Profilbild von Babajaga

Babajaga

Lesejury Star
offline

Babajaga ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Babajaga über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.03.2024

Einfühlsames Portrait einer starken Frau hinter ihrem erfolgreichen Mann

Gussie
0

Auguste Adenauer - genannt Gussie - ist viel zu jung gestorben. Während sie 1948 im Krankenhaus liegt und weiß, dass sie ihrem Tod nicht mehr ausweichen kann, erinnert sie sich an ihr Leben. Sie ist die ...

Auguste Adenauer - genannt Gussie - ist viel zu jung gestorben. Während sie 1948 im Krankenhaus liegt und weiß, dass sie ihrem Tod nicht mehr ausweichen kann, erinnert sie sich an ihr Leben. Sie ist die zweite Frau von Konrad Adenauer, 20 Jahre jünger als er und charakterlich völlig anders als er. Bereits sehr früh im Roman stellt sich die Frage, was diese beiden so unterschiedlichen Menschen verbinden mag.

Aufgrund des Klappentextes habe ich ein Drama erwartet und war am Ende des Buches erstaunt über das wunderbar einfühlsame Portrait einer Frau, von der ich bis dahin noch nichts wusste und die kurzen Einblicke in das Leben von Konrad Adenauer.

Gussie Zinsser wuchs behütet mit einem liebevollen Vater auf, dem sie bis an ihr Lebensende Briefe schrieb und mit dem sie über all ihre Gedanken sprechen konnte. Diese Briefe stehen auszugsweise und in etwas abgewandelter Form über jedem Kapitel. Sie leiten die Kapitel thematisch ein und sorgen für die zeitliche Orientierung innerhalb des Romans. Mir gefällt dieses Stilmittel sehr, weil es die Geschichten noch authentischer wirken lässt, als es dem Autor ohnehin schon gelingt.

Die Geschichte wird auf 2 Zeitebenen erzählt, die sich am Ende des Buches mit Gussies Tod treffen. Einerseits wird in 1948 in der Gegenwart berichtet, wie Gussie ihr Leben im Krankenhaus wahrnimmt, welche Gedanken sie in dieser Situation hat, andererseits wird die Geschichte der jungen Gussie, beginnend mit dem Kennenlernen zwischen ihr und Adenauer erzählt. Beide Zeitebenen sind aus Gussies Perspektive geschrieben, wie sie die Dinge erlebt hat. Hier gefällt mir besonders gut, dass die Gegenwart im Präsens geschrieben wird, während Geschichten aus der Vergangenheit in eben dieser formuliert sind. Es fällt dem Leser leicht zu unterscheiden.

Gussie hat in ihrem kurzen Leben 2 Weltkriege miterlebt. Den ersten als junge Frau, den zweiten als Ehefrau und Mutter von 7 Kindern. Sie ist eine - für meine Begriffe - außergewöhnlich starke Frau, die sich mit Hingabe um ihre 3 Stief- und die 4 eigenen Kinder kümmert, um diese durch die schweren Zeiten zu tragen und ihnen dennoch das Gefühl von Liebe und Geborgenheit zu geben. Bis zu ihrem Tod leidet sie unter dem Verlust ihres Erstgeborenen.

Sie, genau wie Konrad Adenauer, hat sich stets von den Machenschaften des Nazi-Regimes distanziert, hat sich politisch engangiert und musste am Ende die Konsequenzen tragen. Ihre menschliche Hingabe ist es, die der Autor so fühlbar beschreibt und die einen beim Lesen einfach nicht kalt lassen kann.

Die im Klappentext angekündigte Episode, dass die Gestapo sie vor eine unmenschliche Wahl stellte, ist nur relativ kurz beschrieben, aber dies in einer Intensität, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Man fragt sich beim Lesen unweigerlich “Wie hätte ich entschieden?” und fühlt den Abgrund, in den sie geschaut haben muss, als sie ihre Entscheidung traf.

