Einleitung:
Titel: Möge die Stunde kommen
Autor: Jeffrey Archer
erschienen: 2016
Genre: Historischer Roman
Zeitraum: 1970 - 1978
Der Prozess zum Anfang des Buches ist die perfekte Überleitung von Band 5 zu Band 6. Als ich am Ende des 5. Teils mitten im Prozess das Buch zuklappen musste, lag nichts näher, als unbedingt den 6. Teil zu lesen. Jeffrey Archer versteht es vortrefflich an der spannendsten Stelle aufzuhören um genau dort auch wieder einzusetzen.
Meine Erwartungshaltung an den 6. Teil war entsprechend hoch.
Handlung:
Zum Auftakt steht Emma Clifton wegen des Verleumdungsprozesses, den Virginia Fenwick gegen sie angestrengt hat, wieder im Gerichtssaal. Obwohl Virginia der Meinung ist, dass sie den Prozess so gut wie gewonnen hat und sie Emma endlich den wirtschaftlichen und persönlichen „Todesstoß“ verpassen kann, gewinnt Emma den Prozess. Nach diesem Prozess nimmt sie ihren Platz als Vorstandsvorsitzende bei Barringtons wieder ein. Später wird sie auch Mitglied eines Klinikbeirates in dem sie in der Folge zur Vorsitzenden wird. Zusätzlich nimmt sie ein Engagement als Mitglied des Parteiausschusses der Torries an und wird damit zur politischen Gegnerin von Giles. Aber Margaret Thatcher ist ihre Favoritin, die sie aktiv unterstützen will.
Harry Clifton widmet sich in diesen Jahren intensiv der Schreiberei. Seine Bücher werden erfolgreich in den USA verlegt und er schafft es mit jedem Buch auf die Bestsellerlisten. Vor allem Anderen versucht er jedoch das Buch „Onkel Joe“ des russischen Autors Anatoli Babakow in den USA verlegen zu lassen. Dies erweist sich als sehr schwierig und wieder einmal hat Harry es mit den Behörden zu tun und landet sogar im russischen Gefängnis.
Giles Barringtons politische Karriere ist geprägt von Skandalen und vielen Höhen und Tiefen. Eine Zeitlang scheint es, als müsse er seine politische Karriere ganz beenden. Da er aber beliebt und ein fähiger Politiker ist, landet er trotz allem immer wieder auf den Füßen und schafft es bis zum Leader of the Lords – dem Führer des Oberhauses. Privat ist er mit der Deutschen Karin Brandt liiert, die er heiratet. Es sieht so aus, als hätte er nach 2 gescheiterten Ehen endlich die Frau gefunden, mit der er glücklich wird. Aber Karin birgt ein dunkles Geheimnis, um das Harry weiß und ihn in einen inneren Konflikt stößt.
Sebastian Clifton macht Karriere. Nachdem Samantha ihn verlassen hat, arbeitet er teilweise exzessiv im Vorstand der Farthings Bank. Sein ärgster Feind Adrian Sloane erschleicht sich den Vorstandsvorsitz, doch schon bald kann Sebastian ihn mithilfe eines fremden Geschäftsmannes – Hakim Bishara – aus dem Unternehmen drängen. Bishara und Sebastian werden nicht nur Kollegen sondern auch Freunde, die sich vielen Problemen gegenüber sehen.
Privat hat Sebastian zunächst wenig Glück. Das indische Mädchen Priya Ghuman hat es ihm angetan, doch diese soll verheiratet werden. Bei dem Versuch, sie aus Indien zurück nach England zu entführen, wird Priya erschossen. In den USA hat er seine Ex-Verlobte Samantha und ihre gemeinsame Tochter Jessica ausfindig gemacht. Nach dem Tod von Sams Ehemann schafft es Jessica mit viel Witz, Intelligenz und Charme ihre Eltern wieder zu vereinen und diese sogar zur Hochzeit zu bewegen.
Virginia Fenwick entwickelt sich nachhaltig zu einer Intrigantin, die allen, die in ihrer Nähe sind, das Leben schwer macht. Stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht, nutzt sie jede Gelegenheit ihren ausschweifenden Lebensstil mit fremdem Geld zu finanzieren. Darüber hinaus verfolgt sie nach wie vor das Ziel Emma zu stürzen und Giles‘ Karriere zu ruinieren.
