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Veröffentlicht am 29.03.2020

Was, wenn plötzlich ein Gerücht Dein Leben bestimmt?

Das Gerücht
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Das Buch:
Mir gefiel auf Anhieb die Grundidee der Geschichte, die hier erzählt werden soll. Ein Gerücht macht in einer kleinen Stadt die Runde. Wie werden sich jetzt deren Einwohner verhalten? Da jeder ...

Das Buch:
Mir gefiel auf Anhieb die Grundidee der Geschichte, die hier erzählt werden soll. Ein Gerücht macht in einer kleinen Stadt die Runde. Wie werden sich jetzt deren Einwohner verhalten? Da jeder von uns schon einmal mit einem (oder mehreren) Gerüchten in Berührung kam und davon mehr oder weniger selbst betroffen war, interessierte mich einfach, wie die Geschichte hier ihren Lauf nehmen würde.

Worum geht’s?
Joanna zieht mit ihrem Sohn Alfie zurück in ihre Heimatstadt Flinstead– eine kleine Stadt am Ufer des Meeres – weil sie hofft, dass Alfie sich hier besser zurecht findet, als im großen und wühligen London. Dafür gibt sie einen guten Job auf und gibt sich mit einer Stelle als Maklerin zufrieden. Eines Tages hört sie auf dem Schulhof von Alfies Schule ein schier unglaubliches Gerücht über eine Kindermörderin. Auch durch Joannas Schuld nimmt dieses Gerücht bald eine ungeahnte Größe an und die Einwohner der kleinen Stadt reagieren...

Die Charaktere:
Joanna ist eine liebenswerte, junge Frau, die sich um ihren Sohn Alfie sorgt. Manchmal erscheint sie vielleicht etwas übervorsichtig, aber im Großen und Ganzen kann ich sie schon verstehen. Damit Alfie glücklich sein kann, arrangiert sie sich mit dem Leben in der kleinen Stadt und ist immer wieder froh und dankbar dafür, dass sie nun wenigstens ihre Mutter in der Nähe weiß. Auch Alfie schätzt die Nähe zur Oma sehr.
Unglücklicherweise ist es für Alfie gar nicht so leicht, Freunde in der Schule zu finden und Joanna tut alles dafür, dass sich dies ändert. Dazu gehört auch, sich unterschiedlichen Gruppen wie z.B. der Babysitter-Gruppe oder dem ansässigen Buchclub anzuschließen. Die Mütter in der Babysitter-Gruppe haben ihre eigenen Regeln und wirken auf mich einigermaßen spießig und selbstverliebt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich Joanna dort besonders wohl fühlt, aber Alfie hat nun Freunde in der Schule...
In diesen Gruppen berichtet Joanna – aus unterschiedlichen Gründen – über das gehörte Gerücht und ziemlich schnell bereut sie dies, da es sich relativ schnell verbreitet und jeder, der es weiter erzählt, offenbar etwas hinzudichtet – ob es nun wahr ist oder nicht. Joanna ist im Grunde keine Klatschtante, weshalb ihr bald klar wird, dass es ein Fehler war, das Gerücht weiter zu tragen. Viel schlimmer finde ich aber zu sehen, wie schnell die Menschen in der kleinen Stadt bereit waren, mit dem Finger auf eine Person zu zeigen, nur weil sie sich anders benimmt als die anderen Einwohner der Stadt. Interessant fand ich auf jeden Fall, wie sehr Joanna darauf aus ist, mehr Informationen zu bekommen. Stundenlang sitzt sie vor dem Rechner und sucht.
Ich kann nicht sagen, dass mir besonders viele der Einwohner von Flinstead sympathisch wären. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass die meisten Fremden – und Joanna ist ja noch nicht einmal wirklich fremd – einfach nur ablehnend gegenüber stehen. Und so liegt meine Sympathie ganz eindeutig bei Joanna, die mit ihrem schwarzen Sohn ganz sicher eine Außenseiterin ist.