Von Anfang an - und selbst noch im Krankenhaus - strahlt Gussie etwas aus, dem man sich nicht entziehen kann und will. Der Autor schafft es unmissverständlich, ihre liebenswerte Art zu transportieren - unabhängig davon, wie gut oder schlimm eine Situation gerade ist. Er schafft es ebenfalls sehr sicher, ihre Zweifel - sowohl an sich selbst als auch an ihrer Ehe - zu zeigen und dem Leser das Gefühl zu geben, dabei zu sein.

Der Schreibstil von Christoph Wortberg war für mich anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig. Hin und wieder hatte ich das Gefühl, er schreibt stakkatoartig in Aufzählungen. Mit der Zeit merkt man aber, dass es diese Art zu schreiben ist, die eben so eindringlich ist. Es passiert so viel in so kurzer Zeit, dass dieser Schreibstil wirklich dazu passt. Überdies macht dieser Stil klar, dass er zwar über Gussie schreibt, ihre Person und ihr Leben aber keineswegs zu sezieren versucht.

Ich habe mir während des Lesens viele Formulierungen angestrichen, weil sie mir einfach unter die Haut gehen und nicht nur im Zusammenhang mit Gussie Adenauer und ihrem Leben, sondern auch in der heutigen Zeit Bestand und eine Bedeutung haben, den Tatsachen entsprechen.

Fazit:
Dieses Buch geht unter die Haut. Es zeigt einen Menschen, der viel Leid erfahren hat, in einer der wohl schwierigsten Zeiten lebte und dennoch bis auf einmal den Lebensmut und die Fröhlichkeit verlor. Es ist das Portrait einer Frau, um die es wirklich schade ist, dass sie viel zu früh gestorben ist. Man wünscht ihr wirklich aus tiefstem Herzen, sie hätte mehr Frieden erleben dürfen. Mich hat das Buch beeindruckt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2024

Verwirrend bis zum Schluss

Die Einladung
0

Das Szenario einer in sich geschlossenen Location, ein paar mehr oder weniger sympathische Charaktere und dann ein Mord ist eigentlich erst mal gar nicht so neu und wurde schon öfter als Hintergrund verwendet. ...

Das Szenario einer in sich geschlossenen Location, ein paar mehr oder weniger sympathische Charaktere und dann ein Mord ist eigentlich erst mal gar nicht so neu und wurde schon öfter als Hintergrund verwendet. Aber…

Marla ist eine facettenreiche, junge Frau, die viel in ihrem Leben erlebt hat. Im Grunde möchte man sie für die vielen erlebten Traumata fast bedauern, aber sie ist stark und intelligent. Und so traut man ihr durchaus zu, dass sie ihr Ziel, wieder zu der alten Marla zu werden, durchaus erreichen kann.
Auf die Einladung zum Klassentreffen möchte sie eigentlich gar nicht eingehen, wenn da nicht Kilian wäre, der ebenfalls dort sein würde. Zu ihm hatte sie den Kontakt längst abgebrochen, ihn aber nie vergessen. Und deshalb sagt sie doch zu und reist in die Alpen zur Nebelhütte.

Bereits mit den ersten Kapitelüberschriften stiftet Fitzek Verwirrung. Was bitte für eine Entscheidung? Und weiter geht’s mit den Kapitelinhalten. Der Gedanke “Da stimmt doch was nicht”, hat mich eigentlich bis auf die letzten Seiten - bis zur Auflösung - begleitet. Wann immer ich glaubte, ich hätte eine logische Lösung gefunden, wurde sie auch prompt wieder umgestürzt. Das Buch einfach so an sich vorbeiplätschern zu lassen - Fehlanzeige! Ich war von der ersten bis zur letzten Seite immer mit Spannung dabei und hoffte, von Kapitel zu Kapitel auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, was hier eigentlich los ist.