Meine Meinung:
Emma und Harry Clifton nehmen in diesem Teil des Buches deutlich weniger Platz ein, als in den 3 vorangegangenen Teilen. So manche Entwicklung in ihrem Leben wird zwar erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Das fand ich einige Male schade, weil ich glaube, dass dort noch mehr Geschichte hätte liegen können. Zum Beispiel wird Emma zu Giles‘ politischer Gegnerin, aber dies kommt überhaupt nicht weiter zum Tragen, obwohl hier sicherlich Interessenskonflikte zu erwarten gewesen wären.
Emma arbeitet viel und man fühlt mit ihr, aber offensichtlich hat sie endlose Energie, denn nie beklagt sie sich oder fällt aus. Aber die eigentliche Arbeit kommt in dieser Geschichte etwas kurz. Darüber hinaus hat jeder von uns auch schlechte Tage. Emma nicht! Man fühlt sich bisweilen etwas entfremdet. Bisher waren Emma und Harry die Hauptfiguren für mich, jetzt hat sich eine gewisse Distanz aufgebaut und ich hatte das Gefühl, als sollte ich an ihrem Leben nicht mehr so intensiv teilnehmen.
Über Harry erfahren wir diesmal wie er versucht das Buch „Onkel Joe“ in den USA verlegen zu lassen und mit welchen Schwierigkeiten er dabei konfrontiert wird. Allerdings erscheint mir dieser Handlungsstrang sehr weit hergeholt. Dass sich ein Mensch mit fotografischem Gedächtnis eine Liste mit Namen merken kann, ist für mich nachvollziehbar. Dass er sich ein ganzes Buch merken kann, welches er vom Autor in 3 Tagen erzählt bekam, und aus dem Kopf aufschreibt, halte ich aber doch für eher unglaubwürdig. Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, dass die Russen ihn ausgerechnet mit dem Autoren in eine Zelle setzen würden.
Kurz vor der Verleihung des Nobelpreises stirbt Babakow und bis zum Ende des Buches wird nicht klar, ob er wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist oder ob er umgebracht wurde. Ich könnte mir letzteres gut vorstellen. Jelena Babakowa nimmt den Nobelpreis stellvertretend für ihren Mann in Empfang und Harry hält eine Rede vor dem Publikum in Gedenken an Babakow. Diese Rede brachte mir mit ihrer Gefühlsgewalt eine Gänsehaut. Sie hat mich tief berührt und der letzte Satz dieser Rede wird mir wohl im Gedächtnis bleiben: „Die Feder ist stärker als das Schwert!“ Mit diesem Satz löste Harry auch und gerade im russischen Volk etwas aus. Wo immer er hinkam hielten Menschen in stummem Protest einen Stift in Höhe. Das erinnerte mich daran, dass gerade die stummen, immer wieder kehrenden Proteste es sind, die am Ende ihr Ziel erreichen.
Trotz aller Fiktion war diese Episode spannend beschrieben und ich habe mit Harry und Anatoli mitgefiebert, ob Harry es schafft.
Über das Privatleben von Harry und Emma erfährt man bedauerlicherweise nicht mehr viel. Konflikte scheint es in ihrer Beziehung nicht zu geben und als Leser stellt man sich die Frage, ob möglicherweise für Konflikte im Privaten gar keine Zeit mehr ist.
Maisie Clifton wird 70. Diese Gelegenheit nutzt der Autor um eine Rückblende auf die ersten Teile zu schreiben. Das gefiel mir ausgesprochen gut und ich fand sie am Anfang des Buches gut platziert. Mir hat dieser Rückblick geholfen mich zu erinnern, aber ich denke, für jemanden der die ersten Teile nicht gelesen hat, reicht sie nicht aus. Ich habe mich auch gefreut, überhaupt etwas von Maisie zu lesen. Sie war in den letzten beiden Teilen überhaupt nicht mehr präsent, obwohl ich diese Figur wegen ihrer Stärke wirklich mochte. Die Geburtstagsfeier ist überaus lebendig beschrieben, sodass der Leser das Murmeln der vielen Gespräche beinahe hören kann.
Später stirbt Maisie und ich habe mit Harry geweint und getrauert. Einmal mehr hat Jeffrey Archer nicht mit Gefühl gespart. Die bedrückte Stimmung war spürbar insbesondere durch die emotionale Rede, die Harry hält. Ich habe mich am Ende des Buches gefragt, ob Jeffrey Archer während seiner Zeit als Politiker auch solche Reden gehalten hat.