Michael – Alfies Vater – ist Journalist und als Joanna ihm von dem Gerücht erzählt, ist er sofort Feuer und Flamme. Er versucht heraus zu finden, was dahinter steckt, wie viel Wahrheit in diesem Gerücht steckt und es dauert gar nicht all zu lange, bis er und Joanna die doch ziemlich haarsträubende Wahrheit heraus finden. Michael ist ein recht sympathischer Typ, er kümmert sich um seinen Sohn und war nie wirklich weit weg, wenn Joanna ihn brauchte. Dass er im Laufe der Zeit beginnt Geheimnisse vor Joanna zu haben, hat ihn mir etwas zwielichtig erscheinen lassen, aber das legt sich bis zum Ende des Buches auch wieder. Dann nämlich behält er die Nerven.

Schreibstil:
Der Text ist in der ich-Form geschrieben und lässt sich angenehm leicht lesen. Die Autorin schreibt sehr anschaulich, sodass man sich die kleine Stadt und die Menschen darin gut vorstellen kann. Durch die gewählte Perspektive in der ich-Form fühlt man sich irgendwie näher in der Geschichte.

Es gelingt Kara immer wieder falsche Fährten zu legen, den Leser ins Grübeln zu bringen. Mehr als einmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich mir die Frage stellte: „Könnte sie es sein?“ und versucht habe, zu ergründen, ob ich mit den gelieferten Informationen ein sinniges Bild zusammen bringen könnte. Es macht Spaß, der Geschichte zu folgen und sich eben diese Fragen zu stellen.

Lässt man sich darauf ein, muss man sich allerdings auch beinahe zwangsläufig die Frage stellen, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Als Mutter eines schulpflichtigen Sohnes das Gerücht zu hören, dass in der Heimatstadt eine Kindermörderin leben soll, ist ja schon erst mal ein ziemlicher Schock. Aber würde ich mich wohl darauf verlassen, dass die Justiz ihren Job richtig gemacht hat oder würde ich fortan jeden verdächtigen, der auch nur im Ansatz ins Bild passen würde?

Mit den falschen Fährten gelingt es der Autorin also, dass der Leser auch über sein eigenes Verhalten nachdenken kann. Das gefällt mir ausgesprochen gut. Nicht zuletzt deswegen, weil einem die Geschichte so doch deutlich realer erscheint, es viel wahrscheinlicher erscheint, dass man selbst auch einmal in eine solche Situation geraten könnte.

Die Spannung im Roman hält die Autorin stets hoch, lediglich am Ende erscheint es so, dass die Autorin vielleicht etwas zu viel wollte. Mir war es nicht glaubwürdig genug, dass eben diese Charaktere, die sie auswählte, solche Abschlussaktionen hätten liefern können.
Zwischen den Kapiteln erfährt der Leser von der wirklichen Täterin hin und wieder kleine Berichte aus ihrem Leben, die vielleicht (kennt man die Auflösung, ist es ganz sicher so) auch Hinweise auf sie liefern. Diese Einschübe haben mir sehr gut gefallen und hätten aus meiner Sicht deutlich öfter kommen können. Ebenso die Zeitungsausschnitte, derer sich die Autorin bedient. Denn eben diese Elemente sind es, die die Täterin sehr gut beschreiben.

Die Auflösung erfolgt erst am Schluss in einer ziemlich emotionalen Szene, die mir gut gefallen hat. Bis dahin mag der Leser seine Verdachtsmomente haben, aber mit dieser Lösung hätte ich auf gar keinen Fall gerechnet. Nun sollte man glauben, alles ist klar. Aber der allerletzte Satz des Buches brachte mich dann doch wieder ins Grübeln. Ich glaube, die Autorin überlässt es hier dem Leser selbst, wem er was glauben möchte. Ein großartiger Abschluss des Buches!

Fazit:
Ein lesenswertes Buch für Zwischendurch, das sich die Auflösung bis zum Schluss aufspart, in dem der Leser miträtseln kann und über das er im Nachgang sicherlich auch noch nachdenkt. Eine sympathische Protagonistin mit einem leichten Hang zur Dramatik runden die Geschichte ab. 4 von 5 Sternen.

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.03.2020

Schöne Formulierungen, die zu wenig Geschichte erzählen

Die Glasschwestern
4

Das Buch:
Ich habe das Buch in einer Leserunde gelesen und bedanke mich für diese Möglichkeit bei der Autorin und dem Verlag. Das Cover zeigt ein diffuses Bild und erzeugt gewissermaßen Spannung und Interesse. ...