Man lernt auf der Nebelhütte einige von Marlas ehemaligen Schulkameraden kennen und nicht nur Marla wundert sich über die “Zusammenstellung”. Sie scheint wenig Sinn zu machen. Dieser ergibt sich erst im Verlauf der Handlung und dann ist er auch sehr logisch. Auch die Charaktere der einzelnen Figuren ergeben sich erst im Laufe der Zeit. Man weiß ja, dass sich Menschen in Stresssituationen anders verhalten (können), als wenn es nicht so stressig ist. Oftmals zeigen sie dann ihr wahres Gesicht. So auch hier… Man bekommt also die Möglichkeit, hinter die Kulisse der einzelnen Menschen zu schauen und sich zu überlegen, wer sympathisch ist und wer nicht.

Die Schreibweise des Autoren mag ich. Die kurzen Kapitel vermitteln ein ordentliches Tempo. Hin und wieder lässt der Autor einen gern mal im Regen stehen - und zwar meistens dann, wenn man glaubt, dass man den Knackpunkt gefunden hat. Er versteht es meisterlich, den Spannungsbogen hoch zu halten und das, obwohl er ohne Blut auskommt. Ein Punkt, den ich sehr schätze. Es findet alles nur im Kopf statt.

😊 Fazit:
Ich habe längst nicht alle Bücher von Fitzek gelesen und kann mir insofern keinen Vergleich erlauben. Das hier vorliegende lohnt sich aber auf jeden Fall - zumindest, wenn man es ertragen kann, erst nach 350 Seiten zu wissen, wie es wirklich ist.

PS: Es lohnt sich übrigens durchaus, das Nachwort zu lesen. Schon innerhalb des Romans hatte ich öfter mal das Gefühl, dass der Autor über einen guten Humor verfügt. Im Nachwort stellt er es zweifelsfrei unter Beweis!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2024

Spannender Auftakt, aber etwas wenig Abenteuer

Anderwald (Band 1) - Das Geheimnis der Silberwölfin
0

Mit dem Buch Anderwald - Das Geheimnis der Silberwölfin legt die Autorin den ersten Band einer Kinderbuchreihe vor. Fiona sieht auf einer Lichtung im Wald ein Steintor, welches bisher nicht dort gewesen ...

Mit dem Buch Anderwald - Das Geheimnis der Silberwölfin legt die Autorin den ersten Band einer Kinderbuchreihe vor. Fiona sieht auf einer Lichtung im Wald ein Steintor, welches bisher nicht dort gewesen ist. Mutig, wie sie ist, geht sie hindurch und findet sich im Anderwald wieder. Der Wald ähnelt “ihrem” Wald und ist doch auch ganz anders. Damit ist der Name des Waldes Programm. Sie trifft magische Geschöpfe, allen voran die Silberwölfin, die sich als ihr Krafttier vorstellt. Aber auch andere Geschöpfe, die sie aus “ihrem” Wald nicht kennt, trifft sie dort. Nachdem sie einige Male den Anderwald besucht hat, weiß sie sicher, dass der Wald in Gefahr ist und ihre Hilfe braucht.

Wir lernen in diesem Teil die Protagonisten Fiona, Olivia und Jakob kennen, die alle auf ihre eigene Weise Stärken und Schwächen haben. Zu dritt sind sie ein gutes Team, das eine starke Freundschaft verbindet - eine Freundschaft, in der nicht alles rosarot ist, sondern in der sich auch einmal gezankt und wieder versöhnt wird. Dieser Aspekt gefällt mir sehr gut; er zeigt, wie wichtig andere Menschen für einen selbst und umgekehrt sind. Die unterschiedlichen Charakterstärken der 3 Freunde machen recht schnell klar, dass in eben diesen Unterschieden echte Vorteile bestehen. Während mir Olivia als starke Persönlichkeit erscheint, Fiona durch und durch mutig ist, ist Jakob der eher vorsichtige Typ, der aber ungemein viel weiß und sich durch die beiden Mädchen auch mitziehen lässt. Eine Kombination, die mir gut gefällt.

