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Anna625

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.11.2023

Zu langatmig

Wilde Minze
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Sara, die in ihrer Jugend die Mutter wegen einer Überdosis verloren und der Familie den Rücken gekehrt hat, um in LA von vorne anzufangen, ist mittlerweile angesehene Barkeeperin. Auch Emilys Schwester ...

Sara, die in ihrer Jugend die Mutter wegen einer Überdosis verloren und der Familie den Rücken gekehrt hat, um in LA von vorne anzufangen, ist mittlerweile angesehene Barkeeperin. Auch Emilys Schwester ist drogenabhängig, und Emily leidet unter der fehlenden Aufmerksamkeit, die ihr als kleiner Schwester zukommt; die Folge ist ein Leben, in dem sie zwischen ihrem Job im Blumenladen, ihrem niemals endenden Studium und Beziehungen hin- und herpendelt.
Die erste Begegnung zwischen Sara und Emily verläuft ebenso intensiv wie zunächst folgenlos. Denn es ist zwar erste Liebe auf den ersten Blick, als die beiden im Yerba Buena, einem schicken Restaurant, aufeinandertreffen, doch verlieren sie sich im Anschluss aus den Augen. Erst später begegnen sie sich wieder und beginnen eine Beziehung, die jedoch nicht unangetastet bleibt von dem, was sie in ihrer Kindheit und Jugend erleben mussten.

Der Roman liest sich schnell, konnte mich dabei aber nicht packen. Die ersten paar Kapitel, die die Jugend der beiden Protagonistinnen beschreibt, fand ich spannend und intensiv zu lesen; irgendwann bald danach hat die Geschichte mich leider verloren. Erzählt wird abwechselnd aus den Leben Saras und Emilys, die viele Ähnlichkeiten aufweisen, jedoch lange Zeit parallel verlaufen und erst spät im Buch zueinanderfinden. Für mich hat sich das mehr gelesen wie zwei einzelne Geschichten, zwischen denen man immer wieder abwechselt, und nicht wie zwei Einzelstränge einer Geschichte. Das Gefühl des Verlorenseins, die Traumata, die aus dem Erlebten resultieren, die Suche nach einem Ort zum Ankommen - all das wird großartig transportiert und aufgearbeitet durch die unaufgeregte Sprache und die zarten Gefühle, die im Roman beschrieben werden.
Mir war das aber leider zu wenig. Die ersten Jahre des Erwachsenenlebens der beiden waren mir zu ausführlich und langatmig beschrieben, hier hätte man mMn stark kürzen bzw. mit der Begegnung und Beziehung der beiden einfach etwas früher ansetzen können.

So war "Wilde Minze" für mich ein Roman, der zwar ganz schön ist, aber kaum in Erinnerung bleiben wird.

Veröffentlicht am 17.11.2023

Unterhaltsam

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
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In letzter Zeit war einiges los in Babbington Hall, der in einem alten Herrenhaus gelegenen Seniorenresidenz. Ein Todesfall im Garten und ein Sturz aus dem Fenster in einer Gewitternacht - nicht unbedingt ...

In letzter Zeit war einiges los in Babbington Hall, der in einem alten Herrenhaus gelegenen Seniorenresidenz. Ein Todesfall im Garten und ein Sturz aus dem Fenster in einer Gewitternacht - nicht unbedingt alltäglich an einem Ort, an dem die Menschen normalerweise eher an Altersschwäche sterben. Zumal es sich bei der vermeintlichen Fenster-Springerin um Heimleiterin Renata handelt, die zwar sehr zurückgezogen lebt und stets etwas melancholisch wirkt, kurz zuvor jedoch noch begeistert Pläne für die Zukunft geschmiedet hat. Während die einen also bei Kaffee, Kuchen, Klatsch und Tratsch zusammensitzen und die anderen ihre Nachmittage im Mahjong-Club verbringen, beginnt die 87-jährige Florence Butterfield, eigene Nachforschungen anzustellen. Denn dass hinter dem Sturz ein Suizidveruch steckt, wie alle annehmen, können Florrie und ihr Freund Stanhope Jones nicht glauben.

