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Veröffentlicht am 17.04.2023

Gute Grundidee - langatmige Umsetzung

Institut für gute Mütter
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Nach mehreren schlaflosen Nächten, Krankheiten und blankliegenden Nerven stürmt Frida kurzentschlossen aus dem Haus und lässt ihre achtzehn Monate alte Tochter allein, um ein paar Minuten Ruhe zu genießen.
Bei ...

Nach mehreren schlaflosen Nächten, Krankheiten und blankliegenden Nerven stürmt Frida kurzentschlossen aus dem Haus und lässt ihre achtzehn Monate alte Tochter allein, um ein paar Minuten Ruhe zu genießen.
Bei ihrer Rückkehr hat ein besorgter Nachbar bereits die Polizei alarmiert. Frida wird das Sorgerecht entzogen und sie muss für ein Jahr in das "Institut für gute Mütter", um es zurückzuerlangen.

In ihrem dystopischen Debütroman lässt Jessamine Chan die Protagonistin Frida den Albtraum eines jeden Elternteils durchleben. Ihr Trennungsschmerz hat mich dabei selbst tief getroffen und fast umgehauen, die Vorstellung, sein Kind durch einen einzigen Fehler zu verlieren und so viele Entwicklungsschritte zu verpassen, ist einfach grausam. Und Hand aufs Herz: Welches Elternteil handelt immer perfekt?

Nach einem packenden Start geht es meiner Meinung nach recht langatmig weiter und ich musste mich zwischendurch regelrecht zwingen, weiterzulesen.
Das Jahr im Institut hat weder Höhen, noch Tiefen, viele wichtige Themen - wie z.B. Rassismus oder ungleiche Behandlung von Vätern und Müttern - werden kurz angerissen, aber nicht vertieft und auch die Figuren blieben für mich wenig greifbar.
Eine Charakterentwicklung Fridas ist leider auch nicht zu sehen: Immer wieder beharrt sie darauf, dass sie nur "einen schlechten Tag" hatte und sieht den Fehler nicht so wirklich als ihren eigenen ein.
Die Beschreibungen der bedrückenden Gefängnis-Atmosphäre, sowie die KI-Puppen und die ambivalente Beziehung zu ebendiesen fand ich gut gelungen, konnten aber trotzdem nicht wirklich für ein höheres Spannungsniveau sorgen.

Im Nachwort schreibt Chan, dass sie ursprünglich nur eine Kurzgeschichte daraus schreiben wollte und das wäre für mich defintiv die bessere Umsetzung gewesen.
So hatte ich das Gefühl, dass diese wirklich interessante Grundidee unnötig in die Länge gezogen wurde, um Seiten zu füllen.

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Veröffentlicht am 12.04.2023

Kurzweilige Gesellschaftskritik

Die spürst du nicht
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Zwei gut situierte Familien planen einen erholsamen gemeinsam Urlaub in einer toskanischen Villa. Die vierzehnjährige Sophie Luisa darf ihre Schulfreundin Aayana aus Somalia mitnehmen.
Doch schon am ersten ...

Zwei gut situierte Familien planen einen erholsamen gemeinsam Urlaub in einer toskanischen Villa. Die vierzehnjährige Sophie Luisa darf ihre Schulfreundin Aayana aus Somalia mitnehmen.
Doch schon am ersten Abend kommt es zu einer Katastrophe, die alles verändert. Der Roman handelt hauptsächlich von den Handlungen, die nach dem Unglück geschehen.

In "Die spürst du nicht" wirft Daniel Glattauer viele Fragen auf, die sich damit beschäftigen, was ein Menschenleben eigentlich wert ist.
Er schafft dabei ein sehr überspitztes Gesellschaftsbild und bedient sich an vielen Stereotypen, um seine Aussage zu unterstreichen. Die einzelnen Figuren repräsentieren stellvertretend unsere aktuelle (Internet-)Gesellschaft.

