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Veröffentlicht am 20.03.2023

Fesselnd und doch kaum zu ertragen

Morgen und für immer
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"Er wusste weder, wie er zurückgehen sollte, ohne das schreckliche Schicksal der Verräter zu erleiden, noch, wie er weitermachen sollte, ohne das Schicksal der Unsichtbaren zu erleiden."

Ermal Metas "Morgen ...

"Er wusste weder, wie er zurückgehen sollte, ohne das schreckliche Schicksal der Verräter zu erleiden, noch, wie er weitermachen sollte, ohne das Schicksal der Unsichtbaren zu erleiden."

Ermal Metas "Morgen und für immer" erzählt die auf wahren Tatsachen beruhende Geschichte des Kajan Dervishis.
Sie beginnt 1943 in Albanien: Kajan, noch ein Kind, lebt während des Krieges auf dem Hof seines Großvaters. Ein deutscher Deserteur bringt ihm das Klavierspielen bei und weckt somit seine Liebe zur Musik.
Im Laufe des Buches begleiten wir Kajan über mehrere Jahrzehnte und Kontinente auf der Flucht vor dem kommunistischen Regime.

Der Roman beleuchtet Teile der europäischen Geschichte, mit denen ich mich noch nicht besonders viel befasst habe.
Ich fühlte mich regelrecht erdrückt von der gnadenlosen Justiz, der Willkür, der Ungerechtigkeit und vor allem den kaum zu ertragenen Brutalitäten.
Oft habe ich mir gewünscht, die Handlungen seien einfach fiktiv, denn nicht nur Kajans persönliche Geschichte, sondern auch die der allgemeinen Bevölkerung in kommunistischen Staaten, hat in mir eine unerträgliche Beklemmung ausgelöst, wie kein Geschichtsunterricht je zuvor.

Er berichtet aber auch auf bewegende Weise von Liebe, Freundschaft, Hoffnung und der Kraft der Musik und weckt dabei große Emotionen.
Ermal Meta erzählt in einem hohen Tempo und erzeugt mit seiner Sprache starke Bilder. Trotz der Grausamkeiten schafft er es, der Geschichte eine poetische Schönheit einzuhauchen.

Da ich das Buch zwar auf der einen Seite nicht aus der Hand legen, auf der anderen Seite dessen Inhalt kaum ertragen konnte, weil es einem schonungslos und doch berührend die historische Vergangenheit näherbringt, gibt es von mir eine Leseempfehlung und fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 17.03.2023

Berührende Geschichte vor einer idyllischen Kulisse

Alte Sorten
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"In den Gärten, an denen sie vorbeikamen, standen Apfel- und Birnbäume. Im sattgrünen Laub leuchteten die Äpfel wie Farbtupfer. Wie gut es sich manchmal anfühlte, einfach am Leben zu sein. "

Sally versucht, ...

"In den Gärten, an denen sie vorbeikamen, standen Apfel- und Birnbäume. Im sattgrünen Laub leuchteten die Äpfel wie Farbtupfer. Wie gut es sich manchmal anfühlte, einfach am Leben zu sein. "

Sally versucht, ihrem Leben zu entfliehen und begegnet dabei der dreißig Jahre älteren Liss. Von Anfang an herrscht ein stummes Verständnis und eine seltsame Verbundenheit zwischen den beiden und als Sally auf Liss' Hof einzieht und ihr bei der Arbeit hilft, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen den zwei Frauen.

Ewald Arenz hat mich direkt mit dem ersten Absatz aus "Alte Sorten" verzaubert. Er hat einen wunderbar malerischen Erzählstil, ich habe die Umgebung geradezu vor mir gesehen, gehört, geschmeckt.
Man taucht auf diese Weise schnell in die beruhigende ländliche Kulisse und damit in die Geschichte ein, dabei hatte ich das ganze Buch über ein heimeliges, wohliges Gefühl.

Sehr gekonnt findet mit jedem Perspektivwechsel auch eine Veränderung im Sprachduktus statt. Schon allein durch die Wortwahl weiß man als LeserIn unmittelbar, um welche der beiden Protagonistinnen es gerade geht.