Die Darstellung des Anderwaldes lädt den Leser zu Interpretationen ein. Einerseits hat die Natur, wie wir sie kennen, ja etwas Magisches, wie ich finde, andererseits kann man in die Bedrohung des Waldes eine ganze Menge hineininterpretieren - oder sie auch einfach so hinnehmen, wie sie hier dargestellt wird. Dieser Umstand regt den jungen Leser vielleicht auch zum Nachdenken an, wie er die Natur wahrnimmt, was er sieht und wie bedroht sie in seiner ganz realen Welt tatsächlich sein könnte.

Die Schreibweise der Autorin ist temporeich und kindgerecht. Die Sätze sind nicht zu lang, der Wortschatz angepasst an die Zielgruppe und die Szenen sind nicht breit ausgewalzt. Es passiert eine ganze Menge in diesem ersten Teil. Allerdings ist er hauptsächlich darauf ausgelegt, die Welt des Anderwaldes vorzustellen und die Protagonisten einzuführen. Was die Hilfe bezüglich der Bedrohung angeht, darüber findet sich hier zunächst noch nichts. Ich gehe aber davon aus, dass der 2. Teil dann direkt damit beginnen wird, denn die Weichen sind am Ende dieses ersten Teils gestellt, die Voraussetzungen geschaffen.

Die Illustrationen des Buches und das Cover gefallen mir sehr. Beides passt perfekt zur Geschichte, wie ich finde. Darüber hinaus ist die Haptik des Buches mit der erhabenen Schrift ganz toll. Die Gestaltung mit den vielen Details ist liebevoll. Richtig gut gefällt mir die Farbauswahl der Illustrationen in Schwarz und Grün. Grün verbinde ich mit Natur.

🙂 Fazit:
Aus meiner Sicht liefert das Buch einen gelungenen, spannenden Auftakt. Es liefert sympathische Charaktere, mit denen sich junge Leser gut identifizieren können. Ein bisschen mehr Abenteuer im Anderwald hätte ich mir schon gewünscht. Aber das Ende des Buches ist im Grunde offen, sodass man dem nächsten Teil entgegenfiebern kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.02.2024

Kein Buch für nebenbei!

Your Shadow Self
0

Das Thema Arbeit am und mit dem inneren Kind ist ganz gewiss nicht neu, aber es gibt viele Wege, die zum Ziel führen können und so finde ich dieses Buch im Grunde genommen sehr gelungen. Aus meiner Sicht ...

Das Thema Arbeit am und mit dem inneren Kind ist ganz gewiss nicht neu, aber es gibt viele Wege, die zum Ziel führen können und so finde ich dieses Buch im Grunde genommen sehr gelungen. Aus meiner Sicht werden die wichtigen Themen behandelt. Man sollte nur nicht davon ausgehen, dass man dieses Buch einfach liest und alles ist Bestens. Vielmehr regt dieses Buch dazu an, sich seine eigenen Gedanken zu machen, eigene Verhaltensweisen zu reflektieren und insbesondere die Kindheit noch einmal ins Gedächtnis zu holen. Diese Gedanken werden auch Gefühle an die Oberfläche holen, die man vielleicht nicht (mehr) kennt und mit denen man dann erst einmal klarkommen muss.

Und genau da komme ich zunächst einmal an meine Grenzen. Ich finde das Thema spannend und interessant und werde auch mit diesem Buch arbeiten, aber da ich noch nicht besonders tief in diesem Thema drin stecke, fällt es mir außerordentlich schwer, mit den recht kurzen Erklärungen klarzukommen und jeden Fachbegriff korrekt einzuordnen. Für mich bedeutet das ganz konkret, dass ich zunächst einmal auf Informationssuche gehen muss, damit ich mich an wirklich alle Fragen heranwagen kann. Zumindest jetzt am Anfang habe ich nämlich das Gefühl, dass ich nicht mit allen Fragen etwas anfangen kann bzw. sie erschließen sich mir nicht. Andere Fragen wiederum erscheinen mir offensichtlich und lassen meine Gedanken frei fließen. Allerdings besteht das Buch auch nicht darauf, dass man die Fragen in einer bestimmten Reihenfolge bearbeiten sollte.