Unterhaltsam und humorvoll, dabei aber nie anstrengend erzählt, ist "Florence Butterfield" ein toller Roman für ein paar gemütliche Lesestunden. Die teils exzentrischen Bewohner der Residenz und die blumenreichen Gärten des Anwesens hat man beim Lesen stets vor Augen, und zwischen alledem Florrie, die sich trotz der Irrungen und Wirrungen ihres langen Lebens nicht damit zufriedengibt, teetrinkend in der Sonne zu sitzen und ihren Lebensabend zu genießen. Stattdessen versucht sie, die Umstände des Sturzes zu ergründen, und erinnert sich dabei immer öfter an ihr eigenes Leben zurück, an all die Abenteuer, an die Männer, die sie geliebt hat, auch an die dunklen, fast unaussprechlichen Dinge.

"Florence Butterfield" ist ein herzerwärmender Roman, zwar mit ein paar Längen, dafür aber mit unglaublich gemütlicher Atmosphäre, und genau richtig für graue Regentage.

Veröffentlicht am 11.10.2023

Coming of Age und Trauer

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
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Die Wohnung beengt, die Mutter von Arbeit und der eigenen Verzweiflung eingenommen, die neuen Mitschüler*innen - mal schauen. Wenn ihr eigenes Leben gerade schon irgendwie unbequem ist, sollen es wenigstens ...

Die Wohnung beengt, die Mutter von Arbeit und der eigenen Verzweiflung eingenommen, die neuen Mitschüler*innen - mal schauen. Wenn ihr eigenes Leben gerade schon irgendwie unbequem ist, sollen es wenigstens die anderen besser haben, denkt sich Katha, und so tut sie, was sie immer tut - sie macht es allen recht. Kümmert sich um die jüngere Schwester, die sich kaum in ihr neues Leben einfinden kann, schmeißt den Haushalt, arbeitet in der Schule mit. Sie ist Mustertochter, Musterschwester, Musterschülerin, Musterfreundin. Sie ist Lebenshandwerkerin. Ihre Gedanken und Gefühle macht sie, wenn überhaupt, mit sich selbst aus. Bis sie eines Tages am Fenster Angelicas steht und es plötzlich aus ihr herausbricht, all das, was sich in den letzten Jahren angestaut hat.

Nach der Scheidung ihrer Eltern ziehen Katha und Nadine mit der Mutter nach Dortmund. Die Trennung hat sich lange abgezeichnet, Kuppelversuche mittels Zettelbotschaften hin oder her. Und nun sitzen sie dort, in dieser Wohnung, in der sich niemand wirklich zuhause fühlt, in der die Abwesenheit des Vaters allgegenwärtig ist, in der man einander und der Welt nur im Badezimmer entkommen kann. Anschluss in der Schule findet man schnell, wenn man ein Chamäleon ist, für Katha also im Gegensatz zu ihrer Schwester kein Problem. Aber wohin mit all dem, was sich nicht aussprechen lässt, weil es niemanden interessiert, weil man stark sein und für andere da sein muss? In Angelica findet Katha eine Gesprächspartnerin, denn sie hört ihr zu, sie will wissen, wie es Katha geht. Und zwar wirklich, da genügt keine Standardantwort. Angelica gibt Katha all die mütterliche Liebe und den Halt, die dieser in ihrem jungen Leben fehlen. Und dann, eines Tages, steht das alles einfach so vor dem Aus, und für Katha gerät die Welt ins Wanken.

Scherzants Roman ist der Inbegriff von Coming-Of-Age, besonders in der ersten Buchhälfte. Katha, die nach und nach all die Schwierigkeiten des Lebens erahnt, die längst kein Kind mehr ist und manchmal doch so gerne noch eins wäre, muss lernen, sich nicht nur in der Welt zurechtzufinden, sondern auch für sich selbst einzustehen. Der zweite und dritte Teil des Buches dann widmen sich Angelica und ihrer Krankheit und Kathas Umgang damit. Der zweite Teil ist dabei eher fragmentarisch und arbeitet viel mit Wiederholungen und alternativen Szenarien. Das kann mitunter recht anstrengend werden, weil sich Realität und Fantasie vermischen und weil die Leichtigkeit, die die erste Buchhälfte trotz allem kennzeichnet, der Eintönigkeit und der Last von Trauer und großem Schmerz weichen. Anschließend nimmt die Handlung zwar nochmal etwas an Fahrt auf, reicht aber nicht mehr ganz an den Beginn des Romans heran; eine gute Lektüre ist der Roman dennoch.