Das Buch:
Ich habe das Buch in einer Leserunde gelesen und bedanke mich für diese Möglichkeit bei der Autorin und dem Verlag. Das Cover zeigt ein diffuses Bild und erzeugt gewissermaßen Spannung und Interesse. Zusammen mit dem, was der Klappentext verspricht und einer doch sehr anregenden Leseprobe, habe ich eine gewisse Erwartung an das Buch entwickelt.

Worum geht’s?
Dunja und Saphie – Zwillinge – werden am gleichen Tag zu Witwen. Ein makabrer Zufall, der die beiden sehr unterschiedlichen Frauen wieder zueinander führt. Während Dunja bisher ein klassisches Familienleben mit Mann und Kindern in der Großstadt führte, lebte Saphie nur für das Hotel und ihren alkoholkranken Mann. Da Dunja in der Großstadt nichts mehr hält, bleibt sie bei Saphie im Hotel – eigentlich um ihr etwas unter die Arme zu greifen. Doch dann entwickeln sich die beiden Frauen – unerwartet und vielleicht auch ungewollt.

Die Charaktere:
Obwohl die Idee des Buches wirklich toll ist (makabrer Zufall, Wiederannäherung in der Familie, Geheimnisse aus der Vergangenheit usw.), konnte mich keiner der Charaktere wirklich berühren, was ich ausgesprochen schade finde. Es mag daran gelegen haben, dass die Charaktere außergewöhnlich extrem agieren. Augusta ist extrem laut, Jules extrem introvertiert, Dunja extrem dienstleistungsorientiert – in Bezug auf ihre Familie und Kinder; sie ordnet sich und ihre Bedürfnisse über die Maßen unter – Saphie ist extrem extrovertiert und lässt ihre Gefühle überhaupt nicht zu, Lenka – die jüngere Schwester der Zwillinge – ist extrem egoistisch.

So war es mir nahezu unmöglich einen wirklichen Zugang zu einer oder mehreren Figuren zu finden. Durch die extremen Verhaltensweisen erschienen sie mir etwas fern ab der Realität. Dass in einer Familie ein, höchstens zwei auffällige Charaktere vorkommen, ist nachvollziehbar – aber alle?

Was ich sehr interessant in Bezug auf die Charaktere finde, sind ihre sehr ungewöhnlichen Namen. Hier hat sich die Autorin viel Mühe gemacht, Vor- und Nachnamen zu finden, die nicht alltäglich sind. Und obwohl sie so ungewöhnlich sind, sind sie dennoch einprägsam.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin ist wundervoll. Sie findet eine herrlich bildliche Art Dinge zu beschreiben, ihnen bisweilen sogar menschliche Züge überzustreifen, sodass der Leser sich gut vorstellen kann, was sie meint. Auch dass sie Vergangenheit und Gegenwart einfach ineinander überfließen lässt, gefiel mir gut. Anfangs mag es ungewohnt sein, die Vermischung von Präsens und Präteritum zu lesen, aber im Laufe der Zeit machte eben diese Vermischung den Charme des Stils aus.

Jedes Kapitel ist mit einem Sprichwort überschrieben, für dessen Findung die Autorin sicherlich einiges an Zeit aufwenden musste. Diese Sprichworte passen inhaltlich zum Text des nachfolgenden Kapitels. Manche gefielen mir, andere nicht, aber die Idee hebt sich so wunderbar von anderen Büchern ab, die ich bisher gelesen habe.

Was mir fehlte:
Es gibt zwei wirklich gute Aufhänger, aus denen ich mir eine gewisse Spannung erhofft hatte. Zum einen der Tunnelbau und zum anderen der gläserne Mensch. Beide Themen verlaufen aber mehr oder weniger im Sand, ohne dass es eine tatsächliche Auflösung gibt. Das Geheimnis um die Geschichte des Tunnels wird für meine Begriffe recht plump einfach hingeworfen und der gläserne Mensch taucht irgendwann einfach nicht mehr auf.

Im letzten Drittel der Geschichte hatte ich immer öfter den Eindruck, dass sie länger geschrieben wurde, als sie hätte wirklich sein müssen. Auch die wundervollen Formulierungen wurden weniger, was ich sehr schade fand. Ich hätte mir mehr Tempo in der Geschichte gewünscht und eine spannendere Auflösung der Geschichte des Tunnels.