Giles Barringtons Karriere erfährt durch die Veröffentlichung des Briefes, der Emma zum Freispruch verhilft, zunächst einen Knick. Dennoch muss er der Politik nicht gänzlich den Rücken kehren. Dies hätte ich auch außerordentlich bedauert, denn er ist einerseits ein Sympathieträger und andererseits wäre er für Virginia Fenwick nicht mehr angreifbar. Er ist nicht frei von Skandalen, aber seinem Ruf schadet dies nie lange. Im Gegenteil, eben diese Vorfälle machen ihn menschlich und für den Leser glaubwürdig.
Einer seiner Skandale heißt Karin Brandt, eine junge Deutsche aus der DDR, die er bei einer Reise dorthin kennen- und lieben lernt. Dass die Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhen, habe ich lange bezweifelt. Karin ist Stasiagentin, die auf Giles angesetzt ist. Als Karin vom MI6 enttarnt wird, wird sie als Doppelagentin angeworben. Ein interessantes Katz- und Mausspiel beginnt, welches für meine Begriffe deutlich mehr Potential gehabt hätte. Leider erfährt der Leser zu wenig darüber. Gleichzeitig vertiefen sich ihre Gefühle für Giles und ich hätte mir gewünscht, dass Giles eines Tages hinter ihr Geheimnis kommt und ihr dennoch vergibt. Insgesamt hatte ich gehofft, dass dieser Handlungsstrang intensiver würde. Mich hätten die persönlichen Konflikte interessiert, die Karin mit sich und Giles gegenüber auszustehen hatte, wie sie sich immer wieder herauswindet um nicht ertappt zu werden usw. Auch habe ich mir immer die Frage gestellt, wie Karin überhaupt zur Stasi gekommen ist. Bis zum Ende bleiben die Verstrickungen von Stasi, MI6 und dem Premierminister unklar.
Sebastian Clifton ist inzwischen zum Mann gereift, der seine ganz eigenen persönlichen und beruflichen Schlachten zu schlagen hat. War er im letzten Teil noch sehr jung und in der Rolle des Rebellen zu finden, hat er sich jetzt zum Businessman entwickelt, der hart an seiner Karriere arbeitet. Er sieht sich den gleichen Feinden wie seine Mutter gegenüber und in Hakim Bishara findet er einen vertrauenswürdigen Mitstreiter und Freund. Interessant fand ich, wie die beiden sich kennenlernten und ich habe mich gefragt, ob beide oder zumindest einer von ihnen tatsächlich so viel Menschenkenntnis haben kann, wie notwendig gewesen sein muss. Zunächst ist die Figur Hakim Bishara nur eine Nebenrolle, die sich jedoch schnell zu einer Hauptfigur entwickelt, die sicherlich auch im nächsten Teil eine Rolle spielen dürfte.
Im Privaten geht es für Sebastian drunter und drüber. Nach der Trennung von Sam war er an einer neuen Beziehung nicht interessiert – bis Priya Guhman seinen Weg kreuzt. Und weil bei den Cliftons nie etwas glatt geht, soll Priya in Indien verheiratet werden. Sebastian versucht sie in einer nervenaufreibenden Aktion nach England zurück zu entführen. Eine wirklich tolle Szene bei der man einfach nur hofft, dass sein Plan aufgehen möge. Das Tempo steigert sich teilweise ins Unerträgliche und genau in dem Moment, in dem man meint, jetzt haben sie es geschafft, kommt der große Knall. Man bedauert Sebastian und hofft, dass er sich von diesem Fehlschlag wieder erholen möge. Mit dem Schusswechsel endet diese Szene. In der nächsten Perspektive ist Sebastian wieder wohlauf und einsatzfähig. Was in der Zwischenzeit passiert, bleibt unklar.
Sebastians Tochter Jessica hat offenbar die Empathie von Maisie und die Intelligenz der Clifton-Familie geerbt, denn sie ist es, die es schafft ihre Eltern unter schwierigen Umständen wieder zu vereinen. Auch hier sind die Abfolgen spritzig, mit Wortwitz und sehr viel Charme geschrieben. Das kleine Mädchen wird zum neuen Star des Buches und man möchte noch so viel mehr über sie wissen. Hier setze ich auf Teil 7.
