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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.09.2017

Vom Leben, Lieben und Sterben

Was man von hier aus sehen kann
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„Was man von hier aus sehen kann“ ist für mich eines dieser Bücher, die vom Klappentext her so unspektakulär waren, dass es zuerst gar nicht mein Interesse wecken konnte. Dann liest man diese ganzen begeisterten ...

„Was man von hier aus sehen kann“ ist für mich eines dieser Bücher, die vom Klappentext her so unspektakulär waren, dass es zuerst gar nicht mein Interesse wecken konnte. Dann liest man diese ganzen begeisterten Kommentare und Rezensionen – und schon zieht es im eigenen Bücherregal ein. Und in diesem Fall: Besser spät als nie!

Die Geschichte um die Dorfgemeinschaft, in welcher die Erzählerin Luise ihre Kindheit und Jugend verbringt, wurde für mich schnell zu einem Lesehighlight des Jahres. Grund war hierfür gar nicht mal vordergründig die eigentliche Handlung, sondern vielmehr der wunderschöne Stil der Autorin. Stets mit einem leichten Hauch von Humor begleitet, der selbst in den traurigeren und tragischen Passagen nicht verlorenging und oftmals auf mich schon poetisch wirkte – auch wenn das kitschig klingen mag. Es war für mich einfach durchweg ein Genuss, dieses Buch zu lesen, selbst wenn es gegen Ende zu einer Situation kam, die mich doch in ihrer etwas unpassenden Übernatürlichkeit leicht die Stirn runzeln ließ.

Neben dem Schreibstil waren auch die Figuren eine reine Freude. Jeder Charakter ist auf seine Art speziell und ein Unikat. Bis in die kleinsten Nebenfiguren hat die Autorin hier Persönlichkeiten erschaffen, die alle irgendwie speziell, schräg, aber dennoch fast durchweg liebenswert in ihren Eigenheiten sind. Trotzdem wird die für mich unangenehme, schmale Linie zum Gekünstelten, Plakativen zum Glück nie übertreten. Natürlich sind alle Charaktere nicht unbedingt „normal“, aber genau das bildet mit der Geschichte und dem von feinem Wortwitz angereicherten Schreibstil eine wundervolle Einheit.

Letztendlich war „Was man von hier aus sehen kann“ für mich trotz aller Tragik, der kleinen und größeren Probleme, in seiner Gesamtwirkung durchaus ein Wohlfühlbuch und definitiv ein Lesehighlight 2017. Absolute Leseempfehlung für Genießer.

Veröffentlicht am 21.09.2017

Das Eis schmilzt

Und es schmilzt
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Ich glaube, es ist ein ganz gutes Zeichen, wenn einen ein Buch auch nach dem Auslesen nicht ganz loslässt, man auch Tage danach immer noch über einzelne Szenen nachdenkt, anstatt frisch und fröhlich zur ...

Ich glaube, es ist ein ganz gutes Zeichen, wenn einen ein Buch auch nach dem Auslesen nicht ganz loslässt, man auch Tage danach immer noch über einzelne Szenen nachdenkt, anstatt frisch und fröhlich zur nächsten Lektüre überzugehen. „Und es schmilzt“ der belgischen Newcomerin Lize Spit hatte auf mich genau diesen Effekt.

Der Klappentext verrät erstmal nicht viel vom Inhalt, macht aber neugierig: Eine junge Frau kehrt nach Jahren der Abwesenheit in das Dorf zurück, in dem sie aufgewachsen ist. Was ist vorgefallen, dass sie so lange den Kontakt abgebrochen hat? Und vor allem: Warum – zur Hölle – hat sie einen riesigen Eisklotz im Gepäck?

Die Geschichte, die letztendlich zur Auflösung führt, entwickelt sich recht langsam, aber stetig und ich habe zu Beginn auch ein wenig gebraucht, um die drei verschiedenen Zeitebenen einzuordnen. Die Gegenwart spielt letztendlich nur an einem einzigen Tag, dem Tag der Rückkehr, und ist durch Uhrzeiten gekennzeichnet – hält die Protagonistin Eva aber nicht davon ab, auch hier gelegentlich in Erinnerungen an das Damals abzudriften. Die Vergangenheit spielt sich zum einen im verhängnisvollen Sommer 2002 ab; der Sommer, in dem Evas Kindheit ein Ende fand. Weitere, nicht chronologisch sortierte Schlüsselszenen aus Evas Kindheit und Jugend werden durch die Szenen beschreibende Überschriften gekennzeichnet. Ich glaube, ich muss das Buch auch ein zweites Mal lesen, um alle kleinen Hinweise und Details aus diesen einzelnen Kapiteln zu erfassen und mit der Geschichte in Verbindung zu bringen.