Fazit:
Die Idee der Geschichte hätte Potential gehabt. Leider liegt das Augenmerk der Autorin vornehmlich auf wundervollen Beschreibungen. So bleiben die Spannung der Geschichte und die Sympathie der Charaktere für mich zu sehr auf der Strecke. Wer Bücher mag, die beschreiben, wird hier seine wahre Freude haben, wer aber eine Geschichte an der deutsch-deutschen Grenze erwartet, sollte lieber nicht zugreifen. 2,5 Sterne.

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  • Cover
  • Charaktere
  • Geschichte
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 11.03.2020

Wie sehr beeinflusst die Hautfarbe unsere Denkweise wirklich?

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
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Das Buch:
Nach der Leseprobe und dem Klappentext habe ich dieses Buch recht spontan in einer Riege mit dem Film „American History X“ gesehen. Und tatsächlich lassen sich hier gewisse Parallelen erkennen. ...

Das Buch:
Nach der Leseprobe und dem Klappentext habe ich dieses Buch recht spontan in einer Riege mit dem Film „American History X“ gesehen. Und tatsächlich lassen sich hier gewisse Parallelen erkennen. In jedem Fall ist dieses Buch absolut lesenswert und man stellt sich unweigerlich selbst viele Fragen. Selbst längere Zeit nachdem ich das Buch beendet hatte, denke ich noch darüber nach und reflektiere das Gelesene. Das schaffen nicht viele Bücher.

Worum geht’s?
Der 17jährige Jessup ist ein begnadeter Footballspieler, hat eine Freundin und ist ein guter Schüler. Er träumt davon zu studieren und eine Football-Karriere zu machen. Nach einem wichtigen Play-off-Spiel, welches Jessups Mannschaft gewann, weil er einen klugen Spielzug tat, greift ihn ein Spieler der gegnerischen Mannschaft an. Und dann passiert ein Unfall… Was daraus wird, ist zunächst kaum zu erahnen und doch passiert es.

Meine Meinung:
Oberflächlich betrachtet könnte alles ganz einfach sein. Jessup entstammt einer Familie, die Mitglied in der Heiligen Kirche des weißen Amerika ist, Vater und Bruder haben eindeutige Tattoos und sitzen im Knast, weil sie zwei schwarze Studenten töteten. Also gehört Jessup eindeutig in diese Schublade. Aber ist das wirklich so? Und ist es wirklich so, dass Menschen ihre Einstellungen niemals ändern?
Die Situation, die Vater und Bruder in den Knast brachte, wurde mit den Worten kommentiert Zitat S. 45 „… wenn die Studenten weiß gewesen wären, hätte man die Sache als Notwehr betrachten können, …“
Muss man sich dann nicht die Frage stellen, warum es das nicht wurde, weil die Studenten schwarz waren?

Ich habe über die Länge des Buches mit Jessup und David John, Jessups Stiefvater, gebangt, ich fühlte die Ungerechtigkeit, die Jessup fühlen musste, als er von Corson provoziert und angegriffen wurde. Jessup hat sich noch nicht einmal provozieren lassen und trotzdem geschieht dieser furchtbare Unfall. Das Gefühl, das ich beim Lesen hatte lautete: Es ist einfach nicht richtig! Und so schreibt der Autor auch Zitat S. 120 „Er weiß, er hat nichts Unrechtes getan, aber darum geht es nicht…“ – Aber worum dann?

Der Autor bringt den Leser dazu nachzudenken, die anfänglichen Vorurteile abzulegen und hinter die Kulissen zu schauen, das Ganze zu betrachten. Ich habe mich irgendwann gefragt, wie würde es sich eigentlich anfühlen, wenn die Geschichte bliebe, wie sie ist und sich nur die Hautfarben änderten. Jessup wäre schwarz und Corson weiß. Wie würde man die Geschichte dann wahrnehmen und wäre es dann immer noch so einfach zu sagen, Jessups Familie besteht aus Rassisten?

