi lasse ich nun, als Radlerin, mal noch mein Lieblingszitat da:

"Wirklich erfrischend", sagte er. "Ein Gewinn, das Fahrrad."

Wahrlich! :)