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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.09.2020

Mit allzu breitem Pinselstrich

Der falsche Preuße
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Was zunächst sich als eine vielversprechende Melange präsentiert, erweist sich nur allzu bald als ärgerlich. Die Grundingredienzien, ein hochrangiger Polizist in fremden Gewässern sowie eine bizarre Persönlichkeit, ...

Was zunächst sich als eine vielversprechende Melange präsentiert, erweist sich nur allzu bald als ärgerlich. Die Grundingredienzien, ein hochrangiger Polizist in fremden Gewässern sowie eine bizarre Persönlichkeit, die den Prototyp eines Self-Made-Man der Gründerjahre abgibt, bieten eigentlich interessante und ungewöhnliche Voraussetzungen für einen anregenden historischen Kriminalroman. Doch es geht einfach mit der Autorin durch: Der im Zentrum stehende bizarre Mordfall wird erstickt in einem Wust landeskundlicher Informationen über eine deutsche Großstadt, die von jeher als schillernde Metropole gilt. Der eigentliche Schauplatz des Verbrechens dient als Bühne für eine überbordende Fabulierlust. Der Ehrgeiz, witzig und stilistisch apart zu formulieren, lässt etliche handfeste Stilblüten durchgehen. Schade, dass ein ambitionierter Entwurf in letzter Konsequenz misslingt, weil keinerlei Erzählökonomie den Stoff bändigt.

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Veröffentlicht am 03.09.2020

Ein letzter Blick

Der letzte Satz
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Ein neuer Seethaler, diesmal nicht mit der Hauptfigur eines scheinbar bedeutungslosen Menschen wie etwa der Trafikant oder Andreas Eggers, sondern mit einer realen Persönlichkeit der vorletzten Jahrhundertwende. ...

Ein neuer Seethaler, diesmal nicht mit der Hauptfigur eines scheinbar bedeutungslosen Menschen wie etwa der Trafikant oder Andreas Eggers, sondern mit einer realen Persönlichkeit der vorletzten Jahrhundertwende.

Der Autor begleitet den sterbenskranken Gustav Mahler auf seiner letzten Seereise auf dem Rückweg von New York. Der uralte Topos des 'vita navigatio' kommt zur Anwendung, denn die Tage auf See lassen die Biographie des Musik-Titanen Revue passieren. Es wird deutlich, dass Siege und Niederlagen sich durchaus die Waage halten: anerkannt, respektiert, bewundert als genialer Komponist und Dirigent, aber lange Zeit angefeindet wegen seiner jüdischen Herkunft, gefangen in seiner Verfallenheit an seine Ehefrau Alma, die sich bereits zu seinen Lebzeiten von ihm abwendet, von schwächlichster physischer Konstitution, die er durch seine übermenschliche Willenskraft zu kompensieren weiß.

Die einzelnen Aspekte dieses Lebens kommen in Seethalers Roman jedoch höchst unterschiedlich zum Tragen. Während Almas dämonische Natur, in der Realität jedem Kenner der Biographie vertraut, hier nur sehr abgeschwächt, blass repräsentiert wird, sind die Darstellungen von Mahlers Schaffensrausch, die eigentümliche Umsetzung von Naturerleben in Musik, von betörender sprachlicher Intensität.

Seethaler verdeutlicht die Befindlichkeit des Komponisten durch eine Vielzahl von Symbolen. Ein altes Dirigierpult, ein Wanderstock, die fliegenden Fische, der fiktive weiße Vogel, der auf Mahlers Sterben hinweist - die Darstellung, die Beschreibung ist zumeist von bestechender Genauigkeit.

Ein weiterer Kunstgriff, der nur überzeugend genannt werden kann, ist die Gegenüberstellung des zutiefst reflektierten Musikers mit dem allein seiner spontanen Menschlichkeit verpflichteten Schiffsjungen: anders als die übrige Umwelt, die im Umgang mit Mahler von den eigenen Ansprüchen nicht Abstand nehmen wollen, ist der Junge in der Lange, dem Kranken vollkommen offen gegenüberzutreten, sich wirklich auf ihn und seine Bedürfnisse einzulassen. Durch den Schluss des Romans wird deutlich, dass diese Begegnung auf den jungen Seemann einen tiefen Eindruck hinterlassen hat.

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Veröffentlicht am 24.08.2020

Wagemutiges Debüt

Schwarzpulver
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Die Autorin versteht ihr Handwerk, auch wenn sie gerade nicht den perfekten Roman abliefert, der alle Leser zufrieden stellt. Aber es nimmt für Laura Lichtblau ein, wie hingebungsvoll sie sich der Gestaltung ...