Die Art zu Schreiben wie es Alexi Zentner tut, ist großartig. Kurze Kapitel, teilweise kurze, sehr einfache Sätze, manchmal sogar nur Halbsätze. Dadurch entstehen ein irres Tempo in der Geschichte und eine enorme Eindringlichkeit mit der er die Geschehnisse darlegt. An keiner Stelle wird die Handlung der Figuren bewertet – er als Autor überlässt es dem Leser zu 100% sich eine Meinung zu bilden, wen er mag und wen nicht. Diesen Umstand habe ich sehr zu schätzen gewusst.

Mit seinem Text hat Zentner bei mir eine enorme Ambivalenz in Bezug auf die Charaktere ausgelöst. Es ist nicht ganz so einfach, wie man noch am Anfang der Geschichte annehmen möchte. Es gehört einfach zu viel dazu. Es gab nur eine Figur, die ich wirklich von Anfang bis Ende verabscheut habe – Brandon Rogers. Er tat das, was all die Aufrührer, Anstifter, Diktatoren vor ihm taten: Er zeigte mit dem Finger auf jemanden und versuchte eine Situation zu seinem Vorteil zu nutzen. Und es gab genügend Menschen, die ihm folgten, weil sie nicht selbst überlegten.

Der Autor legt hier ein Buch vor, dessen Aussage auf so viele Situationen in der heutigen Zeit übertragbar ist. Er zeigt einerseits, wie wichtig es ist selbst zu denken und andererseits, wie einfach es auch heute noch ist, Menschen zu beeinflussen. In seiner Geschichte liefert er nicht unbedingt etwas furchtbar Neues – ich schätze jeder hat schon eine dieser Geschichten gelesen oder im Fernsehen gesehen – aber er verpackt es in ein beeindruckendes Gewand!

Fazit:
Ich glaube, dieses Buch wird polarisieren. Ich hoffe, dass viele Menschen es lesen und darüber nachdenken, vielleicht miteinander diskutieren. Ich werde es definitiv weiter empfehlen und ich bin dankbar, dass ich es lesen durfte! Die 5 Sterne sind mehr als verdient!

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Veröffentlicht am 16.02.2020

Ist es wirklich nur ein Schulprojekt?

Staat X
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Das Buch:
Dass dieses Buch gewisse Parallelen zum Buch „Die Welle“ haben würde, war mir klar bevor ich die erste Seite aufschlug. Und ja, das Prinzip ist sicherlich vergleichbar, aber dennoch ist dieses ...

Das Buch:
Dass dieses Buch gewisse Parallelen zum Buch „Die Welle“ haben würde, war mir klar bevor ich die erste Seite aufschlug. Und ja, das Prinzip ist sicherlich vergleichbar, aber dennoch ist dieses Buch ein Eigenständiges und absolut lesenswert. Abgesehen davon ist die Quintessenz aus dem Projekt in der heutigen Zeit aktueller denn je und stimmte mich, nachdem ich die Buchdeckel zugeklappt hatte, sehr nachdenklich.

Die Geschichte wird aus 4 unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt – und enthält zudem Kapitel, die Allgemeines zu Staat X enthalten. Die Kapitel sind jeweils entsprechend überschrieben, sodass eine Orientierung für den Leser zu jeder Zeit möglich ist.

Worum geht’s?
Auf dem Johannes-Gutenberg-Gymnasium wird das Projekt „Staat X“ gestartet. Zwei Jahre lang wurde dieses Projekt von den Schülern selbst vorbereitet. Es gibt Geschäfte, eine eigene Währung, Steuern, Personalausweise und natürlich die notwendigen Ämter in Politik, Wirtschaft und Justiz. Bis auf den Präsidenten sind diese Ämter bereits besetzt. Das Amt des Präsidenten wird per Wahl vergeben. Die Schüler des Gymnasiums werden eine Woche lang ihren eigenen Staat führen – ohne Einmischung der Lehrer. Relativ schnell nehmen Manipulation und Intrigen ihren Lauf und das Projekt entwickelt sich in eine Richtung, die so ganz sicher nicht gewollt war.

Charaktere:
Hauptsächlich wird die Geschichte aus der Sicht von Adrian (Polizeipräsident), Lara (Journalistin), Vincent (Polizist) und Melina (Inhaberin der Büchereule) erzählt. Während Lara aus einem relativ behüteten Elternhaus stammt, jedoch ständig umziehen musste, haben die anderen drei Charaktere schwere, persönliche Päckchen mit sich zu tragen. Bereits nach dem Lesen der ersten Kapitel bauten sich in mir die ersten Fragen auf, wie diese Jugendlichen in einem Projekt wie „Staat X“ bestehen werden. Damit gelingt der Autorin ein wunderbarer Einstieg in ihre Geschichte und bindet den Leser an sie.

