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Veröffentlicht am 25.11.2018

Oh, rrrrrrr, ein Gasmus!

Redwood Love – Es beginnt mit einem Blick
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Willkommen in der Weihnachtsbäckerei von Kelly Moran. Hier ist das Rezept:
- 1 Mann (der schönste, der witzigste, der einfühlsamste, der tollste, der Hunde-/Katzen-/Menschenbabys liebende, der Womanizer, ...

Willkommen in der Weihnachtsbäckerei von Kelly Moran. Hier ist das Rezept:
- 1 Mann (der schönste, der witzigste, der einfühlsamste, der tollste, der Hunde-/Katzen-/Menschenbabys liebende, der Womanizer, der - sorry, mir gehen gerade die bewundernden Worte aus)
- 1 Frau (die heißeste, die begehrenswerteste, die von ihrem Ex psychisch missbrauchte und runtergeduckte, die Supermom, die schlagfertigste, ruhigste, sorry, selbes Problem wie oben)
- 1 Kind (autistisch, quietschend, lachend, quietschend, High-Five-gebend, quietschend, Tic-Tac-Toe-Meisterin, quietschend - sorry, erwähnte ich schon quietschend?)
- 1 - 3 Hunde, (aber eines muss ein Hundebaby sein)
- 1 - 3 Katzen, (aber eine muss ein Katzenbaby sein)
- 1 Gegend (die schönste, romantischste, scheebedeckte, bergige)
- 1 Kleinstadt (mit den verständnisvollsten, höflichsten, freundschaftlichsten, unkompliziertesten Menschen ever)
- Handlung (in der aber auf gar keinen Fall irgendwelche Konflikte vorkommen dürfen, sonst fällt der Zucker von dem Weihnachtsgebäck herunter)


So, das mixe man jetzt in den einfachsten Worten - die Leser sollen bitte nicht überfordert werden. Verwende regelmäßig Einwortsätze wie "Heiß." "Wow." "Rrrrrr."
Und sei lustig! Lustig heißt, wenn man Begriffe wie "Ohrgasmus" oder "Augengasmus" verwendet, weil der Mann allein durch sein Aussehen und einen Blick aus seinen tiefblauen Augen die Frau zum Stöhnen bringt.

Die Frau ist fett. Sie trägt nämlich Größe 40. Ist wohlbekannt, dass Ottfried Fischer Größe 40 trägt. Und sie hat nach der Geburt ihres Kindes ewig gebraucht, bis sie wieder Größe 38 (oder 40) tragen konnte. Ihr Ex hat sich nicht mehr mit ihr abgegeben, weil sie so fett war. Bestimmt lag sie in Kalifornien mit ihrem fetten Körper immer am Strand und wurde von Tierschützern gerettet. Aber wenn sie den Rest der Woche hungert, passt sie in das heiße rote Kleid, das sie tragen muss, wenn sie beim Valentinstag wenigstens ein bisschen mit dem heißen Tierarzt mithalten will. Der übrigens überhaupt nichts dagegen hat, dass sie so fett ist mit ihrer Größe 40 (oder 38, falls sie den Rest der Woche hungert). Er erwähnt auch öfter, dass er es gut findet, dass er sich bei ihr festhalten kann und sie Kurven hat, nicht so wie seine anderen Betthäschen. Und was ein Glück, dass ihr Ex ihr damals das Haarelasern bezahlt hat. Geht ja gar nicht, dass eine Frau natürliche Behaarung hat, das findet der heiße Mann vielleicht uncool, aber auf jeden Fall wird darüber nicht mit den neuesten, besten Freundinnen in der neuen Stadt gesprochen.

Nicht zu vergessen: die Stadt. Redwood irgendwas. 1500 Einwohner. Also, wenn ich mal nach München, Köln, Hamburg oder meinetwegen auch nur Buxtehude sehe, passen 1500 Einwohner in ein Viertel, das nicht mal aus Hochhäusern bestehen muss. Die haben dafür nichts, müssen immer in die Innenstadt fahren. In Redwood jedoch gibt's für die 1500 Einwohner nicht nur Einkaufszentren, Diner, Drive-In-Restaurants, Metzger, Bäcker, eine TierarztKLINIK (!) mit gefühlten dutzend Angestellten, sondern auch ein Sozialzentrum, in dem sich die Leute mit autistischen oder Down-Syndrom-Kindern auskennen. Eigentlich wissen sofort alle Leute, wie sie mit solchen Kindern mit besonderen Bedürfnissen klarkommen.

