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Veröffentlicht am 17.09.2021

Nachkriegsfrost

Der schwarze Winter
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1947. Kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Welt ist zerstört und am Boden; Deutschland, das "tausendjährige Reich" bildet da keine Ausnahme. Die Menschen sind hungrig und hohlwangig und was Menschlichkeit ...

1947. Kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Welt ist zerstört und am Boden; Deutschland, das "tausendjährige Reich" bildet da keine Ausnahme. Die Menschen sind hungrig und hohlwangig und was Menschlichkeit bedeutet, haben viele vergessen. Es gibt so viele, die nichts mehr haben und einige wenige, die diese Notlagen auch noch ausnutzen. Wir lernen Rosemarie und Silke kennen, zwei Schwestern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Die beiden haben mit nichts weiter als dem, was sie am Körper tragen, überlebt und kommen nach unangenehmen Erlebnissen auf dem Land nach Hamburg. Durch besondere Umstände erhält Silke die Möglichkeit, eine Bar zu führen und zieht sich somit die Feindschaft von vielen Männern zu. Eine Frau als Geschäftsführerin? Unmöglich! Dann noch für die Tommys, die Feinde? Silke und Rosemarie müssen auch nach dem Krieg noch ums blanke Überleben kämpfen, aber sie sind stark und sie finden Freunde ...

Ich lese nicht viele solcher Kriegs/Nachkriegsromane, aber dieser hier hatte mich schon in der Leseprobe gepackt. Und man muss der Autorin zugute halten, dass sie es schafft, diese schrecklichen Verhältnisse mega zu beschreiben, in diese Zeit mitzunehmen, das Grauen greifbar zu machen, das noch immer allerorten herrscht. Was mich beinahe noch wütender gemacht hat als das allgemeine Elend war, wie mies noch immer Frauen behandelt wurden. Entweder waren sie Freiwild oder wurden so oft als Dummchen abgestempelt, die nicht fähig sind, selbständig zu arbeiten und zu tun, was Männer können. Dabei waren eh so viele Männer im Krieg geblieben, sodass oft Frauen gar nichts weiter übrig blieb. Ich fand jedenfalls, dass die Zeitreise in die jüngere deutsche Geschichte gut gelungen ist. Das Einzige, was mich ein bisschen sehr gestört hat, war das extrem happy end. Ja, es sollte wohl Hoffnung vermitteln, aber es hat eigentlich überhaupt nicht zu der Geschichte gepasst, wie sie noch 20, 30 Seiten vorher war. Da hätte man länger ausholen sollen oder nicht ganz so rosarot enden. Trotzdem war es ein beeindruckender Roman, empfehlenswert.

Veröffentlicht am 15.09.2021

Die neue Tina

The Stranger Times
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Hannah Willis hat schon bessere Zeiten gesehen. Doch dann stellte sie fest, dass ihr reicher Mann auch reich an Affären war und zündete sein Haus an. Also gut, eigentlich wollte sie nur seine Klamotten ...

Hannah Willis hat schon bessere Zeiten gesehen. Doch dann stellte sie fest, dass ihr reicher Mann auch reich an Affären war und zündete sein Haus an. Also gut, eigentlich wollte sie nur seine Klamotten verbrennen, der Rest war, im wahrsten Sinne des Wortes, friendly fire. Jetzt sucht sie verzweifelt einen Job und findet ihn ausgerechnet bei The Stranger Times - einer ... nun ... nennen wir es vorsichtig: Zeitung. Hier wird über Außerirdische, Geister, Werwölfe, Elvis Presley im Vorgarten und andere seltsame Begebenheiten berichtet. Doch Hannah ist noch keine Woche dabei, als langsam klar wird: Nicht alles, über was sie berichten, ist Quatsch, im Gegenteil: Vieles ist tödlicher Ernst. Und das ist erst der Anfang ...

Ich habe ein paar Seiten gebraucht, bis ich in dem Buch drin war. Es hat einen amüsanten Unterton, der ohne Schenkelklopfer auskommt und punktet mit extrem skurrilen Personen, die alle eine zumindest seltsame Vergangenheit haben. Völlig irre scheint Banecroft, der Chef. Ich möchte zwar niemals in Wirklichkeit einen solchen haben, aber zum Lesen war er einfach herrlich. Auch die anderen Charaktere bildeten einen Hintergrund, der die Geschichte vorantrieb und immer wieder zum Schmunzeln animierte. Bis zum Schluss ist es eine durchweg spannende, faszinierende Geschichte, von der ich unbedingt die Nachfolger lesen möchte. Nicht wirklich beeindruckt war ich von dem Lektorat, das manchmal Böcke geschossen (oder besser: durchgelassen hat). Da wurde aus PC Wilkerson schon mal PC Wilkinson oder Moretti drehte sich zu Moretti um. Ein paar Rechtschreibfehler fielen auch auf. Finde ich bei so einem hochwertig gestalteten Buch ärgerlich und unnötig. Trotzdem, großes Kino, könnte ich mir gut als Netflixserie vorstellen. 4,5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 11.09.2021

Chill mal, Hoschi!