Veröffentlicht am 29.09.2023

Digital Detox bis zur Obsession

Zeiten der Langeweile
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Mila geht offline. Und zwar nicht nur kurz, sondern so richtig: Nach und nach löscht sie alle Informationen, die über sie je im Internet zu finden waren, und kehrt auch Social Media den Rücken. Einzig ...

Mila geht offline. Und zwar nicht nur kurz, sondern so richtig: Nach und nach löscht sie alle Informationen, die über sie je im Internet zu finden waren, und kehrt auch Social Media den Rücken. Einzig eine Messenger-App nutzt sie weiter als Desktop-Anwendung, allerdings nur für ein kurzes Zeitfenster pro Tag, und auch SMS sind noch erlaubt; von Instagram, Twitter, selbst von Google-Suchen und dem Smartphone als solchem verabschiedet sie sich jedoch vollkommen. Auch auf Fotos und Video-Aufnahmen will sie fortan nicht mehr zu sehen sein, was nicht nur gesellige Abenden mit Freundinnen, sondern auch das Vors-Haus-Gehen im Allgemeinen merklich erschwert. Teil ihrer Planung ist nun immer die Überlegung, zu welcher Tageszeit ein bestimmter Ort am sichersten ist, sprich, wann dort möglichst wenige Menschen anzutreffen sind, da mit der Personenanzahl auch die Gefahr steigt, dass irgendjemand mit dem Handy Aufnahmen macht, auf denen sie absichtlich oder unabsichtlich zu sehen sein könnte.
Was harmlos beginnt und von ihrem Bekanntenkreis zunächst noch recht positiv als Detox-Maßnahme aufgenommen und unterstützt wird, entwickelt sich erschreckend schnell zur Obsession. Die Wohnung verlassen kann Mila quasi nur noch nachts, sämtliche elektronischen Geräte sind eine Gefahr. Der Kontakt zu anderen Menschen geht gegen Null.

Bald schon erinnert Mila in ihrem Verhalten und ihren Ansichten immer mehr an eine Verschwörungstheoretikerin. Kurios auch die Annähreung an ihren Bruder, der seinerseits bei Oma A. auf dem Land lebt und eingefleischter Corona-Leugner und Impfgegner ist - zwar kritisiert Mila sein Verhalten zu Beginn, die Vehemenz hinter ihrer Ablehnung lässt jedoch im Laufe der Zeit spürbar nach und sie entwickelt eine ganz eigene und auf vollkommen andere Weise radikale Sichtweise und Systemkritik.

So unverständlich einige von Milas Ansichten und Verhaltensweisen sind, so nachvollziehbar sind doch manch andere - phasenweise wird man auch als Leser
in des Romans durchaus etwas paranoid, was technische Geräte anbelangt. Die dramaturgische Gestaltung des Romans hat mir ausgesprochen gut gefallen, denn ja, es gibt einige Längen und irgendwann wiederholt sich alles für eine gewisse Zeit, aber das veranschaulicht auch extrem gut den Alltag Milas, indem einfach nichts mehr passiert. Erst beim vollständigen Verzicht auf Social Media und das Internet wird deutlich, wie groß die Bedeutung derselben in unserem Alltag geworden ist, und wie wenig da noch bleibt, wenn man nicht mal gerade etwas googeln, Musik hören oder mit irgendwem auf irgendeiner Plattform kommunizieren kann. Denn sind wir mal ehrlich, so ist es doch. Man möchte sich unterhalten? Schnell jemandem schreiben. Etwas mitteilen? Ein Post. Unterhaltung? Netflix, Spotify und Co. Etwas kaufen? Tausend Möglichkeiten. Eine Information? Google, die Wetter-App, der Onlinefahrplan. Etwas zu Essen bestellen oder irgendeine Eintrittskarte besorgen? Alles schnell per App. Die Uhrzeit? Blick auf Smartphone oder Smartwatch. Und wenn das alles wegfällt, wenn wir plötzlich analog sind, also so richtig, was bleibt dann noch übrig? Kein Wunder also, dass bei Mila schon bald nichts mehr los ist. Beim Lesen ist das vielleicth etwas langweilig, aber absolut passend und sehr realistisch und nachvollziehbar. Und darauf, dass Jenifer Beckers Roman topaktuell und am Puls der Zeit ist, muss wohl nicht weiter eingegangen werden.