In der gesamten Stadt gibt's übrigens nicht einen einzigen Arsch oder Unsympathen. Am nächsten kommt diesem Ausdruck vielleicht noch ein sechszehnjähriger Teenager, der im Eisladen arbeitet und mürrisch guckt. Dafür kreiert sein Vater aber gleich mal ein laktosefreies Eis für ein fremdes Kind, das vielleicht nie wieder vorbeikommt. Die Leute sind Heilige dort.

Das Buch ist so langweilig, dass mir schon nach dreißig Seiten zum ersten Mal die Augen zugeklappt sind. Es passiert einfach überhaupt nichts, jedenfalls nichts mit Konfliktpotenzial. Frau und Mann finden sich nach bekloppten Anfang megaheiß (das muss auch ein paarmal in Einwortsätzen erwähnt werden). Es muss auch im Stile pubertierender Fünfzehnjähriger gedacht werden: "Seufz". Wenn es richtig verbal zur Sache geht, vielleicht auch mal "Doppelseufz."
Es gibt genau eine "gefährliche" Situation, die mit der Tochter zu tun hat. Dafür wird diese Situation gleich zweimal mit genau derselben Szene ausgeschmückt.

Und es gibt einen Ex, der durch einen höflichen Anruf, bei dem er seine Ex darüber informiert, dass er wieder heiratet (warum macht er das überhaupt, wenn nicht einfach aus Höflichkeit, er müsste ja nicht, geht sie doch gar nichts an?) so durcheinander bringt, dass sie mit schneeweißem Gesicht nach dem Anruf dasteht. Was? Das ist ein Riesenkonflikt? Sorry, muss ich verpasst haben. Verstehe das Problem nicht.

Es gibt auch keine Probleme, die über die Schwierigkeit eines Plätzchenbackens hinausgehen. Er kann nicht mit ihr, weil ... wartet, genau, die LOGIK: Weil die große Liebe seines Bruders gestorben ist und deshalb Liebe ja in Schmerz endet.
Und sie kann nicht mit ihm, weil ... ihr Ex ein Arsch ist. Und sie fett ist mit Größe 40 (oder 38).

Wisst ihr was? Wenn ihr unbedingt so was lesen wollt, dann kauft euch doch auf dem Flohmarkt für 50 cent einen ollen Nora-Roberts-Schinken. Die kriegt wenigstens Sätze mit mehr als einem Wort auf die Reihe und man muss bei der Lektüre nicht gar so viel Angst haben, entweder an Langeweile oder Diabetes zu sterben.

Das Buch kriegt anderthalb Punkte, weil wenigstens nicht Vergewaltigung als romantischer Sex dargestellt wurde und ich an irgendeiner Stelle mal schmunzeln musste. 1,5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 18.11.2018

Feind hört mit

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Der zweite Weltkrieg: Helene ist eine sogenannte Programmstrickerin, also jemand, der Komputer programmieren kann. Offensichtlich ist das ein Job, den nur Frauen beherrschen, weil sie auch kochen können, ...

Der zweite Weltkrieg: Helene ist eine sogenannte Programmstrickerin, also jemand, der Komputer programmieren kann. Offensichtlich ist das ein Job, den nur Frauen beherrschen, weil sie auch kochen können, während Männer eher analytisch denken und daher für die Auswertung der Programme zuständig sind. Die Zeiten sind hart. Deutschland steht seit ein paar Jahren im Krieg. Im NSA, also dem Nationalen Sicherheitsamt, das in Weimar verankert ist, müssen die Mitarbeiter beweisen, dass sie für Himmler und das Deutsche Reich von Nutzen sind. Das schaffen sie auch, indem sie ihm vorführen, wie man mit Hilfe von Programmen untergeschlüpfte Juden findet. Helene merkt plötzlich, dass es ihre geschriebenen (gestrickten) Programme sind, die es ermöglichen, Menschen zu fangen. Und sie weiß, dass auch ihr Liebhaber, ein Deserteur, in großer Gefahr ist.