Die Autorin versteht ihr Handwerk, auch wenn sie gerade nicht den perfekten Roman abliefert, der alle Leser zufrieden stellt. Aber es nimmt für Laura Lichtblau ein, wie hingebungsvoll sie sich der Gestaltung ihres Debütromans widmet.
Das beginnt schon mit der Aufstellung der drei Hauptfiguren.
Da ist einmal Burschi, das Landei, ein bayrisches Urviech, das mit männlich konnotiertem Kosenamen seinen Weg durch die kalte Hauptstadt eines nicht nur temperaturmäßig kalten Deutschland sucht. Ihre abweichende sexuelle Orientierung macht sie in diesem normengläubigen, - ja -hörigen Land von vornherein verdächtig. Diesem Solitär von Protagonistin gegenübergestellt ist das symbiotisch verbandelte Mutter-und-Sohn-Gespann Charlotte und Charlie, deren Namensgleichklang ungutes Zeugnis ablegt von der ungesunden Bindung, die die Mutter um jeden Preis aufrecht zu erhalten sucht, während der Sohn sein Heil in neuen sozialen Bezügen zu finden hofft.
Zweites Indiz für Lichtblaus Könnerschaft ist ihre Gestaltung des Schauplatzes. Ganz allmählich nur entpuppt sich Berlin als Szenario eines autokratisch geführten Staatsgebildes, rechts und faschistisch, bejaht und unterstützt von Bürgern, die offenkundig ihren Glauben an Freiheit und Demokratie verloren haben. Symptomatisch für dieses System ist die von Lichtblau erdachte Institution der militanten Bürgerwehr, aus deren Fängen sich die Scharfschützin Charlotte nur durch die Flucht in die Paranoia zu befreien vermag.
Ein drittes Moment für das von der Autorin inszenierte Vexierspiel ist die Wahl der Zeit, in der die Ereignisse des Romans ablaufen. Es sind die Rauhnächte, die Twelfth Night zwischen Weihnachten und Epiphanias, im Volksglauben eine Zeit der Magie, des Ungeheuren, des Bedrohlichen, die aber die Hauptfiguren gleichsam in einen Kokon einspinnt, in dem jede einzelne Figur Gewissheit über sein Außenseitertum in dieser totalitären Gesellschaft erlangt.
Ihren ganz persönlichen Stempel drückt die Autorin ihrem Werk durch ihre Sprachgestaltung auf. So fallen einmal die ungemein poetischen Formulierungen ins Auge, gelegentlich übermäßig gesucht und überzogen, doch immer eigenständig und originell. Lichtblaus Darstellung erhält so einen unwirklichen, geradezu märchenhaften Ton. Dagegen kontrastiert eine klare knappe Begrifflichkeit, wenn die Mechanismen dieses Staatswesens gekennzeichnet werden. Und zu guter letzt brilliert sie mit einem ungeheuren Witz, einer erfrischenden Schnoddrigkeit, die sie ihren Figuren in den Mund legt.
Laura Lichtblau legt mit „Schwarzpulver“ ein vielversprechendere, facettenreiches Debüt vor, dessen begrenzter Umfang den Leser nie ermüdet, sondern kaleidoskopartig einen ersten Eindruck von den Talenten dieser Autorin vermittelt.

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Veröffentlicht am 14.08.2020

Ehrgeiziges Debüt

Zugvögel
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Charlotte McConaghy hat sich viel vorgenommen.
Ihr Engagement für Natur und Umwelt dürfte mit Fug und Recht als Zentralpunkt ihres literarischen Debüts ausgemacht werden. Befremdend ist in diesem Kontext ...

Charlotte McConaghy hat sich viel vorgenommen.
Ihr Engagement für Natur und Umwelt dürfte mit Fug und Recht als Zentralpunkt ihres literarischen Debüts ausgemacht werden. Befremdend ist in diesem Kontext allerdings, dass die Autorin vollkommen ohne politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Bezüge auskommt. Alle Personen verbleiben in diesem Roman bei einem ganz allgemeinen Beklagen einer zerstörten Umwelt, dem Verschwinden der meisten Gattungen von Wildtieren. Sogar die als Wissenschaftler bezeichneten Figuren, allen voran Frannys Ehemann Niall, beschränken sich auf ein übermäßig emotionales Lamento.
In direktem Zusammenhang mit diesem Umweltthema ist die Gestaltung des Textes als Abenteuerroman anzusehen. Die Reise, die tatsächlich von der Arktis in die Antarktis führt, lässt vermuten, dass McConaghy sich an keinem geringeren literarischen Vorbild als Melvilles Moby Dick orientiert, auch wenn man Frannys unbedingte Willenskraft in der Verfolgung ihres Zieles in Rechnung stellt.
Des Weiteren lässt sich konstatieren, dass die Autorin entscheidende Anleihen beim englischsprachigen Schicksalsroman des 19. Jahrhunderts gemacht hat. Durch eine geschickte Konstruktion von gestaffelten Rückblenden erschließt sich dem Leser nach und nach das ganze Ausmaß der Unglücksfälle, die Frannys Schicksal bestimmen. Eine Prise folkloristischer keltischer Mythen ist da durchaus passend. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die unterschiedliche Prägnanz der Figurencharakterisierung. Während Franny und einige Besatzungsmitglieder der Saghani in ihrer ganzen Getriebenheit sehr plastisch gestaltet sind, bleibt ein Großteil des Personals, allen voran Frannys Lebensmensch Niall, seltsam blass und geradezu widersprüchlich in der Charakterzeichnung.
Am Rande sei ausgesprochen kritisch angemerkt, wie demonstrativ die Übersetzerin ihre political correctness vor sich herträgt. Gendergerecht von den ‚Studierenden‘ in Nialls Lehrberanstaltungen zu sprechen, oder noch alberner, auf ‚Lebenspartner und -partnerinnen‘ zu rekurrieren, verrät ein ängstliche Verhaftung an den Zeitgeist, die ein Unvermögen dokumentiert, den Ansprüchen der literarischen Vorlage gerecht zu werden.
Fazit: eine spannende Lektüre, deren Defizite aber trotzdem das Potential der Autorin unterstreichen und auf eine Weiterentwicklung hoffen lassen.