Die Geschichte wird chronologisch und aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt, darunter auch Online-Artikel inklusive Kommentare der LeserInnen (von Gutmesch bis Internettroll ist alles vertreten). Dies verdeutlicht die Aussage des Buches: Dass man alles aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und niemals einseitig denken sollte.
Ich mochte sehr, dass hier einmal eine Flüchtlingsfamilie zu Wort kommen darf und ihre Geschichte bringt einem nochmal ins Gedächtnis, dass hinter jedem Flüchtenden ein Einzelschicksal steckt und niemand grundlos sein Heimatland verlässt.

Der ungewöhnlichen Schreibstil hat mir von Anfang an gefallen, immer wieder hatte ich das Gefühl, ein Theaterstück zu lesen.

Insgesamt liest sich das Buch wirklich flüssig und ich konnte es kaum aus der Hand legen, die Aussage finde ich sehr wichtig (schon allein deswegen sollte man das Buch gelesen haben) und den Schreibstil ansprechend.
Was mir hingegen gar nicht gefallen hat, war das Ende; es kam mir doch zu konstruiert vor, es gab zu viele Zufälle, war mir zu rund und dadurch leider wenig glaubwürdig.

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Veröffentlicht am 11.04.2023

Eines der besten Werke Kings

Der Anschlag
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Jake Epping entdeckt in einem unscheinbaren Diner ein Zeitportal, das ihn ins Jahr 1958 führt.
Al, der Inhaber des Diners, hat schon jahrelang Zeitreise-Erfahrungen gesammelt und erläutert Jake nach seiner ...

Jake Epping entdeckt in einem unscheinbaren Diner ein Zeitportal, das ihn ins Jahr 1958 führt.
Al, der Inhaber des Diners, hat schon jahrelang Zeitreise-Erfahrungen gesammelt und erläutert Jake nach seiner Rückkehr, dass jede in der Vergangenheit getroffene Veränderung rückgängig gemacht wird, sobald man erneut durch das Portal ins Jahr 1958 steigt. Er überzeugt Jake davon, das Attentat auf John F. Kennedy im Jahr 1963 zu verhindern und schickt ihn mit dieser Aufgabe erneut durch das Portal.
Doch je näher Jake seinem Ziel kommt, desto mehr scheint sich die Zeit gegen Veränderungen zu wehren ...

Zuerst einmal sei gesagt, dass die Sci-Fi-Zeitreise-Elemente in dem Buch (zum Glück) gar keine so große Rolle spielen, der Fokus liegt auf Jakes Leben in der Vergangenheit (er muss schließlich fünf Jahre rumkriegen) und seinem Vorhaben, den Anschlag zu verhindern.
Es geht hier auch für King-Verhältnisse ziemlich schnell zur Sache, der Protagonist erfährt ohne lange Einleitung von dem Portal, sodass man schnell in der Geschichte drin ist.

Wie immer gibt es viele Anspielungen auf andere Werke Kings, Jake kommt z.B. nach Derry, wo sich gerade "Es" rumtreibt und ich habe mich sehr gefreut, noch einmal auf Beverly und Richie zu stoßen.

King erschafft mal wieder so tiefe, authentische Charaktere, wie es kaum ein anderer vermag. Er erzeugt Emotionen, lässt einen mitleiden, mithoffen, mitlieben. Und natürlich hält er auch die Spannung auf den über 1000 Seiten aufrecht.

Für mich ist es defintiv eines der besten Bücher von Stephen King, er zeigt mal wieder, dass er so viel mehr kann als Horror.
Ungewöhnlich für ihn war das Ende, denn es war wirklich perfekt und gab der Geschichte so einen wunderbaren Abschluss. Dennoch bin ich traurig, dass ich Jakes Welt schon wieder verlassen musste, für mich hätte das Buch gerne noch tausend Seiten länger sein dürfen.

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Veröffentlicht am 10.04.2023

Poetisch durch vier Generationen

Die Unschärfe der Welt
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Der Roman beginnt im rumänischen Banat der 1970er Jahre und erzählt die Geschichte einer Familie und die Lebenswege von sieben Personen über vier Generationen hinweg. Alles spielt sich vor dem Hintergrund ...