Was für eine unfassbar gute Idee! Das Nazideutschland, in dem schon Computer und Netzwerke existieren, bargeldlos bezahlt wird, die Menschen über ihre Smartphone ausspioniert werden. Der Anfang: ein Kracher! Und dann? Geht es bergab. In den ersten 400 Seiten wird lang und breit die Lebensgeschichte der beiden wichtigsten Personen ausgewälzt: Eugen, der die Schurkenrolle übernehmen darf, Helene, die sympathisch sein soll, es aber nicht ist. Eschbach verliert sich in seiner eigenen Idee, findet nicht Anfang, nicht Ende und dann, so stelle ich es mir vor, tippte sein Lektor/Verleger/Agent auf die Uhr und meinte beiläufig: Du weißt aber schon, dass übermorgen Abgabetermin ist und du übrigens auch noch mindestens zwei Sexszenen reinschreiben muss, die so überflüssig und schlecht sind, dass die Leser sich fremdschämen? Da drückte er dann auf die Tube, bewies, dass die Deutschen eben doch die überlegene Herrenrasse ist, die innerhalb weniger Monate vollbringt, woran die Amis schon seit Jahren arbeiteten und voilá: fertig. Aua. Und schade. Und überhaupt bedauerlich, dass sich bei all diesen vielen Seiten und Worten nur wenig Tiefe findet und die Warnung vor dem, was möglich ist, sollte es denn tatsächlich die Intention der Warnung gegeben haben, ebenso sang- und klanglos verschwindet wie die Vorstellung, was mit Silo 163 passiert ist.

Veröffentlicht am 12.11.2018

Hinter Gittern

Gangsterblues
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Joe Bausch ist Gefängnisarzt in Werl, einem Knast, in dem nur die notorischsten oder gefährlichsten Kriminellen, meistens aus dem Pott, einsitzen. Ich kannte den Mann nicht, hatte dank selbstgewählter ...

Joe Bausch ist Gefängnisarzt in Werl, einem Knast, in dem nur die notorischsten oder gefährlichsten Kriminellen, meistens aus dem Pott, einsitzen. Ich kannte den Mann nicht, hatte dank selbstgewählter TV-Abstinenz auch noch nie von ihm gehört (Punch intented) und wunderte mich, dass er anfangs erwähnte, er sei ein "bekannter Schauspieler". Das ist vielleicht ein bisschen optimistisch ausgedrückt, und ich gebe zu, dass ich anfangs daher auch ein bisschen Schwierigkeiten mit ihm hatte, zumal er eine gewöhnungsbedürftige Art zu sprechen und betonen hat. Aber sobald ich die Eingewöhnungsphase hinter mir hatte, gefiel mir seine langsame, tiefe, bedächtige Art vorzulesen.

Und ja, auch die Fälle gefielen mir, vor allem, wie sie vorgestellt wurden. Als jemand, der viel True Crime liest oder hört, hat man irgendwann das Gefühl, schon alles zu kennen. Das ging mir hier nicht so. Noch von keinem der vorgestellten Täter oder Fälle hatte ich je etwas aus den Medien erfahren und da hier nicht aus der Perspektive eines Polizisten, Rechtsmediziners oder Anwalt erzählt wird, sondern von einem, der im Knast ist und die Kriminellen behandelt, bekommt man auch einmal völlig neue Ansichten.

Dabei kamen einem die verschiedensten Fälle unter. Manchmal hegt man sogar Sympathie für einige der vorgestellten Männer, einmal ist man maßlos empört über die deutsche Justiz, die scheinbar so starr in ihren Regeln ist, dass Fehler "nicht existieren" oder falls sie existieren auf keinen Fall zugegeben werden können. Man leidet sogar ein einem oder zwei Fälle mit todkranken Patienten von Bausch mit, amüsiert sich ein bisschen über die drei Alten vom Affenfelsen und bei dem Adoptivsohn, der seine Familie auf dem Gewissen hat, aber nach 23 Jahren entlassen werden soll, kochen noch mal die Gefühle hoch. Warum darf so einer jemals wieder auf freien Fuß?
Weil das Gesetz sagt, jeder, der resozialisiert ist, bekommt eine zweite Chance, wenn er bereut und seine Zeit abgesessen hat. So ist das wohl und in vielen Fällen vielleicht auch gut so. Vielleicht aber auch nicht. Die Zeit wird es zeigen.

Spannende Geschichten aus einem spannenden Millieu, gut vorgetragen. Schürt das Interesse auf mehr - und nach über 30 Jahren als Knastarzt dürfen wir von Joe Bausch wohl auch noch den einen oder anderen Schwank von Erlebnissen hinter Gittern erwarten. 4,5/5 Punkten.

Veröffentlicht am 11.11.2018

Tödliche Träume

Mörderische Renovierung
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A. ist dreiundzwanzig und der Erbe eines großen Anwesens in den Staaten. Zu dem Anwesen gehören praktischerweise auch ein paar Millionen Dollar, sodass er es sich leisten kann, Müßiggang zu betreiben. ...