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Veröffentlicht am 24.07.2020

Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert - im Roman

Die Marschallin
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Zora del Buono legt mit ihrem letzten Werk einen eigenartigen literarischen Zwitter vor, der dem Leser vielfältige Bemühungen bei der Lektüre abverlangt. Zunächst erscheint das Buch als Familienroman von ...

Zora del Buono legt mit ihrem letzten Werk einen eigenartigen literarischen Zwitter vor, der dem Leser vielfältige Bemühungen bei der Lektüre abverlangt. Zunächst erscheint das Buch als Familienroman von der tumultuösen südeuropäischen Provenienz. Die handelnden Personen sind zahlreich, ihre Beziehungen zueinander verschlungen, die Aufstellung der auftretenden Figuren am Anfang des Buches hilfreich.
Sodann präsentiert sich der Roman als Frauenportrait, die Autorin will ihrer Großmutter, deren Namen sie sogar trägt, ein Denkmal setzen. Doch dieses Unternehmen ist nur bedingt erfolgreich. Zwar werden dieser Frau eindrückliche, auch durchaus kontrovers einzuschätzende Charakterzüge zugeschrieben, aber die Eigenwilligkeit Zoras, ihr Durchsetzungsvermögen und ihr gänzlicher Unwille, Kompromisse einzugehen, werden allenfalls nur behauptet. Die stilistische Gestaltung dieses Romans zeichnet sich durch äußerste Nüchternheit aus, eine so unbeteiligt wirkende Sprache ist nicht geeignet, psychische Entwicklungen, seelische Dispositionen zu verdeutlichen. Höchst unvermittelt schwenkt der Roman kurz vor Schluss noch ins Krimigenre ab. Die Heldin wird mittelbar in einen Raubüberfall verwickelt, der als Begründung herhalten muss, dass von dem Augenblick das Schicksal der Heldin und ihrer Familie sich zur Tragödie wandelt. Aber diese Wendung ist ohne jede Balance in das Geschehen eingefügt. Aus heiterem Himmel sieht sich der Leser mit dem Verbrechen konfrontiert, und die Konsequenzen präsentieren sich als eine Schlag auf Schlag ablaufende Abfolge von Unglücksfällen, die die Zahl der auftretenden Personen drastisch reduziert. Bei entsprechender Gemütslage kann dieser Teil auch als unfreiwillig komisch empfunden werden (mir kam beim Lesen spontan Georg Kreislers Opernboogie in den Sinn: ... und stirbt ... und stirbt ...)
Umso frappierender, wenn der letzte Abschnitt, aus der Perspektive der alten, kranken, gänzlich verarmten Frau erzählt, zutiefst anrührend, sprachlich dicht, durch den inneren Monolog außerordentlich authentisch daherkommt.
Der nächste Aspekt, den dieser Roman bedient, ist der Ausschnitt südeuropäischer Geschichte im 20. Jahrhundert, die den meisten Lesern in dieser Ausführlichkeit weitgehend unbekannt sein dürfte. Die Abfolge historischer Ereignisse, in die die Hauptfigur Zora verwickelt ist, lässt sich nur als rasant bezeichnen: die unterprivilegierte Stellung der nationalen Minderheit der Slowenen, der Triumph des Aufstiegs des italienischen Faschismus, der Kampf um die kommunistische Vorherrschaft nach dem Ende des 2. Weltkriegs - dieses politische Panorama zeichnet ein informatives und farbiges Bild. Doch wenn die Kapitelüberschriften mit geographischer Angabe und Jahreszahl eine erste Orientierung ermöglichen, eine Landkarte und eine Zeittafel wären gewiss von den Lesern begrüßt worden.
Und letztlich vermittelt del Buonos Roman einen Einblick in einen Ausschnitt der Sozialgeschichte, da es etwa in Italien kein Problem darstellt, einerseits Mitglied einer großbürgerlichen privilegierten Oberschicht zu sein, andererseits aber sich glühend für den Kommunismus einzusetzen.
So stellt diese Neuerscheinung denn eine durchaus lohnende, weil anregende Lektüre dar, aber keinesfalls einen exorbitanten literarischen Wurf, der lange im Gedächtnis haften könnte.

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