Die Aufmachung des Journals finde ich sehr gelungen. Ich mag das Buch anschauen und anfassen. Das dunkle Blau passt für meine Begriffe sehr gut zum Inhalt des Buches. Ebenfalls sehr gut gefällt es mir, dass im Grunde immer eine Seite für ein Thema eingeplant ist (manchmal sind es auch mehrere Seiten, wenn ein Thema mehrere Fragen umfasst). Ob der Platz zum Einschreiben für jeden ausreichend ist, hängt in erster Linie davon ab, wie viel einem einfällt, was man aufschreiben möchte. Aber da denke ich mir, dass man zu viel Text auf extra Seiten schreiben und ins Buch legen kann. Dass das Buch Platz zum Einschreiben bereithält, finde ich gut. So bekommt es etwas von einem Tagebuch. Es ist für die Tage, wann immer man bereit ist, sich auf die Reise zu sich selbst zu begeben.

Ebenfalls ein Pluspunkt ist aus meiner Sicht die Struktur der Themen. Sie sind für mich nachvollziehbar.

Inhaltlich sehe ich echte Pluspunkte in diversen Formulierungen. So ist oftmals die Rede von “etwas dürfen” statt von “etwas müssen”. Zudem will dieses Buch keine Therapie ersetzen oder das eigene Leben ändern, wenn man sich nur an das hält, was in dem Buch steht. Vielmehr steht dieses Buch mit all seinen Fragen dafür ein, dass der Leser sich selbst Gedanken macht, dass der Leser für sich selbst erkennt, was er ändern möchte und kann - und vor allem darf.

🙂 Fazit:
Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Buch 100%ig ideal für Einsteiger in diese Thematik ist. Zwar ist es schön, sich nicht mit viel Text auseinandersetzen zu müssen, sondern direkt losarbeiten zu können. Aber andererseits fehlt es dem Neuling vielleicht an Erklärung.
Es ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Es ist ein Buch, das gänzlich auf den erhobenen Zeigefinger verzichtet. Es ist ein Buch, das es vielleicht schaffen wird, das eigene Ich besser zu verstehen und den Leser damit freier zu machen.

Ich bin zwar noch nicht ganz überzeugt, dass dieses Buch als mein erstes Buch zu diesem Thema das Richtige ist, aber es gefällt mir und es regt mich an, mich mit mir zu befassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
Veröffentlicht am 20.03.2023

Spannender Auftakt einer neuen Reihe

Der Morgen (Art Mayer-Serie 1)
0

Es ist Winter in Berlin und an der Siegessäule treibt der Schnee durch die Nacht. Das perfekte Szenario, um eine Leiche zu finden. Mitten auf der Straße steht ein Lieferwagen, auf dessen Ladefläche eine ...

Es ist Winter in Berlin und an der Siegessäule treibt der Schnee durch die Nacht. Das perfekte Szenario, um eine Leiche zu finden. Mitten auf der Straße steht ein Lieferwagen, auf dessen Ladefläche eine tote Frau liegt. Die Adresse auf ihrem Bauch führt die Ermittler direkt zum Bundeskanzler. Was mag dieser mit dieser toten Frau zu tun haben?

Art Mayer hatte seinen Dienst quittiert und sich in Kreuzberg verkrochen. Er wollte nichts mehr mit dem BKA zu tun haben, bis ihn Martin Buchwald anruft und ihn förmlich anfleht zurückzukommen. Seine Erfolgsquote spricht für sich, seine Methoden allerdings auch. Mit diesen eckt Art immer wieder an und dennoch brauchen die Kollegen ihn. Art ist nach außen hin ein unnahbarer Typ und dennoch machen ihn seine ganz persönlichen Erfahrungen und Verhaltensweisen irgendwie auch weich und verletzlich. Er ist eine vielseitige Figur und mir am Ende des Buches immer noch ein Rätsel. Und das, obwohl der Leser doch schon so einiges über ihn erfährt.