Auch schafft Carolin Wahl es sehr zügig Sympathie und Antipathie zu erzeugen. Erste Konflikte, deren Ursprünge dem Leser unbekannt sind, werfen weitere Fragen auf und das Verhalten der unterschiedlichen – noch unbekannten Schüler – wecken die uneingeschränkte Neugier auf den Rest der Geschichte.

Wahls Charaktere entwickeln sich teilweise überraschend anders, als der Leser es anfänglich vermuten würde. Da sie am Anfang recht genau beschreibt, wie ihre Hauptfiguren leben und aufgewachsen sind, was sie mögen und vor allem, was sie nicht mögen, bildet man sich als Leser recht schnell eine Meinung – oder jedenfalls ging es mir so. Deshalb erstaunt es dann zu einem späteren Zeitpunkt, welche Charaktereigenschaften nun plötzlich präsent sind. Dies betrifft im Übrigen positive wie negative Eigenschaften. Der Gedanke „Das hätte ich ihm (oder ihr) gar nicht zugetraut“ wurde mein ständiger Begleiter. Auch kam meine Sympathie für den einen oder anderen Charakter stark ins Wanken! Hätte es dieses Ende nicht gegeben, hätte ich meine Meinung vom Anfang diesbezüglich sicherlich revidiert.

Eine sehr zentrale Frage stellte sich bei mir nach etwa 2 Dritteln des Buches ein: Glauben die wirklich, dass das nach Ablauf des Projektes keine Konsequenzen hat? Immerhin war dieses Projekt auf eine Woche begrenzt. Aber es gab Figuren, die erschienen wie im Wahn, fühlten sich offenbar unantastbar und taten Dinge, die in einem Rechtsstaat nichts verloren haben. Die Konsequenzen folgten aber selbstverständlich!

Schreibstil:
Die Autorin überzeugt mit einem jugendlichen Schreibstil. Ihre Formulierungen passen perfekt in die Welt eines Gymnasiums, wie ich finde. Gestelztes Deutsch – Fehlanzeige. Eher gibt es auch mal eine Formulierung wie „Fresse polieren“. Eben so wie Jugendliche miteinander sprechen würden. Das gefiel mir ausgesprochen gut, alles andere wäre weniger authentisch gewesen.

Auf der anderen Seite bedient sie sich Formulierungen, die das Umfeld des Projektes bildhaft vor dem inneren Auge des Lesers auferstehen lassen. Die gekonnte Nutzung von Vergleichen und Adjektiven ohne sich in Details zu verlieren machen die Geschichte lebendig. Zitat S. 63 „Jetzt blätterte sein Innerstes ab wie die Konturen der Abziehbildchen nach dem Duschen.“

Auch die Veränderung der Persönlichkeiten stellt sie mithilfe toller Formulierungen dar, sodass beim Leser kein Zweifel bleibt, was sie sagen will. Sie schafft es auch dem Leser ein Gefühl zu vermitteln, was in den Figuren selbst vor sich geht und wie sie von ihrer Umwelt wahrgenommen werden. Ich mochte diese unterschiedlichen Blickwinkel sehr. Mal schaut man von innen nach außen und dann wieder von außen nach innen. So kann man das Verständnis oder auch Unverständnis der Charaktere für sich selbst und die Anderen besser verstehen.

Was mir am Ende aber doch fehlte:
Ich habe mich während des Lesens gefragt, worauf das Projekt „Staat X“ basierte, warum die Schüler es ins Leben gerufen haben. Leider wird der Vorlauf zu dem Projekt gar nicht erwähnt. Das ist ein bisschen schade, denn dann hätte man vielleicht auch verstanden, weshalb die Lehrer sich so völlig zurückgezogen haben, obwohl ja durchaus damit zu rechnen war, dass sich ein solches Projekt auch unangenehm verselbständigen kann.

Von Anfang an hegt Johanna eine tiefe Abneigung gegen Adrian. Warum das so ist, wird aber nicht erzählt. Da beide als Präsident des Staates kandidiert haben, wäre es vielleicht schon interessant gewesen zu wissen, woher dieser Konflikt rührt. Ganz offensichtlich hat Johanna viel Herzblut in das Projekt gesteckt, während Adrian eher Nutznießer ist. Weshalb hat er sich also überhaupt zur Präsidentenwahl gestellt?

Stephan, der ursprüngliche Polizeipräsident, hat Lara Insiderinformationen darüber zugespielt, warum er von seinem Amt zurück trat. Ich fand es ein bisschen schade, dass dies nur sehr kurz erwähnt wurde. Hier hätte ich mir mehr Aufklärung zu den politischen Machenschaften hinter den Kulissen gewünscht. Immerhin waren ihre Recherchen ja der Grund, warum Lara von den Polizisten angegriffen wurde.

Fazit:
Man muss dieses Buch sacken lassen! Ich war am Ende weit davon entfernt, irgendeinen der Schüler für sein Verhalten zu verurteilen, denn man muss sich zwingend die Frage stellen: „Was hätte ich vielleicht getan?“. Können wir uns zweifelsfrei davon distanzieren, in einem solchen Strudel der Macht zu eben diesen Mitteln zu greifen? Ich glaube nicht. Ein tolles Buch! Da ich am Ende aber doch zu viele Fragen hatte, gebe ich 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 16.02.2020

Die Nebelinseln, die sich nicht suchen, mit etwas Glück aber finden lassen.

Snöfrid aus dem Wiesental (2). Die ganz und gar abenteuerliche Reise zu den Nebelinseln
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Das Buch:
Wer im ersten Teil bemerkt hat, dass er den Snöfrid mag, der wird diesen Teil ganz sicher lesen. Schließlich weiß er dann, dass der Snöfrid ein liebenswerter kleiner Bursche ist, mit dem man ...

Das Buch:
Wer im ersten Teil bemerkt hat, dass er den Snöfrid mag, der wird diesen Teil ganz sicher lesen. Schließlich weiß er dann, dass der Snöfrid ein liebenswerter kleiner Bursche ist, mit dem man durchaus einmal mehr auf die Reise gehen kann. Wer den ersten Teil nicht gelesen hat, kann aber trotzdem getrost mit diesem hier beginnen, da die Geschichten in sich abgeschlossen sind.
Das Buch besteht aus 30 Kapiteln, von denen jedes mit der schon aus dem ersten Teil bekannten Zusammenfassung überschrieben ist, die neugierig auf das Kapitel macht.

Worum geht’s?
Eigentlich mag ein Snöfrid Ruhe. Aufregung und Abenteuer sind so gar nicht seins. Aber dieses Jahr wacht der Snöfrid nach dem Winter mit einem seltsamen Gefühl auf, welches er als Fernweh erkennt. Und obwohl er doch eigentlich nur Holz sammeln will, um sich seinen geliebten Haferbrei zu kochen, schließt er seine Höhle ab (was er sonst nie macht), nimmt Proviant mit (was er sonst nie macht) und macht sich auf den Weg… nur ein Stück weiter als sonst. Und schon ist er mitten drin in seinem nächsten Abenteuer, denn da wird jemand gebraucht, der einen anderen davor rettet zu versinken. Aber wen?

Charaktere:
Der Snöfrid ist ein wortkarger Geselle. „Mh…“ ist sein am häufigsten gebrauchtes Wort und gleichzeitig auch Satz und Rede. Damit ist einfach alles gesagt – zumindest meistens und als Leser der Geschichte kann man nur froh sein, dass der Autor den Snöfrid besser kennt als alle anderen und tatsächlich immer weiß, was der Snöfrid sagen will. Mich hat es wieder ein ums andere Mal zum Schmunzeln gebracht – zumal auch ziemlich viele andere Figuren in der Geschichte wissen, was ein Snöfrid sagen will, wenn er „Mh…“ sagt.

Unterwegs trifft er die unterschiedlichsten Wesen – einige sind ihm wohlgesonnen, andere nicht. Aber insbesondere Björn – der wunderkleine Kauz – wächst dem Snöfrid ans Herz. Er wird sein Freund! Ich finde es schön zu beobachten, wie der Snöfrid im Laufe der Geschichte immer mehr seiner EIGENTLICH doch so fest verankerten Eigenschaften ablegt, etwas Neues wagt. Ein Snöfrid ist also mutig.