Die Schlotterbeck-Chroniken
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Julius Schlotterbeck ist als Vampirteenager mit gerade mal 165 Jahren nicht gerade der angesagteste Schüler der Gesamtschule Zitterbold, schließlich hat er nur einen Reißzahn. Und er macht genügend Stress, ...

Julius Schlotterbeck ist als Vampirteenager mit gerade mal 165 Jahren nicht gerade der angesagteste Schüler der Gesamtschule Zitterbold, schließlich hat er nur einen Reißzahn. Und er macht genügend Stress, um regelmäßig bei Schulleiter Draco auf der Matte zu stehen. Dieses Mal hat der uralte, mächtige Vampir die Schnauze voll von ihm. Er droht ihm eine Erziehungsanstalt an, es sei denn, Julius wird Legator und begibt sich auf die Suche nach drei Freunden, die er dann auf den Monsterball zur Eröffnung des neuen Schuljahres mitbringen muss. Einzahnknirschend fügt sich Julius in sein Schicksal und muss plötzlich gefährliche Situationen be- und überstehen, wobei er quasi nebenbei einen armlosen Zombiejungen trifft, eine alte Battletech-Montur aus der Versenkung holt und ein Nachtmahr-Mädchen kennenlernt. Doch er macht sich auch mächtige Feinde ...

Es gibt natürlich ein paar Fragen, die sich mir auch bei einem Kinderbuch stellen. Wenn Julius mit 165 Jahren noch ein Teenie ist und gerade mal in der Mittelstufe der Schule, also keine Ahnung, vielleicht so siebte bis neunte Klasse: Was hat er da in den ersten etwa 150 Jahren gemacht? In die Windeln? War er in einer SarKita? Wieso kann ein Schulleiter mit einer Erziehungsanstalt drohen und warum reißt ihm Julius' Mutter dafür nicht seinen dritten Fangzahn aus?

Im Großen und Ganzen war es ein nettes Abenteuer und wurde nach der Hälfte auch richtig spannend. Gestört hat mich trotzdem einiges. Zum Beispiel der erwachsene Autor, der so schlecht Jugendsprache verwendet hat, dass ich mich teilweise fremdschämen wollte. Oder dass für den Blutersatz Tierversuche und Tierleid nötig waren. Das wäre auf die normale Welt übertragen, dass man behaupte, für vegane oder vegetarische Nahrungsmittel müssten Tiere gequält werden. Außerdem hat Julius zum Schluss nicht drei Teenager als Freunde mitgebracht, wie ihm aufgetragen wurde, sondern nur einen. Einen Battle-Tech und einen mittelalten Ex-Wärter als Teenagerfreunde zu verkaufen, ist ein bisschen mau. Oder war die ursprüngliche Aufgabenstellung vergessen worden? Nun ja. Wenigstens hat der Epilog noch einen Cliffhanger in petto. Ähnliches hat man zwar schon vermuten können, aber es gibt einen Ausblick auf künftige Abenteuer.

Veröffentlicht am 11.09.2021

In dubio pro reo

Pirlo - Gegen alle Regeln
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Pirlo ist am Ende. Nachdem er über acht Jahre lang als Starverteidiger einer großen Kanzlei fungiert hat, fliegt er in hohem Bogen raus für etwas, das er nicht getan hat. Noch während er ein wenig in Selbstmitleid ...

Pirlo ist am Ende. Nachdem er über acht Jahre lang als Starverteidiger einer großen Kanzlei fungiert hat, fliegt er in hohem Bogen raus für etwas, das er nicht getan hat. Noch während er ein wenig in Selbstmitleid und viel Alkohol ertränkt, zeigt sich ein Licht am Ende des Tunnels. Oder ist es der herannahende Zug? So oder so: Ein bekannter Düsseldorfer Unternehmer wurde ermordet. Seine Frau soll die Täterin sein. Sie beteuert ihre Unschuld. Pirlo soll sie verteidigen. Zum Glück steht er damit nicht allein. Sophie, selbst Tochter eines High-Society-Unternehmers und Anwältin, steht ihm zur Seite. Doch bald wird klar: Pirlo und Sophie sind am Ende. Es sei denn, sie spielen gegen alle Regeln ...