Die Vorabmeinungen zum Buch waren sich recht einig, dass die Geschichte ziemlich heftig sei und ich muss zugeben: Bis gut über die Hälfte konnte ich das noch nicht ganz nachvollziehen. Natürlich, Eva lebt nicht in einer heilen Welt, wie man sich vielleicht das Dorfleben vorstellen mag. Ihr Elternhaus ist, um es vorsichtig auszudrücken, keineswegs ideal. Liebe erfährt sie nicht von ihren Eltern, dafür saugt sie jede seltene Zuneigung, die ihr von anderen Dorfbewohnern entgegengebracht wird, wie ein Schwamm in sich auf – selbst, wenn sie dafür vorher Schmerzen in Kauf nehmen muss.

Zu Beginn las sich das Buch daher ein wenig wie eine Sozialstudie: Alkoholismus, Depressionen… das ganze Paket. Zwischendrin Eva und ihre Freunde Laurens und Pim, lange Jahre unzertrennlich, die selbsternannten Musketiere – zusammengeschweißt wohl vor allem durch aus Mangel an weiteren gleichaltrigen Kindern. Dann der Sommer 2002. Eva und ihre Freunde sind mittlerweile 14 Jahre alt und was doch relativ „normal“, wenn auch sprachlich ungeschönt und direkt, als Entdeckung der eigenen und fremden Sexualität in der beginnenden Pubertät beginnt, steigert sich irgendwann zu einer stetig abwärts führenden Spirale, aus der es am Ende kein gutes Entkommen mehr gibt. Es gibt, vor allem gegen Ende, Szenen, in denen es schwerfällt, locker drüber hinweg zu lesen, aber gleichzeitig kann man auch nicht wegsehen. Es ist fast wie ein Unfall, der in seiner Morbidität doch irgendwie fasziniert.

Am Schluss laufen letztendlich die Fäden von Vergangenheit und Gegenwart zusammen und auch der Eisblock erhält schließlich seine Daseinsberechtigung. Der Weg bis dorthin war bisweilen inhaltlich etwas steinig, aber durch den Schreibstil dennoch ein Genuss. Die vorkommenden vulgären Ausdrücke passten für meinen Geschmack gut in die Situation und vor allem zur jugendlichen Erzählerin. Weiterhin strotzen die Beschreibungen vor Bildern, die einen sogar manchmal schmunzeln lassen, bis einem dann doch das Lachen im Halse stecken bleibt. Der Erzählstil und die gute Beobachtung alltäglicher und besonderer Situationen sorgten dafür, dass ich auch dann gerne wieder zum Buch gegriffen habe, als inhaltlich doch gar nicht so viel passierte.

Für meinen Geschmack wird „Und es schmilzt“ dem darum aufgebauschten Hype definitiv gerecht und ich möchte eine absolute Leseempfehlung aussprechen. Und damit es nicht untergeht, möchte ich noch erwähnen, welch optisches Highlight das Buch ist! Ansprechendes Cover, das nichts von seinem erschreckenden Inhalt preisgibt, dazu die geprägten Buchstaben und – wovon ich sowieso bekennender Fan bin – der farbige Buchschnitt. Es fließt zwar nicht in meine Bewertung mit ein, aber das Buch ist in meinen Augen ein richtiges kleines Schmuckstück.

Veröffentlicht am 06.09.2017

Das Besondere hat gefehlt

Sieh mich an
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Mareike Krügels Roman „Sieh mich an“ nimmt den Leser mit, den vielleicht nicht ganz alltäglichen Alltag von Ich-Erzählerin Katharina (verheiratet, zumindest an den meisten Wochenenden und zwei Kinder, ...

Mareike Krügels Roman „Sieh mich an“ nimmt den Leser mit, den vielleicht nicht ganz alltäglichen Alltag von Ich-Erzählerin Katharina (verheiratet, zumindest an den meisten Wochenenden und zwei Kinder, eines davon etwas schwierig – um es vorsichtig auszudrücken) für einen Tag zu begleiten.

Es hat mir schon zu Beginn gefallen, dass man ohne langes Vorgeplänkel sofort in die Handlung geworfen wird und gut sehen kann, mit welchen Problemen Katharina jeden Tag zu kämpfen hat. Nicht ganz unschuldig ist hier ihre Tochter Helena, genannt Helli, die im Verlauf des Tages nicht das letzte Mal für Chaos gesorgt haben wird. Ich muss zugeben, dass ich Helli als sehr anstrengend empfunden habe. Sicherlich war das von der Autorin durchaus so gewollt, aber stellenweise hat mir hier das Lesen kaum noch Spaß gemacht und ich empfand das Buch in manchen Momenten doch als gute Werbung gegen das Kinderkriegen – auch wenn das vielleicht eine eher unpopuläre Meinung sein mag.

Grundsätzlich vermochte das Buch dennoch gut zu unterhalten. Dies lag in erster Linie am Schreibstil, der sich durchweg sehr gut lesen ließ und trotz teilweise inhaltlich spannungsarmer Passagen doch immer wieder zum Weiterlesen animierte. Die Autorin schaffte hier eine schöne Balance, so dass das Buch sich nie dem eher Easy-to-read-Stil beispielsweise eines Chick-Lit-Romans annäherte, aber andererseits auch nicht überzogen und schwurbelig wirkte.

Ein wenig Bedenken hatte ich beim Lesen des Klappentexts, dass der Roman angesichts der angekündigten Ereignisse des abgetrennten Daumens oder des brennenden Trockners ins Alberne abdriften konnte, aber glücklicherweise war dem nicht so. Andererseits muss ich hier auch gleichzeitig sagen, dass trotz dieser nicht alltäglichen Kuriositäten keine große Spannung entstand. Irgendwie hatte ich durchweg das Gefühl, dass trotz aller unterschwellig angedeuteten Ernsthaftigkeit die Handlung durch den Tag plätscherte. Der Roman zog in seiner Gesamtheit ein wenig zu belanglos an mir vorbei, daran konnte auch die ernsthafte und unterschwellig stets präsente Thematik des Es-muss-sich-was-Veränderns nicht viel ändern.

Letztendlich schwankte ich gegen Ende zwischen einer Bewertung von drei oder vier Sternen, da das Buch ja trotz der Kritikpunkte durchaus gut unterhalten konnte… aber leider, leider folgte das Finale in einer Szene, die für meinen Geschmack einfach nicht hätte sein müssen. Nicht, weil ich spießig bin, sondern weil genau hier das befürchtete Übertriebene in geballt auf den Leser einstürzte und ich gar nicht so viel mit dem Kopf schütteln konnte, wie ich wollte. Schade, denn so bleibt doch letztendlich ein etwas fader Nachgeschmack, da zumindest für mich die Szene zu stark im Gedächtnis bleibt. Deshalb gebe ich „Sieh mich an“ gute drei Sterne.

Veröffentlicht am 06.09.2017

Etwas zu schnell abgehandelt

Der Junge auf dem Berg
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„Der Junge auf dem Berg“ war mein erstes Buch von John Boyne, aber trotz der nachfolgenden Kritikpunkte wird es nicht mein letztes gewesen sein.

Beginne ich zuerst mit dem Positiven, das letztendlich ...

„Der Junge auf dem Berg“ war mein erstes Buch von John Boyne, aber trotz der nachfolgenden Kritikpunkte wird es nicht mein letztes gewesen sein.

Beginne ich zuerst mit dem Positiven, das letztendlich auch überwiegt. Nachdem ich mich fast ein wenig „erschrocken“ habe, wie groß die Schrift in diesem schmalen Büchlein doch ist, fiel mir der Einstieg sehr leicht und die ersten Kapitel flogen nur so dahin.

John Boyne hat einen sehr flüssigen Schreibstil, der zwar einfach und schnell zu lesen ist, dabei aber nicht primitiv und simpel wirkt. Dadurch kam ich sehr schnell in die Geschichte hinein und konnte Pierrot und seine Familie und seinen Freund kennenlernen. Ein wenig fehl am Platz wirkte gleich zu Beginn nur eine kleine Skizze, die erklären sollte, wie sich Pierrot und sein bester, taubstummer Freund mit Gebärdensprache unterhalten. Zum einen blieb es die einzige Illustration im gesamten Buch – und zum anderen ließ sich zumindest für mich die im Text beschriebene Geste dennoch nicht erkennen. Hätte man also auch weglassen können.

Gut fand ich auch, wie Pierrot bereits in Frankreich erste Erfahrungen mit Antisemitismus und Gewalt gegenüber Schwächeren macht. Dies deutet schon auf die spätere Handlung hin und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte.

Wie es bereits aus dem Klappentext erkennbar ist, trifft Pierrot später auch direkt auf Hitler und lässt sich von diesem in seiner Denkweise recht schnell beeinflussen. Sehr gut dargestellt fand ich hier den Kontrast zwischen seinen anfänglich noch vorhandenen Gewissensbissen, die später immer mehr von einer Art Kaltherzigkeit abgelöst werden. Der Schluss wiederum rundete die gesamte Geschichte für meinen Geschmack auch sehr gut ab und schlägt einen Bogen zum Beginn zurück.

Mein eigentlich einziger, aber leider doch recht großer Kritikpunkt ist hingegen das Tempo der Geschichte, das einfach nicht ausgewogen wirkte. Im Großen und Ganzen ging mir die gesamte Handlung leider zu schnell. Teilweise kamen von einem Kapitel zum nächsten eher verwirrende, recht große Zeitsprünge vor. Hier hätte ich mir in einigen Fällen mehr Details und Hintergrundinfos gewünscht. Ich brauche zwar nicht jede Information auf dem Silbertablett gereicht, aber es wirkte auf mich einfach bisweilen etwas halbgar und husch-husch erzählt. Im starken Kontrast standen dazu Dialoge, die sich manchmal doch recht in die Länge zogen und kürzer und knackiger hätten ausfallen können.

Insgesamt hat mir „Der Junge auf dem Berg“ dennoch gut gefallen und ist definitiv lesenswert und bestimmt auch für jüngere Leser aufgrund der Sprache empfehlenswert. Ein paar mehr Details und ein ausgewogeneres Tempo und es hätte vielleicht sogar von mir die volle Punktzahl bekommen.