Jedes gute Buch braucht seine Feinde. In diesem Fall sind dies Virginia Fenwick, Adrian Sloane und Desmond Mellor. Alle drei sind daran interessiert den Cliftons und Barringtons zu schaden – egal wie. Bei jeder neuen Intrige habe ich gedacht, ihr schafft das sowieso nicht. Ich muss gestehen, dass sich so etwas wie Schadenfreude breitmachte, wann immer ihr Plan nicht aufging. Als Mellor im Gefängnis landet, habe ich gedacht „das hast Du verdient“. Die Figur der Virginia Fenwick hat sich im Laufe der Zeit auch mehr und mehr zu einer Hauptrolle entwickelt und ich vermute, dass sie auch in Teil 7 weiter ihr Unwesen treibt – gerade jetzt, da sie an allen Fronten verloren hat. Jegliche Geldquellen, auf die sie dauerhaft gesetzt hatte, sind versiegt. Ein Grund mehr, dass sie keinen Grund hat, in Teil 7 klein beizugeben.
Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, dass Jeffrey Archer mit dem Stilmittel des offenen Endes arbeitet. In den Vorgängerromanen war dies nicht so präsent. Sowohl bei Dialogen, die mitten im Satz enden als auch in seinem Epilog. Während er bei Teil 1 bis 5 genau ein offenes Ende stehen ließ, bei dem er im nächsten Teil direkt ansetzte, hat er diesmal viele offene Enden gelassen. Ich bin sehr gespannt, wann und wie er diese vielen offenen Enden wieder aufnehmen will.
Eine Ungereimtheit, die sich aber vielleicht ebenfalls in Teil 7 klärt, ist die Frage, woher Giles plötzlich wusste, dass die Baroness Cynthia Forbes-Watson beim MI6 war. Bislang war er darüber nicht in Kenntnis und hat sich stets gefragt, welche Position sie einnimmt. Aber plötzlich im Epilog wusste er davon. Woher?
Jeffrey Archers eigene Biographie findet sich immer mal wieder in dieser Reihe. So dürfte er selbst die Vorlage für Giles Barringtons politische Karriere sein ebenso wie die für Harrys Schriftstellerei. Auch die Gefängnistagebücher aus einem früheren Teil entstammen seiner eigenen Vita. Im 6. Teil will Desmond Mellor durch Virginia Fenwick in den Adelsstand gehoben werden. Auch hier hat Archer ganz eigene Erfahrung und weiß mit Sicherheit, dass Virginia hier hätte gar nicht helfen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Hakim Bishara muss sich vor der Ethikkommission der Bank of England wegen Insidergeschäften verantworten. Auch diesen Vorwurf hat er selbst ertragen und vereitelt. Der Prozess gegen Emma wegen Verleumdung wird meiner Meinung nach auch auf dieses Konto gehen. Ich finde es spannend und interessant zu lesen, wie Menschen aus ihrem eigenen Leben einen solch schillernden Roman machen können. Es ist durchaus empfehlenswert sich auch einmal mit dem Menschen Jeffrey Archer zu befassen.
Fazit:
Das Buch hat mit seiner spritzigen Art meine Erwartungen erfüllt, auch wenn die Geschichte diesmal viel im Finanzwesen und in der Politik, dafür aber weniger im privaten Bereich der Familien Clifton und Barrington angesiedelt ist. Darüber hinaus findet sehr deutlich ein Generationenwechsel statt. Während der 3. bis 5. Teil von Emmas, Harry und Giles‘ Leben getragen wurden, steht diesmal eher Sebastian im Vordergrund. Die vermeintlichen Nebenfiguren nehmen mehr Platz ein, sodass sich die Geschichte aus dem Schoß der Familie nach außen verlagert.
Das Buch ist – ebenso wie seine Vorgänger - absolut lesenswert und der Schluss mit den vielen losen Enden macht Lust auf den 7. Teil. Wer die anderen Teile gelesen hat, wird dieses Buch mit ebenso viel Freude lesen. Wer die ersten Teile jedoch nicht kennt, sollte eher erst diese lesen, damit er die Zusammenhänge verstehen kann.
Da mir das eine oder andere Thema nicht ausführlich genug beschrieben ist, gibt es von mir 4 Sterne.