Es dauert eine Weile, bis man sich an den stakkatoartigen MPi-Stil des Autors gewöhnt hat, genauso wie an das Hin- und Herspringen in den Zeiten. Dann entwickelt sich eine zweifellos unterhaltsame Geschichte im Anwaltsmilieu, bei der die eigentliche Schuldfrage die geringste Rolle spielt. Wichtig ist es, Zweifel zu säen und Aussagen ins Wanken zu bringen. Was das betrifft, auch die Beziehung zwischen Pirlo und Sophie, die erfreulich romanzenlos blieb (und hoffentlich bleibt) fand ich nichts zu meckern, im Gegenteil. Selten habe ich Gerichtsgeschichten so spannend empfunden. Was mich tatsächlich furchtbar nervte, waren die vielen Klischees, die in der Geschichte untergebracht waren. Die Araber sind alle kriminell. Die PolInnen alle arm, aber fix auf ihren Vorteil bedacht. Und die Düsseldorfer High Society macht eh nur Party, redet geschwollen und ist meist vor dem Mittag schon so blau wie ein Karpfen zu Silvester. (Natürlich nur die Frauen, die Männer müssen ja das große Geld machen.) Ja, okay. Wer's mag. Hätte nicht sein müssen. Könnte man besser machen. 3,5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 08.09.2021

Der Tod ist nicht das Ende

Knochenblumen welken nicht
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Vhindona ist eine Stadt zweigeteilter Meinungen. Auf der einen Seite glänzt alles im Fortschritt der Zeit, auf der anderen Seite wird im Namen einer Göttin Krieg geführt. Gleichzeitig ist auch Magie verpönt, ...

Vhindona ist eine Stadt zweigeteilter Meinungen. Auf der einen Seite glänzt alles im Fortschritt der Zeit, auf der anderen Seite wird im Namen einer Göttin Krieg geführt. Gleichzeitig ist auch Magie verpönt, und nur mächtige Magier können sich in einem eigenen Viertel in der Stadt ausleben. Aurelia ist eine junge Frau, deren Eltern versucht haben, ihre Magie seit Jahren zu unterdrücken, indem sie sie mit starken Beruhigungsmitteln betäubt haben. Doch als sie Zeugin eines Mordes wird, erkennt der Oberspäher der Stadt nicht nur ihr Potenzial, sondern auch die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe die Morde zu klären. Dafür gibt er sie in die Obhut von Meister Marius, der wohl der stärkste und älteste Nekromant ist, den die Welt zu bieten hat. Doch nicht alles ist, wie es scheint, und Aurelia wird dieses Mal ihre Sinne zusammenhalten müssen.

Oh, dieses Buch hatte so, so viel Potenzial. Allein der Klappentext sprüht schon vor Möglichkeiten, vor Originalität. Was bekommt man jedoch? Eine recht zähe, in die Länge gezogene Geschichte eines Mädchens, das bei einem Zauberer in die Lehre geht. Klingt nicht nur langweilig, ist es auch. Von all den angepriesenen vielschichtigen Charakteren, einer packenden Story oder gar einer Steampunk-Welt ist man hier weit entfernt. Der Schreibstil mäanderte zwischen gut und dermaßen holpernd und polternd, dass man glauben konnte, die Autorin hätte den ersten Entwurf in einem Wiener Fiaker geschrieben und es dabei belassen. Ich weiß nicht, wie oft Aurelia "macht Sinn" sagt, aber es war schon beim ersten Mal einfach nur falsch. Nichts macht einen Sinn, er ergibt sich höchstens. Die Auflösung des Falls gestaltete sich ähnlich unspektakulär wie die Geschichte selbst und man steht ein bisschen verloren da, kratzt sich am Kopf und denkt: Echt jetzt? Das war's?

Was mir positiv aufgefallen ist, sind die Gendersachen, die man schön im Text eingearbeitet hat und auch die offenen sexuellen Orientierungen. Das und die Hoffnung, es möge noch etwas Spannendes passieren, hat jedenfalls dazu geführt, dass ich das Buch nicht abgebrochen habe. 2,5/5 Punkten.