Es ist wunderschön zu verfolgen, wie die Beziehung der zwei Frauen sich immer weiter zu einer tiefen Freundschaft entwickelt, die sie beide letzten Endes zurück ins Leben holt.
Als nach und nach Liss' Vergangenheit preisgegeben wurde, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Das letzte Drittel überrascht mit einigen Wendungen, die mich sehr berührt und mir das ein oder andere Tränchen in die Augen getrieben haben.

Dieser kluge und einfühlsame Roman steckt voller Lebensweisheiten, zeigt, was Freundschaften bewirken können und bezaubert mit einem einzigartig schönen Schreibstil - daher gibt es von mir eine ganz klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 15.03.2023

Mittelmäßige Coming-of-Age-Geschichte

Es war einmal in Brooklyn
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"Er ist immer davon ausgegangen, das Mädchen im dritten Akt zu bekommen, wird aber möglicherweise feststellen müssen, dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt."

Brooklyn, 1977: Die Freundschaft der ...

"Er ist immer davon ausgegangen, das Mädchen im dritten Akt zu bekommen, wird aber möglicherweise feststellen müssen, dass es sich um eine Kurzgeschichte handelt."

Brooklyn, 1977: Die Freundschaft der beiden Siebzehnjährigen Juliette und David wird auf die Probe gestellt: Sie wird bald aufs College gehen, er weiß nicht, wieviel Zeit ihm nach seiner Krebsdiagnose überhaupt noch bleibt. Als ein großer Blackout die Stadt in Dunkelheit hüllt, ist nichts mehr wie zuvor.

Syd Atlas hat mit ihrem Roman "Es war einmal in Brooklyn" eine authentische Geschichte über zwei Jugendliche und ihre Gefühle, Unsicherheiten und Träume geschaffen.
Ihr Schreibstil ist leicht verständlich und schnell zu lesen, man fühlt sich direkt in die 70er Jahre versetzt.

Es ist interessant zu verfolgen, wie die beiden Protagonisten sich immer mehr entfremden und sich dadurch jeder auf seine eigene Weise weiterentwickeln und erwachsen werden kann.

Aber obwohl die Beziehung und gemeinsame Vergangenheit der beiden ausführlich beschrieben wurde, hatten die Charaktere für mich kaum Tiefe und gingen mir nicht sonderlich nahe.
Auch hat die ganze Story nicht wirklich meine Erwartungen getroffen, ich hatte mit einem größeren Fokus auf den Blackout gerechnet. So hatte sie meiner Meinung nach nichts Außergewöhnliches an sich.

Insgesamt war es für mich leider nur eine mittelmäßige Coming-of-Age-/ Liebesgeschichte vor einer immerhin sehr atmosphärischen Kulisse.

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Gute Geschichte - schlecht umgesetzt

Schloss aus Glas
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"Und wenn Dad uns nicht von den unglaublichen Sachen erzählte, die er schon vollbracht hatte, dann erzählte er was von den Sachen, die er noch vorhatte. Wie zum Beispiel das Glasschloss bauen. Sein ganzes ...

"Und wenn Dad uns nicht von den unglaublichen Sachen erzählte, die er schon vollbracht hatte, dann erzählte er was von den Sachen, die er noch vorhatte. Wie zum Beispiel das Glasschloss bauen. Sein ganzes handwerkliches Geschick und mathematisches Genie vereinigten sich zu einem einzigen besonderen Projekt - einem wunderbaren, großen Haus."

In "Schloss aus Glas" erzählt Jeannette Walls die Geschichte ihrer Kindheit; wie sie bei ihren Eltern zusammen mit ihren drei Geschwistern stets am Existenzminimum gelebt hat, kaum zu Essen hatte, immer von einem Ort zum nächsten gezogen ist. Ihr Vater war alkoholkrank, ihre Mutter eine gescheiterte Künstlerin, beide pflegten einen sehr nachlässigen Erziehungsstil und obwohl sie ihre Kinder geliebt haben, waren sie sich selbst doch wichtiger.
Der Titel bezieht sich auf die leeren Versprechungen, die der Vater seinen Kindern regelmäßig gab, wie zum Beispiel das Schloss aus Glas, das er für seine Familie errichten wollte.

Zuerst einmal ist es eine wirklich schreckliche Vergangenheit. Der Gedanke, dass die Kinder unter solchen Umständen leben mussten, ist sehr bedrückend, gerade wenn man selbst Elternteil ist, macht einen das verantwortungslose Verhalten der beiden Erziehungsberechtigten einfach nur wütend. Außerdem ist es absolut inspirierend zu sehen, wie die vier Kinder immer zusammengehalten und sich aus ihrer Misslage in ein besseres Leben gekämpft haben.

Walls' Geschichte ist also auf jeden Fall eine, die erzählt und gehört werden sollte.
Jedoch fand ich sie schriftstellerisch sehr schwach umgesetzt. Das gesamte Buch ist schlicht eine Aneinanderreihung von Situationen, die Figuren gingen mir überhaupt nicht nahe, es fehlt eine Struktur. Obwohl es überaus dramatische Situationen gab, haben sie mich doch kaltgelassen.
Außerdem hätte ich mir einen reflektierteren Blick auf die Vergangenheit oder zumindest eine Schlussfolgerung aus heutiger Sicht gewünscht.

Somit ist für mich das große Potential, das ihre Lebensgeschichte hat, leider durch einen sehr anspruchslosen Erzählstil verlorengegangen und deshalb gibt's von mir lediglich drei Sterne.

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Sprachlich brillantes Psychodrama

Die Gewalt der Hunde
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Montana in den 1920ern: Der hochintelligente, kreative, aber grausame Phil und sein vollkommen gegensätzlicher, liebenswürdiger und stiller Bruder George führen ihren Alltag als Ranchbesitzer. Als George ...

Montana in den 1920ern: Der hochintelligente, kreative, aber grausame Phil und sein vollkommen gegensätzlicher, liebenswürdiger und stiller Bruder George führen ihren Alltag als Ranchbesitzer. Als George die Witwe Rose heiratet und sie mitsamt ihrem Sohn Peter bei den Geschwistern einzieht, ändert sich alles und Phil beginnt einen erbarmungslosen Kleinkrieg gegen die beiden Eindringlinge zu führen.

Thomas Savage hat in seinem fünften Roman "Die Gewalt der Hunde" autobiografische Elemente mit einer fiktiven Handlung verflochten. Dabei ist ihm eine sehr bildgewaltige, atmosphärische Geschichte gelungen, die sich langsam aufbaut und vollkommen unerwartet endet.

Es gibt viele Beschreibungen, die einem die Landschaft, aber auch den rauen Arbeitsalltag auf der Ranch näherbringen. Savage findet dabei sehr ungewöhnliche, dafür umso treffendere Vergleiche.
Generell zieht sich eine grandiose Metaphorik durch das gesamte Buch.

Sein Schreibstil ist aber auch in zwischenmenschlichen Belangen sehr beobachtend: Kleinste Veränderungen in der Körpersprache, der Mimik, des Tonfalls lassen die Emotionen der Figuren erkennen, ausschweifende Gedanken- und Gefühlsbeschreibungen gibt es nicht. Das passt gut zur Grundstimmung des Buches:
Die Protagonisten sprechen nicht viel über Probleme, jeder macht irgendwie sein eigenes Ding.

Äußerlich betrachtet passiert in dem Roman gar nicht besonders viel, im Inneren der Figuren dafür umso mehr. Die Charaktere haben eine enorme Tiefe und ihre Entwicklungen sind sehr gut ausgearbeitet. Besonders hervorzuheben ist dabei Phil. Er ist stets darum bemüht, möglichst hart und männlich zu wirken; er trägt bei der Arbeit keine Handschuhe, wäscht sich kaum, stichelt jeden an, der sich anders, "verweichlicht", verhält. Gefühle, vor allem Liebe, werden unterdrückt. Dass dies alles nur seinem Selbstschutz dient, wird erst nach und nach deutlich.

Der Roman ist für mich außergewöhnlich, weil Savage zwar großartige, szenische Beschreibungen der Schauplätze gibt, die eigentliche Handlung aber nur unterschwellig schildert und dennoch alles Wesentliche offensichtlich ist.
Wer also viel Action braucht, der wird eher enttäuscht sein. Wer hingegen Bücher mag, die eine feine Beobachtungsgabe des Autors voraussetzen, der wird sich an diesem literarischen Kunstwerk erfreuen können.

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