Der Roman beginnt im rumänischen Banat der 1970er Jahre und erzählt die Geschichte einer Familie und die Lebenswege von sieben Personen über vier Generationen hinweg. Alles spielt sich vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblockes ab.

Ich wusste vor dem Lesen nicht viel über den Inhalt von "Die Unschärfe der Welt" und auch jetzt fällt es mir schwer, diesen wiederzugeben. Denn ehrlichweise gibt es keine große Handlung, das Buch besteht aus Momentaufnahmen und Erinnerungsfetzen von sieben verschiedenen Personen. Jede dieser Personen ist Mittelpunkt eines Kapitels und so bekommt man als LeserIn einen Einblick in sieben verschiedene Lebensweisen. Nach und nach offenbart sich eine geschickt gewobene Verbindung zwischen all diesen Figuren und man erfährt, welche Spuren jeder im Gedächtnis der anderen hinterlassen hat.

Iris Wolff erzählt mit einer tiefen Ruhe und Nachdenklichkeit, die sich auf die Lesenden übertragen. Ihr Blick ist auf die kleinen Momente im Leben gerichtet, die in Erinnerung bleiben. Sie schreibt dabei sehr poetisch und metaphorisch.
Sehr einprägsam gelingt es ihr, die jeweilige Stimmung durch eine sorgfältig getroffene Wortwahl wiederzugeben.
Viele Stellen fand ich so schön und klug, dass ich sie mehrfach gelesen habe.

Ich mochte, dass gewöhnliche Menschen hier ihre Geschichte erzählen durften, dass der Fokus in der Erzählung auf den kleinen Dingen liegt und wie alles miteinander verstrickt ist.
So ganz ist der Funke bei mir allerdings nicht übergesprungen, für mich hätte alles noch ein bisschen ausführlicher erzählt werden dürfen, um den Charakteren gerecht zu werden. Aber vielleicht ist das genau der Punkt: So bleibt alles etwas verschwommen, eben unscharf.

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Veröffentlicht am 05.04.2023

Nicht nur fast genial

Fast genial
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Der siebzehnjährige Francis lebt mit seiner psychisch erkrankten Mutter in einem Trailerpark. Als er eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist, macht er sich gemeinsam mit zwei ...

Der siebzehnjährige Francis lebt mit seiner psychisch erkrankten Mutter in einem Trailerpark. Als er eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist, macht er sich gemeinsam mit zwei Freunden auf die Suche nach ihm - quer durch die USA.

"Fast genial" ist mein zweites Buch von Benedict Wells und ich wurde auch diesmal nicht enttäuscht.
Der Schreibstil ist etwas schnörkelloser als ich es von ihm kannte, die Sprache ist klar und verständlich und daher ließ sich das Buch angenehm leicht und flüssig lesen.
Dennoch ist es nicht weniger tiefgründig, im Gegenteil: Es behandelt existenzielle Themen rund um (genetische) Herkunft, Fremd- und Eigenverantwortung für das Leben, die eigene Persönlichkeitsentwicklung.

Gut gefallen hat mir der Aufbau des Buches, der den Inhalt geschickt unterstreicht: Während die drei Freunde auf der Suche nach Francis' Vater sind, ist die Storyline geradlinig und zielgerichtet. Nachdem dieses Ziel erreicht wurde, verläuft die weitere Handlung genauso orientierungslos und wirr wie Francis sich gerade fühlt.

Wells lässt die Lesenden gekonnt die ganze Geschichte hindurch Francis' Emotionen mitspüren, sei es Liebe, Wut, Trauer, Enttäuschung oder zu guter letzt die Desillusionierung.
Spannend waren die daraus relsutierenden unerwarteten Handlungen und Francis' gesamte charakterliche Entwicklung.
Das Ende ist meiner Meinung nach genial - auch wenn ich es auf eine gewisse Weise hasse.

Für mich war es ein sehr kurzweiliger, flüssig zu lesender Roman über einen Roadtrip, der einerseits die Leichtigkeit und Naivität der Jugend widergibt, andererseits auch tiefgründige Themen aufgreift.

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