Ich habe "Zeiten der Langeweile" mit einigen kleineren Abzügen sehr gerne gelesen und empfehle es gerne weiter.

Veröffentlicht am 08.09.2023

Ganz besondere Erzählweise

Weil da war etwas im Wasser
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Wo fängt man an bei einer Geschichte, die eigentlich nicht nur eine einzige Geschichte ist, sondern gleich ein ganzes Geflecht? Die sieben Generationen in der Zeit zurück und tausende Meter tief bis auf ...

Wo fängt man an bei einer Geschichte, die eigentlich nicht nur eine einzige Geschichte ist, sondern gleich ein ganzes Geflecht? Die sieben Generationen in der Zeit zurück und tausende Meter tief bis auf den Grund des Ozeans reicht? Die mit jedem Satz klarer erkennen lässt, wie sehr alles mit allem (und zwar wirklich ALLES mit ALLEM) verbunden ist?

Vielleicht fängt man tatsächlich am besten dort an, wo auch der Text selbst beginnt: bei den acht Armen eines Riesenkalmars. Denn während dieser durch die Weltmeere schwimmt, sind es seine Arme, die ein Eigenleben entwickeln und gemeinsam dieses Geflecht an Geschichten erzählen. Und darin geht es um Sanja, die während eines Praktikums auf einem Frosttrawler nicht nur nach Krill, sondern vor allem auch sich selbst sucht; um Dagmar, die für einen Geheimdienst arbeitet und in der Antarktis stationiert ist; um Minenarbeit, Deutschland zur NS-Zeit, die Entstehung des Weißen Hais, häusliche Gewalt, ja selbst um Jules Vernes. Und dazwischen gibt es immer wieder alle möglichen kulturellen Verweise, es geht um Nachhaltigkeit, Leben in der Tiefsee, Umweltschutz, Beschneidung, transgenerationale Traumata. Sogar um Peter Wohlleben und Omega-3-Fettsäuren.

Ist das viel? Ja.
Ist das manchmal anstrengend? Ja.
Lohnt sich das? Ja!

"Weil da war etwas im Wasser" ist kein Roman zum Einfach-Weglesen. Man muss dranbleiben, man muss mitdenken, vielleicht das ein oder andere googeln. Und doch wird es weder langweilig, noch verlieren sich die zahlreichen Fäden einfach im Nirgendwo. Alles ist verbunden, auch dadurch, dass die unterschiedlichen Handlungsstränge selten am Stück erzählt werden, sondern sich abwechseln, teilweise ineinander eingebettet sind, sich gegenseitig ebenso auslösen wie erklären. Das zeigt auch der ständige, unterhaltsame "Kampf" der Arme darum, wer jetzt eigentlich mit dem Erzählen dran ist.

Fast fühlt man sich ein bisschen wie in einem RPG, wenn in den Fußnoten (ja, es gibt Fußnoten!) mal wieder einer der Arme darauf verweist, dass man doch jetzt bitte endlich seine Geschichte lesen möge, dazu einfach auf Seite XY vorblättern, danke, bis gleich.

Der Roman ist gleichermaßen humorvoll und ernst, hat einen gewissen Sachbuchcharakter und lässt gleichzeitig ganz tief eintauchen (ich musste einfach!) in die Leben seiner Protagonist:innen. Manchmal fragt man sich, worum genau es gerade eigentlich geht, wo die Geschichte gerade ist und wie sie dort hingekommen ist; aber das macht nichts, weil schon bald darauf alles wieder Sinn ergibt und sich die losen Enden verknüpfen. Was am Ende bleibt, ist keine stringente Geschichte, sondern etwas Rundes, ein Stück... ja, was? Zeit? Materie? das zusammenhängt, obwohl es aus vermeintlich vollkommen inhomogenen Bestandteilen zusammengesetzt ist. Das bringt es vermutlich alles nicht wirklich auf den Punkt, aber besser erklären kann ich es nicht. Lest am besten einfach selbst.