A. ist dreiundzwanzig und der Erbe eines großen Anwesens in den Staaten. Zu dem Anwesen gehören praktischerweise auch ein paar Millionen Dollar, sodass er es sich leisten kann, Müßiggang zu betreiben. Zu ihm gehört ein stummes, irisches, etwa 15jähriges Mädchen und einige Zeit später ein Hund namens Help. Das Erbe ist riesig, nicht nur finanziell gesehen. Im Haus befinden sich so viele Türen und Zimmer, ein Garten zum Verlaufen samt einem Labyrinth und Grund, soweit das Auge reicht. Doch schon nach kurzer Zeit bemerken sie, dass irgendwas in ihrem neuen Zuhause nicht stimmt. A. träumt immer scheußlichere Träume und vielleicht, so die düstere Ahnung, hat es einen Grund, warum der Mann, der ihm das alles vererbt hat, Selbstmord begangen hat ...

Das ist mal eine originelle Geschichte, wie ich sie in der Art noch nie gelesen habe. Nicht nur, dass der Plot sehr interessant entwickelt wird und auch das ein oder andere Mal Humor nicht fehlt, ist die Art des Buches sehr cool gestaltet. In Tagebucheinträgen, Briefen an eine ominöse Tante Liza, Kameraaufzeichnungen und anderen Dokumenten wird vor dem Leser das Bild einer komplexen Story entworfen, die nur auf den ersten Blick einfach zu durchschauen ist. Ganz, ganz kurz gab es zum Ende des ersten Abschnitts einen kurzen Hänger, doch der endet mit einem solchen: einen Cliffhanger, der dazu zwingt, sofort weiterzulesen und Geheimnis um Geheimnis aufzudecken. Dabei bekommt man en passant Einblicke in Dechiffrierung und Decodierung - nicht immer leicht zu verstehen, aber wenn man sich reinfuchst, richtig faszinierend.

Zum Abschluss eine Warnung: Das Buch spielt Mitte der 90iger, vielleicht schreckt das den einen oder anderen ab, denn die Technik mutet teilweise antik an. Außerdem werden viele überhaupt nicht mit den verschiedenen Arten der Erzählung, die ich oben erwähnt habe, klarkommen, das ist nicht jedermanns Sache und ziemlich oft ist Mitdenken erforderlich. Wen das alles nicht stört, bekommt von mir eine dicke Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 06.11.2018

Mister Bossos kriminelle Machenschaften

Die magischen Sechs - Mr Vernons Zauberladen
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Carter Locke ist zwölf Jahre alt und lebt seit dem Verschwinden seiner Eltern bei seinem Onkels Sly. Dessen Name ist Programm, er ist ein windiger Typ, der sich mit Tricks und Gaunereien über Wasser hält ...

Carter Locke ist zwölf Jahre alt und lebt seit dem Verschwinden seiner Eltern bei seinem Onkels Sly. Dessen Name ist Programm, er ist ein windiger Typ, der sich mit Tricks und Gaunereien über Wasser hält und mit seinem Neffen von Stadt zu Stadt tingelt. Er hat ihm Zaubertricks beigebracht, weil Carter flinke Hände hat. Doch irgendwann hat der Junge genug von seinem Onkel und flieht auf einen fahrenden Zug, lässt die Stadt und Sly hinter sich. Er landet in der Kleinstadt Minerall Falls und bei einem Jahrmarkt, der von B. B. Bosso geleitet wird. Schnell wird Carter klar, dass es sich bei ihm und seinen Leuten um eine betrügerische Bande handelt. Zum Glück lernt er fünf andere Kinder kennen und gemeinsam sagen sie Bossos Clowns den Kampf an.

Eigentlich ist das schon eine coole Geschichte, locker und kindgerecht erzählt, wobei es der Autor da manchmal zu weit getrieben hat, finde ich. Zwischendurch ging mir sein arg belehrender Tonfall doch auf die Nerven. Aber im Großen und Ganzen ist es eine Geschichte, die von Zusammenhalt und Freundschaft und den Glauben an Magie handelt. Natürlich endet sie auch ein wenig zu happy, aber da die Altersfreigabe bei 9 liegt, ist das wohl nicht anders möglich. Der Sprecher hatte hörbar Spaß an der Sache und wertete die Geschichte für mich noch mal um einen halben Punkt auf.