Und klug ist er auch! Aus jeder Situation, in die er und Björn hinein purzeln, kommen sie auch wieder heraus. Sie sind gewitzt und sie halten zusammen. Damit ist dies auch ein Buch über ihre Freundschaft.

Schreibstil:
Andreas H. Schmachtl besticht einmal mehr durch seinen ganz eigenen Schreibstil. Er erzählt diese Geschichte dem Leser just in dem Moment, in dem sie gelesen wird. Er versetzt den kleinen und großen Leser in den Glauben, dass die Geschichte gerade jetzt in diesem Moment passiert – als wären sie mit dem Snöfrid gemeinsam unterwegs. Mir gefällt diese Art des Erzählens, sie macht neugierig und erzählt vor allem die Geschichte nicht so, als wisse der Erzähler bereits alles.

Darüber hinaus verpackt der Autor gekonnt ganz reale Begebenheiten in seiner Geschichte. Aber er erklärt sie nicht oberlehrerhaft, sondern er formuliert sie so, dass man darüber nachdenkt und vielleicht einfach beim nächsten Mal darauf achtet. Zitat S. 19 „… und flogen dabei in der für Gänse typischen Keilform. Womöglich habt ihr das schon einmal gesehen?“ Er gibt so Denkanstöße, ohne dem Leser das Gefühl zu geben, dass ihm etwas fehlen würde, wenn er es nicht weiß. Auf diese Art und Weise verpackt er viele Dinge in diesem Buch z.B. erklärt er, wie der Snöfrid erkennt, dass er im Moor unterwegs ist. Das Thema Umwelt scheint dem Autor in diesem Fall generell besonders am Herzen zu liegen und so lässt er die sehr alte, sehr weise Greta den Satz sagen Zitat S. 200 „… Aber behandeln wir die Nebelinseln gut, dann leben wir wie im Paradies.“

Wie im Vorgängerband konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass ein anderes Buch für den einen oder anderen Aspekt Pate gestanden haben könnte. Diesmal habe ich Terry Pratchet gefunden. Wie oder wo… das müsst ihr schon selbst herausfinden.

Immer wieder fasziniert es mich, wie der Autor es schafft Längen in der Geschichte zu verhindern. Wann immer die Geschichte langatmig zu werden droht, baut er geschickt Formulierungen ein um direkt in der Handlung weiter zu kommen z.B. Zitat „… Darum wollen wir sie dabei nicht stören…“ Ich mag das, denn nichts ist schlimmer, als wenn eine Kindergeschichte zu langwierig ist.

Illustrationen:
Die Bilder im Buch sind einfach schön! Sie überlagen den Text nicht und lenken deshalb nicht übermäßig ab. Jedoch sind sie treffend gesetzt, sodass sich der kleine und der große Leser einen guten Eindruck verschaffen können, welche Wesen der Autor gesehen haben mag. Darüber hinaus finden sich Illustrationen, die zum Vorgänger und Nachfolger identisch sind und somit zu einem Wiedererkennungswert der Bücher beitragen. Ich mag es, wenn man Reihen von Büchern auch optisch erkennt!

Eignung für Kinder:
Ich halte das Buch absolut geeignet für Kinder. Zunächst zum Vorlesen und später durchaus zum selbst lesen. Allerdings könnte einen sehr jungen Leser der Umfang etwas einschüchtern, weshalb Erstleser vielleicht noch Unterstützung benötigen. Spätestens ab dem 3. Lesejahr sollte das aber alles gar kein Problem mehr sein – zumal die Geschichte so geschrieben ist, dass man immer weiter lesen möchte.

Fazit:
Wenn man es wollte, könnte man in diesem Buch ganz sicher lauter wertvolle Dinge finden, die man Kindern mit auf den Weg geben möchte. Aber viel wichtiger finde ich, dass der Autor es schafft, eben diese wichtigen Dinge liebevoll in seine Geschichte zu packen und Groß und Klein in der Geschichte zu halten. Ein großartiges Buch! 5 von 5 Sternen

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