Nele Tschaikowski ist die Neue im Team. Man könnte meinen, sie sei ein Mäuschen, aber schnell bemerkt man, dass sie genau das nicht ist. Sie ist mutig, klug und tough, wenn auch noch unerfahren. Gerade deshalb lernt Art sie schnell zu schätzen. Ich hatte sogar den Eindruck, dass er ihr zum Ende hin mehr von sich offenbart als jedem anderen in seinem Umfeld. Ein Typ wie Art würde das wohl kaum ohne ein gewisses Maß an Vertrauen tun, obwohl er versucht, eine gewisse Distanz zu Nele (und zum Leser) zu halten. Andersherum weiß er jedoch auch, Neles Geheimnisse für sich zu behalten.

Der Roman entwickelt sich von der ersten Seite an stetig aufwärts. Die Spannung ist immer da und man möchte unbedingt wissen, was weiter passiert. Erst ziemlich am Ende wird die Auflösung präsentiert, wenngleich der Leser nicht umhin kommt, selbst Vermutungen anzustellen. Aber die immer wieder falschen Fährten lassen es spannend bleiben.

Marc Raabe hat hier - nach seiner Tom Babylon Reihe - ein neues, sehr unterschiedliches Ermittlerduo geschaffen, das absolut authentisch wirkt und für den Leser nach einer Weile vertraut erscheint. Mir hat richtig gut gefallen, dass Art, der eigentlich ein eher abweisender Typ ist, schon recht früh zeigt, dass er durchaus empathisch sein kann und vor allem, dass er Neles Vorzüge zu schätzen weiß. Es entsteht also auch ganz am Anfang kein wirkliches Hick-Hack zwischen den beiden, sondern jeder weiß, was er am Anderen hat. Und zwischen allem “Profi sein” kommt hin und wieder das Menschliche zum Vorschein, was die beiden so sympathisch macht.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Da jedoch anfänglich nicht klar ist, wer aus der Vergangenheit wer in der Gegenwart ist, kommen die Erkenntnisse eher häppchenweise. Das hat der Autor sehr geschickt gelöst. Ebenso, dass er die Hintergründe seiner Figuren, die in der Vergangenheit ihre Erklärung haben, nicht sofort präsentiert, sondern auch nach und nach, hält die Spannung hoch.
Mit der Erzählung auf zwei Zeitebenen hat Raabe ja bereits Erfahrung und das merkt man auch. Allerdings ist die Gegenwart sehr nah an der momentanen, sehr realen Gegenwart, wie wir sie kennen. Themen wie Corona, der Ukrainekrieg oder auch die Probleme mit der Gasversorgung halten Einzug. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor jedoch auf die digitalen Medien, welche Auswirkungen sie haben können und wie vor allem die Öffentlichkeit durch sie beeinflusst wird. Das macht den Roman überaus authentisch, ohne dass sich der Autor zu sehr in Politik ergehen würde.

Der Schreibstil ist gewohnt leicht zu lesen. Mir gefällt es, dass der Autor es vermag, Stimmungen einzufangen und Örtlichkeiten zu beschreiben, ohne dabei allzu ausschweifend zu werden. Die Beschreibungen schwingen immer mit, aber die Handlung bleibt stets im Vordergrund. So wird ein gewisses Kopfkino erreicht. Ich denke, auch Leser, die Berlin nicht kennen, werden sich dennoch wie zu Hause fühlen, sich einfangen lassen von dem, was der Autor beschreibt.

Normalerweise sind Cover für mich nicht wirklich wichtig. Aber in diesem Fall ist es einfach speziell. Das grelle Pink dürfte im Buchladen aus den ganzen anderen Covers hervorstechen und der schwarze Buchschnitt tut sein Übriges. Ich finde es sehr gelungen, schon deshalb, weil es etwas anderes ist, als man es gewohnt ist.

Fazit:
Ein rundum gelungener Roman, ein Pageturner, der trotz seiner knapp 600 Seiten nie langweilig wird. Wer Tom Babylon mochte, der wird Art Mayer zu schätzen wissen. Ich bin sehr gespannt auf den 2. Teil, der allerdings erst in 2024 kommen soll. Klare Leseempfehlung von mir.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere