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Veröffentlicht am 12.01.2017

Der heilige Supermann

Mann über Bord
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Simon Templar (S.T. = Saint) denkt an nichts Böses, als er eines Nachts auf seiner Jacht steht und die Ruhe genießt. Plötzlich tauchen in dieser Reihenfolge auf: eine schöne Frau (damsel in distress), ...

Simon Templar (S.T. = Saint) denkt an nichts Böses, als er eines Nachts auf seiner Jacht steht und die Ruhe genießt. Plötzlich tauchen in dieser Reihenfolge auf: eine schöne Frau (damsel in distress), die durch das neblige Wasser schwimmt, und ein Boot mit hässlichen Männern (die Antagonisten). Natürlich rettet der Heilige die schöne Frau, die daraufhin durchblicken lässt, dass sie auch weiterhin seine Hilfe gebrauchen kann, also legt sich Templar mit einem Versicherungsbetrüger an, der weltweit nicht nur Versicherungen um Millionen Pfund betrügt, sondern auch so kaltblütig Leute umbringt, wie andere eine Fliege erschlagen. Dabei geht der Heilige so manches Mal über Bord, denn er hat es mit dem schlauesten und gemeinsten seiner Gegnern zu tun.

Ich dachte ja anfangs, Leslie Charteris ist eine Frau. Zu verliebt waren die Beschreibungen des Helden, es wurde in jedem Satz sein Loblied gesungen und das ab und zu auf so holprige Weise, dass ich manche Sätze mehrmals lesen musste, um überhaupt zu begreifen, was gesagt werden sollte. Könnte allerdings auch zumindest teilweise am Übersetzer gelegen haben, denn der hat so manche seltsame Formulierung gefunden. Zurück zum Heiligen. Er besitzt "animalische" Fähigkeiten des sofort wach seins, lautlosen, geschmeidigen Gang, wenn er schwimmt, passiert das so kraftvoll und doch dabei ebenso lautlos, seine elastische, stählerne Kraft erlaubt ihm, mal so eben eine Frau (lautlos) aus dem Wasser zu ziehen, seine meerblauen Augen zwinkern oder sind plötzlich stählern - Alter, das geht wirklich ununterbrochen so. Er hat mega clevere und mächtige Feinde, aber immer, wirklich immer weiß er sich allein aus der Falle zu helfen. Zwischendurch muss noch viel Herzklopfen passieren, damit man auch merkt, wie gefährlich seine Feinde sind. Und dann dieser kindische Humor. Ich lache gern, auch in spannenden Momenten, aber hier hat wirklich nur wenig gepasst, ohne dass es einfach lächerlich wurde. Ich weiß ja nicht, ob 1936 so die Helden konzipiert sein mussten, damit es jemand lesen wollte, aber für mich erschließt sich nicht, warum dieser Autor Millionenauflagen mit seinen Büchern erreicht hatte.

Veröffentlicht am 10.01.2017

Percy, Portis, Baby, Blizzard

Sweetgirl
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Es ist wirklich verdammt hart, wenn man erst sechszehn ist, aber schon arbeiten muss statt Highschool und College, weil deine Mutter eine Junkie ist. Noch härter ist es, wenn ein Schneesturm aufzieht und ...

Es ist wirklich verdammt hart, wenn man erst sechszehn ist, aber schon arbeiten muss statt Highschool und College, weil deine Mutter eine Junkie ist. Noch härter ist es, wenn ein Schneesturm aufzieht und du besagter Mutter hinterherlaufen darfst, weil dir jemand erzählt hat, dass sie high wie eine Schiffssirene im Haus eines Dealers herumliegt. Willkommen im Leben von Percy, die kein Halbgott ist, aber dafür mindestens ebensolche Probleme stemmen muss. Denn im Haus des völlig bekifften Shelton Potter findet sie nicht ihre Mutter, dafür ein halb erfrorenes und völlig vernachlässigtes Baby. Kurzerhand nimmt sie es mit. Weil der Schneesturm jetzt mit voller Macht aufzieht und ihr Wagen eingeschneit ist, flieht sie mit dem Baby zu Portis, der mal fast so was wie ihr Stiefvater war - ein versoffener Typ mit dem Herz am rechten Fleck, einer Schrotflinte und einem Wolfshund namens ... Wolfshund. Zusammen machen sie sich auf den weiten Weg in die Stadt, verfolgt von des Dealers Gehilfen, und plötzlich stapeln sich entlang des Weges ein paar Tote.

Mann, das Mädchen ist echt cool. Ich an ihrer Stelle hätte mir ja mehrmals in die Hosen gemacht, doch selbst wenn sie mal geheult hat, war das kein I'm a damsel in distress, rescue me Geheule, sondern ein Ich zieh mein Ding jetzt durch, ihr Vollpfosten. Und im Gegensatz zu den meisten Heldinnnen hatte sie echt auch mal Grund zum Heulen, denn mit einer Junkiemutter, die sie ständig aus drogenindiziertem Stress retten muss, plötzlich einem Baby und dann einem Dealer und seinen Leuten hatte sie die Hände mehr als voll. Wenigstens hatte sie Portis, zumindest eine Weile, denn es ging schief, was nur schief gehen kann. Das Buch ist flüssig geschrieben und liest sich fast schneller, als ich diese Rezi schreibe, es ist dramatischer und trauriger, als der Klappentext oder diverse Stimmen vermuten lassen und das Happy End ist nur ein halbes; ein interessantes Debut ist das Buch allemal.

Veröffentlicht am 09.01.2017

Rausgerotzter Gehirnfurz

Drive-In
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In der Regel wähle ich meine Überschriften mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl. Allerdings ist es dieses Mal gleich ein Test: Wer sich von meiner Überschrift schon abgestoßen fühlt, sollte auf jeden ...

In der Regel wähle ich meine Überschriften mit ein wenig mehr Fingerspitzengefühl. Allerdings ist es dieses Mal gleich ein Test: Wer sich von meiner Überschrift schon abgestoßen fühlt, sollte auf jeden Fall die Finger von dem Buch lassen. Denn bei aller Brutalität ist es genau das, was das Buch ausmacht.

Es ist eine Trilogie, dieser fette Schinken Drive In. Und allein darin liegt schon das Problem. Keine Ahnung, was sich Heyne dabei gedacht hat, aber die geballte Ladung Drive In ist eigentlich unerträglich. Dabei ist Teil Eins noch ... ganz nett ist hundertpro der falsche Ausdruck, trifft es aber noch am besten. Der Ich-Erzähler Jack und seine Freunde Bob, Willard und Randy verbringen ihre meisten Freitagabende im Orbit, dem riesigen Drive-In-Kino ihrer Gegend, in der nur Horror- und Splatterfilme gezeigt werden. Doch an einem Abend geht etwas schief. Ein Meteorit (oder so) stürzt auf das Orbit und die Kinogänger sind eingeschlossen im Drive In, umgeben von einer schwarzen Masse, die alle, die sie berühren, auflöst. Am Anfang versuchen die meisten noch, ruhig zu bleiben, doch nach einer gewissen Zeit, als die Vorräte alle sind, eskaliert das Ganze sehr schnell in Bandenbildung, Totschlag, Mord, Kannibalismus.

Das allein wäre eine super menschliche Studie der menschlichen Natur gewesen, schön eingerahmt in eine Geschichte, die einem zuckerschock- und drogenvernebelten Gehirn entsprungen sein mochte. Doch davon abgesehen, dass man eigentlich nur auf Distanz gehalten wird (oh, die essen ein rohes Baby, nicht mal gebraten?), ist es nicht genug mit der einen Story. Es müssen nach einem wahrscheinlich unerwarteten Erfolg zwei Sequels hinterhergeschoben werden, die immer abgedrehter und bekloppter werden. Was, die schlucken auch die Scheiße von Teil 2? Dann schreibe ich nur noch Müll, ist ja schließlich Kult.

Seit ich mein erstes Buch von Lansdale gelesen habe, war ich begeistert. Der Kerl hat eine Schreibweise, die einen reinzieht und mitreißt, ja, oft dreckig und brutal ist, was in den anderen Büchern auch gepasst hat. Aber hier watet man ständig bis zum Hals in der Scheiße, taucht ab und zu unter und nimmt einen kräftigen Schluck von der Brühe, bis es nicht nur vorne wieder rauskommt, sondern auch aus den blutenden Ohren. Hier wird gekotzt, geschissen und gefickt, viel mehr ist mir eigentlich nicht in Erinnerung geblieben. Mag sein, dass das die Quintessenz des Menschen ist, gute Horrorliteratur ist das nicht. No, Sir, Mr Lansdale, that was ... shit.

Veröffentlicht am 05.01.2017

Vom Bayou nach Chicago

Die Mississippi-Bande
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Alles fing mit dem Mord an einem Mörder an. Oder nein, wahrscheinlich schon vorher, als vier Kinder aus dem Bayou einen Einbaum bauten. Te Trois, Eddy die Grille, Julie und ihr kleiner Bruder Tit. Die ...

Alles fing mit dem Mord an einem Mörder an. Oder nein, wahrscheinlich schon vorher, als vier Kinder aus dem Bayou einen Einbaum bauten. Te Trois, Eddy die Grille, Julie und ihr kleiner Bruder Tit. Die vier leben unter recht ärmlichen Verhältnissen, doch sie kennen es auch nicht anders. Jedenfalls fing alles mit dem Einbaum an, denn als sie mit dem unterwegs waren und fischten, fanden sie eine Konservenbüchse, in der drei Dollar waren. Drei Dollar! Sie waren reich! Und beschlossen, im Katalog einen Revolver zu bestellen. Doch als ihr Paket endlich ankam, war dort kein Revolver drin, sondern eine alte, kaputte Taschenuhr. Und mit der ging es erst richtig los, denn plötzlich wurden sie bedroht und beschlossen, sich auf den Weg nach Chicago zu machen, um die anscheinend wertvolle Uhr persönlich zurückzugeben. Die Abenteuer führten sie nicht nur quer durch die USA, sondern brachten interessante und manchmal gefährliche Begegnungen ...

Ich bin ein großer Fan von Mark Twain, und gerade bei der Fahrt auf dem Mississippidampfer habe ich vieles wiedererkannt, was Twain auch in seinen Memoiren erwähnt hat. Doch auch so schaffte es Morosinotto, das alte Flair auferstehen zu lassen, das man so ähnlich von Tom Saywer und Huckleberry Finn kennt, erzählt dabei jedoch eine völlig eigene Geschichte mit eigenen, extrem sympathischen und unterschiedlichen Charakteren, die er selbst in jedem Abschnitt zu Wort kommen lässt. Dabei bekommt man ganz nebenbei einen Einblick in die Lebensweise um 1904 und Kindern im Alter um die 13. Es ist der Beginn eines Jahrhunderts voller Wunder und Technik und zumindest ich habe mit den vier mit offenem Mund dagestanden und gestaunt, mit ihnen ihre Abenteuer live erlebt und hatte allgemein eine tolle Geschichte, die es zu lesen lohnt.

Veröffentlicht am 03.01.2017

Ein kleines Genie

Das geheimnisvolle Leben des Nicholas Benedict
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Nicholas ist neun, Waise und mit Narkolepsie geschlagen. Das heißt, es kann passieren, dass er jederzeit einschläft, meistens, wenn ihn starke Gefühle überwältigen. Er war schon in mehreren Waisenheimen ...

Nicholas ist neun, Waise und mit Narkolepsie geschlagen. Das heißt, es kann passieren, dass er jederzeit einschläft, meistens, wenn ihn starke Gefühle überwältigen. Er war schon in mehreren Waisenheimen und dieses Mal verschlägt es ihn nach Child's End, einem Gutshof, der früher mal den Rothschilds gehört hatte. Wie er es gewohnt ist, gibt es auch hier mehrere jugendliche Raufbolde, die ihn mobben, weil er einfach anders ist, und dabei wissen sie noch nicht einmal, dass er ein kleines Genie ist, der innerhalb von Minuten dicke Bücher lesen - und sich merken kann. Nicholas hat ein eidetisches Gedächtnis und ist überaus clever. Als er von einem nie gefundenem Schatz der Rothschilds erfährt, beschließt er, ihn zu finden, um dem Waisenhaus zu entgehen; zusammen mit seinen neuen Freunden John und Violet macht er sich auf die Suche.

Bei diesem Buch hätte so viel schiefgehen können, gerade weil Nicholas so außergewöhnlich ist. Aber Stewart hat es echt geschafft, ihn einem nahezubringen, sympathisch zu machen, so dass man die ganze Zeit hinter dem kleinen Kerl steht, wenn er sich wieder einmal aufgrund seiner großen Klappe in Schwierigkeiten gebracht, aber gleich darauf auch wieder hinausmanövriert hat. Auch die Nebencharaktere sind supergut gezeichnet, jeder hat etwas, das ihn von den anderen abhebt und einzigartig macht, ohne ihn (oder sie) weniger authentisch wirken zu lassen. Natürlich muss man sich vor Augen halten, dass es sich hier um ein Kinderbuch handelt, manche Sachen müssen einfach mit einem Happy End ausgehen, auch wenn es wohl in der Realität nicht so einfach wäre, aber wenn dem nicht so wäre, wer wollte dann noch solche Bücher lesen wollen? Nein, hier hat es gepasst und Spaß gemacht, es gibt eine dicke Leseempfehlung.